Naqual hat geschrieben: ↑Fr 23. Apr 2021, 16:33
Das tiefenpschologische Strukturmodell vom alten Tiefenpsychologen Freud hast Du allerdings Deinen Zwecken angepasst.
Ja, irgendwie schon, könnte man sagen. Ich denke, er hat etwas sehr wichtiges beobachtet und entsprechend seinem Denken und Anschauungen sortiert und interpretiert. Daher kommt bei ihm etwas anderes heraus. Aber im Grunde nehme ich stark an, dass er genau das beobachtet hat, wovon ich rede.
Auf Wikipedia habe ich gerade nochmal meine Erinnerung aufgefrischt. Zum Über-Ich steht da:
„Das Über-Ich ist für uns die Vertretung aller moralischen Beschränkungen, der Anwalt des Strebens nach Vervollkommnung, kurz das, was uns von dem sogenannt Höheren im Menschenleben psychologisch greifbar geworden ist.“
– Sigmund Freud:
Neue Folge der Vorlesungen.[f 3]
Du meinst, das wäre nicht positiv, aber für mich liest sich das schon so. Wer ist "der Anwalt des Strebens nach Vervollkommnung" ? Ist das nicht Jesus selbst in uns? Was ist denn das "sogenannte Höhere", wenn nicht unser höheres Selbst? Und was predigt Jesus? Halte die Gebote! Und er ist streng. Lüge nicht, töte nicht, breche nicht die Ehe, stehle nicht, beneide nichts. Das sind alles Dinge, die das "Es" eigentlich ganz gut findet. Nicht generell aber teils, bei manchen Menschen. Im Über-Ich findet sich sowas nicht.
„Es ist der dunkle, unzugängliche Teil unserer Persönlichkeit; das wenige, was wir von ihm wissen, haben wir durch das Studium der Traumarbeit und der neurotischen Symptombildung erfahren und das meiste davon hat negativen Charakter, läßt sich nur als Gegensatz zum Ich beschreiben. Wir nähern uns dem Es mit Vergleichen, nennen es ein Chaos, einen Kessel voll brodelnder Erregungen.“
– Sigmund Freud:
Neue Folge der Vorlesungen.[f 1]
Und wenn ich diese Beschreibung lese, finde ich es interessant, wie gut das auf den Widersacher Gottes passt. Es ist im Grunde das Böse selbst.
Naqual hat geschrieben: ↑Fr 23. Apr 2021, 16:33
Das "Es" ist ausreichend beschäftigt mit Sachen wie Sex, Essen und Affekten (Gefühlen).
Das Böse liebt Sex über alles. Es liebt das Essen, die Gaumenfreuden, die Schlemmerei. Es liebt große Gefühle, es liebt das Drama, den Streit, die Eskalation, den Krieg, die Gewalt, das Chaos, die Lüge, den Stolz. Es gibt sich der Aggression hin und der Gier. Es klammert und verhaftet sich. Es neidet und missgönnt. Das sind alles Dinge, die Freud dem Es zuschreibt.
Naqual hat geschrieben: ↑Fr 23. Apr 2021, 16:33
Das Über-Ich (im Gegensatz zum Es) wird im Leben erst gebildet. Es sind dies die gesammelten Werke der moralischen Vorstellungen unserer Eltern und des Umfelds so wie der Gesellschaft in der wir leben. Also dass Über-Ich ist quasi die entscheidende, unterbewusste Stelle des Sozialisationsprozesses (Anpassung an die Gesellschaft) nicht der Personalisation (Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit). Und da haben wir dann auch schon eine Interessenkollission beschrieben. Das Über-Ich ist dabei hochgradig manipulativ, weil es sogar dafür sorgen kann, dass Du auf bestimmte z.B. entgegenstehende Gedanken und Gefühle bewusst gar nicht erst kommen kannst (was dann z.B. das "Es" erbost).
Da denke ich, dass Freud etwas fehlinterpretiert hat. Das, was sich da für ihn herausgebildet hat, das war nicht das Über-Ich sondern es war die Herausbildung des Ichs unter dem Einfluss des Über-Ichs - aber natürlich auch dem Einfluss des Es. Das Über-Ich war schon von Geburt an da - genauso wie das Es. Natürlich gibt es all die Einflüsse im Leben, wie die Erziehung, die Gesellschaft, Bildung, Medien, genetische Veranlagung und so weiter. Es und Über-Ich versuchen, ihren Einfluss stets im Rahmen und Kontext dessen geltend zu machen.
Naqual hat geschrieben: ↑Fr 23. Apr 2021, 16:33
Das meiste davon ist wie beim "Über-Ich" unterbewusst.
Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Normalerweise ist das Wirken dieser Kräfte meistens unbewußt. Ganz einfach weil wir sehr unbewusst sind, weil wir ein sehr unbewusstes Leben führen. Je unbewusster wir sind, desto größer ist natürlich der Einfluss dieser Kräfte. Aber es gibt noch einen sehr bedeutenden Unterschied zwischen dem Es und dem Über-Ich. Das Es ist sehr aufdringlich. Das Über-Ich hingegen richtet sich grundsäzlich nach dem Willen des Ichs.
