Andreas hat geschrieben:Das ist ein sehr schönes Beispiel: Du hast dich deinem inneren Kampf gestellt und das war der Segen für dich und diesen Schüler. Heute verschone ich dich nicht mit Bibelsprech - verzeih mir!
Das "Höre Israel" hat ja eine tiefe inhaltliche Wurzel. Hier taucht der Name Israel das erste Mal in der Bibel auf:
Und Jakob blieb allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte heraufkam. Und als er sah, dass er ihn nicht überwältigen konnte, berührte er sein Hüftgelenk; und das Hüftgelenk Jakobs wurde verrenkt, während er mit ihm rang. Da sagte er: Lass mich los, denn die Morgenröte ist aufgegangen! Er aber sagte: Ich lasse dich nicht los, es sei denn, du hast mich <vorher> gesegnet. Da sprach er zu ihm: Was ist dein Name? Er sagte: Jakob. Da sprach er: Nicht mehr Jakob soll dein Name heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast überwältigt.
Daher ist im "Höre Israel" auch von "all deiner Kraft" die Rede. Denn es kostet unsere ganze Kraft aus diesen Kämpfen von Kopf und Bauch als ein veränderter Mensch hervorzugehen. Nur wenn diese Kämpfe auch Spuren an uns hinterlassen, sind wir eines neuen Namen wert. Dieser Ringkampf Jakobs mit Gott hat was erotisches an sich - im besten Sinne. Er findet in der Dunkelheit der Nacht statt und dauert bis die Morgenröte aufgegangen ist. Der Eros erfasst den ganzen Menschen, deshalb ist sowohl die Hüfte als auch der Kopf enthalten und der Mensch hat sich an Leib und dem neuen Namen in seinem Kopf verändert. Er hat ein anderes Selbstbewusstsein gewonnen und auch seine leiblichen Gefühle sind nicht mehr dieselben.
Ich versteh möglicherweise, was Du meinst.
Der Weg von dem instinktiven Ablehnen - bah, den mag i net - hin zu einem Einschwingen in den, den man nicht mag, ist, wie Du wahscheinlich meinst, ein ganzheitlicher Prozess, an dem auch "Eros" beteiligt ist.
"Eros" ist zwar ein belasteter Begriff, aber ich benutze ihn auch mitunter so wie Du: wenn man von etwas "erfasst" ist - von einer Stadt, von einem Baum, von der Form eines Kieselsteins -, dann ist "Eros" daran beteiligt: man kann sich nämlich auch in einen Kieselstein verknallen; ihn fasziniert ob seiner Schonheit immer wieder betrachten, ihn anfassen, seine Form spüren.
Und genau dies ist, meiner Erfahrung nach,
auch zweischneidig.
Wenn ich anfange, von der Schönheit einer Wolke angezogen zu sein oder von der inneren Schönheit eines Menschen - den man vorher abstoßend fand -, dann entsteht auch eine Sehnsucht danach: und man kann davon abhängig werden.
In dem Moment, wo man liebt, ist immer auch die Gefahr da, dass man begehrt, was man liebt.
Steine können dermaßen schön sein, dass man ihnen verfallen kann und süchtig wird, sie haben will um jeden Preis.
Und bei schönen Menschen ist das ebenfalls so; auch wenn sie äußerlich hässlich, aber innerlich schön sind oder man sie zumindest so versteht.
Darum wird von religiösen Menschen "Eros" oft abgelehnt; aber man kann Eros nicht ablehnen. Man verfällt ihm dann umso mehr.
Es gibt meines Erachtens keinen Weg außer diesen: sich auch Eros zu stellen und seine Dialektik zu erkennen: seine beiden Seiten.
Also: Wenn man darum "ringt", den anderen, bisher nicht Gemochten, einzubeziehen in eine innere Kommunikationssituation - ihn sozusagen zu einem "Du" macht, von dem man etwas Zentrales versteht -, dann ist zwar Eros im Spiel, weil dies mit der Gänze des eigenen Empfindens geschieht, aber:
wenn dann ein Begehren entsteht - und sei es so, dass man den anderen nur "geistig" haben will:
dann muss unbedingt der nächste Schritt gemacht werden:
loslassen.
Dann hat man noch immer die Fähigkeit, den anderen in seinen inneren Zusammenhängen zu verstehen, ihn
darum zu mögen, aber man lässt ihn sich selber sein.
Lässt man aber das Gefühl weg - siehe Threadthema -, dann kann man zwar Eros umgehen, oder glaubt das, aber in Wirklichkeit drosselt man sich in seiner Ganzheit ab.