Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

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lovetrail
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#91 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von lovetrail » So 19. Jul 2020, 17:43

sven23 hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:38

Verstehe ich nicht. Wo behauptet die ET das Gegenteil?

Was wir beobachten in der Natur: Arten variieren aber es gibt eine natürliche Tendenz einer Art sich als solche zu bewahren. Sozusagen existiert eine natürliche Schranke. Arten die erkranken oder von Mutationen verunstaltet werden sind nicht überlebensfähig.

Die ET denkt man könne einfach durch viele kleine Variationen zu einer neuen Art kommen. Das ist in freier Wildbahn weder beobachtbar noch im Experiment nachstellbar. Es ist reine Spekulation und keine empirische Wissenschaft.



 
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Claymore
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#92 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von Claymore » So 19. Jul 2020, 17:49

lovetrail hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:32
Aber das zeigt doch, dass die Natur eher auf ein Format mit leichten Varianten "einrastet", wenn man sie in Ruhe lässt. Die ET will mit dem Kopf durch die Wand und behauptet einfach das Gegenteil.
Die Umweltbedingungen können in Unterregionen wo die Art verbreitet ist divergieren. Die Populationen können Kontakt voneinander verlieren.

Interessant wird es, wenn das nicht der Fall ist. Und solche Fälle der Artenbildung muss es ja unbestritten geben. Dann haben Lebewesen ihre ökologische Nische gewechselt.

Ich mein, wenn sich Lebewesen ihren Selektionsdruck "aussuchen" können wird's wirklich langsam irr. Nicht naturhistorisch gesehen sondern von der logischen Struktur der Theorie.

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sven23
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#93 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von sven23 » So 19. Jul 2020, 18:01

lovetrail hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:43
sven23 hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:38

Verstehe ich nicht. Wo behauptet die ET das Gegenteil?

Was wir beobachten in der Natur: Arten variieren aber es gibt eine natürliche Tendenz einer Art sich als solche zu bewahren. Sozusagen existiert eine natürliche Schranke. Arten die erkranken oder von Mutationen verunstaltet werden sind nicht überlebensfähig.
Das betrifft aber nicht die ganze Art, sondern einzelne Individuen. Die Art ist trotzdem überlebensfähig.


lovetrail hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:43
Die ET denkt man könne einfach durch viele kleine Variationen zu einer neuen Art kommen. Das ist in freier Wildbahn weder beobachtbar noch im Experiment nachstellbar. Es ist reine Spekulation und keine empirische Wissenschaft.
Welche Vorstellung von den Zeiträumen hast du, dass du glaubst, in freier Wildbahn die Entstehung von neuen Arten beobachten zu können?
Im übrigen gab es in der Erdgeschichte schon 4 große Massenaussterben. Jedesmal startete die Evolution neu, zwar nicht bei null, aber immerhin.
 
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#94 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von Scrypton » So 19. Jul 2020, 19:06

lovetrail hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:32
Aber das zeigt doch, dass die Natur eher auf ein Format mit leichten Varianten "einrastet"
Nein, zeigt sie nicht - das tut sie nur, wenn man alles andere einfach ausblendet. Was du ja tust.

lovetrail hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:43
Was wir beobachten in der Natur: Arten variieren aber es gibt eine natürliche Tendenz einer Art sich als solche zu bewahren.
Nein, gibt es nicht und das beobachten wir auch nicht. Das ist deine Behauptung, dein Trugschluss, deine Selbstlüge.

Das entstehen neuer Spezies wurde übrigens auch schon beobachtet. :)

lovetrail hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:43
Arten die erkranken oder von Mutationen verunstaltet werden sind nicht überlebensfähig.
Die Evolutionstheorie widerspricht dem auch nicht.
Wer aufgrund von Mutationen benachteiligt ist (negative Mutationen) stirbt frühzeitig - ist eine Mutation aber Vorteilhaft (= positiv), setzt sie sich rasend schnell durch. Etwas, das wir in der Natur immer wieder beobachten können.

lovetrail hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 17:43
Die ET denkt man könne einfach durch viele kleine Variationen zu einer neuen Art kommen.
Das "denkt" sie nicht (die ET ist ein wissenschaftliches Modell - sie kann überhaupt nicht denken), sondern das ist eine Feststellung aufgrund der Befundlage (Transitionalfossilien).

Aber natürlich blendest du auch diese aus. Wie immer eben.

