Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
JackSparrow
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#1951 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Do 5. Nov 2015, 23:52

Salome23 hat geschrieben:Warum sollte man da nichts mehr sehen?
Schlaffördernde Pharmaka werden durch die das schlaffördernde Pharmakon konsumierende Person oftmals in der Absicht konsumiert, durch besagten Konsum einen Schlafzustand herbeizuführen.


Pluto hat geschrieben:Materie einfach als Setzung abzutun halte ich für eine absurde solipsistische Vorstellung.
Für einen Solipsisten hätte es keinerlei Nutzen, an der Existenz von Materie zu zweifeln. Er würde sich weiterhin an der Hauswand stoßen, auch wenn er sie als "Geist" bezeichnen würde. Und der Hauswand persönlich ist das relativ egal.


closs hat geschrieben:Das kann man so sehen - es sei denn, man beansprucht weltanschaulich zu reden. Und dann sollte man das philosophische Verständnis/die verschiedenen Varianten davon der letzten 2000 Jahre schon berücksichtigen.
Ich vergaß zwei weitere Bedeutungen von "Geist":
1) ein vom Menschen nicht wahrnehmbares Paralleluniversum ("geistige Welt"; früher einfach "Äther" genannt);
2) das, woraus das Universum besteht (in den Naturwissenschaften stattdessen als "Materie" bezeichnet).

Damit sollte nun jede Verwendungsmöglichkeit abgedeckt sein.

Irgendwann ist der ganze Körper ein Teil des Gehirns.
Nerven, die direkt ans Gehirn angeschlossen sind, gelten als Teil des Gehirns (zentrales Nervensystem). Die übrigen Nerven sind ans Rückenmark angeschlossen und bilden das periphere Nervensystem.

Selbst bei intaktem Auge sieht der Mensch nichts, wenn das Gehirn die Signale nicht verarbeitet.
Je nachdem, an welcher Stelle der Schaden auftritt, gibt es ganz unterschiedliche Symptome.

Es gibt sogar Schädigungen, wo der Mensch denkt, er sähe nichts, aber richtig liegt, wenn er einfach raten soll, was er denn gesehen haben könnte. Passt eben nicht so gut zur Geist-erschafft-Materie-Hypothese.

closs
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#1952 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 00:06

JackSparrow hat geschrieben:Für einen Solipsisten hätte es keinerlei Nutzen, an der Existenz von Materie zu zweifeln. Er würde sich weiterhin an der Hauswand stoßen, auch wenn er sie als "Geist" bezeichnen würde.
Du kapierst es wirklich nicht: Die Hauswand wäre genauso hart und wirksam, egal ob sie eine Sinnes-Täuschung wäre oder nicht. - Genau hier liegt NICHT der Unterschied.

Egal, was wir hier schwadronieren: Wo siehst Du ein Argument, das Descartes' Nachweis erschüttern könnte, dass jegliche menschliche Wahrnehmung über das menschliche Ich geht?

Pluto
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#1953 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Fr 6. Nov 2015, 00:08

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ich erinnere nur an die Diskussion über die Dualität.
Da scheint etwas in der Rezeption schief gelaufen zu sein - ich kann es leider nicht nachweisen, weil ich Ryle nicht gut genug kenne - lassen wir mal Fachleute sprechen (A.Kirchner, Ryles Beitrag zu einer Theorie des Geistes):
Im Kapitel „Descartes Mythos“ versucht Ryle klarzustellen, warum die klassische Trennung von Geist und Körper und die prinzipielle Verborgenheit und Unergründbarkeit des Geistes keine hinreichende Erklärung bietet für die Phänomene des Denkens und Bewusstseins; von daher auch gar keine eigentliche Theorie sein kann, sondern gerade mal ein Mythos, eine Sammlung von Metaphern, in der vieles rätselhaft bleiben muss. In diesem Kapitel geht es überwiegend darum, die im allgemeinen Bewusstsein festgesetzte Körper-Geist-Trennung mit allen Mitteln der rhetorischen und argumentativen Kunst anzugreifen. ... 14Im gesamten Hauptwerk fällt auf, dass es weder eine Fußnote noch ein Literaturverzeichnis gibt, das explizit Quellen oder Verweise enthält.15 So bleibt auch vieles mehrdeutig, etwa ob die Bezeichnung „Descartes’ Mythos“ als rhetorischer Trick verwendet wird, um die „offizielle Lehre“ schillernd zu betiteln oder um direkt auf Descartes hinzuweisen,
Die von dir zitierte Arbeit stammt von einem gewissen Andreas Kirchner, Medizinstudent im 1. Semester... http://aka.fragtsich.eu/attachments/055_HbRyle.pdf
So viel also, zu Fachleuten... ;)

