Thaddaeus hat geschrieben: ↑Do 22. Aug 2019, 21:53
closs hat geschrieben: ↑Do 22. Aug 2019, 20:34
Thaddaeus hat geschrieben: ↑Do 22. Aug 2019, 19:28
DEINE THESE (T1) lautet: Jede Hermeneutik hat ihre eigenen Wahrmacher (= Kriterien, die eine Aussage wahr machen).
Stimmt doch nicht. - Meine These ist so, wie ich sie erläutert habe:
closs hat geschrieben: ↑Do 22. Aug 2019, 15:56
Nein: Meine Aussage ist, dass es verschiedene Hermeneutiken zur selben Sache geben kann, deren Ergebnisse in sich widerspruchsfrei sind sowie intersubjektiv und logisch im Sinne der Argumentationsführung überprüft werden können. - Wenn man "wahr" ontisch versteht, hat das nur im Idealfall damit etwas zu tun, den sich natürlich jeder wünscht, der den Weg seiner Hermeneutik geht.
Das ist etwas ganz anderes als das, was Du mir unterstellst.
Nein, wie schon Stromberg ausgeführt hat, ist das ganz und gar nichts anderes als deine These T1.
closs hat geschrieben: ↑Do 22. Aug 2019, 20:34
Meine Aussage ist,
dass es verschiedene Hermeneutiken zur selben Sache geben kann, deren Ergebnisse in sich widerspruchsfrei sind sowie intersubjektiv und logisch im Sinne der Argumentationsführung überprüft werden können.
= dass es verschiedene Hermeneutiken gibt zur derselben Sache, die zu sich widersprechenden Aussagen in der Sache führen können, die aber trotzdem alle wahr sind, - also unterschiedliche Wahrmacher haben (= unterschiedliche Kriterien, die die Aussage in H
1-n wahr machen).
Das ist exakt deine These T1.
Und die ist - wie oben gezeigt - selbstwidersprüchlich und damit sinnlos und damit nicht wahrheitsfähig.
Ich denke closs meint, dass seine bizarre Theorie
über den Weltanschaungen (ich schließe mich nicht seinem falschen Gebrauch von “Hermeneutik” an) stehen kann, weil sie sich direkt aus der Vernunft, durch
direkte Einsicht der Wahrheit ergibt, die keine truth-maker benötigt. Wie in folgendem Textabschnitt dargelegt:
Thomas Nagel: “Geist und Kosmos” hat geschrieben:Das Unverwechselbare an der Vernunft ist, dass sie uns direkt mit der Wahrheit verbindet. Die Wahrnehmung verbindet uns nur indirekt mit der Wahrheit. Wenn ich einen Baum sehe, sehe ich ihn, weil er dort steht, aber nicht nur, weil er dort steht. Die Wahrnehmung ist keine Form der Erkenntnis: Ich erfasse das Vorhandensein des Baums nicht unmittelbar, obwohl es zunächst anscheinend so ist. Ich bin mir des Baums vielmehr deshalb bewusst, weil der Baum aufgrund der Beschaffenheit meines visuellen Systems eine geistige Wirkung in mir verursacht, wobei wir vermuten können, dass mein visuelles System von der natürlichen Auslese geprägt wurde, um in dieser Weise auf Licht zu reagieren, das von physikalischen Objekten zurückgeworfen wird. Ein solches System befähigt mich, zusammen mit weiteren perzeptiven und motivationalen Dispositionen, in der Welt zu überleben. Deshalb ist es nur in einem komplizierten und indirekten Sinne so, dass ich dann, wenn ich einen Baum sehe, ihn sehe, weil er da steht.
Doch nehmen wir einmal an, ich stelle einen Widerspruch fest zwischen meinen Überzeugungen und »sehe«, dass ich mindestens eine von ihnen aufgeben muss. (Ich fahre am frühen Morgen nach Süden, und die Sonne geht rechts von mir auf.) In diesem Fall erkenne ich, dass die widersprüchlichen Überzeugungen nicht alle wahr sein können, und ich erkenne es einfach, weil es der Fall ist. Ich begreife es direkt. Es ist nicht angemessen zu sagen, dass ich mit einem Widerspruch konfrontiert bin und die dringende Notwendigkeit verspüre, meine Überzeugungen zu ändern, um ihm zu entkommen, was sich mit dem Umstand erklären lässt, dass die Vermeidung von Widersprüchen ebenso wie das Ausweichen vor Schlangen und Abgründen die Fitness meiner Ahnen steigerte. Das würde eine indirekte Erklärung dafür sein, weshalb die Unmöglichkeit des Widerspruchs meine Überzeugung erklärt, dass es nicht wahr sein kann. Aber selbst dann, wenn einige unserer Vorfahren Opfer bloß logischer Phobien und Instinkte waren, sind wir längst darüber hinausgegangen: Wir verwerfen einen Widerspruch schon deshalb, weil wir die Unmöglichkeit sehen, und wir akzeptieren eine logische Implikation schon deshalb, weil wir sehen, dass sie notwendigerweise wahr ist.
