Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#911 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mo 12. Okt 2015, 09:34

sven23 hat geschrieben:Wessen Wille soll geschehen und vor was soll man sich nicht fürchten?
Platt theologisch ist es "Gottes Wille" - für Materialisten übersetzt könnte das heißen: Der Mensch ist nicht Herr seines Schicksals und sollte sich vor dieser Eínsicht nicht fürchten.

JackSparrow
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#912 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Mo 12. Okt 2015, 09:58

closs hat geschrieben:Der Film "ist" trotzdem existent, nur für uns nicht abrufbar.
Filme erhalten nach ihrem Tod also ihren eigenen nicht naturalistischen Körper?

Oder meinst Du, dass der Film innerhalb der DVD entstanden ist?
Ich meine, dass der Film auf eine sehr physikalische und materielle Weise auf die DVD eingestanzt wurde und sich bei einer Veränderung des Speichermediums somit auch der Film verändert. Verändert jemand das Speichermedium mit einem großen Holzhammer, bleibt von dem Film dementsprechend umso weniger übrig.

"Geist" ist (nach christlicher Prämisse - meiner auch) das, aus dem die naturalistische Welt "ist"
Das ist keine Prämisse. Das ist die Verwendung des Wortes "Geist" als ein Synonym für das Wort "Materie".

Diese Aussage ist für einen geistigen Menschen achselzuckend normal
Ja, und wenn ich sagen würde Reispudding ist das, aus dem die naturalistische Welt "ist", dann wäre auch das Wort "Reispudding" ein Synonym für das Wort "Materie".

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Queequeg
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#913 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Queequeg » Mo 12. Okt 2015, 10:26

closs hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:warum fußt dann deine ganze Argumentation hier auf der abenteuerlichen Prämisse: aus dem Glas mit Wasser - ein Wasser mit Glas zu machen?
Weil beides formal gleichberechtigte "Theorien" sind - oder meinst Du, dass Popper das eine gutfinden und das andere verwerfen würde?

Ich glaube eher, Popper würde über deine wilden Traumsquenzen, die sich auch definitiv kategorisch sehen, entweder seie Stirn in tiefe Falten legen, oder sich bezeichnenderweise mit dem Finger an die Stirn tippen...

Oder kennst Du den Witz mit dem Mathematiker, der einen Löwen damit fängt, dass er sich selber in den Käfig setzt und den dadurch umfassten Raum als "außen" definiert? (Ich finde diesen Witz ultra-geil :lol: :lol: ).

ja, nicht schlecht, fällt mir auch einer ein, gleicht sich so ein wenig an deine traumversessenen Spitzfindigkeiten an:

Ein Pfarrer kommt aus den Niederlanden zurück und hat zwei Pfund Kaffee mitgebracht. An der Grenze packt ihn das schlechte Gewissen. Lügen will und darf er nicht. Kurzerhand klemmt er sich je ein Paket unter die Arme. Bei der Kontrolle fragt ihn die Zöllnerin: "Hochwürden, haben Sie in Holland etwas eingekauft?" "Ja, mein Sohn", erwidert er ehrlich, "zwei Pfund Kaffee. Aber ich habe sie unter den Armen verteilt."

die "schlimmen" Witze (über Christen) hier dann lieber nicht, sonst wirft sich die Fraktion des "zu Hülf, Christenbashing" wieder weinend in den Staub.

Überhaupt kein Widerspruch - es gibt nur eine Wahrheit, aber verschiedenste Wahrnehmung (allerdings auch "Falschnehmung") derselben.

Vielleicht hierzu eine grundsätzliche Referenzantwort, deren Inhalte gerade dich und dein spekulatives Scholastikertum pseudoreligiöser Verträumtheiten betrifft, also Glauben, Kirche, Konfession und die liebe, liebe Wahrheit:

Im "Traktat über kritische Vernunft" heißt es hierzu: "Es gibt weder eine Problemlösung, noch eine für die Lösung bestimmter Probleme zuständige Instanz, die notwendigerweise von vornherein der Kritik entzogen sein müßte. Man darf sogar annehmen, dass Autoritäten, für die eine solche Kritikimmunität beansprucht wird, nicht selten deshalb auf diese Weise ausgezeichnet werden, weil ihre Problemlösungen wenig Aussicht haben würden, einer sonst möglichen Kritik standzuhalten.

