Ruth hat geschrieben:Ich gehe mal davon aus, dass das Thema "Endlichkeit des Lebens" keines war, welches in deiner Kindheit vorkam (?) Oder vielleicht kam es vor, aber war eben ein Prozess, der zum Leben einfach dazugehört, und deine Familie redete nicht darüber (?)
Den ersten "Kontakt" mit dem Sterben (in Kindestagen) hatte ich über Geschichten, Märchen und das Fernsehen und ich habe dann im Alter von ca. 5-6 Jahren mit meiner Mutter über das Sterben gesprochen.
Sie sagte, dass ich mir da noch gar keine Gedanken machen müsse, denn ich habe ja das ganze Leben noch vor mir.
Mich hat es beruhigt und das war es dann auch für viele Jahre.
Der Tod von Verwandten im Familienumfeld hat mich eigentlich gar nicht so sehr dazu gebracht, über mein Ende nachzudenken.
Ruth hat geschrieben:Wobei der Fokus des Lebens immer auf das Jenseits nach dem irdischen Leben gerichtet war: das wirkliche Leben kommt erst, nachdem man sich in diesem Leben bewährt und seinen eigenen Weg dafür geprägt hat. Man konnte in diesem schnöden Erdenleben bestenfalls "Schätze sammeln", für das "Konto im Jenseits", indem man Gebote, Dogmen und sonstige Vorgaben Gottes (alles, was in der Bibel steht, und wie es von den "Vätern" ausgelegt wurde) befolgte.
OK, dein gesamtes Umfeld hat damit eine Denk-Ausrichtung vorgegeben.
Dies war bei mir nicht der Fall.
Bist du heute froh, dass du mit dieser Ausrichtung eine Art "Hoffnungstraining" erfahren hast?
Ruth hat geschrieben:Mein Leben wurde mit ständigem Blick auf das Jenseits aufgebaut. Auf diese eigene "Realität" war meine Reaktion auf das, was sie beinhaltete, zu schauen, dass man dieses Leben so gut und sinnvoll (für das Jenseits vorgesorgt) wie möglich herum kriegt. Geschichten und Beschreibungen vom "Himmel" prägten meine Träume und Visionen für die Zukunft.
Das muss eine sehr intensive Prägung sein.
An so etwas habe ich noch gar nie gedacht.
Hattest du auch Befürchtungen, dass die eine oder andere Handlung von dir die "Eignung" für das Jenseits negativ beeinflusst haben könnte? Es könnte ja im Grunde ein zweischneidiges Schwert sein.
Ruth hat geschrieben:Ich weiß nicht sicher, wann jemand, dessen Fokus nicht von Kindheit an auf das Jenseits gerichtet ist, mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert werden kann, sodass er/sie darüber nachdenkt und in das eigene Bewusstsein einbezieht. Aber ich denke mal, das passiert besonders dann, wenn ein geliebter wichtiger Mensch (unverhofft) stirbt, welcher einem nahe gestanden hat. Oder auch, wenn jemand selbst mal an den Rand des Lebens und dem Tod stand. In Berichten über solch eine Nah-Tod-Erfahrung heißt es oft: "von da an lebe ich bewusster" ... was immer das für den Einzelnen bedeutet. Ich denke, das Bewusstsein hat durch diese Erfahrungen auch die Endlichkeit des Lebens realisiert.
Das ist schwer zu sagen und bestimmt von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Bei mir blitzte es (wie oben gesagt) in ganz frühen Jahren einmal auf.
Aktuell im Arbeitsleben ist es eher eine Planungsangelegenheit, die in Richtung "Absicherung im Alter" geht.
Als ich mich aber für Körper/Gehirn interessierte und eine Art "Rahmenidee" aufstellte, da ist dann schon mal die Frage aufgekommen, was dies für meine Stellung in der Welt, meine Ziele usw. bedeutet.
Interessanterweise habe ich es eher unter dem Aspekt des Loslassens gesehen, sozusagen: das Bewusstsein, dass eigentlich gar kein Sinn da ist, könnte zu einem entspannten Umgang mit alltäglichen Problemen führen.
Bestimmt würde man hier eine Art "Panik" vermuten, aber nichts davon hat sich eingestellt - alles gut.
Ruth hat geschrieben:Auch solche Aspekte können Reaktion sein, wie schon oben beschrieben. Da muss man sich dann gar nicht hineinsteigern, es ist in dem Moment die gefühlte Realität ... oder so ähnlich.
Ja, man kann durchaus gewisse Phasen durchmachen, aber keiner kann sich vorstellen, wie es ist "nicht mehr zu sein" und es ist nicht sinnvoll, dass man dies im Leben enorm betont.
Eine religiöse Haltung, die einem Menschen eine Zuversicht für später ermöglicht, führt im Grunde auch dazu, dass sich dieser Mensch dann wieder anderen Inhalten zuwendet.
Es mag von Gläubigen immer wieder in gewissen Intervallen abgehandelt werden, aber den Alltag stehen sie bestimmt auch so durch, als ob es keine Rolle spielen würde.
Ruth hat geschrieben:So ähnlich hat es schon jemand in der Reformationszeit der Kirche ausgedrückt...
Ja genau, so ähnlich ist es, wobei Luther bestimmt "nur den Weltuntergang" aber nicht den Untergang der Lebewesen ("Seelen") im Sinn hatte - letztlich war er Christ.
Er macht quasi weiter, während ich aufhöre.
Ruth hat geschrieben:Ich denke, es muss beides kein "Kopf in den Sand stecken" sein. Man kann mit dem Bewusstsein mit der Endlichkeit, sowie auch ohne dieses, mit offenen Augen und bewusst in dieser Welt leben. Beide Möglichkeiten, mit der Endlichkeit umzugehen, kann Reaktion und Offenheit für die Realität zeigen.
Nicht falsch verstehen, mein Slogan "Ich bin gerade mit etwas beschäftigt, lasst mich in Ruhe mit eurer Endlichkeit" war in Analogie zu Archimedes Haltung formuliert, ich meinte nicht dich oder andere User.
Ich freue mich eher sehr, dass wir darüber reden können.
Im Grunde akzeptiere ich meine Endlichkeit, indem mir klar ist, dass es dazu kommen wird und ich mich für einen Umgang damit entschieden habe.
Ein Umgang, der mich blockieren würde, indem ich jede weitere Handlung unter dem Gesichtspunkt "bringt sowieso nichts" einordne, ist nicht sinnvoll und genau hier sage ich sogar "das kann ich gar nicht, ist nicht meine Aufgabe".