Ruth hat geschrieben: ↑Sa 7. Dez 2019, 14:55
Inzwischen habe ich so viele gute Erfahrungen auf diesem Weg gemacht, dass es mir scheint, ich wäre, gerade durch diese Abweichung von festgefahrenen Wegen, viel näher zu Gott gekommen.
Ja, so erlebe ich es auch. Und eben in meinem persönlichen Fall auch umgekehrt: Durch die Hinwendung zum christlichen Weg (nach 20 Jahren Buddhismus) habe ich auch den buddhistischen Weg neu und tiefer erfahren. Was bin ich denn nun heute? Christ? Buddhist? Braucht es diese Etiketten? Einst schrieb ich:
Nicht das Gewordne ist der Sinn
Denn das Gewordne schwindet hin
Doch durch Werden und Vergehn
Führt der Weg den wir hier gehn
Ich geh den Weg zur Freiheit hin
Die in mir lebt als der Ich bin
Und nur in dem Ich bin
Macht mein Weg des Lebens Sinn
Ich bin und war und werde sein
...?...
Es bleibt geheim
Für Gross und Klein
Mein langjähriger (verstorbener) buddhistischer Meditationslehrer
Dr. Rewata Dhamma Sayadaw hat 1996 vor Christen einen Vortrag gehalten zum Thema
Was Buddhisten von ihren christlichen Freunden erwarten. Dieser Vortrag beschreibt gut, was ich von meinen Freunden und Bekannten - und zwar sowohl von meinen christlichen wie von meinen buddhisti-schen und von meinen nicht religiösen Freunden und Bekannten - auch erhoffe. Was
Rewata Dhamma in dieser Rede sagt, kann ich durch meinen eigenen Weg in beiden Religionen nur unterstützen:
Liebe Freunde
Der große buddhistische König Ashoka, der der im 3. Jh. vor Christus in Indien lebte, liess ein Edikt in eine Steinsäule meisseln. Diese Säule steht bis zum heutigen Tag an einem besonderen Ort in Sarnah nahe Varanasi. Die Übersetzung der Inschrift lautet:
Wer die Religion eines anderen nicht achtet,
der achtet seine eigene nicht.
Wer die Religion eines anderen achtet,
der achtet seine eigene.
Dieses Edikt enthält den Kernpunkt meiner Botschaft an Sie alle bezüglich dessen, was ein Buddhist von an-deren Buddhisten und von Christen erwartet, ebenso wie von den Anhängern jeder anderen Religion.
Anhaftung
Der Buddha sprach von vier Arten der Anhaftung, die zu menschlichem Leiden führen: es gibt die Anhaftung an Sinnesobjekte, an Ansichten oder Ideen, an Riten und Zeremonien und an das Selbst. Wenn wir allmählich immer mehr unseren eigenen Ansichten und philosophischen Vorstellungen verhaftet sind, unseren religiösen Riten und Zeremonien, dann können wir die Fähigkeit zur Offenheit verlieren und dazu, uns gegenüber anderen mit unterschiedlichen Standpunkten flexibel und tolerant zu verhalten. Je mehr wir uns an unsere persönlichen Überzeugungen und Ansichten festklammern, desto weniger sind wir naturgemäss in der Lage, auf diejenigen anderer wirklich hinzuhören. Wir können ausserdem selbstsüchtig werden und überempfindlich gegen Kritik. Wenn dann unsere Überzeugungen angegriffen, in Frage gestellt oder verworfen werden, sind wir anfällig dafür, wütend zu reagieren und für unsere Wut zu leiden. Der Buddha warnte stets vor jeder Art von Anhaftung, da dies die Grundursache allen Leidens ist. Wenn wir übermässig an unseren eigenen religiösen Überzeugungen und Praktiken hängen, dann wenden wir viel Zeit und Geld auf, um diese Überzeugungen durch Teilnahme an religiösen Riten und Zeremonien zu bestätigen. Dadurch sind wir so sehr unserem eigenen religiösen Glauben und den Zeremonien verhaftet, dass es uns oft nicht mehr gelingt, diejenigen anderer zu bedenken und wertzuschätzen. Diese Situation ist bedauerlich und entsteht dadurch, dass wir blindlings und gefühlsbetont an dem von uns für richtig Befundenen haften und damit den Standpunkt anderer ohne jede Objektivität sehen.