Je stärker ein solcher Anspruch betont wird, um so eher scheint der Verdacht gerechtfertigt zu sein, dass hinter diesem Anspruch die Angst vor der Aufdeckung von Irrtümern, das heißt also: die Angst vor der Wahrheit, steht."


du darfst jetzt wieder in der Realität wandeln, denn das hier:

Man darf sogar annehmen, dass Autoritäten, für die eine solche Kritikimmunität beansprucht wird, nicht selten deshalb auf diese Weise ausgezeichnet werden, weil ihre Problemlösungen wenig Aussicht haben würden, einer sonst möglichen Kritik standzuhalten.

hält dir den Spiegel vor.

closs
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#914 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mo 12. Okt 2015, 10:28

JackSparrow hat geschrieben:Filme erhalten nach ihrem Tod also ihren eigenen nicht naturalistischen Körper?
"Körper" ist natürlich missverständlich - wenn Du es "virtuelle Existenz" nennen möchtest, könnte das die richtige Richtung sein.

JackSparrow hat geschrieben:Verändert jemand das Speichermedium mit einem großen Holzhammer, bleibt von dem Film dementsprechend umso weniger übrig.
Auf dieser DVD bleibt nichts vom Film übrig - die DVD ist der Körper, der den Film getragen hat und zeigen konnte und kann dies nun nicht mehr. - Aber der Film selber bleibt unverändert das, was er "ist".

JackSparrow hat geschrieben:Das ist die Verwendung des Wortes "Geist" als ein Synonym für das Wort "Materie".
Definitiv nein. Annäherungsweise wäre die Materie die DVD und der Geist der Film.

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sven23
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#915 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » Mo 12. Okt 2015, 10:43

closs hat geschrieben: Der Mensch ist nicht Herr seines Schicksals und sollte sich vor dieser Eínsicht nicht fürchten.
Jeder ist seines Glückes Schmied ist nur mit Einschränkungen richtig.
Aber braucht man für diese Erkenntnis einen metaphysischen Überbau?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#916 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mo 12. Okt 2015, 10:46

Queequeg hat geschrieben:Ich glaube eher, Popper würde über deine wilden Traumsquenzen, die sich auch definitiv kategorisch sehen, entweder seie Stirn in tiefe Falten legen, oder sich bezeichnenderweise mit dem Finger an die Stirn tippen...
Soweit ich Popper verstanden habe, würde er zwischen Methodik und Weltanschauung unterscheiden können - im Gegensatz zu seinen Jüngern.

Queequeg hat geschrieben:Es gibt weder eine Problemlösung, noch eine für die Lösung bestimmter Probleme zuständige Instanz, die notwendigerweise von vornherein der Kritik entzogen sein müßte.
Du weisst aber, dass "Kritik" bei ihm nicht die heutige Bedeutung hat, sondern schlicht "Untersuchung" bedeutet.

Queequeg hat geschrieben: Man darf sogar annehmen, dass Autoritäten, für die eine solche Kritikimmunität beansprucht wird, nicht selten deshalb auf diese Weise ausgezeichnet werden, weil ihre Problemlösungen wenig Aussicht haben würden, einer sonst möglichen Kritik standzuhalten.
Da ist schon was dran (manches strenge dogmatische Wort ist nichts anderes als aggressiv-hilflose Unfähigkeit - man ersetzt gerne Inhalt gegen Autorität, statt dem Inhalt eine natürliche Autorität zuzusprechen).