Das Ganze ist deshalb verwirrend, weil sowohl das Es als auch das Über-Ich komplex sind, unendlich vielschichtig und wandelbar sind. Bei jedem Menschen kommen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Anteile, Aspekte dieser Kräfte zum wirken. Es ist auch nicht immer so eindeutig und klar voneinander abzugrenzen. Das Es kann sehr freundlich sein und auch sehr hilfreich, während das Über-Ich auch mal Steine in den Weg legt, wenn es sinnvoll ist.
Naqual hat geschrieben: ↑Fr 23. Apr 2021, 16:33
Das Über-Ich ist dabei hochgradig manipulativ, weil es sogar dafür sorgen kann, dass Du auf bestimmte z.B. entgegenstehende Gedanken und Gefühle bewusst gar nicht erst kommen kannst (was dann z.B. das "Es" erbost).
Beide Instanzen können sehr manipulativ sein. Und sie stehen nicht selten im Widerspruch. Sie kämpfen dann sozusagen um den Menschen. Ihr Wirken ist verborgen und das, was wir manipulativ nennen sind einfach nur ihre Mittel und Wege, aus dieser Verborgenheit heraus Einfluss auf uns nehmen zu können. Manipulation kann aber sehr unterschiedlicher Art sein. Kann sehr hinterhältig, boshaft und clever sein, sehr tiefgreifend und undurchschaubar. Aber auch ganz freundlich, respektvoll, liebevoll, die Persönlichkeit und den Willen des Menschen achtend und beachtend. Ein Lehrer kann seinen Schüler mit interessanten Tricks eine Menge beibringen. Ein Unternehmer kann seine Mitarbeiter mit Cleverness ausnutzen und sich daran bereichern - und dabei vielleicht sogar noch sauber dastehen und geliebt werden.
Naqual hat geschrieben: ↑Fr 23. Apr 2021, 16:33
Du meinst mit dem Über-Ich aus meiner Sicht etwas anderes. Das "Spirituelle Selbst", das man dem "Normal-"Selbst überordnen könnte (im Englischen war ich mal mit dem Begriffspaar "mind" und "spiritual mind" konfrontiert). Wissen kann mans nicht, ich persönlich gehe schon davon aus, dass es so eine Instanz geben könnte in einem. Ich bin mal eine Zeitlang dem Gedanken nachgegangen, dass das im Volksmund als "Schutzengel" gesehen wird, in Wirklichkeit eine Funktion dieses spirituellen Selbst ist. (Dahinter stand natürlich ein persönliches Erlebnis, das ich zu erklären suchte.) Da sind dann auch die "Übergänge" zu dem, was man "Christus in einem" nennen könnte (Je nach Vorstellungssystem in dem jemand lebt, kann es dann auch "eins" sein, also Christusbewusstsein und spirituelles Selbst.).
Ja, das ist es, was ich meine. Aber ich meine auch, dass es das ist, was Freud in Wirklichkeit beobachtet, aber anders interpretiert hat. In meinem eigenen "Modell" enthält das Unterbewußtsein alle möglichen Kräfte. Immer sind positive aber auch negative Kräfte anwesend und bemühen sich darum, ihren Einfluss auszuüben. Manche bleiben nur eine Weile, andere ein Leben lang. Sie steigen aus den Tiefen des Unterbewußtseins herauf und wenn sie gehen, gehen sie dorthin zurück. An der einen Spitze steht das höchste, spirituelle Selbst, welches aus unserem göttlichen Anteil stammt. An der anderen Spitze.... die Dunkelheit selbst. Aber nur in den wenigsten Menschen kommen diese Pole selbst direkt zum Wirken.
Naqual hat geschrieben: ↑Fr 23. Apr 2021, 16:33
Die Schlussziehung in Bezug auf Gott ist nicht zwingend (wissenschaftlich gesehen) und es gibt ein zweites Problem: es könnte sein, dass ein Gott bei herauskommt, der nichts mit dem mehr zu tun hat, was man auch nur im Entferntesten haben will, z.B. eine der Gesamtnatur innewohnenden Intelligenz, bei der das Motto der Natur, der Stärkere hat Recht, Zielrichtung ist für eine Weiterentwicklung des Gesamtsystems. Da ist ein Mensch, der vom Krokodil gefressen wird, quasi ein Kollateralschaden. Hätte er aufgepasst, wäre er würdig gewesen weiterzumachen beim Weitergeben seiner Gene. Solche hypothetischen Gedanken werden dann sehr schnell trist und pessimistisch.
Natürlich ist sie nicht zwingend. Das soll sie auch nicht sein. Wir sollen schließlich eine Wahl haben.
Für mein Verständnis ist es grundsätzlich gut, wenn ein Mensch aus dem Atheismus heraus kommt. Aber wenn das zum Satanismus führt, gefällt mir das auch nicht. Nicht wenige Christen haben nicht nur einen Gott der Liebe im Sinn sondern auch einen grausamen, zornigen, eifersüchtigen Gott der Rache und Zucht. Das ist der große Spannungsbogen im Christentum. Ein Mensch kann schon so einen "Naturgott" für sich entdecken und so über die Bibel letztlich doch zur Liebe kommen.
Naqual, noch zwei Fragen an Dich. Was hat es mit Deinem Pseudonym auf sich? Und was glaubst Du eigentlich? Bist Du gläubig? Ich dachte schon aber bin mir nicht mehr so sicher.