Helmuth hat geschrieben: ↑Di 6. Apr 2021, 17:39
Naqual hat geschrieben: ↑Di 6. Apr 2021, 16:00
Es stimmt, Gnade bedeutet Straferlass. Aber Gerechtigkeit fordert eine zur Tat angemessene Strafe. Also ist Gnade Verzicht auf Gerechtigkeit.
Machen wir einen Kompromiss und sagen: Verzicht auf die gerechte Strafe. Denn man würde sonst den Schluss ziehen, dass es ungerecht wäre, jemand zu begnadigen und nur die Bestrafung gerecht wäre. Die Gnade hebelt die Gerechtigkeit nicht aus.
Auch wenn ich nicht gerne in dem Ruf stehe, ein kompromissloser Kerl zu sein: Hier geht's einfach nicht. Worte/Begriffe müssen klar bestimmt sein. Da kann man nicht mit Kompromissen aufweichen. Sonst hast Du tatsächlich auf einmal einen Sachverhalt wie "ein bißchen schwanger". Das mag ein netter Kompromiss sein, nur danach weiß man nicht mehr was schwanger eigentlich ist.
Inhaltlich löst Dein Vorschlag "Gnade ist Verzicht auf gerechte Strafe" Dein Problem nicht. Denn auch hier könnte man einwenden, dann ist Gnade ungerecht.
Das Gnade Gerechtigkeit nicht aushebelt, wie Du schreibst, trifft nicht zu. Natürlich hebelt Gnade Gerechtigkeit aus. Ich würde deswegen jetzt nicht hergehen und die Formulierung verwenden "das ist ungerecht", weil dieser Ausdruck anders und vor allem verurteilend und nicht neutral bewertet ist.
Methodisch gehst Du so vor, dass Du ein bestimmtes Resultat (Gnade darf nicht ungerecht sein) erreichen willst. Und dann muss man anfangen zu biegen. Man beginnt nicht mit dem Resultat zu forschen und zu erkunden, genausowenig wie man ein Hausbau am Dach beginnt.
Ich halte den Sachverhalt "Gnade ist Verzicht auf Gerechtigkeit" sogar wichtig. Wenn Du einem anderen vergibst (das ist Gnade, die Du gewährst), dann mag dem entgegenstehen, dass der andere etwas getan hat, wofür er nun wirklich nach allen Gesichtspunkten von Gerechtigkeit eine Strafe verdient hätte. Und an dieser Stelle kommt ja dann der Punkt, wo es schwer fällt zu vergeben. Man muss auf die Gerechtigkeit verzichten. Eigentlich hätte der andere klar Strafe verdient und man sieht für sich selbst sogar so eine Art Recht, dass der andere zum Ausgleich eine Strafe erhält. All dies wirkt in einem der Vergebung (gegenüber anderen) entgegen. Und das ist zu überwinden. Und Jesus fordert wenn ich richtig erinnere, dass man nicht nur einmal sondern 7 x 70x vergibt.
Dem steht nun gegenüber - beim Sühneopfer - ein Gottvater, der damit er überhaupt vergeben kann Vergeltung braucht. Womit es aber vom Wortbegriff "Vergebung" her genau dies nicht mehr ist. Wenn der andere oder ein anderer bezahlt ist es keine Vergebung. Vergebung ist ja der Verzicht auf Vergeltung.
Deswegen ist für mich die Aussage "Jesus hat für Dich gesühnt und Gott vergibt Dir nun dafür" Blödsinn. Eben weil es dann keine Vergebung ist.
Das wäre so, als wenn Du beim zu schnellen Fahren geblitzt wirst und der Staat sagt: ich erlasse Dir die Strafe in Höhe von 100 €, wenn Du mir eine Spende gibst über 100 €, die Du auch von jemand anders bezahlen lassen kannst. Das ist kein Erlass von Strafe, keine Vergebung.
Das zeigt anderseits auch den Überlebenswillen, daher ist es mir schleierhaft warum man dieses Gnadengeschenk nicht annehmen möchte. Kann jemand erklären, warum einer lieber mit seinem Leben bezahlen möchte? Das kapier ich nicht.
SamuelB hat Dir schon eine recht treffende Antwort gegeben. Für mich kommt dazu, dass ich nicht etwas annehmen kann, an das ich nicht glaube.
Im Verhältnis zu Gott hat für mich eine ganz andere Perspektive Vorrang, nicht die Sündenschuldfreiheit, sondern die Liebe Gottes, die durch einen wirken soll. Denn wenn mir alle Sünden auch vergeben wäre, so hätte ich deswegen noch lange keine Liebe in mir und wäre insofern eine "leere Seele". Dafür muss ich aber ein Grundverständnis davon haben was Liebe ist um Gott ein wenig zu verstehen. Und ein Gott der Blutrache benötigt um überhaupt vergeben zu können, passt nicht in ein Raster, das dem Verständnis der Liebe dient oder es auch nur in irgendeiner Weise zu fördern fähig wäre.
Oder hängt es damit zusammen wie verdreht und korrupt uns Sünde macht?
Das müsste ich auf die Vertreter des Sühneopfers (der sog. "Satisfaktionstheorie") zurückspielen. M.E. ist die Sühneopfer-Vorstellung das Ergebnis korrumpiert-sündigen Denkens und Fühlens. Ist auch logisch: Der Grund für das Sündigen ist allermeist der Egoismus des einzelnen der auf Kosten anderer leben möchte. Und nun lässt man einen anderen zahlen, damit man selbst nicht zahlen muss und macht dies zum Maßstab der Entschuldung. Genaugenommen ist dies aber eine moralische Privatinsolvenz.