Paulus - ein Heiliger?

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SilverBullet
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#61 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von SilverBullet » Mi 9. Dez 2020, 09:56

JackSparrow hat geschrieben:In diesem Fall mag man Flavius Josephus wohl selbst als einen Christen bezeichnen, der seinen Messias inklusive Reich bereits gefunden hatte.
Nicht ganz, denn die Erhebung zur Kaiserwürde erfolgte laut Josephus "durch das Heer" und nicht durch "Gott",
was bei einem Messias wohl schon eine gewisse Deutungsvoraussetzung sein müsste.

Aber mit deinem Zitat aus dem Josphus-Text hast du ja die Grundlage der damaligen Messias-Einstellung im Judentum wiedergeben:
sie konnten sich für den Krieg gegen Rom begeistern, in dem sie das Messias-Thema betonten. Das war die flächendeckende Idee der Zeloten. In den Jahrzehnten davor gab es wohl auch Aufstände, aber diese waren nur lokal, weil die einigende Idee fehlte.

Der zentrale Charakterzug der Widerstandsphilosophie, die von den Zeloten ausging (egal wie lokal eine Zelotengruppe agierte), war die Messias-Erwartung.
Die römische Bezeichnung "Christiani" (für solche Leute) wäre damit nicht verkehrt.

Vor diesem Hintergrund sind die "Christiani" die Feinde Roms. Wie die römischen Schreiber dann wohl auch festhielten,
war dies eine "gefährliche Gruppe" und ein "übler Aberglaube".

Das nachträgliche Hineindeuten einer "Jesus"-Liebes-Bewegung, nur weil ein Messias-Zusammenhang genannt wird, ist aus meiner Sicht maximal waghalsig.
Heraus kommt dann die Überzeugung, dass bereits "die frühen Jesus-Christen" verfolgt gewesen sein sollen.

Ich würde sagen "der Wert dieser Idee ist schnell geschätzt".

JackSparrow hat geschrieben:Sucht man in den Josephus-Texten nach Zeloten, findet man heterogene Gruppierungen wie "die dem Eleazar unterstellten Zeloten" oder "die Zeloten des Manaim", die sich meist gegenseitig bekämpfen und jeweils ganz eigene Vorstellungen davon haben, wer in Judäa an die Macht kommen soll.
Josephus beschreibt letztlich auch den Untergang Jerusalems auf diese Weise: Gruppe gegen Gruppe.

Die Messias-Idee enthält ja bereits die vollständige Ungenauigkeit, wer es denn letztlich sein könnte.

Bestimmt kann man davon ausgehen, dass jeder dieser Anführer im Hinterkopf hatte "der echte Messias" zu sein.
Die Folge ist ein übles Gerangel zwischen den Gruppen.

Nach den verlorenen Kriegen gibt es wohl auch im Judentum die Strömung, dass das Messias-Thema an sich bereits eine grosse Gefahr enthält.
Motto: "aus der Messias-Idee kommt nichts Gutes heraus".

JackSparrow
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#62 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von JackSparrow » Do 10. Dez 2020, 09:36

SilverBullet hat geschrieben:
Mi 9. Dez 2020, 09:56
Nicht ganz, denn die Erhebung zur Kaiserwürde erfolgte laut Josephus "durch das Heer" und nicht durch "Gott", was bei einem Messias wohl schon eine gewisse Deutungsvoraussetzung sein müsste.
Woran erkennt man Kaiser, die durch einem Gott zur Kaiserwürde erhoben worden sind?

SilverBullet
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#63 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von SilverBullet » Fr 11. Dez 2020, 09:06

@JackSparrow
Da musst du dem jeweiligen Gläubigen "vertrauen", denn es geht ja nur um seine Messias-Erwartung.
Wenn also gesagt wird, "durch das Heer", dann war es wohl nicht "Gott" in der Idee des Sprechers, wodurch der Sprecher nicht als "Messias-Anhänger" durchgehen sollte.
Manche behaupten sogar, dass "Messias" an ganz bestimmte Bedingungen geknüpft wäre.