Objektives Studium
Ich möchte also hier sagen, dass wir jedwedes Studium einer anderen als unserer eigenen Religion objektiv vornehmen müssen, wenn es unsere Bemühung wirklich lohnen soll, wenn es Wissen, Einsicht und Verständnis erbringen soll. Und noch bevor wir ein solches Studium beginnen, müssen wir bereits tiefes Verständnis und tiefe Einsicht in unsere eigene Religion erlangt haben. Als Buddhist erwarte und wünsche ich also für meine christlichen Brüder und Schwestern überall, dass sie sich tiefes Wissen und Wertschätzung des Christentums aneignen mögen. Wenn Sie die Lehren Christi ganz und gar verstehen, dann werden Sie unzweifelhaft ein mehr als oberflächliches Verständnis der Lehren Buddhas erlangen können. Und Sie werden dann auch die sehr allgemein gültige und zeitlose Bedeutung der Lehren des Buddha zu schätzen wissen. Deren Kern ist kurz zusammengefasst:
Lerne Gutes zu tun,
lass ab davon, Böses zu tun
und läutere deinen Geist.
Dies ist die Lehre aller Buddhas.
Sowohl Buddhismus als auch Christentum sind sehr alte, anerkannte Religionen, und beide verkünden höchst tiefgründige und doch nachvollziehbare und praktikable Lehren, die von vielen Millionen Menschen seit Urzeiten vertrauensvoll angenommen worden sind. Wenn es uns gelingen soll, in einen schwungvollen Dialog einzutreten, der es uns ermöglicht, eine wirkliche Wertschätzung dieser beiden uralten Religionen zu erlangen, dann müssen wir zuallererst mit den notwendigen Anstrengungen fortfahren, unsere eigene Religion eingehend zu studieren und zu erforschen. Wenn wir uns jedoch an unsere eigene Religion und ihre Lehren klammern unter Ausschluss jeder anderen, dann haben wir unseren Geist und unsere Augen für alles Verschiedene und möglicherweise Nützliche verschlossen. Wir sind dann geistig isoliert und es fällt uns sehr viel schwerer, andere religiöse Systeme und Traditionen sowie ihren spirituellen Nutzen objektiv wahrzuneh-men. Daher empfehle ich, dass wir alle gezielte Anstrengungen unternehmen, um zuerst unsere eigenen religiösen Überzeugungen und Praktiken zu erforschen. Der Inder Dr. Raymond Pannikar, ein katholischer Priester, sagte einmal:
Ich ging fort (aus Rom) als Christ;
ich stellte fest (in Indien), dass ich ein Hindu bin;
und ich kehre als Buddhist (nach Rom) zurück,
ohne dass ich jemals aufgehört habe,
ein Christ zu sein.
(R. Pannikar: Glaube und Überzeugung –
Eine multireligiöse Erfahrung)
Weisheit und Wahrheit
Man kann sich der Antwort auf die Frage "Was ein Buddhist vom Christentum erwartet" auf viele verschieden Weise nähern. Die Antwort ist jedoch sehr einfach für jeden, der den Buddhismus zwecks Erweiterung seines eigenen Wissens erforscht und um sich seines vielfältigen geistlichen Nutzens zu erfreuen. Ein Buddhist erwartet lediglich Toleranz und die Freiheit von Argwohn und Angst. Toleranz kann nur aus der Erkenntnis aufgrund richtigen Verstehens entwickelt werden. In Bezug auf das Christentum kann die erforderliche Erkenntnis dadurch erlangt werden, dass wir die Lehren Christi gründlich untersuchen. Mit der Fortentwicklung unserer Wahrnehmungsfähigkeit werden unser Verständnis und unser Einblick in seine Lehre klarer und tiefer werden. Diese Einsicht wird uns auch darin bestärken, tolerant zu sein. Buddhisten sagen, dass Weisheit und Mitgefühl als Tugenden Hand in Hand gehen müssen, da sie einander ergänzen und zusammen ausgeübt werden sollten. Genauso ist es, wenn Ihre Einsicht in Christi Lehren anwächst und Ihr Verständnis sich vertieft. Sie werden dann mit der Zeit wahre Liebe und Mitgefühl in Ihrem Herzen haben, und es wird sich ganz selbstverständlich und sofort Toleranz entwickeln. Ich möchte hier besonders betonen, dass man ein aufrichtiges Verständnis von der Botschaft Christi erlangen sollte. Wenn wir uns ängstlich an die Lehren und Doktrinen unserer eigenen Religion klammern und uns nur auf sie verlassen, indem wir alle anderen ausklammern, wenn wir aus blindem Glauben heraus an ihnen festhalten, dann werden wir die Wahrheit in jeder anderen Religion nicht sehen können. Wahrheit ist Wahrheit, und sie hängt nicht ab von Zeit oder Raum, von Kultur oder Ort, obwohl die Menschen ihr verschiedenen Ausdruck verleihen und sie von vielfältigen Gegebenheiten beeinflusst sein mag. Im Johannesevangelium wird Jesus zitiert:
„Ihr sollt die Wahrheit wissen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“
Dies ist ein höchst lohnendes Ziel für alle Menschen, überall und zu jeder Zeit. Es ist sehr wichtig, die Wahrheit zu wissen. Das ist jedoch nicht durch blinden Glauben zu erreichen. „Sehen heisst glauben“ - das ist die Rolle der Einsicht, deren Pflege niemand von uns vernachlässigen sollte.
