Savonlinna hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Der von mir verlinkte Aufsatz "Von der Tiefe" ist nicht schwer.
Das ist relativ, liebe Savonlinna.
Ich meinte: er ist nicht schwer vom Satzbau und der Terminologie her. Da ist keine Fachterminologie bei - keine fachphilosophische.
Damit hast Du natürlich recht, doch können auch Texte, die keine Fachterminologie enthalten, schwer verständlich sein und zwar dann, wenn Worte wie "Tiefe" eine teifere Bedeutung erhalten.
Dies kenne ich von Bibeltexten, die auch keine fachphilosophischen Ausdrücke enthalten und dennoch sehr schwer verständlich sein können.
Savonlinna hat geschrieben:Wie bist Du auf Psalm 139 gekommen? Denn Tillich zitiert Psalm 130,1.
Aber vielleicht hast Du einen Grund.
Nun, ich habe in Tillichs Buch bis auf Setie 40 zurückgecrollt. Da nimmt er auf Psalm 139 bezug. Mag sein, dass ich auch darauf kam, weil mir dieser Psalm von einem Bibelgespräch vertraut ist. Hängt denn das Kapitel
"Flucht vor Gott" nicht mit dem folgenden Aufsatz
"Von der Tiefe" zusammen?
Okay, ich habe mir das Kapitel
"Von der Tiefe" noch mal durchlesen. Bemerkenswert finde ich die Aussage, dass ein Arbeiter, welcher die Frage nach dem Sinn seiner Arbeit und seines Lebens stellt, dieser Tiefe näher kommt als ein Gebildeter, der alle Weishet kennt und doch an der Oberfläche bleibt, weil er - so meine Interpretation - nicht die "Tiefe des Lebens" ergründet hat. Selbst der
Tiefenpsychologie spricht Tillich ab, dies zu vermögen (man sollte also nicht denken, "Gott" wäre für ihn lediglich ein tiefenpsychologisches Phänomen).
Die Seiten 56 - 57 werden leider nicht angezeigt. Vermutlich könnte ich seine Gedanken besser verstehen, wenn ich sie lesen könnte. Ich behalte das Buch mal im "Hinterkopf", vielleicht entschließe ich mich, es zu erwerben - es scheint eine lohnende Literatur zu sein.
Nun, beim nochmahligen Lesen, beginne ich zu begreifen, wovon Tillich eigentlich spricht. Da denke ich an einen Satz, den ich für eine Kernaussage halte, den Du schon zitiert hattest und in dem er auf die "Tiefe" (vgl. Ps. 130:1) bezug nimmt:
Und wenn das Wort für euch nicht viel Bedeutung besitzt, so übersetzt es und sprecht von der Tiefe in eurem Leben, vom Ursprung eures Seins, von dem, was euch unbedingt angeht, von dem, was ihr ohne irgendeinen Vorbehalt ernst nehmt.
Zitatquelle
Darüber werde ich mal reflektieren.
Savonlinna hat geschrieben:Ich bin der Meinung, dass Tillich nicht primär Bibeltexte auslegt, sondern zu verstehen sucht, was "Gott" in einer Zeit bedeuten kann, wo es höhnische Folterer gab, die jegliches positive Menschenbild, das es vorher gab, in seine Atome zerlegten.
Ich habe mir oft überlegt, wie ich reagieren würde, wenn ich diesen Folterern, die mit Lust und Grinsen andere foltern, bei ihrem "Job" begegnet wäre.
Meine Antwort war: entweder ich verdränge - versuche die Erinnerung aus meinem Leben zu jagen - oder ich verliere den Verstand, was auch eine Verdrängung wäre.
Die "Tiefe", von der Tillich spricht, ist dieser Zustand, der eintritt, wenn man zum Beispiel zig dieser Folterer begegnet ist und jegliches Urvertrauen in den Menschen in besagte Atome zerlegt worden ist.
Dann ist nämlich nichts mehr da, an das man sich klammern kann.
Derartig tiefgreifende Erfahrungen musste ich zum Glück nicht machen. Das Schlimmste, was ich erleben musste, war der Tod von sehr nahen Angehörigen. Diese Erfahrungen hinterließen Spuren in meiner Seele. Da kann man durchaus vom "Erdbeben" sprechen, welches imstande ist den Glauben zu zuerschüttern und - sofern er nicht "erdbebensicher gebaut" ist - zum Einsturz zu bringen.
Mein Glaube wuchst zunächst gestärkt aus dieser Erfahrung, wurde dann aber doch nachhaltig erschüttert und zerfiel zu einer Ruine. Seitdem restauriere ich diese, wie ein verliebter Archäologe, der sich an dem Einzigen klammmert, was er hat.
Als ich den Film
Schindlers Liste sah, dachte ich mir:
'Dies würde ich nicht einen Tag aushalten'. Ich sah mich als potentielles Opfer, denn mit meiner Überzeugung müsste ich mich eigentlich zu den Juden, zu Maximilian M. Kolbe, Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller und Pfarrer Willhelm Busch gesellen, nur fehlt mir der Mut dazu (ähnlich wie den Jüngern, als Jesus abgeführt, verurteilt und gekreuzigt wurde).
Ironischerweise wurde ich beim Heimweg vom Kino von jungen Nachbarn wegen meiner religiösen Orientierung auf gehässe Art und Weise verhöhnt. (Ich wundere mich, dass sie davon überhaupt wussten und sich dafür - wenn auch in infantiler Form - interessierten.)
Savonlinna hat geschrieben:Halman hat geschrieben:Ist es etwas Tiefenpsychologisches, eine bloße Imagination, die anthropologisch erklärbar ist, oder verweist diese Tiefe auf ein Sein, welches über den Menschen hinaus geht, auf einen realen Gott, der völlig unabhängig vom Menschen besteht und der Grund aller Dinge ist?
Er spricht nicht von Imaginationen. Er spricht von einem (seelischen) Leid, das unerträglich ist. Dem man sich aber stellen kann, indem man zugibt:
Ich habe mir ein falsches Menschenbild und ein falsches Weltbild gemacht. Es hat nicht gehalten, es war nicht die Wahrheit.
Was mich zu der Pilatus-Frage führt: Was ist Wahrheit?