Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#71 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 25. Sep 2015, 20:01

Savonlinna hat geschrieben:Was Du aber weiter unten ignorierst. Und daher kommen Deine Fragestellungen, die jemand, der das nicht ignoriert, gar nicht stellen könnte.
Moment - unter "Sprache" verstehe ich in erster Linie ein Instrument, Inhalte zu transportieren. - Das heisst: Man muss sich der Sprache bedienen, um etwas zu kommunizieren.

In einem Forum ist das besonders nötig, da man sich nicht gegenseitig sieht und deshalb nicht mit Mimik oder Gestik kommunizieren kann. - Insofern: Sprache = Instrument. - Würde sich ergeben, dass alle Foristen hier für das, was ich "Pferd" sage, "Badewanne" sagen, würde ich nicht zögern, dies für das System "Forum" zu übernehmen - Haupsache, jeder denkt überm Daumen an dasselbe, wenn das Wort "Badewanne" kommt.

Savonlinna hat geschrieben:Es wird nicht von einem Einzelnen definiert, sondern die Sprachgemeinschaft hat in tausend Jahren oder mehr Begriffe herausgearbeitet, die der Kommunikation dienen sollen. Und da hat man sich entschieden, diese Unterscheidung von "real" und "illusionär" zu machen, in dem Bereich, von dem ich sprach.
OK - das ist eine Kulturfrage. - Hier führen wir aber ein Grundlagengespräch und müssen deshalb überprüfen, wie weit kulturell gewachsene Vereinbarungen tragen.

Savonlinna hat geschrieben:Das Wort "Sein" benutzt die Sprachgemeinschaft ja gar nicht.
Was schließen wir daraus? - Da wäre es interessant, einen vergleichenden Sprachwissenschaftler an Bord zu haben - im Sinne von "Welche Sprach-Begriffe gibt es in anderen Kulturen, die es bei uns nicht gibt (und umgekehrt)".

Vorläufig würde ich Deine Beobachtung, dass man das Wort "Sein" nicht benutzt, so deuten, dass wir in einer wahrnehmungs-orientierten Kultur leben, die keinen Anlass sieht, darüber hinaus Fragen zu stellen.

Savonlinna hat geschrieben:Insofern vorläufige Definition von "Objekt": Das, was ein Subjekt im Blick hat.
Super Definition. :thumbup:

Allerdings kommen wir auch hier nicht um die Frage rum:
Kann das Subjekt ("Wahrnehmung") unterscheiden, ob das Objekt Projektion des Subjekts oder subjekt-unabhängige Größe ist?

closs
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#72 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 25. Sep 2015, 20:08

Pluto hat geschrieben:Ich verstehe Realität als "alles was existiert".
Das sind wir uns sehr einig. - Wer entscheidet, wer oder was den TÜV-Stempel "existent" bekommt?

Closs hat geschrieben:Wer entscheidet, was "falsch" ist?
Pluto hat geschrieben:Der rationale Verstand...?
Also der Mensch, nicht wahr?

Pluto hat geschrieben:Vorsicht! Alles in der Sprache ist Vereinbarung-
Richtig - aber es lohnt sich, sich dessen ab und zu zu erinnern.

Pluto hat geschrieben:Ja. Jetzt bricht eine Welt zusammen...
Meine Welt nicht.

Pluto hat geschrieben: Das "Sein" ist nicht durch den Verstand greifbar, also ist es illusionär.
Ich übersetze:

"Das, was der Mensch nicht verstandes-mäßig greifen kann, ist nicht existent". - Richtig interpretiert?

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Savonlinna
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#73 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Fr 25. Sep 2015, 20:27

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Was Du aber weiter unten ignorierst. Und daher kommen Deine Fragestellungen, die jemand, der das nicht ignoriert, gar nicht stellen könnte.
Moment - unter "Sprache" verstehe ich in erster Linie ein Instrument, Inhalte zu transportieren. - Das heisst: Man muss sich der Sprache bedienen, um etwas zu kommunizieren.
Ich wollte darauf hinaus, dass ein Begriff das Ding nicht widerspiegelt, sondern es nur assoziiert.
Darum kann man nicht fragen, was "das Sein" ist, weil man ja nicht weiß, was "Sein" für jeden transportiert.

closs hat geschrieben:Haupsache, jeder denkt überm Daumen an dasselbe, wenn das Wort "Badewanne" kommt.
Und das ist eben nur bei den simpelsten Dingen der Fall.
Weit kommt man damit nicht. Bei "Gott" meint jeder was anderes, und bei "Sein" denkt jeder an closs.

closs hat geschrieben: Vorläufig würde ich Deine Beobachtung, dass man das Wort "Sein" nicht benutzt, so deuten, dass wir in einer wahrnehmungs-orientierten Kultur leben, die keinen Anlass sieht, darüber hinaus Fragen zu stellen.
Die Alternative zu "Sein" ist nicht "Wahrnehmung", sondern "seiend" oder das Verb "sein".
Das Englische ist nicht so verkopft wie das Deutsche, darum hat es diesen abstrakten Begriff nicht.
Indianersprachen haben prmär Verben, erleben also eher Vorgänge.