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sven23
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#64 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von sven23 » Sa 12. Dez 2020, 08:27

JackSparrow hat geschrieben:
Mo 7. Dez 2020, 20:30
sven23 hat geschrieben: Was mich mal interessieren würde: Spricht Josphus in seinen Texten explizit von Christenverfolgungen oder nur von Räubern/Zeloten?
Josephus erwähnt keine Christen.

Übrigens auch keinen Gesalbten, keinen Messias und keine Messias-Anhänger.

Was er erwähnt sind sieben unterschiedliche Personen namens Jesus. Aber auch wieder keinen, der Ähnlichkeiten mit dem Bibel-Jesus hätte.
Erwähnt er nicht Jesus als Bruder des gesteinigten Jakobus?
 
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sven23
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#65 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von sven23 » Sa 12. Dez 2020, 08:33

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 11. Dez 2020, 09:06
@JackSparrow
Da musst du dem jeweiligen Gläubigen "vertrauen", denn es geht ja nur um seine Messias-Erwartung.
Wenn also gesagt wird, "durch das Heer", dann war es wohl nicht "Gott" in der Idee des Sprechers, wodurch der Sprecher nicht als "Messias-Anhänger" durchgehen sollte.
Manche behaupten sogar, dass "Messias" an ganz bestimmte Bedingungen geknüpft wäre.

 Richtig, und wie der Theologe Lindemann sagt, hat Jesus nichts von dem gesagt oder getan, was von einem Messias erwartet wurde.
Aus jüdischer Sicht war die Ablehnung von Jesus als Messias oder gar präexistenter Sohn Gottes völlig verständlich und nachvollziehbar. Zu seiner Entlastung muss man aber sagen, dass Jesus zu Lebzeiten wahrscheinlich keines von beiden für sich beansprucht hat, denn er war gläubiger Jude und kein Paulus-Christ.
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sven23
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#66 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von sven23 » Sa 12. Dez 2020, 09:51

SilverBullet hat geschrieben:
Mo 7. Dez 2020, 11:10
sven23 hat geschrieben: Wir sind uns sicher einig, dass es sich bei der Bibel zum größten Teil um unhistorische Märchen handelt.
Wir sind uns bestimmt ganz schnell einig, dass man eine Vorstellung über die Vergangenheit nicht alleinig auf einem Wundertext aufbauen darf.
Leider ist dies aber genau der Vorgang, der hier stattfindet, wenn man behauptet, dass es einen historischen Anteil geben soll.
Gegen einen historischen Anteil spricht doch nichts. Viele Legenden und Mythen haben einen historischen Anteil.
Pontius Pilatus ist zweifelsohne eine Person der Zeitgeschichte. Nur die Darstellung des Prozesses, incl. der Einbindung seiner Frau über eine Traumsequenz, ist unhistorisch und dichterische Freiheit, um das Wort Lüge zu vermeiden.
Herodes ist ebenfalls eine historische Person, unbeliebt und grausam auch innerhalb der eigenen Familie. Flavius Josephus macht keinen Hehl daraus, was er von ihm hält, indem er alle ihm bekannten Missetaten aufzählt. Aber von einem Kindermord weiß er nichts zu berichten. Wenn es diesen gegeben hätte, hätte er ihn sicher nicht ausgelassen.
Der Kindermord wird von den Evangelisten nur benötigt, um die Flucht nach Ägypten zu rechtfertigen, um eine alte Prophezeiung in Erfüllung gehen zu lassen.

"Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen"
(Hos 11,1)

Die Evangelisten folgen hier wie so oft dem bewährten Prinzip: was nicht paßt, wird nachträglich passend gemacht.


SilverBullet hat geschrieben:
Mo 7. Dez 2020, 11:10
sven23 hat geschrieben: Der Unterschied besteht wohl darin, dass ich an einen historischen Bezug in Form des Wanderprediger glaube (wie die Forschung auch).
Ich finde diese Formulierung nicht schlecht: du glaubst es und die "Forscher" glauben es auch.
Im Zusammenhang mit der Bibel kann man nur von Wahrscheinlichkeiten und Plausibilitäten sprechen.
Beweisen läßt sich weder die Existenz, noch das Gegenteil.



