“sven23“ hat geschrieben:Der Unterschied besteht darin, dass die griechischen Götter mit menchlichen Fehlern und Schwächen versehen werden und auch scheitern können, während die Evangelisten einen (unvollkommenen) Menschen vergotten wollten.
Diese Einschätzung ergibt sich aber nicht aus der Quellenlage.
Schau dir mal „Herkules“ („Herakles“) an. Auch eine Art „Wanderer“ mit einem ganzen Lebenslauf und er kann in Bezug auf die „unmöglichen Aufgaben“, die er löst, sogar als Blaupause zur „Jesus“-Figur angesehen werden.
Wie steht es um dem „historischen Herkules“ und warum wurde er derart überhöht?
Die christlich motivierten „Forscher“ wollen sich diese Frage nicht stellen, aber das ist auch die einzige Basis für den von dir angebrachten „Unterschied“.
“sven23“ hat geschrieben:Es handelt sich um die Textgattung Evangelium, also Glaubenspropagandaschriften, die Glauben wecken sollten.
An dieser Stelle solltest du dich fragen, wie diese „Glaubenspropaganda“ funktionieren soll.
Auch hier darfst du die griechische Götterwelt nicht vernachlässigen, denn diese „Einhorn- und Feenlandschaft“ hat definitiv in der Antike als „Glaubenspropaganda“ gewirkt.
Nimm einen erwachsenen Menschen, der in einer normalen, unaufgeregten Welt lebt und anfängt solchen Legenden zu folgen.
Das kann nicht auf Basis von inhaltlicher Korrektheit geschehen, denn die Legendenbehauptungen liegen nirgendwo umgesetzt vor.
Wie bei heutigen Filmfans muss einfach bereits die Faszination, das Erwecken des Staunens, (vielleicht auch die Gruppenzugehörigkeit und deren Traditionen) ausreichen, dass sich Menschen auf die Seite der Legendenbehauptungen schlagen und sie annehmen.
(Motto: „als die Erde den Mond gebar, tropfte Milch aus ihren Brüsten und ergab die Sterne“ - ich glaube das ist eine indianische Legende)
Eine historische Grundlage, die viel einfacher ausfällt, als das was fasziniert hat, würde den Effekt kaputt machen
=> Es wird nirgendwo eine historische Grundlage benötigt.
=> Es gab nie den „Urtrupp der Gläubigen“, die noch „dabei gewesen“ waren.
=> Das Auftreten der Heldenfiguren kann aus vielen verstreuten Einzelideen zusammengestöpselt sein und trotzdem (oder eher gerade deshalb) wird der Zweck erfüllt.
“sven23“ hat geschrieben:Nun, die Kirche hat natürlich keine ausgewählt, die sie selbst (verdeckt) kritisiert oder gar überflüssig macht, oder gar zu albern waren.
"In den ersten Jahrhunderten gab es sechzig Evangelien, die fast alle gleich unverdaulich waren. Man verwarf sechsundfünfzig wegen ihrer Kindlichkeit und Albernheit. Gäbe es hierfür keinerlei Anhaltspunkte bei denjenigen, die man behalten hat?"
(Denis Diderot, franz. Schriftsteller, Aufklärer u. Philosoph, 1713-1784).
Nein, ich ziele nicht auf das Auswählen durch die Kirche ab, sondern auf
das Existieren der anderen Evangelien.
Diese Texte sind auch entstanden, hatten Anhänger und wurden verbreitet. Bestimmt nicht in einem konkurrenzfähigen Umfang, aber dennoch sind sie entstanden und geben damit Hinweise auf die Entstehungsmöglichkeiten, quasi auf das Ideenspektrum, das damals von Erwachsenen akzeptiert wurde.
Die nicht in der Bibel enthaltenen Evangelien sind bestimmt sehr ungünstig für die Zurückführung auf eine historische Person. Behandelt man all die Behauptungen gleichrangig, dann ergeben sich Gegensätze, die nur dadurch aufgelöst werden können, dass nichts von den Behauptungen auf eine einheitlich historische Person zurückgeht. (Ich habe die christliche Gnosis ja bereits genannt – der Messias wird nicht geboren, ist kein Mensch, stirbt nicht und ist auch nicht auferstanden).
“sven23“ hat geschrieben:Selbst in den Gemeinden stellte man unangenehme, kritische Fragen, die nach mehr "Background" und Legitimation des Wanderpredigers verlangten.
So erfanden die Evangelisten selbst oder spätere Redaktoren immer neue Geschichten, die diese Nachfrage befriedigen sollten.
„Wanderprediger“ scheint für die „historische Mensch“-Legende eine sehr zentrale Charakterisierung sein.
Aus welchen Quellen wird die Einschätzung einer Wanderprediger-Aktivität abgeleitet?
=> nur aus der Bibel?
=> vielleicht sogar auch dies nur in Verbindung mit der eher Neuzeitlichen Idee von Wanderpredigern?
Mir kommt es seltsam vor, dass in der aufgeheizten gewalttätigen Zeit des ersten Jahrhunderts in Judäa überhaupt das Konzept „Wanderprediger“ stattgefunden haben kann.
Ich habe mal versucht irgendwelche Angaben über jüdische Wanderprediger aufzuspüren.
=> jüdische Wanderprediger werden anscheinend „Maggid“ genannt (
siehe Wiki)
Es gibt dabei aber ein zentrales Problem:
=>
die jüdischen Wanderprediger tauchen erst im 16.Jahrhundert auf
Einem „Wanderprediger“ würde ich zudem eine Art Missionierungsabsicht unterstellen.
Im Judentum soll es aber keine Missionierungsvorgänge geben.