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ich denke alle namhaften Philosophen unserer Zeit haben die alten Meister kennen und schätzen gelernt.
Aber wahrscheinlich nicht verstanden - Beispiel Metzinger:
Sicher hat er die alten Meister anders verstanden als du.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Der Punkt ist, dass der visuelle Cortex nicht der einzige Ort ist, wo visuelle Reize empfangen und verarbeitet werden.
Und diese anderen Orte sind NICHT im Gehirn?
Schwierige Frage. Das Gehirn ist ein heterogenes Organ.
Tatsächlich werden optische Signale auch von evolutionär alten Strukturen wahrgenommen, die mit dem visuellen Cortex nichts zu tun haben.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn wir materiell nicht existieren würden, könnten wir nichts erkennen.
Pure Setzung Deinerseits.
Keineswegs ist das eine Setzung.
Es ist eine deduktive Schlussfolgerung aus Evolutionsbiologie — a posteriori.

closs hat geschrieben:Denn wenn der Mensch "nur" ein geistiges Wesen wäre (was ja Descartes nicht behauptet - aber WENN es so wäre), könnte der Mensch selbstverständlich etwas erkennen - warum denn NICHT?
Wie soll das gehen? Wie würde ein Geist der seiner körperlichen Sinne beraubt ist, irgend etwas erkennen können?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das ist ein "totes Pferd". Dass Materie im Alltag existiert, ist Fakt.
Das wird erkenntnis-theoretisch NIE ein totes Pferd sein. - Dass wir methodisch und in unserem Alltags-Verhalten einen Schritt später einsetzen, ist eine ganz andere Sache.
Nein. Der Alltag ist hier der zentrale Beweis für die Existenz von Materie.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ich kenne den Vortrag, nur denke ich hier hat Descartes geirrt, und unsere heutige Auffassung der Materie die richtige ist.
Falscher Ansatz:
Das ist keineswegs falsch. Ich intepretiere anders als du.

closs hat geschrieben:Die heutige Auffassung der Materie setzt einen Schritt später ein
Was meinst du mit "setzt eine Schritt später ein"?

closs hat geschrieben:Für Naturwissenschaft ist Poppers Einstiegs-Ort vollkommen ausreichend - erkenntnis-theoretisch und/oder philosophisch nicht.
Auch hier bin ich entgegengesetzter Meinung.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1954 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 00:54

Pluto hat geschrieben:So viel also, zu Fachleuten...
Ich gucke immer nur auf Inhalte - und gelesen wird er es haben, worüber er spricht.

Pluto hat geschrieben:Sicher hat er die alten Meister anders verstanden als du.
Eben - egal, wer es ist und ob er Pluto, Closs, Ratzinger oder Metzinger heisst: Der Mensch liest und interpretiert aus SEINER Weltanschauung heraus - die sich selber natürlich nach und nach verändern kann (hermeneutischer Prozess).

Insofern akzeptiere ich, dass man als Materialist/Analytischer Philosoph den alten Meister x "so" versteht. - Oder anders gesagt: "Sage mir Deine Interpretation von x, und ich sage Dir, welcher Weltanschauung Du angehörst".

Pluto hat geschrieben:Es ist eine deduktive Schlussfolgerung aus Evolutionsbiologie — a posteriori.
Wie an anderer Stelle gesagt: Wenn man DA einsetzt, wo Popper einsetzt, hast Du recht. - Und weil Popper weiss, wo er einsetzt und warum er dort einsetzt, besteht er zurecht darauf, "Methodiker" und nicht "Philosoph" genannt zu werden.

Wenn man DAVOR mit dem Denken einsetzt, ist es eine Setzung --- wenn man die Evolutions-Biologie als Wissenschaft im Sinne des Kritischen Rationalismus zugrundelegt, ist es KEINE Setzung. - Ersteres ist philosophische Ebene - zweiteres ist naturwissenschaftlich-methodische Ebene.

Pluto hat geschrieben:Wie würde ein Geist der seiner körperlichen Sinne beraubt ist, irgend etwas erkennen können?
Angenommen, es gäbe Gott und wäre (was er zu Ende gedacht dann auch sein muss) Geist. - Meinst Du, er könnte dann nicht sehen?