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#95 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von Claymore » So 19. Jul 2020, 20:26

Scrypton hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 19:06
Wer aufgrund von Mutationen benachteiligt ist (negative Mutationen) stirbt frühzeitig - ist eine Mutation aber Vorteilhaft (= positiv), setzt sie sich rasend schnell durch. Etwas, das wir in der Natur immer wieder beobachten können.
Das hört sich (a fortiori bezogen auf die Artbildung) nur nach der Sichtweise einer bestimmten Schule der ET an. Insbesondere einer die augenblicklich nicht so en vogue ist. Also dass einzelne neue positive Mutationen entscheidend sind im Vergleich zu bereits sehr zahlreich vorhandenen genetischen Variationen, die ohne veränderten Selektionsdruck neutral sind.

Außerdem widerspricht das sogar der Artbildung im Gebiet der Ursprungsart. Eine "positive" Mutation würde sich halt einfach in der ganzen Art durchsetzen. So kommt es nie zur Aufspaltung.

Tatsächlich muss sich ein Teil der Art "in eine neue ökologische Nische begeben". Außerdem muss der Genaustausch zwischen den Populationen, obwohl nicht räumlich getrennt, gering sein. Bei Wirbeltieren stellt man oft fest, dass Paarungbereitschaft abhängig ist von der phänotypischen Ähnlichkeit. Aber dass dem so ist, weiß man vorher nicht.

Anton B.
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#96 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von Anton B. » So 19. Jul 2020, 20:40

Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
Anton B. hat geschrieben:
Sa 18. Jul 2020, 17:10
Dann kommen wir zu der Frage nach möglichen Falsifikationen. Popper hat sich ja damit im Speziellen, also der "Wissenschaftlichkeit" der Evolutionstheorie, mehrfach beschäftigt und kommt zu einer eindeutigen positiven Bewertung, auch wenn frühe Aussagen schon mal anders interpretiert werden.
Erscheint mir eine etwas tendenziöse Darstellung. John Horgan in Scientific American:

Early in his career, the philosopher Karl Popper [...] called evolution via natural selection "almost a tautology" and "not a testable scientific theory but a metaphysical research program." Attacked for these criticisms, Popper took them back. But when I interviewed him in 1992, he blurted out that he still found Darwin's theory dissatisfying. "One ought to look for alternatives!" Popper exclaimed, banging his kitchen table.
Und Horgan hat die an Poppers Küchentisch empfangenen Einwände via Scientific American in den wissenschaftlichen Diskurs gebracht und seitdem balgen sich in wissenschaftlichen Journalen die Experten. Und in Kompendien und Lehrbüchern zur "Philosophie der Biologie" und der Evolutionstheorie finde ich dann den Hinweis auf die Diskussion, die noch keine Aussage zur Wissenschaftlichkeit der ET zulässt?

Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
Anton B. hat geschrieben:
Sa 18. Jul 2020, 17:10
Zur konkreten potentiellen Falsifikation: Dafür müsste man die ET weitgehend verstanden haben. Und die ET ist nun mal leider komplizierter, als es dem Laien erstmal so erscheint.
Das Problem für den Laien ist doch weniger die Kompliziertheit sondern die Frage welcher Schule der ET er sich denn nun zuwenden soll. Welche "repräsentiert" die ET denn nun am ehesten?
Meine Diagnose: Deine Frage ist eine Folge der Kompliziertheit. Aber es gibt eine einfache Lösung ...

Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
Das ist ja weniger wie in einer Wissenschaft, sondern erinnert eher an eine philosophische Tradition. "Ich möchte den Existenzialismus verstehen. Soll ich Sartre, Camus oder Kierkegaard lesen?" Antwort: "Du musst alle lesen!".
Wäre natürlich eine Möglichkeit. Der wahre Fachmann hat sie alle gelesen. Für andere wiederum gibt es seriöse -- in der akademischen Ausbildung allgemein verwendete -- Kompendien und Lehrbücher. Die bringen eigentlich fast immer eine gute Zusammenfassung des Diskussionsstandes bezüglich der thematisierten Modelle.

Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
"Kompliziert" ist auch z.B. Elektrodynamik, Gravitationstheorie, Plattentektonik, usw. Aber es dürfte ziemlich egal sein mit welchem Lehrbuch man da nun anfängt. Sie geben alle ungefähr das gleiche wieder. Der Unterschied besteht im didaktischen Geschick des Autors, nicht in der Aussage.
Sehe ich auch so. Nur den generellen Unterschied in der Komplexität und im Wesen der ET im Vergleich zur Theorie der Plattentektonik erkenne ich nicht so recht.

Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
Sagen wir der Laie nimmt als ersten Ansatzpunkt den Wikipedia-Artikel und landet nach einem Klick bei der "Synthetischen Evolutionstheorie". Das hört sich viel versprechend an, aber unten ist ein Absatz "Kritik". Nach zwei Klicks ist der Laie nun bei den unterschiedlichen Schulen mitten in der Kontroverse gelandet.
Das ist m.E. ja leider das Schicksal des Laien. Gehen wir doch deshalb in unserer Diskussion (ich bin kein Philosoph sondern Geologe/Paläontologe; Du bist kein Naturwissenschaftler) von solchen Werkchen wie dem Futuyma für die ET und dem von Sarkar & Plutynsky herausgegebenen Blackwell Companion für die "Philosophy of Biology" aus.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#97 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von luett-matten » So 19. Jul 2020, 22:12

sven23 hat geschrieben:
Sa 18. Jul 2020, 07:43
Mutation und Selektion sind Evolutionsfaktoren, genau wie Rekombination und Gendrift.
Diese Mechanismen reichen aus, um Evolution am Laufen zu halten. Es gibt auch kein Ziel oder Endpunkt von Evolution.

Mutation könnte ich in gewisser Hinsicht noch Entwicklungsmöglichkeit sehen, aber wie soll sich eine Mutation paaren und fortpflanzen? Selektion bringt nur eine andere, aber bereits bestehende Häufigkeit, aber keine Entwicklung.

Aber wie beweist sich die Evolution?
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#98 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von luett-matten » So 19. Jul 2020, 22:19

sven23 hat geschrieben:
Sa 18. Jul 2020, 07:26
Die Evolutionstheorie gilt als eine der am besten bestätigten Theorien überhaupt.

Ps.: was hat dich denn verunsichert?

Die Beobachtung der Natur. Die Libellen zum Beispiel.

Wie kann man in einer fortschreitenden Evolution herleiten, dass ein Wesen zunächst als Ei ins Wasser geworfen wird, dann dort als Unterwassertier lebt und schließlich dem Wasser entsteigt und Luft atmend zu fliegen beginnt und nie wieder ins Wasser zurück kehren kann?

Wie kann man die Evolution in der Metamorphose überhaupt erklären?
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#99 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von Scrypton » So 19. Jul 2020, 23:15

luett-matten hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 22:12
sven23 hat geschrieben:
Sa 18. Jul 2020, 07:43
Mutation und Selektion sind Evolutionsfaktoren, genau wie Rekombination und Gendrift.
Diese Mechanismen reichen aus, um Evolution am Laufen zu halten. Es gibt auch kein Ziel oder Endpunkt von Evolution.
Mutation könnte ich in gewisser Hinsicht noch Entwicklungsmöglichkeit sehen, aber wie soll sich eine Mutation paaren und fortpflanzen?
Indem sich Individuen mit dieser Mutation erfolgreich fortpflanzen - und damit diese Mutation an ihre Nachkommen weiter reichen. Das wird auch immer wieder durch empirische Beobachtung bestätigt.

Bei gleichbleibenden Umweltbedingungen usw. sind die Veränderungen natürlich marginal. Doch wenn sich diese in einem größeren Umfang wandeln oder sich Populationen trennen und in Gebiete vordringen in denen andere Bedingungen vorliegen, wirkt der Selektionsdruck auch in ganz andere Richtungen.

luett-matten hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 22:19
Wie kann man in einer fortschreitenden Evolution herleiten, dass ein Wesen zunächst als Ei ins Wasser geworfen wird, dann dort als Unterwassertier lebt und schließlich dem Wasser entsteigt und Luft atmend zu fliegen beginnt und nie wieder ins Wasser zurück kehren kann?
Es wirkt erstaunlich, ja. Es gibt mehrere Arten die im Laufe ihres Lebens die Metamorphose durchlaufen. Kaulquappen werden zu Frösche, Raupen zu Schmetterlinge. Diese Fähigkeit der Wandlung ist in der Evolution nur ein paar mal entstanden - aber wo es passierte, ist sie nie wieder verschwunden. Es ist eine evolutionäre Sackgasse, diese Arten werden diesen Prozess also auch zukünftig nicht wieder verlieren (was ja sonst durchaus häufig der Fall ist, Stichwort rudimentäre Strukturen, auch beim Menschen).

Die "Royal Society" (eine 1660 gegründete britische Gelehrtengesellschaft zur Wissenschaftspflege) hat letztes Jahr einen Band mit dem Titel "The evolution of complete metamorphosis" herausgebracht, in welcher Wissenschaftler aus 14 Länder darüber debattieren, wie und weshalb die Evolution diese doch eher außergewöhnliche Entwicklung hervorgebracht hat. Der Hauptvorteil liegt in der Entkopplung von schnellem Wachstum der Larve sowie der Differenzierung in der Puppe - falls dich die Thematik wirklich, also ernsthaft(!) interessiert würde ich dir dies nahelegen zu lesen.

