closs hat geschrieben:Gab es eigentlich Deines Wissens nach schon einmal so etwas wie einen "ontischen Atheismus"? - Also eine Philosophie, bei der man unter Vermeidung von konket-religiösen Glaubensbildern grundlegend denkt?
Das würde schwierig werden. Das Ontische zu bejahen, bedeutet auch das Metaphysische in Betracht zu ziehen. Belässt man die Begriffe in den Definitionen, für die sie geschaffen, dann kann das Transzendente nicht verleugnet werden. Aber man kann ja immer noch an den Begriffsdefinitionen schrauben ...
Die Begrenzung unserer Vernunft oder unserer Erkenntniskräfte auf die Welt der sinnenhaften Wahrnehmung, auf die Welt der Erscheinungen, ist nicht das Ergebnis der Erfahrung oder der Einsicht, sondern einer Option, die zudem noch im Gegensatz zu unserem Verhalten im alltäglichen Leben steht. Bedingt (und auch verständlich) ist diese Entscheidung gegen die ontische Tragfähigkeit unseres Geistes durch die Faszination,die von den exakten Naturwissenschaften ausgeht, die ihrerseits von daher die Tendenz entwickelt haben, sich zu verabsolutieren. Vorphilosophisch und unreflektiert verhalten wir uns jedenfalls so, als ob wir die Wirklichkeit erfassen würden, wie sie ist.
Univ.-Prof. Dr. theol. habil. Joseph Schumacher Prof. für Fundamentaltheologie Freiburg, Br.
Vielleicht ist Thomas Nagel ein geeigneter Kandidat für einen weiterreichenden, "ontischen" Atheismus. Er sieht Erkenntnisschranken der Naturwissenschaft (in seinem 1974er Aufsatz: "Wie ist es eine Fledermaus zu sein?") und vertritt eine "Philosophie des Geistes".
Thomas Nagel kritisiert den Reduktionismus und Darwinismus, bekennt sich aber gleichzeitig zum Atheismus. Sein zentrales Argument gegen den Gottesgedanken ist seine Auffassung von der Intelligibilität (wiki: Als intelligibel werden Gegenstände bezeichnet, die nur über den Verstand oder Intellekt erfasst werden können, da sie der Sinneswahrnehmung nicht zugänglich sind) der Welt, das auch in seiner Kritik am Darwinismus eine große Rolle spielt.
Ihm geht es darum, Kriterien für ein Evolutionskonzept zu entwickeln, das die Entstehung von Geist und Vernunft erwartbar macht, indem er "protomentale" Elemente in der Materie ansetzt. Das mögen allerdings "panpsychistische Spekulationen" sein.
„Mir scheint, dass man die wissenschaftliche Weltsicht nicht wirklich verstehen kann, wenn man nicht annimmt, dass die Intelligibilität der Welt, wie sie mit den von der Wissenschaft aufgedeckten Gesetzen beschrieben wird, selbst ein Bestandteil der tiefschürfendsten Erklärung ist, warum die Dinge so sind, wie sie sind“ (Nagel 2013 "Geist und Kosmos")
Nagel ist Atheist, aber verknüpft Geist und Materie von Anfang an. Ein Gott absorbiert für ihn die Intelligibilität des Menschen, womit Gott nicht außerhalb des Menschen und der Naturgesetze handeln kann. Damit wird er "irrelevant". Nagel philosophiert Gott quasi vollständig in den Menschen und hebt Gott damit auf. Der Mensch ist fähig und aufgefordert zur Selbsttranszendierung, kann aber seine subjektive Perspektive nie ablegen.
Servus