Pluto hat geschrieben:Der Alltag ist hier der zentrale Beweis für die Existenz von Materie.
Selbe Antwort wie bei Jack: NIEMAND kann unterscheiden, ob seine wahrgenommenen Realität Täuschung ist oder nicht. - Die Wand, gegen die Du rennst, ist in beiden Fällen gleich hart und Deine Beule gleich groß.

Pluto hat geschrieben:Das ist keineswegs falsch.
Deine Auffassung ist NICHT falsch - ich schrieb, dass der Ansatz des Denkens falsch ist. - Beides ist richtig - je nach Einstiegs-Level.

Pluto hat geschrieben:Was meinst du mit "setzt eine Schritt später ein"?
S.o. --- Sie setzt nicht philosophisch oder erkenntnis-theoretisch ein, sondern da, wo Popper sagt: "Hier fangen wir mit unserer Methodik an - wir tun so, als sei das, was wir als real wahrnehmen, tatsächlich real". - Das ist "ein SChritt später".

Pluto hat geschrieben:Auch hier bin ich entgegengesetzter Meinung.
Wieso? - Die Naturwissenschaft kann doch damit völlig ungestört arbeiten?!?!

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#1955 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » Fr 6. Nov 2015, 01:46

closs hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Das Wort "Geist" kann für Intellekt, Verstand, Persönlichkeit, Bewusstsein, eine Idee ("Geist des Kommunismus"), einen Ethanol-Gehalt oder auch für gasförmige Lebewesen verwendet werden.
Und für Bettlaken, die "Huhu" machen.

Nun werde mal nicht albern, Kurt...
Was Jack da rüberbrachte, hat Hand und Fuß (passt Dir aus ideologischen Gründen natürlich nicht).

Was ist denn DEINE Vorstellung von Geist? Wieso kommt da nichts Konkretes als Antwort rü-
ber - trotz hartnäckiger Nachfragen, sondern nur unverständliches, ausweichendes Gerede?


Abgesehen davon: Du betonst doch immer wieder selbst, dass Du nichts weißt. Ja - aber warum
schweigst Du dann nicht, sondern postest hier wie ein Hamster im Laufrad? ;)
Zuletzt geändert von Münek am Fr 6. Nov 2015, 02:19, insgesamt 1-mal geändert.

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Halman
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#1956 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Halman » Fr 6. Nov 2015, 01:58

Was ist wirklich existent? Nun könnte man antworten: Materie besteht aus up-Quarks, down-Quark und Elektronen, Licht aus Photonen usw. Doch wäre damit die Welt hinreichend erklärt? Lassen sich komplexe Systeme derart reduzieren?
Das wäre in etwa so, als würden wir diesen Text lediglich als Bits interpretieren. Dies wäre die unterste Ebene. Doch diese offenbart uns nicht den Text, nicht den Sinn der Bits. Hierfür ist eine höhere Ebene notwendig. Welche Ebene wählen wir nun? Es kommt ganz auf die Fragestellung an. Betrachtungen auf verschiedenen Ebenen müssen keineswegs in Konkurrenz zueiander treten (Ebenen des Diskurses), sondern können komplementär bestehen.

Wenn wir über "Sein und Wahrnehmung" und über "Geist" sprechen, so stellt sich die Frage, was wir eigentlich meinen, wenn wir "Geist" sagen. Bezogen auf den Menschen erscheint es mir logisch davon auszugehen, den menschlichen Geist nicht als eine "feinstoffliche" oder supernaturalistische "Substanz" aufzufassen, welche dem Menschen innewohnen würde, sondern als einen hochkomplexen Prozess, welcher vom Gehirn erzeugt wird.
Dafür spricht die enorme Komplexität des Gehirns, die Erkenntnis, dass Neuronen und Gliazellen auf Basis biochemischer und biophysikalischer Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Bildgebene Verfahren (PET und fMRT) machen aktive Hirnreginen sichtbar, nicht nur, wenn es um die Steuerung von Bewegungsabläufen geht, sondernd auch bei moral-ethischen Entscheidungen, die mit Hirnaktivitäten im Schläfenlappen und Stirnhirn korrelieren (meiner Meinung nach liegt Kausalität vor) und sogar beim religiösen Erlebnissen, in dem viele Hirnregionen beteiligt sind (darunter die Sehrinde, der Nucleus caudatus, sowie Teile des Scheitellappen u. des Stammhirns).
Für die Kausalität der Korrelation zwischen Hirnaktivität und Geist (Bewusstsein, Wille usw.) spricht der Einfluss von Drogen, Reizungen und Läsionen von Gehirnbereichen. Auch die Wirkung von Fluoxetin (Prozac), welches die Wideraufname von Serotonin hemmt und so dessen Wirksamkeit verstärkt, belegt, dass es keinen menschlichen Geist hinter dem Gehirn gibt: Das Gehirn erzeugt den Geist und damit das Bewusstsein und Unterbewusstsein, sowie Willensentscheidungen über hochkomplexe neurologische Erregungsmuster.
Zitat von Karl Popper (Popper und Eccles, the self and its brain (1977):
Ich glaube an den Geist in der Maschine. Das heißt, dass das Ich irgendwie so auf dem Gehirn spielt, wie ein Pianist auf dem Klavier klimpert oder ein Fahrer Steuer und Gangschaltung bedient.