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#100 Re: Welche Beweise gibt es für die Evolutionstheorie?

Beitrag von Claymore » Mo 20. Jul 2020, 00:03

Anton B. hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 20:40
Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
Anton B. hat geschrieben:
Sa 18. Jul 2020, 17:10
Dann kommen wir zu der Frage nach möglichen Falsifikationen. Popper hat sich ja damit im Speziellen, also der "Wissenschaftlichkeit" der Evolutionstheorie, mehrfach beschäftigt und kommt zu einer eindeutigen positiven Bewertung, auch wenn frühe Aussagen schon mal anders interpretiert werden.
Erscheint mir eine etwas tendenziöse Darstellung. John Horgan in Scientific American:

Early in his career, the philosopher Karl Popper [...] called evolution via natural selection "almost a tautology" and "not a testable scientific theory but a metaphysical research program." Attacked for these criticisms, Popper took them back. But when I interviewed him in 1992, he blurted out that he still found Darwin's theory dissatisfying. "One ought to look for alternatives!" Popper exclaimed, banging his kitchen table.
Und Horgan hat die an Poppers Küchentisch empfangenen Einwände via Scientific American in den wissenschaftlichen Diskurs gebracht und seitdem balgen sich in wissenschaftlichen Journalen die Experten.
Die Einwände wurden schon vorher die ganze Zeit sachlich ignoriert, als sie im Detail geäußert wurden.
Und in Kompendien und Lehrbüchern zur "Philosophie der Biologie" und der Evolutionstheorie finde ich dann den Hinweis auf die Diskussion, die noch keine Aussage zur Wissenschaftlichkeit der ET zulässt?
Wenn es dich wirklich interessieren sollte, kannst du ja mal The Use and Abuse of Sir Karl Popper von Hull lesen.
Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
Anton B. hat geschrieben:
Sa 18. Jul 2020, 17:10
Zur konkreten potentiellen Falsifikation: Dafür müsste man die ET weitgehend verstanden haben. Und die ET ist nun mal leider komplizierter, als es dem Laien erstmal so erscheint.
Das Problem für den Laien ist doch weniger die Kompliziertheit sondern die Frage welcher Schule der ET er sich denn nun zuwenden soll. Welche "repräsentiert" die ET denn nun am ehesten?
Meine Diagnose: Deine Frage ist eine Folge der Kompliziertheit. Aber es gibt eine einfache Lösung ...
Aha.
Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
Das ist ja weniger wie in einer Wissenschaft, sondern erinnert eher an eine philosophische Tradition. "Ich möchte den Existenzialismus verstehen. Soll ich Sartre, Camus oder Kierkegaard lesen?" Antwort: "Du musst alle lesen!".
Wäre natürlich eine Möglichkeit. Der wahre Fachmann hat sie alle gelesen. Für andere wiederum gibt es seriöse -- in der akademischen Ausbildung allgemein verwendete -- Kompendien und Lehrbücher. Die bringen eigentlich fast immer eine gute Zusammenfassung des Diskussionsstandes bezüglich der thematisierten Modelle.
Üblicherweise erwartet man doch, dass bei den Grundlagen einer ausgereiften wissenschaftlichen Theorie nicht mehrere Modelle existieren.
Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
"Kompliziert" ist auch z.B. Elektrodynamik, Gravitationstheorie, Plattentektonik, usw. Aber es dürfte ziemlich egal sein mit welchem Lehrbuch man da nun anfängt. Sie geben alle ungefähr das gleiche wieder. Der Unterschied besteht im didaktischen Geschick des Autors, nicht in der Aussage.
Sehe ich auch so. Nur den generellen Unterschied in der Komplexität und im Wesen der ET im Vergleich zur Theorie der Plattentektonik erkenne ich nicht so recht.
Der Unterschied besteht im Konsens.
Claymore hat geschrieben:
So 19. Jul 2020, 13:52
Sagen wir der Laie nimmt als ersten Ansatzpunkt den Wikipedia-Artikel und landet nach einem Klick bei der "Synthetischen Evolutionstheorie". Das hört sich viel versprechend an, aber unten ist ein Absatz "Kritik". Nach zwei Klicks ist der Laie nun bei den unterschiedlichen Schulen mitten in der Kontroverse gelandet.
Das ist m.E. ja leider das Schicksal des Laien. Gehen wir doch deshalb in unserer Diskussion (ich bin kein Philosoph sondern Geologe/Paläontologe; Du bist kein Naturwissenschaftler) von solchen Werkchen wie dem Futuyma für die ET und dem von Sarkar & Plutynsky herausgegebenen Blackwell Companion für die "Philosophy of Biology" aus.
Na gut, dann gehen wir von diesen Werkchen mal aus. Bei Futuyma ist das Tautologieproblem als Übungsaufgabe ausgelagert. Und eine Musterlösung existiert nicht.

