2.1. Die Berichte der Evangelien
Die Geschehnisse stellen sich nach den Evangelien folgendermaßen dar: Jesus und die Jünger verließen nach dem "letzten Abendmahl" Jerusalem, begaben sich zum Ölberg (Mk 14, 26; Mt 26, 30; Lk 22, 39) und kamen zu einem Ort namens Gethsemane (Mk 14, 32; Mt 26, 36). Bei diesem Ort könnte es sich um denselben Ort gehandelt haben, der bei Johannes (18, 1) als Garten jenseits des Kidronbaches beschrieben ist. Wichtig ist, dass sich Jesus und seine Jünger öfter an diesem Ort aufgehalten haben (vgl. Lk 22, 39; Joh 18, 2).
Während Jesus zu seinen Jüngern sprach, tauchten plötzlich Leute auf, die von Judas angeführt wurden. Die Evangelisten beschreiben diese Leute folgendermaßen: nach Markus (14, 43) und Matthäus (26, 47) war es eine mit Schwertern und Knüppeln bewaffnete Schar, die von den führenden Priestern, den Gesetzeslehrern und Ratsältesten geschickt worden waren; nach Lukas (22, 47 ff.) kam eine Schar, Jesus indes wandte sich direkt an die führenden Priester, die Offiziere der Tempelwache und die Ratsältesten (22, 52). Johannes (18, 3) hingegen beschreibt die auftauchenden Menschen als römische Soldaten, die von einigen Tempelwächtern begleitet wurden; die Verhaftung nahmen die Römer und die jüdischen Tempelwächter gemeinsam vor (18, 12).
2.2. Die Beteiligten an der Verhaftung
Nach heutigen Erkenntnissen ist man sich einig, dass es sich bei der Truppe um eine Kohorte und ihren Tribun (eine römische Militäreinheit und ihr Befehlshaber) gehandelt hat (vgl. P. Winter: On the trial of Jesus, S. 44 ff; S.G.F. Brandon: The trial of Jesus of Nazareth, S. 196).
Fraglich ist jedoch, um wen es sich bei den beteiligten Juden gehandelt hat, da diese einmal als eine mit Schwertern und Knüppeln bewaffnete Schar, einmal als Tempelwächter bezeichnet werden und teilweise behauptet wird, Älteste und Hohenpriester hätten sich unter der Menge befunden.
Die Behauptung, dass Älteste und Hohenpriester bei der Verhaftung anwesend waren, stellt sich als unrealistisch und übertrieben dar, denn eine Verhaftung wird gewöhnlich – und so verhielt es sich auch damals – nicht von einem Ältesten oder Richter vorgenommen und ganz gewiss nicht von vielen Ältesten oder Richtern, die sich zu diesem Zweck zusammentun. Die Obrigkeit hätte, um eine Verhaftung vorzunehmen, selbstverständlich einen oder mehrere ausgebildete, bewaffnete Beamte losgeschickt. Auch die Annahme, Älteste hätten sich unter den Leuten befunden, erweist sich als nicht glaubwürdig. Es ist nicht anzunehmen, dass eine bedeutende Persönlichkeit die Mühe auf sich nimmt, zu einer späten Nachtstunde die Stadt zu verlassen und eine nicht unerhebliche Entfernung bergauf zurückzulegen, um persönlich der Verhaftung eines als Verbrecher Verdächtigen beizuwohnen, wer auch immer dieser Verdächtige sei. Insbesondere muss dies auf diese Nacht zutreffen, da diese eine besondere Nacht war, nämlich die Nacht des Pessachfestes (laut Johannes geschah die Verhaftung am Vorabend des Pessachfestes). In dieser Nacht war jeder jüdische Hausinhaber entweder mit der Sederfeier (Pessachfest) oder aber, wenn man mit Johannes die Verhaftung auf den Vorabend des Pessachfestes datiert, mit den Vorbereitungen dieses wichtigen Festes und seiner Opfer beschäftigt. Es ist undenkbar, dass er in einer solchen Nacht in die Berge hinausgelockt werden konnte, um an einer Polizeiaktion teilzunehmen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass, sollten wirklich Älteste und Priester hinter der Verhaftung gesteckt haben, diese wohl kaum persönlich anwesend gewesen wären; es ist eher wahrscheinlich, dass sie in diesem Falle ihre Agenten und Beamten geschickt hätten, um selbst nicht gesehen und identifiziert zu werden.
Die wahre Identität der jüdischen Beteiligten an der Verhaftung erschließt sich direkt aus der Bezeichnung "Offiziere der Tempelwache" bei Lukas (22, 52). Auch bei Johannes (18, 2) werden die beteiligten Juden als "einige Tempelwächter" bezeichnet. Wie bereits oben erwähnt, erfolgte die Verhaftung eines Verdächtigen nicht von Scharen oder von Ältesten oder Priestern, sondern durch eine Polizeieinheit. Daneben ist zu beachten, dass die einzigen Menschen, die autorisiert waren, eine Verhaftung im Auftrag des Hohenpriesters vorzunehmen, Beamte der Tempelpolizei gewesen sind. Bei den jüdischen Beteiligten handelte es sich also keinesfalls um Scharen (es ist auch nicht einzusehen, warum eine Volksmenge, die Jesus noch Stunden zuvor bejubelt hat, ihn plötzlich verhaften und getötet sehen will; auch fürchteten die Hohenpriester und Schriftgelehrten einen Aufruhr im Volke, wenn sie Hand an Jesus legten [Mk 14, 2], nun sollten sie sich der Hilfe dieses Volkes bedienen?), es handelte sich vielmehr um eine Abordnung der Tempelwache.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es sich bei der Verhaftung Jesu um ein gemeinsames Unterfangen römischer Soldaten und Angehöriger der jüdischen Tempelpolizei gehandelt hat.
Quelle: Forschungsstelle Marcus Cohn ist angesiedelt am Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.