Was ist wirklich existent? Nun könnte man antworten: Materie besteht aus up-Quarks, down-Quark und Elektronen, Licht aus Photonen usw. Doch wäre damit die Welt hinreichend erklärt? Lassen sich komplexe Systeme derart reduzieren?
Das wäre in etwa so, als würden wir diesen Text lediglich als Bits interpretieren. Dies wäre die unterste Ebene. Doch diese offenbart uns nicht den Text, nicht den Sinn der Bits. Hierfür ist eine höhere Ebene notwendig. Welche Ebene wählen wir nun? Es kommt ganz auf die Fragestellung an. Betrachtungen auf verschiedenen Ebenen müssen keineswegs in Konkurrenz zueiander treten (Ebenen des Diskurses), sondern können komplementär bestehen.
Wenn wir über "Sein und Wahrnehmung" und über "Geist" sprechen, so stellt sich die Frage, was wir eigentlich meinen, wenn wir "Geist" sagen. Bezogen auf den Menschen erscheint es mir logisch davon auszugehen, den menschlichen Geist nicht als eine "feinstoffliche" oder supernaturalistische "Substanz" aufzufassen, welche dem Menschen innewohnen würde, sondern als einen hochkomplexen Prozess, welcher vom Gehirn erzeugt wird.
Dafür spricht die enorme Komplexität des Gehirns, die Erkenntnis, dass Neuronen und Gliazellen auf Basis biochemischer und biophysikalischer Gesetzmäßigkeiten funktionieren. Bildgebene Verfahren (PET und fMRT) machen aktive Hirnreginen sichtbar, nicht nur, wenn es um die Steuerung von Bewegungsabläufen geht, sondernd auch bei moral-ethischen Entscheidungen, die mit Hirnaktivitäten im Schläfenlappen und Stirnhirn korrelieren (meiner Meinung nach liegt Kausalität vor) und sogar beim religiösen Erlebnissen, in dem viele Hirnregionen beteiligt sind (darunter die Sehrinde, der Nucleus caudatus, sowie Teile des Scheitellappen u. des Stammhirns).
Für die Kausalität der Korrelation zwischen Hirnaktivität und Geist (Bewusstsein, Wille usw.) spricht der Einfluss von Drogen, Reizungen und Läsionen von Gehirnbereichen. Auch die Wirkung von Fluoxetin (Prozac), welches die Wideraufname von Serotonin hemmt und so dessen Wirksamkeit verstärkt, belegt, dass es keinen menschlichen Geist hinter dem Gehirn gibt: Das Gehirn erzeugt den Geist und damit das Bewusstsein und Unterbewusstsein, sowie Willensentscheidungen über hochkomplexe neurologische Erregungsmuster.
Zitat von Karl Popper (Popper und Eccles, the self and its brain (1977):
Ich glaube an den Geist in der Maschine. Das heißt, dass das Ich irgendwie so auf dem Gehirn spielt, wie ein Pianist auf dem Klavier klimpert oder ein Fahrer Steuer und Gangschaltung bedient.
In dieser Diskussion gewinne ich den Eindruck, als wenn weltanschauliche Perspektiven mit wissenschaftlichen verwoben werden.
Die
gbs vertritt einen weltanschaulichen Naturalismus.
Band 3
So kurz das Heftchen ist, so klar ist die Kernaussage der Texte: die weltanschauliche Komponente des Darwinismus muss stärker in den Blick genommen werden. Da sie in Deutschland nach wie vor übersehen oder sogar in Abrede gestellt wird, bleibt hier ein Stück Aufklärung zu leisten.
Weiter unten im Link (
Band 5) vertritt der Physiker, Philosoph und Naturalist Gerhard Vollmer (im gbs-Beirat) in seinem Buch
Gretchenfragen an den Naturalisten mit dem
philosophischen Naturalismus eine Weltanschauung, von der ich meine, dass sie auch hier in durchaus guten Beiträgen zum Ausdruck kommt.
Eine solche zu vertreten und zu fördern ist selbstverständlich legitim und mit der naturalistischen Naturwissenschaft verträglich; doch verleitet der philosophische (onthologische) Naturalismus meiner Meinung nach zu dem Vorurteil, diese Weltanschauung zum absoluten Prinzip zu erheben (ein Dogma). Daher ziehe ich den wissenschaftlichen (methodologischen) Naturalimus vor, welcher öffener gegenüber Weltanschauungen ist, ohne seiner Methodik (methodischer Atheismus) untreu zu werden.
René Descartes vertrat den
interaktiven Dualismus (der bekannteste Substanzdualismus), wonach das "Ich" (Geist) unabhängig vom Körper gedacht war. Dies erschien damals logisch.
Diese Vorstellung vom Leib-Seele-Dualimus war vom Neuplantonismus inspiriert und fand Eingang in die Christenheit und wurde von den einflussreichen Kirchenväter Origenes und Augustinus, über Thomas von Aquin und Martin Luther, bis hin zum Neurophysiologen John Eccles (1903-1997) vertreten.
Doch die Bedeutung von
Nephesch (der Begriff im hebr. Grundtext, welcher 754 mal in der Bibel steht und mit "Seele" übersetzt wurde), vermittelt die Grundbedeutung von Leben[skraft], Person (bis hin zum Blut) und meint "lebendige Wesen" (Mensch und Tier).
Das im Tanach mit "Geist" übersetzte Wort
Ruah hat die Grundbedeutung von Wind und steht häufig für den Lebensatem (Odem).
Anstelle eines cartesischen Dualismus verstehe ich die Bibel bezüglich des Menschen eher holistisch, denn weder
nephesch noch
Ruah werden in Verbindung mit dem Menschen unabhängig vom Leib gebraucht.
Die paulinische Auferstehungslehre in 1Kor 15:35ff. (überirdischer Leib) ist völlig verschieden von der platonischen ewigen und körperlosen Seele.
Entscheidend ist nicht die Substanz für die Existenz unserer Identität, auch wenn Reduktionisten dies so verstehen mögen, sondern die Information. Die meisten menschlichen Zellen haben nur eine Lebensdauer von wenigen Wochen oder Monaten. Dies trifft zwar nicht auf die Neuronen im Gehirn zu, doch ihre Moleküle werden stetig erneuert (z.T. innerhalb von Stunden oder gar Minuten).
Selbst die beständigen Chromosomen unterliegen langsamen Stoffwechselprozessen. Der "Stoff" aus den wir aufgebaut sind, wird also kontinuierlich ereuert, doch unsere Intentität bleibt erhalten. Sie resultiert aus unserer dynamischen Struktur. Den Menschen als eine Ansammlung von up-Quarks, down-Quark und Elektronen zu bezeichnen ist offenbar nicht hinreichend, um uns zu beschreiben.