Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Philosophisches zum Nachdenken
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Demian
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#11 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Demian » Fr 28. Mär 2014, 05:33

Pluto hat geschrieben: Bei Gott ist es so wie es im Vater Unser steht: Dein Wille geschehe... Dann stelle ich meinen Willen unter dne Willen Gottes.

Ist das ein Problem, wenn das individuelle Selbst mit dem höheren Selbst eins ist und man ein absolutes Einssein mit allen Wesen und Dingen erfährt? Das ist meines Erachtens die größtmögliche Freiheit.

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Demian
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#12 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Demian » Fr 28. Mär 2014, 05:45

michaelit hat geschrieben:Dieser Gedanke von Sartre hat mich oft beschäftigt: Die Existenz geht der Essenz voraus.

Im Prinzip sagt Sartre hier nur, dass es zwar eine Essenz oder ein Wesen des Menschen gibt, aber die Wesensbestimmung erst aufgrund einer unmittelbaren Existenzerfahrung möglich wird. Ich kann zwar theologisch ein "göttliches" Wesen des Menschen postulieren, aber das bringt nur demjenigen etwas, der es auch schon erfahren hat. Sartre sagt also, dass sich eine Sinnbestimmung aus der lebendigen Existenzerfahrung speisen muss und nicht auf irgendwelchen intellektuellen Vorannahmen beruhen kann. Das entspricht sehr genau dem Erkenntnisweg des Buddha. "Was bedeutet hier, dass die Existenz der Essenz vorausgeht? Es bedeutet, dass der Mensch zuerst existiert, sich begegnet, in der Welt auftaucht und sich danach definiert." (Jean-Paul Sartre: Ist der Existentialismus ein Humanismus? Drei Essays, Ullstein, Frankfurt 1989, S. 11)

closs
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#13 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von closs » Fr 28. Mär 2014, 07:50

Demian hat geschrieben:Ist das ein Problem, wenn das individuelle Selbst mit dem höheren Selbst eins ist und man ein absolutes Einssein mit allen Wesen und Dingen erfährt? Das ist meines Erachtens die größtmögliche Freiheit.
Das ist das große Missverständnis, das die transzendenz-gläubige und die neo-aufgeklärte Welt trennt.

Der eine sieht die Freiheit in der Aufhebung des Ichs in Gott - der andere versteht unter Freiheit die Stärkung des Anthropozentrischen. - Beide Ansätze sind in sich schlüssig, aber halt weltanschaulich komplett unterschiedlich. - Streng genommen kann der Anhänger der Neo-Aufklärung überhaupt nicht Christ sein (es sei denn, er trennt - ohne es zu wissen - seine Überzeugung von seinem Wesen).

Das, was man vulgär "esoterisch" nennt, sind dagegen üblicherweise Spielwiesen INNERHALB der Anthropozentrik - also NICHT "Wie lasse ich mich aufheben?", sondern "Welchen Selbst-Verwirklichungs-Varianten INNERHALB meiner neo-aufgeklärten Anthropozentrik wende ich mich zu".

Demian hat geschrieben:Im Prinzip sagt Sartre hier nur, dass es zwar eine Essenz oder ein Wesen des Menschen gibt, aber die Wesensbestimmung erst aufgrund einer unmittelbaren Existenzerfahrung möglich wird.
Vielleicht meint er das AUCH. - Aber rezipiert wird er ganz anders.

Was bei Sartre bleibt, ist das "Erfinde Dich selbst" (da es Gott nicht gibt, also eine Wesensbestimmung gar nicht vorgesehen ist).

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Demian
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#14 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Demian » Fr 28. Mär 2014, 09:42

closs hat geschrieben:Der eine sieht die Freiheit in der Aufhebung des Ichs in Gott - der andere versteht unter Freiheit die Stärkung des Anthropozentrischen. - Beide Ansätze sind in sich schlüssig, aber halt weltanschaulich komplett unterschiedlich. - Streng genommen kann der Anhänger der Neo-Aufklärung überhaupt nicht Christ sein (es sei denn, er trennt - ohne es zu wissen - seine Überzeugung von seinem Wesen).

