Bereits bei der Aufstellung einer Versionshierarchie bei mehreren Textvarianten als Ausgangslage ergeben sich enorme Unsicherheiten.“sven23“ hat geschrieben:Das ist eben die Kunst, aus den unterschiedlichen Traditionsschichten das herauszufiltern, was (wahrscheinlich) historisch ist.
Man arbeitet hier mit Regeln/Kriterien, die lange nicht so sicher sind, wie man es gerne hätte.
Selbst das Ordnen von Textvariationen nach einer „Entstehungshierarchie“ birgt eine enorme Unsicherheit.
Nimmt man aber den Text und stellt eine Behauptung darüber auf, welche Realitäts-Situation (Stichwort "existente Heldenpersonen") der Schreiber damals als Vorlage hatte, springt man also quasi „vom Text in die damalige Realität“, dann bastelt man ein Konstrukt zusammen. Das mag bei Texten mit unverdächtiger Motivationsgrundlage noch akzeptabel sein, aber wenn der Text selbst bereits eine Märchenform einnimmt („Wunder“, „Andersweltwesen“ usw.), dann macht man sich zu einem Rotnasenkasper wenn man ein lustiges „weil es in diesem Text steht, war es damals so und so“ säuselt.
Vergleicht man die beiden antiken Texte „Bibel“ (Autor: viele und allesamt unbekannt) und „Jüdischer Krieg“ (Autor: vermutlich „Flavius Josephus“), dann hat der „Flavius-Text“ entscheidende Vorteile, denn seine Propagandatendenz geht in Richtung Rom und nicht in Richtung „Wunder“ und „Andersweltwesen“. Der „Flavius“-Text ist der religiösen Übertreibung zumindest in Richtung Juden und Messias-Anhänger eher unverdächtig.
Kommt man nun unweigerlich zu dem Eindruck, dass der „Flavius“-Text viel genauer und lückenloser die damalige Zeit beschreibt, während der Bibel-Text eigenartige Auslassungen bzgl. dieser Details zeigt, dann muss es für den Bibel-Text irgendeine Motivation geben, diese Lücken frei zu lassen. Der „Flavius“-Text bringt eine Leistung, die der Bibel-Text nicht enthält.
Beim Bibel-Text ist das Messias-Thema derart elementar, dass man fragen muss, wieso kommt darin keine Auseinandersetzung mit der flächendeckenden Messias-Bewegung der Zeloten vor? (auch nicht bei den späteren „Kirchenvätern“)
Wieso weiss man nach dem Bibel-Text noch nicht einmal, dass Zeloten Messias-Fanatiker sind?
Die christliche Kirchengeschichte ist eine Geschichte der Nicht-Beachtung des „Flavius“-Textes.
Auf Basis des Qualitätsvergleiches beider Texte kommt man zu dem Schluss, dass die Kirchenbewegung durch die Bank ihr eigenes Süppchen gekocht hat.
Nimmt man nun dieses Süppchen und „schliesst“ damit auf einen historischen Wanderprediger als Ausgangspunkt, dann ignoriert man weiterhin den „Flavius“-Text – man ignoriert den jüdischen Krieg weil der Bibel-Text hierzu eine Lücke enthält.
Interessanterweise erfolgte diese Neubelebung wohl nicht bei den Juden!“sven23“ hat geschrieben:In einem Punkt hast du sicherlich Recht. Nach der Zerstörung Jerusalems erfuhr die Messiasgestalt eine Neubelebung als Hoffnungsträger, Retter, Erlöser und Wiederhersteller einer staatlichen Einheit. Für Juden war aber auch klar: dieser Jesus konnte das nicht gewesen sein.
Nach diesen ganzen Gewaltexzessen haben die Juden das Messias-Konzept wohl sogar eher als gefährlich eingestuft.
Wie sagte eine Jüdin: „Juden reden über den Messias, wenn sie von Christen danach gefragt werden“

Die Zeloten redeten über den Messias, so wie noch nie jemand über dieses Thema geredet hat und wie „danach“ die Jesus-Christen über den Messias reden. Nur bei der Gewalt gibt es einen Wechsel.
Es hat wohl insgesamt drei grosse Aufstände gegeben (bis 135 n.Chr.) bis allen relevanten jüdischen Köpfen klar war, dass das Messiaskonzept irgendwie nicht so ganz funktioniert. "Judas der Galiläer" startete wohl eine ganze Messias-Familien-Dynastie. Die "gläubigen Juden" haben im Aufsatnd also nicht einfach vom Thema abgelassen.“sven23“ hat geschrieben:Aber für einen gläubigen Juden war es doch klar, dass dieser Jesus nicht der Messias gewesen sein konnte. Der schändliche Tod am Kreuz war doch der beste Beweis.