Argwohn und Furcht
Nun möchte ich etwas zu der zweiten Erwartung von Buddhisten an Christen sagen, nämlich zu Freiheit von Argwohn und Furcht. Argwohn und Furcht hängen eng zusammen. Diese Gefühle gehören zur menschlichen Natur. Wenn wir etwas neuem begegnen oder etwas, das ausserhalb unserer Kenntnis und Erfahrung liegt, dann betrachten wir es natürlich mit Argwohn und Furcht – einfach weil wir es noch nicht verstehen. Die Gefühle von Argwohn und Furcht sind jedoch tatsächlich ein Hindernis für unser Verständnis. Als Buddha noch auf Erden wandelte, kamen die Kalamas zu ihm und äusserten ihre Zweifel über religiöse Lehren. Der Buddha antwortete auf ihre Kritik und ihre Fragen und sagte:
Ihr Kalamas, wenn ihr etwas nicht aus euch selber heraus versteht, dann werdet ihr stets Argwohn und Zweifel darüber hegen. Ich sage euch deshalb „ehi passiko“ – „kommt und seht“ selber, bevor ihr euch entscheidet, es anzuerkennen.
Ich möchte auch meine hier versammelten christlichen Freunde einladen zu ehi passiko – kommt und seht die Lehren Buddhas selber an, bevor ihr auch nur den Versuch macht, sie anzuerkennen. Der Buddha hat während seiner 45-jährigen Schaffenszeit vieles gelehrt. Wenn Sie bei Ihrer Erforschung aber etwas finden, das für Sie persönlich nützlich ist, dann nehmen sie es sich zu Herzen. Befolgen Sie es und lassen Sie den Rest beiseite. Buddhismus ist streng genommen keine Religion in dem Sinne, in dem der Begriff Religion allgemein verstanden wird. Buddhismus ist eher eine Lebensweise, die auf der Bemühung um Weisheit beruht. Es ist also ehrlich gesagt nicht notwendig, Buddhist zu werden, wenn Sie Buddhismus praktizieren wollen. Der Buddha hat oft gesagt:
Ich bin nur ein Führer, der euch den Weg zur Befreiung zeigt. Ihr aber müsst selber für euer eigenes Heil sorgen.
