Die Anfänge der Aufklärung...

Säkularismus
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closs
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#1 Die Anfänge der Aufklärung...

Beitrag von closs » Mi 25. Sep 2013, 16:35

Thema bgetrennt aus: Wie modern darf Theater sein (was die Inszenierung betrifft)


Die Befähigung eines Stückes, in allen Zeiten inszeniert zu werden, führt dazu, dass es auch falsch inszeniert werden kann.

Das gibt übrigens auch in ganz anderen Bereichen: Kant und Hegel (und viele andere auch - von Jesus ganz zu schweigen) werden in jeder Zeit anders "inszeniert" (Stichwort: Rezeptions-Geschichte).

In unserer Zeit versucht man beispielsweise die meta-physische Basis von Kant zu übergehen und ihn (fast) ausschließlich als "Aufklärer", also als Vorbereiter des Rationalismus/Existenzialismus darzustellen. - Hegel wird a) als Gegenspieler des Christentums dargestellt (VOLLKOMMEN falsch - es gibt keine (mir bekannte) bessere Versöhnung von Geist und Glaube als bei Hegel) oder b) in Zusammenhang mit Marx gesehen (weil halt beide den Begriff "Dialektik" gebrauchen.

Die BIbel wird gerne und wahrscheinlich mainstream-mäßig als Quelle dessen interpretiert, was man heute "Verantwortungs-Gesellschaft" bezeichnet - im unschuldigen Sinne ist das sogar richtig, im heute üblichen Sinne ist es sehr falsch.

Und so könnte man weiterfahren.

Catholic
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#2 Re: Die Anfänge der Aufklärung...

Beitrag von Catholic » Mi 25. Sep 2013, 16:54

Hallo closs,

das Beispiel mit der Aufklärung ist in dem Zusammenhang gut,denn mir haben schon mal Atheisten gesagt,dass die Menschheit wissenschaftlich heute weiter wäre,wenn es das Christentum nicht gegeben hätte,worauf ich einmal den Hinweis gab,dass wir heute allein von den Philosophen der Antike wenig wüssten,wenn Christen die Werke nicht bewahrt hätten.

LG
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closs
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#3 Re: Die Anfänge der Aufklärung...

Beitrag von closs » Mi 25. Sep 2013, 20:15

Catholic hat geschrieben:dass wir heute allein von den Philosophen der Antike wenig wüssten,wenn Christen die Werke nicht bewahrt hätten.
Es gibt in Bezug auf die sogenannte "Aufklärung" ein sehr interessantes "Inszenierungs-Problem".

Eigentlich begann die Aufklärung innerhalb der europäischen Geistesgeschichte mit Anselm von Canterburys (1033-1109) "Intellego ut credam" ("Ich denke zur Förderung des Glaubens") - zuvor galt "Credo ut intellegam" ("Ich glaube zur Förderung meines Denkens"). - Denn mit Anselm wird die Zentrierung der Welt-Verständnisses von Gott auf den Menschen übertragen - das Denken des Menschen macht sich den Glauben zum Objekt, während vorher der Glaube an Gott sich das menschliche Denken zum Objekt gemacht hatte.

Natürlich hat Anselm nicht daran gedacht, Gott mit seinem Denken auszuhebeln - daran haben auch die Denker der späteren "Aufklärung" (Descartes (1596 - 1650), etc.) nicht gedacht, die (in der Regel) überzeugte Christen waren. - Aber die Voraussetzungen waren durch die Zentrierung auf den Menschen als Mittelpunkt ("Intellego ut Credam"/"Cogito ergo sum") gemacht.

Eingelöst wurden diese Voraussetzungen im wesentlichen erst im 19. Jh. - beispielsweise durch Ludwig Feuerbach (1804-1872), der Gott als Projektion des Menschen verstand - der also aus eigenem Menschenmaß Gott einen Platz anwies. Dieses Menschenmaß als Letztverbindliches fand im 20. Jh. seinen stärksten Ausdruck im Existenzialismus ("Erfinde Dich selbst", denn es gibt keinen Gott) und ist in unserer heutigen individualistischen Meinungs-Gesellschaft zur Normalität geworden.

Das hat dazu geführt, dass man auch heute meint, die Aufklärer des 17./18. Jh. hätten sich als Vorreiter des heutigen Mainstreams verstanden - und zwar gegen das Christentum. Das ist vollkommen falsch verstanden und eben eine "Inszenierung" nach den eigenen Wunsch- oder Wissensvorstellungen.

Und so wie die Inszenierungen auf den Bühnen eine Aussage weniger über die Stücke als über die eigene Zeit ist, gilt das auch für die Inszenierungen bezüglich der Geistesgeschichte, hier der "Aufklärung".

Die "Rache" wird kommen, wenn das 22. Jh. kommt und sich die Rezeptions-Geschichte des 21. Jh. anschaut und die Hände über dem Kopf zusammen schlägt. - Aber das hilft heute nichts.

Pluto
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#4 Re: Die Anfänge der Aufklärung...

Beitrag von Pluto » Mi 25. Sep 2013, 21:31

closs hat geschrieben:Eigentlich begann die Aufklärung innerhalb der europäischen Geistesgeschichte mit Anselm von Canterburys (1033-1109) "Intellego ut credam" ("Ich denke zur Förderung des Glaubens") - zuvor galt "Credo ut intellegam" ("Ich glaube zur Förderung meines Denkens"). - Denn mit Anselm wird die Zentrierung der Welt-Verständnisses von Gott auf den Menschen übertragen - das Denken des Menschen macht sich den Glauben zum Objekt, während vorher der Glaube an Gott sich das menschliche Denken zum Objekt gemacht hatte.
Eine sehr interessante Hypothese.
Die Frage ist, wie viele Leute konnten damals den Gedanken Anselms folgen? War er damit vielleicht einfach seiner Zeit voraus, sodass er sich damit nicht durchsetzen konnte.