In dieser Diskussion gewinne ich den Eindruck, als wenn weltanschauliche Perspektiven mit wissenschaftlichen verwoben werden.

Die gbs vertritt einen weltanschaulichen Naturalismus.
Band 3

So kurz das Heftchen ist, so klar ist die Kernaussage der Texte: die weltanschauliche Komponente des Darwinismus muss stärker in den Blick genommen werden. Da sie in Deutschland nach wie vor übersehen oder sogar in Abrede gestellt wird, bleibt hier ein Stück Aufklärung zu leisten.
Weiter unten im Link (Band 5) vertritt der Physiker, Philosoph und Naturalist Gerhard Vollmer (im gbs-Beirat) in seinem Buch Gretchenfragen an den Naturalisten mit dem philosophischen Naturalismus eine Weltanschauung, von der ich meine, dass sie auch hier in durchaus guten Beiträgen zum Ausdruck kommt.
Eine solche zu vertreten und zu fördern ist selbstverständlich legitim und mit der naturalistischen Naturwissenschaft verträglich; doch verleitet der philosophische (onthologische) Naturalismus meiner Meinung nach zu dem Vorurteil, diese Weltanschauung zum absoluten Prinzip zu erheben (ein Dogma). Daher ziehe ich den wissenschaftlichen (methodologischen) Naturalimus vor, welcher öffener gegenüber Weltanschauungen ist, ohne seiner Methodik (methodischer Atheismus) untreu zu werden.

René Descartes vertrat den interaktiven Dualismus (der bekannteste Substanzdualismus), wonach das "Ich" (Geist) unabhängig vom Körper gedacht war. Dies erschien damals logisch.
Diese Vorstellung vom Leib-Seele-Dualimus war vom Neuplantonismus inspiriert und fand Eingang in die Christenheit und wurde von den einflussreichen Kirchenväter Origenes und Augustinus, über Thomas von Aquin und Martin Luther, bis hin zum Neurophysiologen John Eccles (1903-1997) vertreten.
Doch die Bedeutung von Nephesch (der Begriff im hebr. Grundtext, welcher 754 mal in der Bibel steht und mit "Seele" übersetzt wurde), vermittelt die Grundbedeutung von Leben[skraft], Person (bis hin zum Blut) und meint "lebendige Wesen" (Mensch und Tier).
Das im Tanach mit "Geist" übersetzte Wort Ruah hat die Grundbedeutung von Wind und steht häufig für den Lebensatem (Odem).
Anstelle eines cartesischen Dualismus verstehe ich die Bibel bezüglich des Menschen eher holistisch, denn weder nephesch noch Ruah werden in Verbindung mit dem Menschen unabhängig vom Leib gebraucht.
Die paulinische Auferstehungslehre in 1Kor 15:35ff. (überirdischer Leib) ist völlig verschieden von der platonischen ewigen und körperlosen Seele.

Entscheidend ist nicht die Substanz für die Existenz unserer Identität, auch wenn Reduktionisten dies so verstehen mögen, sondern die Information. Die meisten menschlichen Zellen haben nur eine Lebensdauer von wenigen Wochen oder Monaten. Dies trifft zwar nicht auf die Neuronen im Gehirn zu, doch ihre Moleküle werden stetig erneuert (z.T. innerhalb von Stunden oder gar Minuten).
Selbst die beständigen Chromosomen unterliegen langsamen Stoffwechselprozessen. Der "Stoff" aus den wir aufgebaut sind, wird also kontinuierlich ereuert, doch unsere Intentität bleibt erhalten. Sie resultiert aus unserer dynamischen Struktur. Den Menschen als eine Ansammlung von up-Quarks, down-Quark und Elektronen zu bezeichnen ist offenbar nicht hinreichend, um uns zu beschreiben.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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sven23
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#1957 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » Fr 6. Nov 2015, 06:41

closs hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Für einen Solipsisten hätte es keinerlei Nutzen, an der Existenz von Materie zu zweifeln. Er würde sich weiterhin an der Hauswand stoßen, auch wenn er sie als "Geist" bezeichnen würde.
Du kapierst es wirklich nicht: Die Hauswand wäre genauso hart und wirksam, egal ob sie eine Sinnes-Täuschung wäre oder nicht. - Genau hier liegt NICHT der Unterschied.