Ok, er verweist wenigstens auf Sober, den er schon mit seinem Sober-Sieb eingeführt hat. Der vergleicht wiederum das Problem mit F = m*a aus der Physik, angeblich auch eine Art "Tautologie" oder wenigstens ähnlich genug. Ist die Newtonsche Mechanik keine wissenschaftliche Theorie? Sicher nicht -- reductio ad absurdum des Arguments.

Der Unterschied ist jedoch, dass man aber notfalls auf ein Newtonmeter und eine Waage verweisen kann und F und m dann instrumentell darüber definiert. Damit wird F = m*a empirisch und falsifizierbar. Noch einfacher ist, dass man für die Definition der Skala von Masse und Kraft erst mal von einer Addition ausgeht (bei Kräften, wenn die Wirkrichtung parallel ist). Derartige Manöver existieren für "Fitness" jedoch nicht.

Das zweite Argument von Sober ist, dass es sich bei Fitness nur um eine Propensität handelt und sie nur statistisch (für Teilpopulationen) sinnvoll zu definieren ist.

In Sarkar & Plutynski's "Philosophy of Biology" ist dem Tautologieproblem eine kleiner Abschnitt gewidmet. Der erste Antwort ist "so what? Alle Junggesellen sind unverheiratet - das ist in Kant-Lingo nur eine analytische a priori Aussage. Also eine hohle Aussage. Aber man kann dennoch viel empirisches über Junggesellen herausfinden". Ja, das stimmt wohl. Die ganze Naturgeschichte ist sicher ein Riesenpaket empirisches Wissen über die Evolution. Dazu kommen noch massig Einsichten aus der Genetik uvm. Aber sonderlich überzeugend finde ich das nicht. Nichts anderes habe ich gesagt: dass die eigentliche Theorie von Darwin eben rein gar nichts zum Erkenntnisgewinn beiträgt und keinen Erklärungsgehalt hat. Das Wissen kommt von woanders her.

Antwort 2 ist wieder, dass man Fitness nach Propensität definiert. Eine bestimmte Eigenschaft erhöht statistisch gesehen den Reproduktionserfolg. Es ist dann nicht tautologisch zu sagen, dass das Lebewesen mit dieser Eigenschaft sich mehr reproduziert als das ohne, denn es müsste ja nicht so kommen - es ist nur ne Wahrscheinlichkeitssache. Das ist sicher auch die von Futuyma präferierte Antwort für die Übungsaufgabe, denn er sagt klar (Kapitel 11), dass sich Fitness nur statistisch definieren und beobachten lässt.

Tja, nun bringen Sarkar & Plutynski freundlicherweise selber gleich die Einwände gegen diese Definition. Erstmal: so erklärt die Theorie nichts von Interesse. Es ist nur die Aussage, dass das, was passiert ist, passiert ist, weil es wahrscheinlicher war als seine Alternative.

Und sie legen noch ein Argument nach. So ist Fitness ist nicht mal wohldefiniert. Auf welchen Zeitraum bezieht sich diese statistische Fitness? Auf ein Jahr? Auf eine Generation? Da kann man auch wieder das Beispiel mit der Sichelzellenanämie durchexerzieren.

Interessanterweise fehlt eine Antwort auf das Tautologieproblem hier. Die von Stephen J. Gould. Das Ingenieurskriterium, dass der weise Biologe einfach sieht, was gutes Design ist. Das ist imho die beste Antwort. Hier kann man klar sagen: ET ist falsifiziert wenn sich schlechteres Design durchsetzt; wenn sich besseres Design nicht durchsetzt. Das ist doch mal was konkretes. Nur ist "besseres/schlechteres Design" extrem subjektiv.

Und das ist nur das Grundproblem. Die anderen Probleme sind:

  • "Selektion von einem Merkmal" vs "Selektion für ein Merkmal" (die Natur ist kein Sober-Sieb) -- nur Gould's Definition hat da eine Chance
  • Was ist die Einheit der Selektion? Doch z. B. nicht die einzelne Biene eines Bienenstaates?
  • Gibt es noch andere Arten der Selektion außer der natürlichen Selektion?
  • Umwelt vs. ökologische Nische. Dass der Pinguin nicht fliegen kann ist kein Schrottdesign, weil seine ökologische Nische das antarktische Meer ist, nicht die antarktische Luft!

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