Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

closs
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#381 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Mi 22. Jul 2015, 10:24

Münek hat geschrieben:Doch, genau das machst Du.
Du verwechselst
a) HKM mit
b) weltanschaulichen Schlussfolgerungen aus Ergebnissen, die aufgrund der HKM getroffen werden.

Für b) kann a) nichts. - Die HKM als neutrale Arbeits-Methode ist super - die Folgen davon sind zum Teil katastrophal.

Münek hat geschrieben:Das Ergebnis der neutestamentlichen Forschung ist in dieser Frage eindeutig.
Nein - wie erklärst Du Dir dann, dass die Theologie dies ganz anders darstellt?

* "Dass Jesus nicht mit einer sehr baldigen Wiederkunft rechnete, zeigen mehrere Äußerungen der Parusierede" (kathpedia)
* Barth unterscheidet zwischen universaler Wiederkunft Jesu irgendwann (das, was Du als Naherwartung bezeichnest) und individualer Wiederkunft Jesu durch den eigenen Tod.
* Ratzinger sagt, dass jeder, der eine zeitnahe universale Wiederkunft Jesu erwarte, die Bibel nicht richtig gelesen hat.
* etc. - es wäre reine Fleißarbeit, weitere Hinweise zu finden.

Lieber Münek, Du bist vernarrt in eine euphorische Phase der HKM innerhalb der Theologie, die die von Dir geglaubten Aussagen möglich gemacht haben. - DIese Zeiten sind längst vorbei.

Pluto
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#382 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Pluto » Mi 22. Jul 2015, 11:10

closs hat geschrieben:Die HKM als neutrale Arbeits-Methode ist super - die Folgen davon sind zum Teil katastrophal.
Das sieht mir nach einer Pauschalverureilunge der Inttepretation der HKM aus. Gibt es denn keine "neutrale" Interpretation?
Hast du konkrete Beispiele, wo die HKM Erkenntnisse erbracht wurden, und dann die Interpretation deines Erachtens "katastrophal" waren?

closs hat geschrieben:* "Dass Jesus nicht mit einer sehr baldigen Wiederkunft rechnete, zeigen mehrere Äußerungen der Parusierede" (kathpedia)
* Barth unterscheidet zwischen universaler Wiederkunft Jesu irgendwann (das, was Du als Naherwartung bezeichnest) und individualer Wiederkunft Jesu durch den eigenen Tod.
* Ratzinger sagt, dass jeder, der eine zeitnahe universale Wiederkunft Jesu erwarte, die Bibel nicht richtig gelesen hat.
* etc. - es wäre reine Fleißarbeit, weitere Hinweise zu finden.
Und es gibt mindestens ebenso viele (wenn nicht noch mehr), die die Verheißung einer tatsächlichen Naherwartung nahelegten. Die Vermutung liegt sogar nahe :devil:, dass viele Naherwartungsaussagen VOR der Kanonisierung durch die kunge Kirche aus den Evangelien entfernt wurden.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#383 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Mi 22. Jul 2015, 11:27

Pluto hat geschrieben: Gibt es denn keine "neutrale" Interpretation?
Das ist in der Naturwissenschaft einfacher als in philologischen Wissenschaften - bei letzteren spielt immer die Weltanschauung des Wissenschaftlers mit. - Es gibt genug Beispiele, bei denen derselbe Umstand bei der derselben Quellenlage unter Verweis auf wissenschaftliche Erkenntnisse vollkommen anders gedeutet wird.

Pluto hat geschrieben:Hast du konkrete Beispiele, wo die HKM Erkenntnisse erbracht wurden, und dann die Interpretation deines Erachtens "katastrophal" waren?
Augstein hat in einem Absatz gleich vier oder fünf gebracht (steht hier irgendwo) - als Beispiel mag unser gut eingeführtes Thema "Naherwartung" gelten.

Die mit Verweis auf die HKM gebrachte These, Jesus habe eine eigene (äußere) Naherwartung gehabt, ist als These durchaus akzeptabel - DAS ist nicht das Problem. - Das Problem ist, dass diese These quasi als Tatsachen-Erkenntnis verkauft wird, obwohl die Theologie-Fakultäten dies mehrheitlich ganz anders sehen. - Man sieht es dort als EINE methodisch saubere Schlussfolgerung zur Frage, aber nicht als gesicherte Erkenntnis.

Wenn es in der Benennung eigener Interpretationen mehr Disziplin gäbe, würde die HKM erst gar nicht in den kritischen Fokus kommen - wie gesagt: Die HKM als wissenschaftliche Methodik kann nichts dafür, was der Mensch daraus macht.