Bei der gewöhnlichen Wahrnehmung sind wir wie Mechanismen, die einem (grob) wahrheitserhaltenden Algorithmus gehorchen. Wenn wir aber die Vernunft gebrauchen, gleichen wir einem Mechanismus, der erkennen kann, dass der Algorithmus, dem er folgt, wahrheitserhaltend ist. Es ist etwas geschehen, dass unser Denken unmittelbar mit der rationalen Ordnung der Welt in Kontakt gebracht hat oder zumindest mit den Grundelementen jener rationalen Ordnung, die wiederum genutzt werden können, um an sehr viel mehr heranzureichen. Damit können wir über Begriffe verfügen, welche die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit bestimmter Überzeugungen mit allgemeinen Hypothesen zeigen. Den Anfang müssen wir damit machen, unsere präreflexiven Eindrücke als eine beschränkte und perspektivische Sicht auf die Welt zu betrachten, doch dann sind wir in der Lage, Vernunft und Vorstellungskraft zu gebrauchen, um Optionen für eine umfassendere Vorstellung zu konstruieren, die diesen Teil enthalten und erklären können. Dies trifft für den Bereich der Werte ebenso zu wie für den Bereich der Tatsachen. Das Vorgehen ist höchst fehleranfällig, aber ohne diesen harten Kern der Selbstverständlichkeit, auf den jeder weniger sichere Vernunftgebrauch angewiesen ist, könnte es nicht einmal versucht werden. Bei der Kritik und Korrektur des Vernunftgebrauchs ist die letzte Berufungsinstanz stets die Vernunft selbst.
So weit so gut – gegen den Abschnitt von Nagel habe ich nichts einzuwenden. Es gibt aber zwei klitzekleine Problemchen mit der speziellen Closs-Nummer. Nämlich erstens, dass er den Radikalskeptizismus
nicht vermeiden kann:
Claymore hat geschrieben: ↑Do 22. Aug 2019, 00:25 Nach deiner abstrusen Descartes-Rezeption beginnt “Erkenntnis” mit einem Glaubensentscheid – wie immer das möglich ist. Denn wenn man deine ganzen Ausführungen ernst nehmen würde, warum sollte es
nicht eine gänzlich vernünftige Option sein, den Glaubensentscheid eben
nicht zu tätigen und sich dem Radikalskeptizismus hinzugeben?
– hinter seinem Glaubensentscheid steckt nicht mehr als die hemdsärmelige Tour, einem ein Zugeständnis zu
“naja, niemand wird doch wirklich ernsthaft in Frage stellen, dass unsere subjektiven Empfindungen nicht auch meist durch eine Wirklichkeit hervorgerufen werden” abzupressen – onkelhaft-aufdringlich. Da wagt sich keiner mehr zu sagen
“Oh, closs, du hast mir gezeigt, dass der Radikalskeptizismus vernünftig ist und ich bleibe dabei!”. Was aber, wenn genau das passieren würde?
Ich frag mich… was sollten diese Präliminarien in der edlen, reinen Philosophie denn bitte, wenn das ganze dann doch nur mit psychologischem Druck
“sorry, Solipsismus ist doch absurd” endet? Warum kann man nicht gleich damit anfangen? Das wäre die ehrliche Vorgehensweise.
Das zweite Problemchen ist, dass er die Korrespondenztheorie der Wahrheit genauso wie die Ablehnung bestimmter moderater idealistischer Auffassungen eingeschmuggelt, ohne sie in
irgendeiner Form zu rechtfertigen. Nur damit kommt man zu seinem “methodisch vs. ontisch wahr”.
Es gibt aber Leute mit Ansichten – man mag von diesen halten, was man will – wo man das ganz anders auffasst. In der Kohärenztheorie der Wahrheit (“eine Aussage ist wahr, wenn sie Teil eines kohärenten Systems von Aussagen ist”) kann man die closs’sche Unterscheidung zwischen “methodisch wahr” und “ontisch wahr”
nicht einmal formulieren. Genauso muss er moderate Idealismen, wonach unser Bild der Wirklichkeit die Wirklichkeit selbst beeinflusst, ausschließen.
Eine Begründung liefert er nicht. Darauf darf er sich nämlich keinesfalls einlassen, denn dann würde den Leuten auffallen, dass nach seiner eigenen Denkweise seine über“““hermeneutische””” Grotesk-Philosophie ja doch auch nur eine weitere ““““Hermeneutik”””” ist.