SilverBullet hat geschrieben:
Mo 7. Dez 2020, 11:10
Was würde passieren, wenn es diese "Forscher" auf den Punkt brächten, dass es keinen Geschichtsbuchanteil gibt?
Sie wären arbeits- und religionslos.
Lassen wir mal Gott außen vor, zu dem sich keine Forschung inhaltich äußern kann und will.
Bei der Person Jesu sind die Ergebnisse in der Tat ernüchternd, teilweise für einen Gläubigen sogar desillusionierend.

Deshalb sagt doch schon Albert Schweitzer mit Betonung auf die Evangelien:

Der Jesus der Evangelien hat nie existiert.

Und der Neutestamentler Konzelmann sagte bereits vor einem halben Jahrhundert:

"Die Kirche lebt praktisch davon, daß die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind."

Kaum ein Neutestamentler zweifelt aber an den Historizität der Person des Wanderpredigers. Auch nicht die kirchenfernen oder außerhalb der Kirche stehenden Neutestamentler, wie Lüdemann usw.
Man hat lediglich sein Leben und seinen Tod literarisch umgeschrieben und umgedeutet.



SilverBullet hat geschrieben:
Mo 7. Dez 2020, 11:10
Römer werden sicherlich sehr schnell zwischen Juden und Messias-Anhänger (Zeloten) unterschieden haben.
Wie hätten sie das unterscheiden sollen? Zeloten trugen keine Uniform.
Die Römer hatten sicher das gleiche Problem der Unterscheidung zwischen Vietkong und harmlosen Reisbauern. Oder zwischen Taliban und "normalem" Moslem.


SilverBullet hat geschrieben:
Mo 7. Dez 2020, 11:10
Aus jüdischer Sicht sind Messias-Anhänger als "Eiferer" ("Übertreiber") zu bezeichnen, denn das Judentum enthält ja schon die Messias-Idee.
Jesus war ja ebenfalls ein religiöser Eiferer, wenn nicht sogar Fanatiker, worauf seine Toraverschärfung hindeutet.
Gemeinsam mit den Zeloten hatte er auf jeden Fall die Ablehnung der römischen Fremdherrschaft, die das den Juden von Gott versprochene Land entweihte. Eine ähnliche Einstellung findet man ja noch heute im radikalen Islam.
Es gab ja auch friedliche Messiaserwarter, wie die Essener. Ob Jesus zu Gewalt aufgerufen hat, läßt sich aus den Texten nicht ermitteln. Nur indirekt könnte die Hinrichtung durch die Römer darauf hindeuten. Zumindest sahen sie in ihm eine Gefahr für Aufruhr, und da machten sie kurzen Prozess.
 
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#67 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von JackSparrow » Sa 12. Dez 2020, 11:46

SilverBullet hat geschrieben:Wenn also gesagt wird, "durch das Heer", dann war es wohl nicht "Gott" in der Idee des Sprechers, wodurch der Sprecher nicht als "Messias-Anhänger" durchgehen sollte.
Dennoch blieb Josephus weiterhin ein gläubiger Jude und hielt die Salbung des Kaisers für eine erfüllte Prophezeiung.

Einerseits waren nicht alle Messias-Anhänger Zeloten, anderereits können wir nicht wissen, ob alle Zeloten Messias-Anhänger waren, da im Text kein Messias erwähnt wird. "Zeloten" war lediglich die Eigenbezeichnung eines Teils der Aufständischen:

gegen die „Eiferer“ (Zeloten). Das war nämlich der Name, den sie sich selbst gaben, als ob ihr Eifer edlen Bestrebungen gegolten hätte, während sie in Wahrheit nur den größten Schlechtigkeiten nacheiferten und dieselben noch zu überbieten suchten ("Jüdischer Krieg", Buch 4, Kapitel 3)


sven23 hat geschrieben:
Sa 12. Dez 2020, 08:27
Erwähnt er nicht Jesus als Bruder des gesteinigten Jakobus?
Zumindest nicht im "Jüdischen Krieg" aus dem Jahre 70, da dort im Personenregister kein Jakobus aufgeführt ist.