Pluto hat geschrieben:Und es gibt mindestens ebenso viele (wenn nicht noch mehr), die die Verheißung einer tatsächlichen Naherwartung nahelegten.
Ja - deshalb ist die These, Jesus habe tatsächlich eine eigene Naherwartung gehabt, ja wissenschaftlich gut hinterlegt.

Pluto hat geschrieben: Die Vermutung liegt sogar nahe :devil:, dass viele Naherwartungsaussagen VOR der Kanonisierung durch die kunge Kirche aus den Evangelien entfernt wurden.
Auch das ist möglich - genauso ist umgekehrt möglich, dass Jesu Aussagen unter dem Einfluss des Naherwartungs-Hypes (die Essener wurden genannt) von einigen Schreibern falsch rezipiert wurden und deshalb jetzt falsch dastehen.

Deshalb finde ich folgenden Satz so wichtig (wiki):

"Grundsätzlich kann keine Auslegungsmethode mit Sicherheit für die Richtigkeit ihrer Ergebnisse garantieren. Historische Fakten können mit keiner Methode bewiesen, sondern höchstens gut belegt und plausibel gemacht werden. Die Euphorie, die sich sowohl in den evangelischen Kirchen wie auch in der katholischen Kirche angesichts des neu erworbenen Instrumentariums der historisch-kritischen Methode gebildet hatte, ist abgeklungen".

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#384 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Pluto » Mi 22. Jul 2015, 11:40

closs hat geschrieben:Deshalb finde ich folgenden Satz so wichtig (wiki):

"Grundsätzlich kann keine Auslegungsmethode mit Sicherheit für die Richtigkeit ihrer Ergebnisse garantieren. Historische Fakten können mit keiner Methode bewiesen, sondern höchstens gut belegt und plausibel gemacht werden. Die Euphorie, die sich sowohl in den evangelischen Kirchen wie auch in der katholischen Kirche angesichts des neu erworbenen Instrumentariums der historisch-kritischen Methode gebildet hatte, ist abgeklungen".
Und... Was ist die Alternative?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#385 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Mi 22. Jul 2015, 11:47

Pluto hat geschrieben:Und... Was ist die Alternative?
Die HKM streng als wissenschaftliche Disziplin zu verstehen, die Auskunft über Quellen-Lage, linguistische Fragen, historische Situation der Zeit, Zeitgeist, SChreiber, etc. gibt.

Es geht nicht um eine Alternative zur HKM, sondern die Frage, ob man mit Bezug auf die HKM weltanschauliche Interpretationen tätigen darf. - Das gilt übrigens für BEIDE Seiten - die christliche Theologie dürfte genauso wenig sagen: "Die HKM weist wissenschaftlich nach, dass Jesus unser Erlöser ist".

Ein solcher Satz wäre genauso interpretative Überdehnung der HKM wie der Satz "Jesus hatte selbst eine (äußere) Naherwartung". - Wissenschaft und Meinung/Glaube müssen strikt getrennt werden. - Das hat in der kirchlichen Theologie über Jahrhunderte nicht funktioniert und offensichtlich auch nicht in den Euphorie-Zeiten der HKM - ein gesundes Mittelmaß muss her, das Wissenschaft von Meinung/Glaube abgrenzt, selbst wenn Meinung/Glaube wissenschaftlich hinterlegt werden kann.

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#386 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Pluto » Mi 22. Jul 2015, 12:07

closs hat geschrieben:Es geht nicht um eine Alternative zur HKM, sondern die Frage, ob man mit Bezug auf die HKM weltanschauliche Interpretationen tätigen darf. -
Ist es nicht die Aufgabe der HKM, die alten Schriften ins rechte Licht zu stellen, sodass man daraus Schlussfolerungen ziehen kann?

closs hat geschrieben:Das gilt übrigens für BEIDE Seiten - die christliche Theologie dürfte genauso wenig sagen: "Die HKM weist wissenschaftlich nach, dass Jesus unser Erlöser ist".
Darum geht es doch gar nicht. Wenn aber die HKM Aussagen im Text als Legenden entlarvt, dann ist es nicht richtig, wenn man mit rein theologischen Argumenten versucht, dies versucht zu vertuschen.
Dies ist eine Vermutung von mir, die in der Diskussion über die Naherwartung deutlich wird. Aus theologischer Sicht wird versucht die Zitate die auf Naherwartung hinweisen mit allen Mitteln zu widerlegen.
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#387 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Münek » Mi 22. Jul 2015, 12:18

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Dann ist es mir ein Rätsel, weshalb Du Dich dennoch ständig darüber echauffierst, dass die neutestamentlichen Wissenschaftler als Ergebnis ihrer Forschungen einvernehmlich ihre Überzeugung vertreten, dass Jesus sich in seiner Naherwartung GEIRRT hat.
Das ist in dieser konkreten Form längst überholt - es ist nicht DIE NT-Wissenschaft, es ist ein Zweig davon.