Es wäre wahrscheinlich sinnvoll, einfach mal von diesem verkopften Denken wegzukommen und sich zu fragen, wie wir Wirkliches und Illusionäres unterscheiden - also, welche Bezugssysteme es da gibt.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Insofern vorläufige Definition von "Objekt": Das, was ein Subjekt im Blick hat.
Super Definition. :thumbup:
Na, dann haben zumindest wir beide etwas Gemeinsames in dieser Fragestellung. :)

closs hat geschrieben:Allerdings kommen wir auch hier nicht um die Frage rum:
Kann das Subjekt ("Wahrnehmung") unterscheiden, ob das Objekt Projektion des Subjekts oder subjekt-unabhängige Größe ist?
Wir kommen vor allen Dinge nicht um Beispiele herum.

Ich habe ja schon zwei Beispiele gebracht:
das mit dem gebrochenen Ast im Wasser und das mit dem Jungen, der nachts beim Aufwachen Wesen sieht, die er wegjagt mit dem Sprch: Ihr seid nicht real.

Sind diese Beispiele denn nicht weiterführend, weil Du sie nicht beachtet hast?

closs
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#74 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Fr 25. Sep 2015, 21:19

Savonlinna hat geschrieben:Ich wollte darauf hinaus, dass ein Begriff das Ding nicht widerspiegelt, sondern es nur assoziiert.
Da sind wir uns einig.

Savonlinna hat geschrieben:Darum kann man nicht fragen, was "das Sein" ist, weil man ja nicht weiß, was "Sein" für jeden transportiert.
Da sind wir uns NICHT einig. - Man kann aus meiner Sicht sehr wohl fragen, welche Eigenschaften "Sein" in Abgrenzung zu "Wahrnehmung" haben kann.

Ansonsten stimme ich Dir pragmatisch zu: Für den Menschen ist nur das verarbeitbar, was "Sein" für ihn transportiert. - Heisst das auch, dass ein "Sein" dann nicht auf den Menschen wirken kann, wenn es für ihn nicht verarbeitbar ist?

Savonlinna hat geschrieben: Haupsache, jeder denkt überm Daumen an dasselbe, wenn das Wort "Badewanne" kommt.


Und das ist eben nur bei den simpelsten Dingen der Fall.
Weit kommt man damit nicht.
Wäre diese Aussage so interpretierbar, dass man mit Wahrnehmung nur sich, aber nicht dem "Objekt" gerecht werden kann?

Savonlinna hat geschrieben:Die Alternative zu "Sein" ist nicht "Wahrnehmung", sondern "seiend"
Im anderen Kontext, ja. - Aber ist das "Seiende", das Bewusstsein hat, nicht das Wahrnehmende?

Zur Vermeidung von Verhedderungen: Wollen wir lieber zu "Subjekt" und "Objekt" wechseln? - Alles Vereinbarungs-Sache.

Savonlinna hat geschrieben:Es wäre wahrscheinlich sinnvoll, einfach mal von diesem verkopften Denken wegzukommen und sich zu fragen, wie wir Wirkliches und Illusionäres unterscheiden - also, welche Bezugssysteme es da gibt.
Pragmatisch gesehen einverstanden - dies wäre eine Diskussion innerhalb der Kategorie "Wahrnehmung". - Hier aber geht es doch um das "Objekt", also das, was unabhängig von Wahrnehmung ist - egal, ob oder wie es wahrgenommen wird. - Oder gäbe es überhaupt kein "Objekt" und alles wäre Wahrnehmungs-Projektion?

Savonlinna hat geschrieben:Ich habe ja schon zwei Beispiele gebracht:
das mit dem gebrochenen Ast im Wasser und das mit dem Jungen, der nachts beim Aufwachen Wesen sieht, die er wegjagt mit dem Sprch: Ihr seid nicht real.

Sind diese Beispiele denn nicht weiterführend, weil Du sie nicht beachtet hast?
Ich habe sie beachtet und eingeordnet.

Bei Beispiel 1 kann man zeigen, dass Wahrnehmung nicht den "Original-Zustand" des hier spezifischen Seins ("Ast ist gerade") erkennt. - Aber die Brechung des Astes im Wasser ist andererseits doch auch keine Projektion der Wahrnehmung, oder?