Das geht ja selbst mit der „Paulus“-Legende nicht wirklich, wenn darin Briefe an „noch nie besuchte Gemeinden“ gerichtet sein sollen.“sven23“ hat geschrieben:Erst Paulus hat diese Niederlage in einen Sieg umgedeutet.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die flüchtigen zelotischen Messias-Anhänger im ganzen Mittelmeerraum kleine Grüppchen gebildet haben und sich später so eine Art „Abstimmung im Glauben“ ergeben hat – sie finden sich wieder und tauschen sich aus.
Hier könnten die einzelnen Textideen (vielleicht sogar die eine oder andere Passage) der „Paulus-Briefe“ entstanden sein – ich denke diesen aggressiven zelotischen Missionierungston bzw. Absolutheitsanspruch kann man auch herauslesen.
Die „Paulus-Brief-Sammlung“ (im günstigsten Fall hat wenigstens ein „Paulus“ die Briefe gesammelt oder aufbewahrt) könnte dann auf einen Versuch zurückgehen, diese Abstimmung im grösseren/organisierten Rahmen durchzuführen, denn in den Köpfen der Fanatiker kommt es ja nur durch das flächendeckende Einhalten des „Gesetzes“ bzw. der „Messias-Ausrichtung“ zum erhofften „Reich“.
Bestimmt fällt dir auf, dass ich nicht über die Zeit vor dem Krieg spreche.
Die Zeloten waren die Messias-Anhänger-Bewegung des Judentums.“sven23“ hat geschrieben:Der prinzipielle Unterschied in der Gottesreichvorstellung ist der, dass Christen das Gottesreich in ein Jenseits verlegt haben, während in jüdischer Vorstellung Gott auf der Erde eine Königsherrschaft errichtet.
Sie haben auf die strikte Einhaltung der Regeln geachtet und haben ihre Umgebung diesbezüglich (mit Gewalt) „korrigiert“, was man als „Missionierung“ bezeichnen kann.
Sie haben den „Eifer“ auf eine eigene Sinnebene: die Erlösung durch den Messias gehoben.
Sie haben das Martyrium als Bekenntnis für den Glauben derart praktiziert, dass dies ihre Gegner als „Wahnsinn“ bezeichnet haben.
Sie wurden von den Römern verfolgt, gekreuzigt und in der Arena „spielerisch“ massakriert.
Sie haben (bis auf die Gewalt) alles gemacht, auf das man im „Jesus-Christentum“ so sehr Wert legt.
Die Zeloten waren Messias-Anhänger mit einer unmittelbaren Gottes-Reich-Erwatung, sind gescheitert und die Überlebenden flüchteten und haben sich im Mittelmeerraum verteilt und (dafür muss man kein Prophet sein) sie haben ihre Erwartungen und ihre Gewaltausrichtung ein wenig angepasst, um den Glauben zu retten („ja, so etwas kommt bei Gläubigen schon mal vor“).
In deiner Aussage springst du von Juden zu Jesus-Christen – der Sprung ist aber nicht notwendig, denn es liegt ja der Übergang vor.
Ein „Problem“ ist es erst dann, wenn man die entsprechende Behauptung rund um historische Personen aufstellt.“sven23“ hat geschrieben:Richtig, das Fehlen außerbiblischer Quellen ist das große Problem, sowohl bei Jesus, als auch bei Paulus.
Wie ich gesagt habe handelt es sich hierbei um einen Glaubenssprung – das gehört aber nicht in die Wissenschaft.
Herodes war wohl im Judentum seiner Zeit regelrecht verhast und im Herodes-Clan ist anscheinend eine der Ursachen für das Entstehen der Zelotenbewegung zu finden.“sven23“ hat geschrieben:Und wie wir heute wissen, hat man selbst historischen Personen Handlungen und Aussagen untergeschoben, die nicht historisch sind. (z. B. einen angeblichen Kindermord des Herodes hat es nie gegeben)
Was ist mit der Aktion des Herodes gegen männliche Juden?
Laut „Flavius Josephus“ soll er tatsächlich am Ende seines Lebens eine Ermordungsidee gehabt haben. Der Grund „damit die Juden bei seinem Tod weinen“ klingt natürlich ähnlich wie so manche Glaubensbehauptung aber immerhin deutet es auf erhebliche Spannungen zum Herodes-Clan hin.
„Flavius Josephus“ berichtet natürlich nirgendwo, dass diese Spannungen gegen einen „Jesus“ gerichtet gewesen wären, aber es gab eine das Volk aufregende Handlung und genauso verhält es sich mit der Zelotenbewegung und dem Krieg.
Rund um das Messias-Thema hat sich ganz gehörig viel ereignet – aber es ging hierbei nicht um einen Wanderprediger und nicht um eine Friedensbewegung.
Es ist nicht angebracht über „Jesus“ als historische Person zu sprechen.“sven23“ hat geschrieben:Hälst du Jesus für einen Zeloten?
