Alles Teufelszeug? II

Pluto
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#1401 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Pluto » So 17. Apr 2016, 11:01

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:wenn ein Mensch durch Krankheit oder Verletzung das „Ich“-Bewusstsein verliert, soll er dann keine „denkende Substanz“ mehr haben
Dann ist er trotzdem noch Ich-Identität.
Eben das nicht. Es gibt Gehirnerkrankungen die das Langzeitgedächtnis beeinflussen.
Dann kann der Patient z.B. keine Gesichter mehr erkennen. Er stellt sich vor einen Spiegel und fragt: "Bin ich das wirklich?".
Ansonst ist die Person völlig normal. Kann sich an etwa die letzten 60 Sekunden erinnern, aber mehr nicht.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#1402 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » So 17. Apr 2016, 12:13

Pluto hat geschrieben:Davon abgesehen, die meisten Übersetzungen sprechen von der Generation
"Geschlecht" (also auch "Volk") findet man auch - "Volk" kenne ich nur aus der messianischen Übersetzung (also von denen, die der jüdischen Kultur am nächsten sein könnten).

Pluto hat geschrieben:Womit denn sonst? Wir haben nun mal nur die Bibel als Quelle.
sven23 hat geschrieben:Und da sind die Ergebnisse ziemlich eindeutig.
sven23 hat geschrieben:Wie soll es denn sonst gehen? Gerade durch die Unterscheidungsmöglichkeit von authentischen und nachträglich zugeschriebenen Worten entsteht ein klareres Bild.
Das Problem ist ein anderes: Auch wenn man bei identischer Quellenlage und Kenntnis dessen, was früher und was später getextet wurde, interpretiert, führen diese Interpretationen je nach weltanschaulichem Verständnis zu einem anderen Ergebnis.

Es ist doch albern anzunehmen, die kanonischen Exegeten kännten die HKM-Ergebnisse nicht. - Der objektive Unterschied besteht darin, dass es zwei Glaubens-Entscheide gibt:
* Die HKM geht aus methodischen Gründen davon aus, dass Jesus ein ganz normaler Wanderprediger ist, weil Weitergehendes nicht nachweisbar ist.
* Die kanonische Exegese geht aus spirituellen Gründen davon aus, dass Jesus "der Messias" ist.

Aus diesen jeweiligen Setzungen (egal, wie sie zustande kommen) ergeben sich unterschiedliche Interpretationen der rein sachlichen HKM-Ergebnisse.

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sven23
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#1403 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » So 17. Apr 2016, 12:26

closs hat geschrieben: Es ist doch albern anzunehmen, die kanonischen Exegeten kännten die HKM-Ergebnisse nicht. - Der objektive Unterschied besteht darin, dass es zwei Glaubens-Entscheide gibt:
* Die HKM geht aus methodischen Gründen davon aus, dass Jesus ein ganz normaler Wanderprediger ist, weil Weitergehendes nicht nachweisbar ist.
* Die kanonische Exegese geht aus spirituellen Gründen davon aus, dass Jesus "der Messias" ist.
Natürlich kennen sie die Forschungsergebnisse. Sie wollen oder dürfen sie aber nicht anerkennen, weil das ihr Glaubenskonstrukt ins Wanken bringen würde. Im Grunde weiß das auch jeder, nur es wird nicht offensiv und öffentlich diskutiert gegenüber dem Glaubens-Klientel.