Andererseits sollte "Kritik" auch mit Kompetenz verbunden sein - in einer Meinungs-Gesellschaft ist dies schwer zu bekommen. Zudem wäre Vorausetzung einer wahrlich aufgeklärten Kritik, dass man die Rahmenbedingungen dessen, was man kritisiert, überhaupt kapiert (man muss ja nicht zustimmen). - Diesbezüglich sind wir meines Erachtens eher Diaspora.

Queequeg hat geschrieben:denn das hier ... hält dir den Spiegel vor.
Aber aus dem Glashaus formuliert - so einfach ist es nicht.

closs
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#917 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Mo 12. Okt 2015, 10:50

sven23 hat geschrieben:Jeder ist seines Glückes Schmied ist nur mit Einschränkungen richtig. - Aber braucht man für diese Erkenntnis einen metaphysischen Überbau?
"Brauchen" klingt mir wieder zu anthropozentrisch - für mich wäre die Frage, ob es diesen Überbau gibt. - Man sollte meines Erachtens nicht alles utilitaristisch sehen, sondern darüber hinaus fragen, was sein kann, egal ob man meint, es zu brauchen oder nicht.

Natürlich meine ich, dass es diesen metaphyischen Überbau gibt (man kann es wirklich begründen, aber - sorry - es wird heute wohl kaum noch bis nicht verstanden). - Mein persönliches hartes Urteil ist: Seit Hegel gibt es diesbezüglich bis auf Ausnahmen nur noch Verständnis-Rückschritte aufgrund des Materialismus - das ist selbstverständlich parteiisch.

Samantha

#918 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Samantha » Mo 12. Okt 2015, 11:35

Pluto hat geschrieben:Eigentlich könntest du dir an Queequeg ein Beispiel nehmen, und dich ebenfalls um einen freundlichen Umgangston bemühen. :D
War zwar nicht an mich gerichtet ... Soll ich tatsächlich auch den Umgangston des Q übernehmen? Auf diese Weise (wenn wir alle so "freundlich" sind) wirst Du dann bald den Rest des gläubigen Teils dieses Forums los. Nennst Du es dann AntiReligion.de?

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#919 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Mo 12. Okt 2015, 13:35

sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben: Mal ganz nebenbei: Harald Lesch sagt das genauso - weil er weiss, was Naturwissenschaft kann und was sie NICHT können kann.
Richtig. Naturwissenschaft kann nicht zaubern, sie kann aber auch nicht jeden ausgedachten Unsinn falsifizieren.

"Schon früher habe ich zu formulieren versucht, dass es sich bei den Bildern und Gleichnissen der Religion um eine Art Sprache handelt, die eine Verständigung ermöglicht über den hinter den Erscheinungen spürbaren Zusammenhang der Welt, über die zentrale Ordnung, ohne die wir keine Ethik und keine Wertskala gewinnen könnten. [...] Für die moderne Naturwissenschaft steht also am Anfang nicht das materielle Ding, sondern die Form, die mathematische Symmetrie ("Platon sieht am Grunde der Wirklichkeit mathematische Zusammenhänge, mit denen der göttliche Schöpfer aus dem Chaos die symmetrische Ordnung, harmonische Formen, geschaffen hat. Heisenberg nannte dies die ”zentrale Ordnung”, was er in die Formel fasste: 'Am Anfang war die Symmetrie'."). [...] Und da die mathematische Struktur letzten Endes ein geistiger Inhalt ist, könnte man auch mit den Worten von Goethes Faust sagen: 'Am Anfang war der Sinn'." (Werner Heisenberg)
https://de.wikipedia.org/wiki/Religiosit%C3%A4t

Novas
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#920 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Mo 12. Okt 2015, 13:37

sven23 hat geschrieben:
closs hat geschrieben: Der Mensch ist nicht Herr seines Schicksals und sollte sich vor dieser Eínsicht nicht fürchten.
Jeder ist seines Glückes Schmied ist nur mit Einschränkungen richtig.
Aber braucht man für diese Erkenntnis einen metaphysischen Überbau?

Wesentlich ist: "Religiosität" gehört offenbar zum menschlichen Wesen.

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