Ist die Figur des Jesus erst nach dem Jahre 70 erfunden worden oder nutzte Jakobus die Legenden des Christentums später selbst als Quelle über Jesus?

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#68 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von sven23 » Do 24. Dez 2020, 12:48

Maryam hat geschrieben:
Do 12. Nov 2020, 20:33
Ruedi hat geschrieben:
Mo 9. Nov 2020, 10:25

Da Jesus als Rebell gegen die römische Staatsmacht (siehe Inschrift auf dem Kreuz) hingerichtet wurde, wäre es komisch, wenn die Römer, das ganze nun in die Hände der Sadduzäer gelegt hätten, und sich nicht mehr darum kümmern würden.
Hi Ruedi,
Jesus galt beim jüdischen Hohen Rat als Rebell nicht bei den Römern. Sie befürchteten, die Römer könnten ihnen Tempel,und Volk wegnehmen, wenn immer mehr Juden Jesus glaubten und seine Lehren annahmen. Die Inschrift ist eher eine persönliche Ehrerweisung seitens Pilatus.

Gerade bei dem Prozess sollte man auch mal die Fakten berücksichtigen.
Das Video faßt die neutestamentlichen Forschungsergebnisse ganz gut zusammen.


Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Ziska_Deleted

#69 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von Ziska_Deleted » Do 24. Dez 2020, 13:32

Rechtswidrigkeiten im Prozess Jesu

▪ Es gab keine Anhörung von Aussagen zugunsten des Angeklagten

▪ Keiner der Richter versuchte, Jesus zu verteidigen; sie waren ihm alle feindlich gesinnt

▪ Die Priester suchten Zeugen, die falsch aussagen würden, damit sie Jesus zum Tod verurteilen konnten

▪ Die Anhörung fand nachts und hinter verschlossenen Türen statt

▪ Der Prozess wurde am selben Tag — dem Vortag eines Festes — begonnen und abgeschlossen

▪ Als Jesus verhaftet wurde, lag keine Anklage vor

▪ Jesu Anspruch, der Messias zu sein, wurde ihm als Gotteslästerung ausgelegt, aber nie untersucht

▪ Als man den Fall vor Pilatus brachte, wurde die Anklage abgeändert

▪ Die Beschuldigungen waren falsch

▪ Pilatus hielt Jesus für unschuldig, ließ ihn aber trotzdem hinrichten




https://www.jw.org/de/bibliothek/zeitsc ... er-Zeiten/

Ruedi
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#70 Re: Paulus - ein Heiliger?

Beitrag von Ruedi » Do 24. Dez 2020, 13:46

Ziska hat geschrieben:
Do 24. Dez 2020, 13:32
Rechtswidrigkeiten im Prozess Jesu

▪ Es gab keine Anhörung von Aussagen zugunsten des Angeklagten

▪ Keiner der Richter versuchte, Jesus zu verteidigen; sie waren ihm alle feindlich gesinnt

▪ Die Priester suchten Zeugen, die falsch aussagen würden, damit sie Jesus zum Tod verurteilen konnten

▪ Die Anhörung fand nachts und hinter verschlossenen Türen statt

▪ Der Prozess wurde am selben Tag — dem Vortag eines Festes — begonnen und abgeschlossen

▪ Als Jesus verhaftet wurde, lag keine Anklage vor

▪ Jesu Anspruch, der Messias zu sein, wurde ihm als Gotteslästerung ausgelegt, aber nie untersucht

▪ Als man den Fall vor Pilatus brachte, wurde die Anklage abgeändert

▪ Die Beschuldigungen waren falsch

▪ Pilatus hielt Jesus für unschuldig, ließ ihn aber trotzdem hinrichten




https://www.jw.org/de/bibliothek/zeitsc ... er-Zeiten/

Genau deshalb geht man davon aus, dass die 4 Legenden nicht die Wahrheit über den angeblichen Prozess erzählen. Danke

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