Egal, was wir hier schwadronieren: Wo siehst Du ein Argument, das Descartes' Nachweis erschüttern könnte, dass jegliche menschliche Wahrnehmung über das menschliche Ich geht?
Das ist doch gerade der Knackpunkt. Wenn man wirklich davon ausgeht, daß wir in einer gigantischen Simulation leben, die man z. B. Matrix nennt, und die einzig dem Zweck dient, uns eine Wirklichkeit vorzutäuschen, wie kommt man dann auf den Trichter, daß sich unser Gehirn ausgerechnet bei der Annahme "Cogito" nicht irrt? Auch das Cogito könnte dann problemlos Teil dieser Simulation sein. Hier hat ein Descartes (vermutlich aus ideologischen Gründen) nicht konsequent zu Ende gedacht.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1958 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 09:24

Münek hat geschrieben:Was ist denn DEINE Vorstellung von Geist? Wieso kommt da nichts Konkretes als Antwort rüber
Funktional wurde das schon mehrfach gesagt: Geist ist das, aus dem Materie kommt. - "Gott ist Geist" (Joh. 4,24).

Ein Missverständnis scheint es zu geben, auf das ich gleich bei Halman eingehen möchte: Wir reden hier NICHT von der naturwissenschaftlichen Erklärung dessen, was Geist ist, weil wir sonst über die naturwissenschaftliche Erklärung Gottes sprechen würden - und diese Erklärung gibt es nicht, weil Gott nicht Teil der naturwissenschaftlichen Welt ist.

Münek hat geschrieben:Abgesehen davon: Du betonst doch immer wieder selbst, dass Du nichts weißt.
Dann würde die ganze Welt schweigen - das ist nicht ihr Sinn. - Der Mensch soll auf Basis seiner Wahrnehmung sprechen - aber eben auch wissen, dass dies keine Wissens-, sondern eine Glaubens-Grundlage ist.

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#1959 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Fr 6. Nov 2015, 09:48

closs hat geschrieben:Du kapierst es wirklich nicht: Die Hauswand wäre genauso hart und wirksam, egal ob sie eine Sinnes-Täuschung wäre oder nicht.
Du kapierst es wirklich nicht: Wenn sie hart und wirksam ist, dann macht keinerlei Sinn, sie als eine Sinnestäuschung bezeichnen. Auch nicht für einen Solipsisten. Es macht stattdessen Sinn, sie als hart und wirksam zu bezeichnen, also als das Gegenteil einer Täuschung.

Wo siehst Du ein Argument, das Descartes' Nachweis erschüttern könnte, dass jegliche menschliche Wahrnehmung über das menschliche Ich geht?
Bei "ich" handelt es sich um ein Personalpronomen. Was Descartes für das "menschliche Ich" hielt, muss wohl eine Sinnestäuschung gewesen sein.


sven23 hat geschrieben:Wenn man wirklich davon ausgeht, daß wir in einer gigantischen Simulation leben
Simulationen können nicht von irgendwas ausgehen. Sie sind nur simuliert. Man würde sich mit dieser Aussage selbst widersprechen.

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#1960 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 6. Nov 2015, 09:56

Halman hat geschrieben:Wenn wir über "Sein und Wahrnehmung" und über "Geist" sprechen, so stellt sich die Frage, was wir eigentlich meinen, wenn wir "Geist" sagen. Bezogen auf den Menschen erscheint es mir logisch davon auszugehen, den menschlichen Geist nicht als eine "feinstoffliche" oder supernaturalistische "Substanz" aufzufassen, welche dem Menschen innewohnen würde, sondern als einen hochkomplexen Prozess, welcher vom Gehirn erzeugt wird.
Wichtig ist, dass Du "menschlicher Geist" sagst und nicht "Geist".