closs hat geschrieben: Aus diesen jeweiligen Setzungen (egal, wie sie zustande kommen) ergeben sich unterschiedliche Interpretationen der rein sachlichen HKM-Ergebnisse.
Das mag für Wunderglaube und Auferstehung gelten. Aber für die meisten anderen "sachlichen HKM-Ergebnisse" gilt das nicht, auch nicht für die Naherwartung.
Wenn es z. B. für den angegebenen Zeitraum keine Steuerschätzung gab und diese bei den Römern schon gar nicht in der beschriebenen Form durchgeführt wurde, dann muss man das den Geburtslegenden zuordnen. Geburtslegenden, die einzig dem Zweck dienten, aus dem Wanderprediger den Messias zu machen. Welchen Sinn macht es jetzt, den so erschwindelten Messias als Messias vorauszusetzen, um ihn dann anhand der Texte mit kanonischer Exegese als Messias zu "beweisen"?
Das ist ein klassischer Zirkelschluss mit angesagtem Kniesschuss. :shock:
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#1404 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » So 17. Apr 2016, 16:41

SilverBullet hat geschrieben:Ich stelle fest, dass du definitiv nicht auf die Festlegung zur Wirklichkeitsidentifikation eingehen möchtest.
"Eingehen" schon, aber nicht akzeptieren - denn: Welchen Sinn hätte es, eine "Wirklichkeits-Identifikation" zu setzen, die gerade Gegenstand der Fragestellung ist.

SilverBullet hat geschrieben: es ist ein derart kleiner Versuch, dass es durchaus möglich sein sollte
Er bringt nichts, da er im Sinne der Fragestellung irrelevant ist.

SilverBullet hat geschrieben:Bei jedem Wahrnehmungsvorgang ist der Körper (Gehirn) aktiv.
Um Wahrnehmung körperlich darzustellen, bedarf es des Gehirns - natürlich. - Wahrnehmung der Res cogitans kann aber auch unabhängig vom Körper sein, wenn - zu Ende gedacht - Materie aus Geist ist.

SilverBullet hat geschrieben:Ich spreche von einer Gehirnveränderung, durch die sich ein Mensch nicht mehr als Objekt in der Wahrnehmung erkennt/verwaltet
Es gibt selbstverständlich massivste Störungen zwischen Geist und Körper, was dazu führen kann, dass der Mensch auf körperlicher Ebene nicht mehr bewusstseins-mäßig ausdrucksfähig ist - dies ist nicht in Abrede gestellt.

SilverBullet hat geschrieben:einfach behauptest, dass sich zwei Substanzen einen Körper teilen
Das ist eine ziemlich naheliegende These innerhalb der Psychologie (zumindest war es das vor einigen Jahrzehnten) - spirituell ist es eh naheliegend.

SilverBullet hat geschrieben:Mit der Verwandtschaft zu Tieren haben Gläubige aber generell so ihre Schwierigkeiten.
Biologisch gibt es überhaupt keine diesbezüglichen Schwierigkeiten - und wenn sich Affen als transzendenz-fähig erweisen sollten (also bewusst Fragen nach dem "über mir"/"Gott" reflektieren können), sind sie herzlich im Club willkommen.

SilverBullet hat geschrieben:Ach so, mit dem Unterschied, dass die Naturwissenschaften, Zusammenhänge einer Funktionalität aufstellen
Unbestritten - dafür sind Naturwissenschaft gut geeignet. - Aber hier geht es nicht um Ablauf-Beschreibungen, sondern um grundlegende Fragen.

SilverBullet hat geschrieben:Nur mit dem kleinen Hinweis, dass es sich bei diskretem Stattfinden nicht um eine eigenständige Denk-Substanz handeln kann, denn die müsste es ja kontinuierlich geben.
Natürlich ist "Geist" eine eigenständige "Denk-Substanz" (wenn auch keine körperliche), die es kontinuierlich gibt.

SilverBullet hat geschrieben:Die Naturwissenschaft kann nur sinnloses So-Tun-Als-Ob nicht untersuchen.
Das ist definitiv falsch.