Natürlich hat Anselm nicht daran gedacht, Gott mit seinem Denken auszuhebeln - daran haben auch die Denker der späteren "Aufklärung" (Descartes (1596 - 1650), etc.) nicht gedacht, die (in der Regel) überzeugte Christen waren. - Aber die Voraussetzungen waren durch die Zentrierung auf den Menschen als Mittelpunkt ("Intellego ut Credam"/"Cogito ergo sum") gemacht.
Wäre interessant zu wissen, ob Descartes, die Vorleistung Anselms kannte, und wie viel ihn diese in seinen eigenen Gedanken beeinflusste, als er sein cogito ergo sum formulierte?

Begann die eigentliche Aufklärung also doch mit Luthers Reformation und Galileis Theorie des Heliozentrismus?

Die "Rache" wird kommen, wenn das 22. Jh. kommt und sich die Rezeptions-Geschichte des 21. Jh. anschaut und die Hände über dem Kopf zusammen schlägt. - Aber das hilft heute nichts.
Wie kommst du'n darauf?
Womit begründest du diese ...äh... prophetische Aussage (nennen wir sie Vermutung)?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#5 Re: Die Anfänge der Aufklärung...

Beitrag von closs » Mi 25. Sep 2013, 23:03

Pluto hat geschrieben:Die Frage ist, wie viele Leute konnten damals den Gedanken Anselms folgen?
Fast niemand. Solche Gedanken brauchen oft Jahrhunderte, bis sie in die Gesellschaft hineinwachsen - erst ist es einer, dann sind es hundert, dann Hunderte ... und irgendwann wird es so richtig wahrgenommen.

Pluto hat geschrieben:Wäre interessant zu wissen, ob Descartes, die Vorleistung Anselms kannte
Weiß ich nicht - aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er es nicht gewusst hat.

Man darf nicht vergessen, dass dieser Paradigmen-Wechsel (auch nicht bei Descartes) nicht gegen den Glauben gerichtet war, sondern einen neuen Aspekt des Glaubens darstellen sollte. - Dagegen gab es dann sicherlich auch ganz wenige Denker, die die kommenden Jahrhunderte vorausgesehen haben (u.a. aus der RKK) und gebremst haben, weil der Weg in eine Verselbständigung des Ich-Bezugs vom Glaubens-Bezug in das führen könne, was man heute "Existentialismus" nennt.

Pluto hat geschrieben:Begann die eigentliche Aufklärung also doch mit Luthers Reformation
Luther selbst war überhaupt kein Aufklärer - man lese seine sehr deutlichen diesbezüglichen Äußerungen gegen Erasmus von Rotterdam (Briefwechsel). - Luther war Katholik, der es nicht mehr bleiben durfte. - Apropos: Luther ist der heutigen RKK ähnlicher als den Evangelen.

Pluto hat geschrieben:Womit begründest du diese ...äh... prophetische Aussage (nennen wir sie Vermutung)?
Das ist wirklich nur eine Vermutung. - Der Scheitelwert der Amplitude anthropozentrischer bzw. anthropozentrisch geprägter geozentrischer Wahrnehmung wird irgendwann überschritten sein, und dann schwingt das Pendel zurück zur theozentrischen Wahrnehmung. - Muss nur eine Welt-Katastrophe kommen.

Pluto
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#6 Re: Die Anfänge der Aufklärung...

Beitrag von Pluto » Mi 25. Sep 2013, 23:48

closs hat geschrieben:Luther selbst war überhaupt kein Aufklärer
Stimmt, aber die Reformationsbewegung hatte dem Skptizisus gegenüber der Kirche einen sehr starken Impuls gegeben.

Pluto hat geschrieben:Das ist wirklich nur eine Vermutung. - Der Scheitelwert der Amplitude anthropozentrischer bzw. anthropozentrisch geprägter geozentrischer Wahrnehmung wird irgendwann überschritten sein,
Du meinst Zeitgeist sei so was wie ein Pendel?
Nee nee...
ich sehe die Aufklärung eher wie eine Weggabelung, wobei der alte Weg in eine Sackgasse führt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#7 Re: Die Anfänge der Aufklärung...

Beitrag von closs » Do 26. Sep 2013, 01:18

Pluto hat geschrieben:ich sehe die Aufklärung eher wie eine Weggabelung
Puh - bist Du aber (in Deinem Sinne) optimistisch. - Sehe ich nicht so - im Gegenteil:

Das "Dunkle Mittelalter" unter der Macht der Aufklärung hat schon begonnen. Das, was im Mittelalter Kirche war, ist heute die Aufklärung. - Wobei ich damit NICHT die philosophische Aufklärung meine, sondern deren Rezeption und Vulgarisierung durch den Zeitgeist.

Ich gehe davon aus, dass das westliche Modell der "Aufklärung" eher im Abstieg ist. Wenn China bei seinen Traditionen bleibt, die russische Orthodoxie auch und auch die RKK und der Islam, wird es eine (über-)mächtige Gegenkraft zu Coca Cola, Meinungs- und Medien-Gesellschaft sowie Gendering geben. - Das muss nicht illiberal werden - aber ganz anders.

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