Halman hat geschrieben:Das Gehirn erzeugt den Geist und damit das Bewusstsein und Unterbewusstsein, sowie Willensentscheidungen über hochkomplexe neurologische Erregungsmuster.
Zustimmung - aber Vorsicht: Dann ist mit "menschlicher Geist" das gemeint, was in der Lage ist, den "göttlichen Geist" zu suchen, ansatzweise zu verstehen, mit ihm kommunizieren zu können - also der menschliche Geist als materielle Plattform, die "göttlichen Geist" ins Dasein übersetzen kann.

Naturalisten/Materialisten meinen aber aufgrund ihrer Weltanschauung, dass das, was Du als "menschlichen Geist" bezeichnest, auch der Generator des "göttlichen Geistes" sei.

Halman hat geschrieben: Daher ziehe ich den wissenschaftlichen (methodologischen) Naturalimus vor, welcher öffener gegenüber Weltanschauungen ist, ohne seiner Methodik (methodischer Atheismus) untreu zu werden.
Was ist sagt der methodologische Naturalismus über "Gott"?

Halman hat geschrieben:Anstelle eines cartesischen Dualismus verstehe ich die Bibel bezüglich des Menschen eher holistisch, denn weder nephesch noch Ruah werden in Verbindung mit dem Menschen unabhängig vom Leib gebraucht.
Aus meiner Sicht gibt es hier nur einen künstlichen Widerspruch zu Descartes - denn auch er sieht im Dasein die "Res cogitans" (das Geistige) mit den "Res extensa" (das Materielle) untrennbar verbunden. - Mit anderen Worten: Auch Descartes hat ein holistisches Weltbild.

Dass dies (wie es aussieht) in Frage gestellt werden kann, liegt daran, dass er erkenntnis-theoretisch gazn zu Recht nachweist, das man es mit menschlicher Wahrnehmungs-Ausstattung nicht wissen kann, ob es "so" oder "anders" ist. - Insofern sagt Descartes de facto: "Ich GLAUBE an ein holistisches Weltbild, kann aber nicht WISSEN, ob es so ist".

Allerdings - und das ist der nächste Stolperstein - sieht er (wie das gesamte Christentum) das Holistische in Bezug auf Gott und nicht in Bezug auf den Menschen - mit anderen Worten: Für ihn ist unzweifelhaft, dass sich mit dem leiblichen Tod die menschliche Existenz vom Körper trennt. - Und dann ist es eben nicht mehr der naturwissenschaftlich fassbare Aufbau des Gehirns, über das man den menschlichen Geist beschreiben kann, sondern der menschliche Geist selbst, der sich vom Körper trennt.

Wollte man diesem widersprechen, wäre die Existenz des Menschen mit dem Tod des Körpers/Gehirns unwiderbringlich verloren - dies kann ein Naturalist/Materialist glauben, aber kein Christ und eben auch kein Descartes. - Aber das hat nichts mit "Dualismus" zu tun - bzw. dies als "Dualismus" zu bezeichnen, wäre irreführend. - Denn unter "Dualismus" müsste man eigentlich verstehen, dass der menschliche Geist zu Daseins-Zeiten unverbunden mit dem menschlichen Körper rumeiert - genau das behauptet (meines Wissens) niemand. Vor allem das Christentum tut es nicht.

Unterm Strich ist aus meiner Sicht folgendes wichtig:
* Menschlicher Geist und menschlicher Körper sind untrennbar verbunden, solange der menschliche Körper lebt - es gibt für den Menschen keine geistige Wahrnehmung ohne neuronale Aktivität des Gehirns, solange der Mensch im Dasein lebt.
* Trotzdem ist der menschliche Geist nicht abhängig vom Körper, wenn dieser stirbt - der Geist kann vielmehr den Körper abstreifen, so wie ein (entsprechendes) Tier seine äußere Hülle bei der Häutung abstreifen kann.

"Schönheitsfehler": Die neue Gestalt nach der "Häutung" ist naturwissenschaftlich nicht mehr greifbar, weil nicht ein neuer materieller Körper entsteht, sondern ein "geistiger Körper" ("Geistleib") - verstanden als eine Chiffre dafür, dass im Geistigen die menschliche Identität nicht in etwas Unendliches zerfließt, sondern als Halman oder Pluto vollumfänglich erhalten bleibt ("Ich bin Halman" - "Ich bin Pluto") - im Grunde die reinste Form dessen, was Descartes mit "Res cogitans" meint.

Würdest Du vor diesem Hintergrund das Wort "Dualismus" aufrechterhalten?

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