Ja, das ist wohl der Denkfehler. Ohne das spirituelle Bewusstsein – der Verbundenheit von Mensch, Kosmos und dem Urgrund allen Seins – und dem Einssein darin, ist die Stärkung des Anthropozentrischen nur eine Verschönigung des Festsitzens im eigenen Egotunnel. Der Mensch wird gestärkt, wenn er sich seiner höheren Verbundenheit bewusst wird. Wir sehen schließlich tagtäglich wohin die auf das Ego verengte Perspektive führt.

Das, was man vulgär "esoterisch" nennt, sind dagegen üblicherweise Spielwiesen INNERHALB der Anthropozentrik - also NICHT "Wie lasse ich mich aufheben?", sondern "Welchen Selbst-Verwirklichungs-Varianten INNERHALB meiner neo-aufgeklärten Anthropozentrik wende ich mich zu".

Esoterik ist rein philosophisch gesehen die vergleichende Studie der tieferen Innerlichkeit ( gr. Esos ) des Menschen, wie sie sich in ihren symbolischen Bedeutungzusammenhängen darstellt, gegenüber den äußeren Elementen und Begebenheiten – den exoterischen Aspekten des menschlichen Lebens. Heute wissen natürlich viele Menschen gar nicht mehr, was das bedeutet, maßen sich aber an selbst Esoteriker zu sein oder halten ein bisschen stumpfe Polemik für einen angemessenen Umgang. Ganz anders der Umgang von Rene Guenon, der eine vergleichende Studie der universalen Symbolik angefertigt hat. Solche wissenschaftlichen Arbeiten werden aber kaum wahrgenommen. Warum? Irgendwie haben die Menschen heutzutage große Angst die INNERLICHKEIT (!) wahrzunehmen, vorallem wenn das aus einer wissenschaftlichen Perspektive geschieht. Dann genügt der Begriff "Esoterik", um sich gar nicht mehr damit zu beschäftigen. Offenbar ist jede Äußerlichkeit mehr oder weniger rechtens, während man jeder kleinsten inneren Erfahrung absolut kritisch gegenübersteht. Nicht umsonst hört man heute im alltäglichen Sprachgebrauch kaum noch das Wort "Muße". Das sagt doch alles, nicht wahr? ;)

closs hat geschrieben:Vielleicht meint er das AUCH. - Aber rezipiert wird er ganz anders. Was bei Sartre bleibt, ist das "Erfinde Dich selbst" (da es Gott nicht gibt, also eine Wesensbestimmung gar nicht vorgesehen ist).

So kann man Sartre verstehen, aber ich würde ihm generell mehr philosophische Tiefe zusprechen. Man muss halt sehen, auf welcher Hintergrundfolie er seine Philosophie entwickelte. Das ist der Verlust des christlichen Glaubens, der seit Jahrhunderten das europäische Geistesleben prägte, Nietzsches Verkündigung vom „Tod Gottes“ und die Erkenntnis einer fundamentalen Krise, deren Ende auch heute noch lange nicht abzusehen ist.

Der Philosoph erfindet nicht nur beliebig irgendeine eigene Philosophie, sondern er spiegelt die Probleme und Möglichkeiten der Zeit. So ist der Existenzialismus bis heute eine Denkaufgabe an die Religion, die oft gar nicht mehr imstande ist echte Lösungen anzubieten, eben weil die existenzielle Quelle gar nicht mehr mit den Begriffen begriffen wird. Die Aufgabe besteht nun (meiner bescheidenen Meinung nach) darin von den theologischen Begriffen wieder zum spirituellen Ergriffensein zu kommen. Die Innerlichkeit/das Bewusstsein müsste also thematisiert werden.

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#15 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Scrypton » Fr 28. Mär 2014, 10:17

Spirituelles Gedankengut kommt nicht deshalb wieder zurück, nur weil man sich an diese Hirngespinste klammert.

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#16 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Demian » Fr 28. Mär 2014, 10:20

Darkside hat geschrieben:Spirituelles Gedankengut kommt nicht deshalb wieder zurück, nur weil man sich an diese Hirngespinste klammert.