Der Buddha wird nicht als ein Erlöser der Menschen betrachtet, sondern als ein Führer und Lehrer, dessen Beispiel jeder folgen kann. Während sehr vieler Lebenszyklen hat der Buddha viele Übungen moralischer Vollkommenheit und viele Entbehrungen praktiziert, bis seine Mühen Frucht trugen und ihn befähigten, sein Ziel der Erleuchtung zu erlangen. Wenn auch wir frei von aller Unterjochung und allem Leid sein und zu Weisheit und Erleuchtung gelangen wollen, dann können wir, unabhängig von unseren Lebensumständen, seinem Beispiel folgen. Obwohl der Buddha niemanden erretten kann, ist er doch ein anregendes Vorbild dafür, wie die Weisheit erlangt werden kann, die dann Erleuchtung und Befreiung bringt. Wenn Sie wirklich dem Buddhismus nachgehen wollen, dann tun Sie es mit offenem und forschendem Verstand. Jedes Gefühl von Argwohn, das Sie anfänglich haben mögen, wird dabei verschwinden. Und wenn Ihr Urteil nicht mehr von Argwohn gefärbt ist, gibt es auch keine Furcht mehr. Furcht ist ein großes Hindernis für jeden, der sich auf einem spirituellen Pfad befindet. Wenn jemand von einem anderen spirituellen Weg spricht oder von einer anderen religiösen Lehre, dann wird uns fast immer bange, und wir denken, dass vielleicht unsere religiösen Überzeugungen bedroht sind, oder dass wir konvertieren könnten, oder dass wir die Sicherheit unseres religiösen Glaubens verlieren könnten. Das nun kommt daher, dass unsere eigenen starken Überzeugungen bezüglich unserer eigenen Religion in einem emotional begründeten Glauben und emotionaler Anhänglichkeit wurzeln. Und eben diese falsche Anhänglichkeit ist es, die Furcht in uns erzeugt. Ich hoffe aufrichtig, dass Sie die Lehren des Buddha untersuchen, bevor Sie sich deren Praktizierung hingeben – dann werden zweifellos Argwohn und Furcht verschwinden. Heute praktizieren viele christ-liche Mönche, Nonnen und Laien in ihrem täglichen Leben buddhistische Meditation, und ihr Leben wird dadurch bereichert. Manche von ihnen sagen, dass ihr Verständnis ihres christlichen Glaubens und seiner Lehren sich durch die Meditation vertieft und verstärkt habe. Darum möchte ich meinen christlichen Freunden sagen: Haben Sie keine Angst oder keinen Argwohn gegen das Praktizieren von Buddhismus. Buddhismus ist ein gesunder Weg zur Erreichung unserer eigenen Befreiung. Es ist ein Weg zu Glück und Wohlbefinden.
Mögen alle Wesen glücklich sein.
Sorry, das ist jetzt ein langer Post geworden, aber mir schien, auch dieser Vortrag könnte dich interessieren. Und zu guter letzt noch der Hinweis - für alle hier Lesenden und am interreligiösen Dialog interessierten - ein Buchtipp zum Thema:
Kuschel, Karl-Josef
Leben ist Brückenschlagen
– Vordenker des interreligiösen Dialogs
Patmos Verlag (2011)
Der Klappentext:
Der Dialog der Religionen ist angesichts der heutigen Weltsituation dringender denn je. Die Geschichte gehört Menschen, die zusammenbringen, was früher getrennt war; die Lebenswege gehen, die früher versperrt waren. Menschen somit, die zu Wandlungen und Weiterentwicklungen fähig sind. Vor-Denker eben, die anderen voraus sind in Problembewusstsein und Lösungswillen. Ihre Geschichte offenlegen heisst, eine Geschichte der Hoffnung erzählen. Deren Pointe lautet: Neue Wege zu gehen ist möglich, allen Konflikten, Widerständen, Verurteilungen und Ausgrenzungen zum Trotz. Es hat Menschen gegeben, die diese Wege gegangen sind: Das will dieses Buch zeigen. Sie ermutigen zur Nachfolge – heute und in Zukunft!
(Karl-Josef Kuschel)
Das Buch besteht aus zwölf Kapiteln. Nach dem ersten Kapitel
Europa entdeckt die Religionen der Welt – Historische Streiflichter stellt uns Karl-Josef Kuschel elf Persönlichkeiten vor. Dazu der Umschlagtext:
Die Einzelporträts von herausragenden Gestalten aus allen religiösen Traditionen illustrieren die noch junge Geschichte interreligiöser Verständigung. Karl-Josef Kuschel erzählt dramatische Lebensgeschichten von Dichtern und Wissenschaftlern, Theologen und Übersetzern, die oftmals gegen heftige Widerstände die Grundlagen für fruchtbare Begegnungen zwischen den Religionen schufen. Eindrucksvoll belegen diese Geschichten: Nicht den Traditionswächtern gehört die Zukunft, sondern den Kühnen und Mutigen.
Ich wünsche uns allen diese Kühnheit und den zu diesem Unterfangen notwendigen Mut!