Das Konzept „Wanderprediger“ passt eher nicht in die damalige Zeit.
Die Zeloten setzten auf die Einhaltung der vorhandenen religiösen Grundlagen und die Anführer wurden wohl sehr schnell abgelehnt, wenn sie sich zu sehr selbst in Szene setzten.
Es gab Rabbi-Persönlichkeiten mit Schülern – „Hillel“ habe ich bereits genannt – aber das waren wohl eher keine Wanderprediger.
Legt die „Forschung“ mit dem „historischen Jesus“ vielleicht einfach sang und klanglos ein neues Legendebild vor, das nicht auf „inhaltliche Korrektheit“ setzt?
Die „Jesus“-Figur taucht eigentlich nur deshalb hier und da auf, um Wunder zu vollbringen – so wie „Herkules“ seine Aufgaben erledigt hat.
“sven23“ hat geschrieben:Richtig. Da die Bibel nun mal kein Text aus einem Guß ist, sondern ein Konglomerat aus den unterschiedlichsten Epochen, Traditionen und theologischen Interessen, enthält sie naturgemäß auch viele Widersprüche, die nicht miteinander vereinbar sind. Je nachdem, wo Gläubige ihren Schwerpunkt setzen, basteln sie sich mit Amateurexegese ihr ganz eigenes Glaubenskonstrukt zusammen.
Das Bild der Forschung ist da doch wesentlich homogener, wenngleich es auch nicht in allen Punkten Konsens gibt.
Ich sehe nicht, dass aus dieser „Forschung“ etwas anderes kommt, sondern ich sehe immer nur das eine Prinzip, dass etwas angeboten wird, das die Faszination von manchen „Gläubigen“ abdecken könnte.
In einer echten Forschung müssten die Zeloten als sichtbare Messiasbewegung eine zentrale Rolle einnehmen. Stattdessen soll ein „Forschungsergebnis“ in einer unsichtbaren Messiasbewegung rund um eine unsichtbare historische Person liegen.
Die Religionstexte versuchen bei den „Gläubigen“ eine Art Faszination zu erzeugen, bei der jegliches homogene Bild störend wirkt. Es geht nicht um Homogenität, es geht nicht um Korrektheit, es geht um Faszination und Staunen, sozusagen um das „Einfangen der Aufmerksamkeit“. Die Forschung betreibt Legendenbildung, wenn sie ein „homogenes Bild“ als „Ergebnis“ präsentiert. Das ist auch wieder nur Verklärung.
“sven23“ hat geschrieben:Es gab zeitgenössische Kritik, auch konkrete Lügenvorwürfe an Paulus, die alle ihren Niederschlag in den Schriften gefunden haben.
Mit „Kritik“ gehst du der Legende einer historischen Grundlage auf den Leim.
Ich denke man muss eher von vielen alternativen Angeboten ausgehen, die sich gegenseitig eher ablehnten, weil die jeweils andere Idee, die Faszination der „eigenen Gläubigen“ störte.
Den Bibeltexten einen Vorrang zu geben, ist lediglich ein Glaubenssprung -> einer Forschung unwürdig.
“sven23“ hat geschrieben:Ein als gewöhnlicher Verbrecher Hingerichteter konnte nach jüdischer Glaubensvorstellung niemals der Messias sein. Geschweige denn ein Gott, was als Götteslästerung verstanden worden wäre. Schon Paulus erkannte, dass die neue christliche Sekte im Judentum keine Zukunft haben würde. Deshalb legte man den Fokus auf die Missionierung der Heiden, die kein Problem damit hatten, sich vom Judentum des Wanderpredigers immer weiter zu entfernen. Die Retourkutsche für die Ablehnung war der offen formulierte Antijudaismus der Evangelisten.
Sorry, auf mich wirkt dies wie ein Märchen.
Jüdische Konflikte, jüdische Tote in Bezug auf die Messias-Bewegung, gehen nicht zurück auf ein einfaches „wir mögen ihn nicht“.
Laut „Flavius Josephus“ gingen die Zeloten (auf Basis ihrer „Reinheit führt zum Messias-Reich“-Idee) gegen Juden vor, die da nicht mitmachten und sich vielleicht sogar eher Richtung Rom (oder vielleicht anderen Messias-Helden) orientierten.
Das ist ein handfester Konflikt, weil er elementar gegen eine Erlösungsidee gerichtet ist. Mit den Niederlagen, dem Verlust des Tempels, des Allerheiligsten, der Vertreibung ist es nahe liegend, das man den bereits zuvor störenden „Abtrünnigen“ noch mehr Hass entgegen bringt.
Die Nicht-Messias-Juden haben quasi den Messias-Juden aus dem Blickwinkel der „Reinheit des auserwählten Volkes“ die Show kaputt gemacht und zwar grundlegend.
Das ist der christliche Judenhass – der Judenhass der sichtbaren Messiasbewegung.
Der übergestülpte Liebes-, Friedens- und „er ist für uns gestorben“-Slogan passt da natürlich nicht wirklich hinein und funktiniert ja auch nicht.
“sven23“ hat geschrieben:Wenn die neutestamentliche Forschung die Texte historisch-kritisch, also mit wissenschaftlicher Methodik, untersucht, so wie jeden anderen antiken Text, dann kann man durchaus zu belastbaren Ergebnissen kommen.
Bzgl. Textversionen, Textabhängigkeiten könnte dies in etwa hinkommen (mit Unsicherheiten).
Beim Sprung von „weil es im Wundertext steht“ zu „historisch war es so“ betritt man definitiv Gaga-Land.
Handelt es sich bei den von dir als „andere antike Texte“ bezeichneten Quellen auch um Wundertexte?
Damit sind wir wieder beim „historischen Herkules“.