Beispiel 2 würde ich eher im Bereich "Selbst-Therapie" anordnen. - Denn die Wesen, die gesehen werden, "sind" entweder "irreal" oder "real" - durch den Spruch "Ihr seid nicht real" ändern sie nicht ihren Status. - Es sei denn, man würde solchen Abwehr-Flüchen Seins-Qualität zusprechen - was in alten Kulturen sehr wohl denkbar war (Stichwort: Fluch). - Meinst Du es so?

Für meine allgemeine Fragestellung sind diese Beispiele zielführend, aber nicht ausreichend. - Die Frage lautet ganz allgemein:
Closs hat geschrieben:Kann das Subjekt ("Wahrnehmung") unterscheiden, ob das Objekt Projektion des Subjekts oder subjekt-unabhängige Größe ist?
Sind der gerade Ast außerhalb des Wassers und der gebrochene Ast innerhalb des Wassers BEIDE "Projektion des Subjekts" oder "subjekt-unabhängige Größe"? - Bzw.: Ist diese Frage überhaupt beantwortbar?

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#75 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » Sa 26. Sep 2015, 00:45

closs hat geschrieben:Bei Beispiel 1 kann man zeigen, dass Wahrnehmung nicht den "Original-Zustand" des hier spezifischen Seins ("Ast ist gerade") erkennt. - Aber die Brechung des Astes im Wasser ist andererseits doch auch keine Projektion der Wahrnehmung, oder?

Ich blicke hier nicht ganz durch. Was verstehst Du unter "PROJEKTION der Wahrnehmung"?

Könntest Du das vielleicht in zwei, drei verständlichen Sätzen erklären? Danke. ;)

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#76 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Hemul » Sa 26. Sep 2015, 00:59

closs hat geschrieben:Wer entscheidet, was "falsch" ist?
Der Fach-Experte -wer denn sonst? 8-)
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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#77 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 26. Sep 2015, 01:52

Münek hat geschrieben:Was verstehst Du unter "PROJEKTION der Wahrnehmung"?
Der Thread lautet ja "Sein" und "Wahrnehmung".

Will man sauber das Verhältnis von "Sein" und "Wahrnehmung" beschreiben, ist eine Definition der Begriffe "Sein" und "Wahrnehmung" notwendig. Dies haben wir hier bisher noch nicht geschafft.

MEINE (vorläufige) Definition ist:
* "Sein" ist das, was unabhängig von Wahrnehmung "ist". Etwas "ist" also, ob wir es wahrnehmen oder nicht.
* "Wahrnehmung" ist das, was über sinnliche Möglichkeiten (incl. Hilfsmittel - also auch Messgeräte der Naturwissenschaft) sowie geistige Möglichkeiten ("Denken") an "Sein" erfasst werden kann.

Selbst wenn wir "Sein" als unabhängig von Wahrnehmung definieren, kann der Wahrnehmende selbst NICHT entscheiden, ob er ein von Wahrnehmung unabhängiges "Sein" beobachtet oder eine eigene Projektion beobachtet. - Konkret: Niemand kann wissen, ob der Stab im Wasser "unabhängiges Sein" ist oder "eigene Projektion".

Zur Vorbeugung: Das Argument, man könne den Stab im Wasser doch intersubjektiv nachweisen, zieht nicht, weil dies ein Münchhausen-Argument ist (denn ALLES könnte Projektion des Ichs sein).

Mein Ziel ist momentan eigentlich nur, dass jedem logisch klar ist, dass es zwar "unabhängiges Sein" geben kann, dies aber eine Setzung der Wahrnehmung ist.

Descartes "löst" dieses Problem übrigens folgendermaßen: Er sagt, dass das "Ich-bin" die einzig sichere Beobachtung ist, und setzt, dass es nichtsdestoweniger eine "äußere Welt" gibt, also ein von der Wahrnehmung "unabhängiges Sein". - Da er gläubig ist, nennt er diese Setzung "Glauben".

Wie löst man dieses Problem als Nicht-Gläubiger?

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#78 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » Sa 26. Sep 2015, 03:23

@ Closs

Danke, lieber Kurt. Ich werde über Deine Erklärung nachsinnen.

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#79 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 26. Sep 2015, 09:39

Münek hat geschrieben: Ich werde über Deine Erklärung nachsinnen.
Das Ziel dieses Threads ist es übrigens nicht, Menschen im Alltag zu empfehlen, über Realität und Illusion nachzudenken, wenn ihnen ein Stein auf den Zehen fällt. - Ziel ist, die Relativität JEGLICHER Wahrnehmung klarzustellen. - Diese Relativität spielt nur dann eine Rolle, wenn man weltanschauliche Aussagen macht.

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#80 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von NIS » Sa 26. Sep 2015, 09:42

closs hat geschrieben:Ziel ist, die Relativität JEGLICHER Wahrnehmung klarzustellen. - Diese Relativität spielt nur dann eine Rolle, wenn man weltanschauliche Aussagen macht.
So ist es, würde Einstein sagen! :thumbup:
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