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#1405 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » So 17. Apr 2016, 16:47

sven23 hat geschrieben:kann man bei wohlwollender Beurteilung auch von nachträglicher Interpretation sprechen
Separat betrachtet ist dies allgemein anerkannt: Jünger/Urchristen, die fälschlicherweise geglaubt haben, Jesu Aussage beziehe sich auf eine schnelle körperliche Wiederkunft, mussten sich korrigieren. - Völlig einverstanden.

sven23 hat geschrieben:Und da sind die Ergebnisse ziemlich eindeutig.
Aber doch nicht wegen der Eindeutigkeit der Quellen, sondern wegen der Interpretation derselben aus einer speziellen Perspektive ("Jesus war x-beliebiger Wanderprediger").

sven23 hat geschrieben: dann wird schon deutlich, warum man auf die Parusieverzögerug umschwenkte.
Das würde Dir Ratzi auch bestätigen - natürlich weiss (auch) die (katholische)Theologie seit vielen, vielen Jahrzehnten, dass falsche Erst-Rezeption zu einer Korrektur führen musste. - Das haben die (evangelischen und katholischen) Theologen meiner Generation schon vor 50 Jahren begriffen, weil es so gelehrt wurde. - Dieses Thema ist eigentlich seit einem halben Jahrhundert durch.

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#1406 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » So 17. Apr 2016, 16:55

Pluto hat geschrieben:Es gibt Gehirnerkrankungen die das Langzeitgedächtnis beeinflussen. Dann kann der Patient z.B. keine Gesichter mehr erkennen.
Naturalistisch hast Du vollkommen recht.

Die christliche Sichtweise (und nicht nur diese) gehen aber umgekehrt davon aus, dass der Körper vom Prinzip her lediglich das Transportmittel von Geist in die materielle Welt ist - das heisst: Der Erlöschen der Funktionen in der materiellen Welt sagt nichts über die Funktions-Fähigkeit der "Res cogitans" selbst aus.

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#1407 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » So 17. Apr 2016, 16:57

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:kann man bei wohlwollender Beurteilung auch von nachträglicher Interpretation sprechen
Separat betrachtet ist dies allgemein anerkannt: Jünger/Urchristen, die fälschlicherweise geglaubt haben, Jesu Aussage beziehe sich auf eine schnelle körperliche Wiederkunft, mussten sich korrigieren. - Völlig einverstanden.
Dann muss man auch z. b. "ihr werdet mit den Städten Israels nicht zu Ende kommen...." korrigieren. Warum soll gerade dieses Zitat nicht authentisch sein? Nur weil es sich nachträglich als falsch erwiesen hat?

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Und da sind die Ergebnisse ziemlich eindeutig.
Aber doch nicht wegen der Eindeutigkeit der Quellen, sondern wegen der Interpretation derselben aus einer speziellen Perspektive ("Jesus war x-beliebiger Wanderprediger").
Doch, auch wegen der Eindeutigkeit mancher Quellen. (nicht bei allen Punkten, das ist klar, aber bei vielen und durchaus wichtigen Punkten)

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: dann wird schon deutlich, warum man auf die Parusieverzögerug umschwenkte.
Das würde Dir Ratzi auch bestätigen - natürlich weiss (auch) die (katholische)Theologie seit vielen, vielen Jahrzehnten, dass falsche Erst-Rezeption zu einer Korrektur führen musste. - Das haben die (evangelischen und katholischen) Theologen meiner Generation schon vor 50 Jahren begriffen, weil es so gelehrt wurde. - Dieses Thema ist eigentlich seit einem halben Jahrhundert durch.
Das sieht die Forschung aus verständlichen Gründen anders. Nach deiner Version sind die ältesten Texte die unzuverlässigsten und die jüngsten, incl. aller nachträglichen Fälschungen und Einfügungen die verlässlichsten.
Du wirst sicher Verständnis dafür haben, dass solch eine Vogel-Strauss Politik in der seriösen Forschung nichts zu suchen hat.
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#1408 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » So 17. Apr 2016, 17:00

sven23 hat geschrieben:Natürlich kennen sie die Forschungsergebnisse. Sie wollen oder dürfen sie aber nicht anerkennen, weil das ihr Glaubenskonstrukt ins Wanken bringen würde.
Das sind alberne Verschwörungs-Theorien.