Spirituelles Bewusstsein betrachtet das Wesen der Dinge. Mit deinen Beiträgen zeigst du einfach, dass du keine Ahnung von "spirituellem Gedankengut" hast, aber eben eine eigene Vorstellung davon, die du aber rein polemisch und zur Abgrenzung gebrauchst. Das ist dann schon die ganze Tiefe deiner Auseinandersetzung damit. Die eigentlichen Hirngespinste entstammen allesamt dem Egozentrismus, der die eigenen Vorstellungen für die Wirklichkeit hält. Das sieht man grenzübergreifend bei religiösen oder nichtreligiösen Menschen. Sie alle sehen die "Maya". Ich denke da an den Film Matrix ;)

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#17 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Scrypton » Fr 28. Mär 2014, 10:29

Demian hat geschrieben:
Darkside hat geschrieben:Spirituelles Gedankengut kommt nicht deshalb wieder zurück, nur weil man sich an diese Hirngespinste klammert.
Spirituelles Bewusstsein betrachtet das Wesen der Dinge.
Das wird behauptet, ja.
Definiere "spirituelles Bewusstsein" :)

Demian hat geschrieben:Die eigentlichen Hirngespinste entstammen allesamt...
Den Träumereien und Fantasien von jenen, die an derartiges glauben.

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#18 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Lena » Fr 28. Mär 2014, 10:33

Pluto hat geschrieben:Da ist aber ein Unterschied, nicht wahr?
Bei Gott ist es so wie es im Vater Unser steht: Dein Wille geschehe... Dann stelle ich meinen Willen unter dne Willen Gottes.
Einen Menschen kann ich lieben, ohne mich seinem Willen zu unterwerfen oder meine Freiheit (Persönlichkeit) aufzugeben.

Gott will ja, dass wir lieben: Ihn, uns selbst, den Freund, den Nächsten, den Feind - alle Menschen. Das ist Sein Wille. Unterstelle ich mich dieser Forderung Gottes und fange damit an, stosse ich an meine Grenzen. Na ja, den geliebten Partner zu lieben ist ja noch leicht, so lange die Verliebtheit anhält. Und den Nächsten der mir freundlich begegnet. Und dann fangen die Liebesprobleme an.......

Gott Ist die Liebe. Um zu lieben brauche ich die Liebe :Herz: .
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
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#19 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Demian » Fr 28. Mär 2014, 10:42

Darkside hat geschrieben:Das wird behauptet, ja. Definiere "spirituelles Bewusstsein" :)

Spirituelles Bewusstsein ist für mich - ganz vereinfacht gesagt - gleichbedeutend mit Selbsterkenntnis. Gefühle und Gedanken kommen und vergehen, aber es gibt etwas, das gleich bleibt. Es gibt diese vergängliche Welt, in der alles fließt, wie Heraklit richtig sagte. Aber es gibt auch eine Quelle die zeitlos und ewig ist. Einen Urgrund, den man erfahren kann. Mein Wesen ist nicht getrennt von der Wirklichkeit, sondern eins mit ihr. Das individuelle Selbst ist eins mit dem absoluten Selbst. Entsprechend geht es in allen spirituellen Traditionen, um die eine Frage: wer bin ich, woher komme ich und wohin gehe ich?

Demian hat geschrieben:Den Träumereien und Fantasien von jenen, die an derartiges glauben.

Bringen deine Worte mehr Liebe in die Welt? Dein ständiges Abgrenzen sagt alles. :thumbup: Ich gehe nicht von einem Glauben, sondern von meinen eigenen Erfahrungen aus. Von etwas Anderem kann ich gar nicht ausgehen.

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#20 Re: Existentialismus - Existenz geht vor Essenz

Beitrag von Scrypton » Fr 28. Mär 2014, 10:49

Demian hat geschrieben:Spirituelles Bewusstsein ist für mich - ganz vereinfacht gesagt - gleichbedeutend mit Selbsterkenntnis. Gefühle und Gedanken kommen und vergehen, aber es gibt etwas, das gleich bleibt. Es gibt diese vergängliche Welt, in der alles fließt, wie Heraklit richtig sagte. Aber es gibt auch eine Quelle die zeitlos und ewig ist.
Das eben ist nur eine Glaubensbehauptung und hat mit "Erkenntnis" kaum bis nichts mehr zu tun.
Welche Belege kannst du für diese Behauptung anführen?

Demian hat geschrieben:Einen Urgrund, den man erfahren kann.
Welchen Urgrund?

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