Rembremerding hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:
Wenn jemand in einem kranken und vielleicht entstellten und verzweifelten Menschen dessen geistige Kraft, dessen Schönheit plötzlich erkennt, die ganz besondere und individduelle Art der geistigen Kraft dieses Menschen, trotz seiner Misere: dann ist das Eros, der das erkennt. Denn man spürt eben plötzlich eine Begeisterung darüber.
Ich denke, du ziehst hier den philosophischen Bezug des Eros heran, dann hast Du recht.
Ehrlich gesagt, entspringt das von mir Gesagte eher Selbstbeobachtetem, und mir ist dann ein Begriff vor die Füße geweht worden, der das ausdrückte, eben das Wort "Eros": in Thomas Manns Novelle "Der Tod in Venedig", war es, glaube ich, zuerst. Dort allerdings ist dann auch Plato als Philosoph erwähnt; aber mein Punkt war, durch die Erzählung einiges in mir besser verstehen zu können.
Rembremerding hat geschrieben:
Man muss unterscheiden, ob Liebe im Gefühl oder im Geist und damit im Willen und Wollen wirksam ist. Dein oben zitiertes Beispiel zeigt etwas auf, was nicht dem sinnlichen Eros entspricht, sondern eben einer Be-geist-erung.
Ich kann so scharf zwischen Geist und Gefühl nicht trennen wie Du, bzw. wie es aussieht, dass Du es tust.
Eine Begeisterung ist immer auch Gefühl. Geistige Liebe aktiviert immer den ganzen Menschen, und sie kann sogar brennende Leidenschaft wecken.
Aber, und das ist vielleicht schwer zu erklären: die Sehnsucht, die hinter diesem Geschehen steht - und die ich als Eros bezeichne -, zielt nicht eigentlich auf brennende Leidenschaft, auf "Habenwollen", auch wenn es dahin führt oft, so wie auch im "Tod in Venedig".
Aber die Kraft des Eros, die macht, dass einem mit einem Mal die "unantastbare" Schönheit eines Sterbenden entgegenschlägt, in seinem wahrhaftigen Ausdruck, wo keine Gebärde mehr lügen kann - es ist die gleiche, die einen erschrecken lässt, wenn man einem unglaublich schönen Menschengesicht begegnet, und ist auch die gleiche, wenn man sich an ein Foto verliert, wo lauter Mücken über einen Tümpel laufen.
Die Erotik - vielleicht ist das mein Punkt - macht, dass man fast mit dem verschmilzt, was man betrachtet, sich an ihm verliert. Man erweitert sich um das Betrachtete, es ist in mich hineingefallen und bleibt da wahrscheinlich auch bis an mein Lebensende.
Es ist beides, Rem: man lässt es in sich ein, und man gibt sich ihm hin.
Tolkien nennt das "Verzauberung", und das ist wohl das, was ich meine. Nur "Verzauberte" können das "Anderland" betreten, nach Tolkiens mythischer Sprache.
Rembremerding hat geschrieben:Dieser Eros im philosophischen Sinn muss aber davon getrennt werden. Eine Leidenschaft nach Erkenntnis und ein "brennen" für den Nächsten und für Gott ist zunächst ein rein geistiges Ergriffen-sein.
Ich bin mir nicht sicher, ob wir das Gleiche meinen.
Die Schwierigkeit ist, dass dieses Ergriffensein von diesem oder jenem, wenn dieser oder jener ein Mensch ist, sich zu leicht in ein unartikuliertes "Habenwollen" verwandeln kann.
Das ist aber nicht der Kern. Der Kern ist für mich: jeder Mensch strebt, bewusst oder unbewusst, danach, von allem verzaubert zu sein, alles lieben zu können, ohne es zu begehren, ohne es begehren zu müssen.
Das ist ein Blick auf die Welt, der, würde er ausnahmslos gelingen, vermutlich Satori, Erleuchtung, zur Folge hätte.
In christlicher Sprache vermutlich: das Betreten des Reiches Gottes.
Ich glaube, dass dieses Ziel letztlich hinter jedem Begehren steht.
Ich hab mal, weil ich das Meer so leidenschaftlich liebe, als Kind versucht, während ich im Wasser stand, das Meer zu umarmen. Ja, Pustekuchen. Es ließ sich nicht umarmen, ich konnnte das Wasser nicht fassen und an mich ziehen, ich hab praktisch nur mich selbst umarmt.
Diese Ohnmacht dem Geliebten gegenüber, das einem entweicht, wenn man es in seiner Gänze haben möchte, scheint mir zur Grundstruktur der Liebe zu gehören, zu ALLEN Formen der Liebe.
Daraus kann Melancholie entstehen, aber auch der Antrieb, es dann doch voll in sich aufnehmen zu können, wenn man diese Leidenschaft, dessen Ziel letztlich gar nicht klar ist - ich glaube nicht, dass das Ziel die körperliche Liebe selber ist -, endlich einmal in etwas anderes verwandeln kann.
Mit anderen Worten: die Leidenschaft rennt immer ins Vergebliche, selbst wenn man den Gegenstand in den Besitz bekommt.
Rembremerding hat geschrieben:Dazu muss zuvor die Liebe eine Grundhaltung im Menschen eingenommen haben, Liebe benötigt dann kein Objekt oder Menschen mehr, um wirken zu können. Meister Eckhart spricht deshalb auch von einer objektlosen Liebe. Der Mensch wird offen hin zum universalen (für Gläubige: hin zu Gott).
Hier allerdings muss ich aussteigen. Wenn es nicht mehr um Menschen und Dinge und Geschehnisse gibt, bricht für mich der Sinn von Liebe zusammen.
Wozu will ein Gott dermaßen geliebt werden, dass man gar keine Menschen mehr braucht, mit denen man sich austauscht?
Gott als Metapher für alle unterirdisch miteinander verbundenen Menschen, deren Verbundenheit etwas produziert, was der Einzelne nicht erfassen und ausloten, manches aber ahnen kann - das kann ich für mich übersetzen.
Aber jetzt Gott als irgendetwas Universales zu verstehen, wo es dann gar nicht mehr um Mensch und Welt geht, sondern um Anbetung und Niederknieen vor einem Riesen-Über-Ich, wofür man sich an den Menschen mittels Nächstenliebe lediglich vortrainiert:
das ist mir zu abstrus.
Und ich denke, dass nicht jeder Christ so denkt.