sven23 hat geschrieben: Aber für die meisten anderen "sachlichen HKM-Ergebnisse" gilt das nicht, auch nicht für die Naherwartung.
Unter "sachlich" im engeren Sinne verstehe ich Aussagen wie "Von wann stammt diese Quelle?"/"Was bedeutete das Wort 'logos' in der Zeit der Textverfassung?"/"Wie war die politische Lage der Zeit?"/"Was wissen wir über die Textverfasser?"/etc.. - Damit ist NICHT die Interpretation von Texten gemeint, weil diese auf Grundlage einer methodischen Setzung - hier: "Wir interpretieren säkular, simulieren also den Fall, Jesus sein ein normaler Wanderprediger und sonst nichts gewesen".

Deshalb gilt meine Aussage selbstverständlich auch für den Komplex "Naherwartung".

sven23 hat geschrieben:Welchen Sinn macht es jetzt, den so erschwindelten Messias als Messias vorauszusetzen, um ihn dann anhand der Texte mit kanonischer Exegese als Messias zu "beweisen"?
Deswegen muss die Annahme, dass Jesus "der Messias" war, nicht falsch sein. - Enweder er ist es oder er ist es nicht.

Der eine glaubt es, der andere nicht - und interpretiert dementsprechend.

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#1409 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von closs » So 17. Apr 2016, 17:04

sven23 hat geschrieben:Warum soll gerade dieses Zitat nicht authentisch sein?
Warum sollen die anderen Zitate nicht authentisch sein? - Im übrigen wird "Dein" Zitat schon insofern authentisch sein, dass der Textverfasser es so interpretiert hat - das gilt übrigens auch bei "meinen" Zitaten. - Da steckt überall ein Risiko drin.

sven23 hat geschrieben:Nach deiner Version sind die ältesten Texte die unzuverlässigsten und die jüngsten, incl. aller nachträglichen Fälschungen und Einfügungen die verlässlichsten.
Das muss nicht so sein, kann aber sein. - Entscheidend ist, dass die besonderen Rahmenbedingungen ("Jesus als historische Singularität") keine ansonsten bewährten Analogie-Schlüsse zulassen.

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#1410 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » So 17. Apr 2016, 17:23

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Natürlich kennen sie die Forschungsergebnisse. Sie wollen oder dürfen sie aber nicht anerkennen, weil das ihr Glaubenskonstrukt ins Wanken bringen würde.
Das sind alberne Verschwörungs-Theorien..
Nein, keine Verschwörungstheorien, sondern - aus Sicht der Glaubensdogmatiker - eine verständliche Einstellung. Selbst ein Ratzinger ist ja auch nur ein Mensch. Kann man von einem Menschen am Ende seines Lebens erwarten, dass er sich eingesteht, sein ganzes Leben einer Fata Morgana nachgelaufen zu sein? Ich denke, da erwartet man zuviel.


closs hat geschrieben: Deshalb gilt meine Aussage selbstverständlich auch für den Komplex "Naherwartung".
Nö, für die biblische Jesusfigur wird in Bezug auf die Naherwartung keine Setzung benötigt.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Welchen Sinn macht es jetzt, den so erschwindelten Messias als Messias vorauszusetzen, um ihn dann anhand der Texte mit kanonischer Exegese als Messias zu "beweisen"?
Deswegen muss die Annahme, dass Jesus "der Messias" war, nicht falsch sein. - Enweder er ist es oder er ist es nicht.

Der eine glaubt es, der andere nicht - und interpretiert dementsprechend.
Auf Grund der Forschungsergebnisse ist die Messiasfrage eben mit einem großen Fragezeichen zu versehen. Also von dieser Seite konnte bis jetzt keine Unterstützung für das Glaubenskonstrukt kommen, sehr zur Enttäuschung der Glaubensdogmatiker, weshalb sie ja auf die kanonischen Exegese auswichen.
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