Yusuke hat geschrieben:ich verstehe zum Teil den Einwand des einfachen Volkes, wenn sie unsere Medien als "gleichgeschaltet" oder "Lügenpresse" bezeichnen.
Ich auch - wobei diese Aussage natürlich auch einseitig ist (obwohl ich den Begriff "gleichgeschaltete Presse" auch verwende, wenn ich ärgerlich bin).
Was passiert da im konkreten und im allgemeinen:
Im konkreten Fall ist die Großwetterlage so, dass Ukraine "der Gute" und Russland "der Böse" ist. Man kann das zurecht damit begründen, dass Russland das Völkerrecht gebrochen hat und die Ukraine nicht (warum diese Begründung wenig gilt, wenn Europa das Völkerrecht in Kroatien und die USA in diversen Fällen dasselbe tun, ist genau Teil des allgemeinen Problems). - Nun steht Jazenjuk als "Guter" vor den Medien und will den Deutschen etwas Gutes sagen: Er schreibt situativ die Geschichte zugunsten der Deutschen um. - Die Medien reagieren darauf unterm Strich wohlwollend - schließlich kommt Deutschland damit gut weg - und Jazenjuk ist doch ein "Guter".
Nun ist dieses Beispiel unterm Strich nicht so ganz geeignet, weil es wohl ein Life-Interview war und man als Moderatorin bei solchen unerwarteten Aussagen des Gegenübers nicht immer schnell reagieren kann - man bedenke: Das war keine kritische Talk-Runde, sondern eine Nachrichten-Sendung (insofern keine Vorwürfe meinerseits gegen Pinar Atalay). - Aber die Reaktion der "Tagesschau" ist trotzdem schon bezeichnend: Die Simultan-Übersetzung und anderes hätten ein Eingreifen nahezu unmöglich gemacht - und die Moderatorin sei doch insgesamt kritisch gewesen. - Da ist was dran - und es ist grundsätzlich auch schön, wenn sich ein Sender hinter seine Angestellten stellt.
Wäre es umgekehrt genauso gewesen? - Man stelle sich vor, die Moderatorin hätte harsch auf Jaznejuks Unfug reagiert oder gar kritische Fragen zugunsten Putins gestellt: Es hätte eine ganz andere Reaktion des Senders gegen die Moderatorin geben können - vor allem, wenn es die sonstige Presse thematisiert hätte. - So aber stimmt man sich (wie üblich bei sensiblen DIngen wie diesen) auf oberster Ebene ab und vereinbart, da nichts draus zu machen.
Und das führt zum allgemeinen Problem: Die Medien haben einen verfassungsmäßigen Auftrag zur Bildung des Volks und halten diesen Anspruch dadurch erhalten, dass sie sich im Zweifelsfall streng an staatliche Vorgaben halten. - Bereits erwähntes Beispiel:
* Es gibt Stress zwischen Ukraine und Russland
* Russland tut etwas Völkerrechts-Widriges und somit juristisch eindeutig ANgreifbares
* Deutschland und Europa stellen sich auf die Seite der Ukraine (weil es in ihrem - vordergründigen - Interesse ist - - wäre es das nicht, würde die Politik schweigen)
* Die Medien erinnern sich ihres verfassungsgemäßen Auftrags und ziehen mit - obwohl sie oft genau das Gegenteil tun - nämlich Täuschung statt Bildung
* Die Mainstream-Berichterstattung ist dementsprechend (am besten "alternativlos"

)
* Daraus kann dann eine Sonder-Sendung werden mit dem Titel "Putins Griff nach dem Westen!", obwohl der Westen die 20 Jahre zuvor erfolgreich ihren Griff nach dem Osten gemacht hat - und zwar um viele, viele 100 km. - Nicht, dass das illegal wäre - aber es "ist" so.
Der Bürger wird also bewusst getäuscht und auch noch aufgehetzt (Wenn man das hört, meint man wirklich, Putin stünde demnächst vor dem Brandenburger Tor) - es wird aber nicht als Täuschung oder Aufhetzung etikettiert, sondern als "Aufklärung" und als ERfüllung des verfassungsmäßigen Bildungsauftrags der Medien. - Unterm Strich: Ein großes Spiel, das primär mit "Wahrheit" nichts zu tun hat, selbst wenn diese sicherlich immer wieder mal vorkommt.
Und das merken die Leute langsam und immer mehr. - Die Einen und Wenigen analysieren, was sie da merken (das tun wir gerade) - Die Anderen und Vielen spüren es deutlich, können sich aber nicht artikulieren - außer über Schlagworte, die unterm Strich das eigene Empfinden zusammenfassen - hier: "Lügenpresse".
Als nächstes kommen jetzt die Medien und sagen: "Im Rahmen unseres verfassungsgemäßen Bildungsauftrags müssen wir Euch jetzt helfen, einzusehen, dass Ihr Euch irrt"

- das ist WIRKLICH so. - Die Medien denken also (erstmal) gar nicht daran, dass SIE das Problem sein könnten.

- Deshalb werden die Menschen immer resistenter und machen dicht (verstehe ich sehr, sehr gut).
Wenn eine erkennbar große Anzahl an Medien nicht so bremst, dass man die Bremsspuren allgemein sieht, wird es aus meiner Sicht zukünftig eine noch größere Spaltung zwischen Medien-Realität und Bürger-Realität geben. - Zwar wird es immer noch Political-Correctness-SChichten in der Bevölkerung geben, die triumphierend auf der "richtigen" Seite steht - aber das wird die Verwerfungen eher noch größer machen.
Es geht hier nicht um Staats-Kritik oder Demokratie-Kritik an sich, jedoch sehr wohl um die Thematisierung dessen, was Kant "selbstverschuldete Unmündigkeit" genannt hat - und in diesem Sinne drohen wir, mit größter medialer Unterstützung in eine unmündige Demokratie zu schlittern. - Nicht nur die Diskussionen über Russland und den Islam lassen dies deutlich werden. - Insofern ist der Ausdruck "Lügenpresse" kein Rückfall in nationalsozialistische Zeiten (eine besonders perfide Irreführung), sondern Symbol für ein Unbehagen, das sich auf grobe und somit undifferenzierte Weise ("Lügenpresse") Ausdruck verleiht.