Da ist überhaupt nichts überholt.

Der breite Konsens in der neutestamentlichen Forschung, dass Jesus sich geirrt hat, besteht nach wie vor.
An dieser Tatsache gibt es nichts zu rütteln, auch wenn es Dir schwerfällt, dies zu akzeptieren.

Das Thema "Jesu Irrtum" ist in den Fakultäten nicht Gegenstand kontroverser Diskussionen. Es existieren
keine zwei Lager, die sich in dieser Frage mit konträren Auffassungen gegenüberstehen.

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#388 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Martinus » Mi 22. Jul 2015, 12:24

Martinus hat geschrieben:auch heute vermutlich nichts.

ich glaub ich bin ein Prophet :angel:
Angelas Zeugen wissen was!

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#389 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von Pluto » Mi 22. Jul 2015, 12:58

Martinus hat geschrieben:ich glaub ich bin ein Prophet :angel:
Verwendest du eine Glaskugel, oder macht du das mit dem Bauchgefüh?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#390 Re: Historische Textkritik- Was bleibt am Ende des Tages?

Beitrag von closs » Mi 22. Jul 2015, 13:23

Pluto hat geschrieben:Ist es nicht die Aufgabe der HKM, die alten Schriften ins rechte Licht zu stellen, sodass man daraus Schlussfolerungen ziehen kann?
Wieso ins "rechte" Licht? - Reicht "wissenschaftliches" Licht nicht? - Hier blinkt doch schon wieder Weltanschauliches durch.

Pluto hat geschrieben:Aus theologischer Sicht wird versucht die Zitate die auf Naherwartung hinweisen mit allen Mitteln zu widerlegen.
Nein - man wird ebenfalls interpretieren - aber halt anders als aus agnostischer Sicht.

Denkst Du wirklich, dass sich die christliche Theologie heute erblöden würde, eine wissenschaftlich einwandfreie Datierung oder einen historischen Kontext von Text und SChreiber zu ignorieren? - Das ist nicht gewiss nicht das Thema.

Pluto hat geschrieben:Aus theologischer Sicht wird versucht die Zitate die auf Naherwartung hinweisen mit allen Mitteln zu widerlegen.
Nicht die Zitate selbst (die sind ja da), aber die Interpretation unterm Strich.

Das ist in der Philologie (zu der auch die historischen Wissenschaften gehören) ganz normal: Man findet Pro- und Kontra-Hinweise, stellt deshalb Widersprüche fest, und überlegt sich dann, welche der beiden Seiten wahrscheinlich recht hat (= Interpretation). - Und da kommt die säkulare und die christliche Weltanschauung zu unterschiedlichen ERgebnissen - das ist vollkommen ok, muss aber auch als weltanschauliche Aussage gekennzeichnet werden - DAA hapert's.

Guck nur mal in die Geschichts-SChreibung von Ost und West: Die Nachkriegs-Geschichte wird in einem Forschungs-Auftrag der Adenauer-Stiftung anders aussehen als im Forschungs-Auftrag der Honecker-Stiftung. - In BEIDEN Forschungs-Aufträgen werden ausgewachsene, gute Historiker sitzen - beide Seiten werden dasselbe beobachten und beschreiben - aber sie werden es anders interpretieren. - Das ist normal.

Unredlich ist es, wenn man eigene Interpretation als einzig wissenschaftliche Interpretation etikettiert - und diese Gefahr besteht bei Kubitza & Co. - Deshalb auch mein Vorwurf der Ideologisierung von Wissenschaft - dafür kann die Wissenschaft selbst nichts.

Münek hat geschrieben:Der breite Konsens in der neutestamentlichen Forschung, dass Jesus sich geirrt hat, besteht nach wie vor.
Nein - das ist EINE Forschungsrichtung, die dies so sieht und dies auch belegen kann.

Münek hat geschrieben:Das Thema "Jesu Irrtum" ist in den Fakultäten nicht Gegenstand kontroverser Diskussionen.
Was ich von Theologen höre, ist, dass es nur deshalb nicht Gegenstand kontroverser Diskussionen ist, weil es längst ausdiskutiert ist.

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