Die „Jesus“-Legende ist aus meiner Sicht ein erzählerischer Rettungsversuch der (nach dem Untergang Judäas und Umgebung) flüchtigen Messias-Fanatiker.
Das „Christentum“ ist eine Messias-Anhängerschaft und diese Gruppe hat nicht unsichtbar im Hinterland begonnen (keine Flower-Power-Idylle), sondern wie es bei grossflächigen Religionen üblich ist, entwickelte sich die Bewegung auf Gesellschaftsniveau und mit Gesellschaftsproblemen.
Die ganze Region Judäa und Umgebung (immerhin einer der grössten Bereiche im römischen Reich) hatte die Probleme des herrschenden Herodes-Clans und der römischen Ausbeutung (gestartet durch eine gewisse „Volkszählung“). Diese Probleme waren elementar verbunden mit dem Anspruch „das auserwählte Volk“ zu sein. Sie wollten ein eigenes Reich und ihre Religion hat ihnen hierzu den Hinweis auf den Messias geliefert. Die „Problemlösung“ des Messiaskults hat sich flächendeckend verbreitet/verstärkt, weil sie ja sowieso schon irgendwie unterwegs war (nur halt noch nicht derart betont wurde).
Die gewalttätige Messias-Begeisterung scheiterte auf eine allumfassende Art (und zwar weil „Gott ihnen nicht geholfen hat“), so dass die vertriebenen und gejagten Anhänger ihre Illusion nicht ernsthaft aufrecht erhalten konnten.
In der Folge wurde etwas geändert -> die Haltung zur Gewalt.
(wie ich neulich geschrieben habe, ist es auch nach dem zweiten Weltkrieg in Deutschland zu einem Schockverhältnis zur (Kriegs-)Gewalt gekommen – man muss also davon ausgehen, dass es in den Flüchtigen auch irgendwie „Klick“ gemacht hat)
Versetz dich mal in so einen Flüchtigen, der gerade eben noch irgendeinem Anführer mit durchaus vorhandenen Teilerfolgen gegen die Römer nachgelaufen ist, aber das Scheitern und die Hinrichtung (üblicherweise Kreuzigung) dieses Anführers miterlebte und nun vor dem Aus seines gewünschten Religionskonzeptes steht.
Die Messias-Idee war für so jemanden eine „Lösung“, die er nicht einfach so vertreten hat, es ging nicht um eine Meinung, sondern er hat sein Leben danach ausgerichtet (Motto: „striktes Einhalten des Gesetzes -> der Messias kommt“).
Im Grunde muss es sich angefühlt haben, als habe er sein Leben weggeworfen.
Da ist ein Rettungsversuch nach dem Motto „die Gewalt zum Erzwingen von Gottes Unterstützung war falsch, er will den Zeitpunkt festlegen und wir („Sünder“) müssen in Frieden warten“ die kleinste Anpassung.
Es ist sogar gut möglich, dass hierzu die „christliche Gnosis“ zuerst entstanden ist und sich erst später eine Personen-Legende entwickelt hat.
Die „Gnosis“ war für die startende katholische Kirche dann natürlich ein grosses Problem, denn sie war bereits gut verbreitet – die „Kirchenväter“ haben einiges an Geschreibsel aufgestellt, um dies auszugrenzen.
Die „Marcion“-Bewegung, die wohl so ein wenig Gnosisähnlich aufgestellt war, hatte anscheinend auch bereits eine gute Verbreitung, als sich die „Kirchenväter“ kritisch entgegengestellt haben.
Für diese Datierung verwendest du die Texte aber wieder als Geschichtsbuch und das sollen sie ja nicht sein. Du lässt es zu, dass sich das Märchen selbst als Teil der Geschichte einordnet.“sven23“ hat geschrieben:Die (echten) Paulusbriefe sind vor der Zerstörung Jerusalems entstanden.
Paulus setzt der Startpunkt für die literarische Umsetzung der Jesussaga.
Wie funktioniert diese Datierung?
=> es steht halt mal etwas im Text drin und mal steht etwas nicht drin, also wird einfach der Zeitpunkt gesucht, an dem dies irgendwie "möglich" zu sein scheint.
=> dass der Text in nicht so ganz zusammenpassende Abschnitte unterteilt ist, soll einen dabei halt nicht so dolle stören.
Wenn ich es richtig verstanden habe, dann stammt die früheste Erwähnung, dass überhaupt irgendwie „Paulus-Briefe“ vorliegen sollen, von den Kritikern „Marcions“ (Kritik, die sehr spät, z.T. sogar erst nach seinem Leben, entstanden ist), die seine Veröffentlichung der „Paulus-Briefe“ erwähnen.
Die Behauptung, dass ein historischer „Paulus“ auch der Autor ist, kann man wissenschaftlich nicht aufstellen - unsere „Forscher“ versuchen dies natürlich, haben aber keinerlei Fundament, ausser dass sie die Bibel als Geschichtsbuch einsetzen.