Thaddaeus hat geschrieben: ↑Di 26. Nov 2019, 08:26
Das ist korrekt. Da ich einen neutralen Realismus im Sinne Gabriels für die plausibelste Wirklichkeitsauffassung halte, ergibt sich daraus praktisch zwangsläufig eine korrespondenztheoretische Auffassung von Wahrheit. Selbstverständlich gibt es eine Wahrheit (auch, wenn die unter Umständen nicht herausgefunden werden kann).
Mmh, da die Ontologie von Gabriel
extrem breit angelegt zu sein scheint, korrespondiert sicher für ihn auch eine Aussage wie
“Wenn ich in den Flug nicht verpasst hätte, wäre ich nicht mehr am Leben” recht problemlos mit irgendetwas. “Die Pfade nicht-realisierter Möglichkeiten” oder so was in der Art. Wenn man schon meint, dass Harry Potter irgendwie existiert… Insofern konsistent. Seine Ontologie ist jedoch Geschmackssache und mir persönlich geht sie wirklich etwas zu weit.
Es bleibt aber immer noch das Problem, dass die Korrespondenztheorie Basis für sehr exzentrische Ansichten ist, wie Radikalskeptizismus.
Die Gefahr, dass man ein Sein unerkennbar und abgekapselt vom menschlichen Erleben (im
weitesten Sinne) postuliert und diesen defekten Maßstab als Argument hernimmt, dass man letztlich nichts wissen kann, ist enorm. Da dieses “wirkliche Sein” nicht einmal für uns begreifbar ist, taugt’s nicht mal als ein inspirierendes Ideal.
Eine Aussage mit propositionalem Gehalt ist wahr, wenn der propositionale Gehalt zutrifft. Ob er zutrifft, klären die fachwissenschaftlichen Methoden. Das gilt nicht nur für die Natur-, sondern auch für alle anderen Wissenschaften. In den Geisteswissenschaften müssen Interpretationen am Text belegt werden, soweit das möglich ist. Interpretationen, die nicht am Text (oder den Texten eines Autors) belegt und damit bestätigt werden können, sind lediglich von spekulativem Wert.
Die Definition “Die Aussage, dass p, ist wahr, wenn p zutrifft” hört sich eher nach deflationär als nach Korrespondenz an (die deflationäre Theorie erscheint mir viel sinnvoller als die Korrespondenztheorie). Streich das Wörtchen “zutrifft”, dann hast du die Lehrbuch-Definition der deflationären Theorie der Wahrheit.
Thaddaeus hat geschrieben: ↑Do 28. Nov 2019, 19:42
Was soll es bedeuten, dass Gott "wahr" ist? (Und was soll es bedeuten, dass Gott "falsch" ist?). Offenbar sind diese Formulierungen unsinnig.
Was sollte es bedeuten, festzustellen, dass das Laptop, an dem ich schreibe "wahr" ist?
“wahr sein”, “ist die Wahrheit”, … auf konkrete Dinge bezogen, vgl. “Ein wahrer Freund”, “Jesus ist die Wahrheit”, das könnte man als poetische Ausdrucksweise interpretieren, oder möglicherweise als ein Überbleibsel der Denkungsart in Richtung Thomas von Aquins “Veritas est adaequatio rei et intellectus” (der Verstand besitzt die Wahrheit über ein Ding, wenn sein Urteil tatsächlich dem Ding entspricht; ein Ding ist wahr, wenn es dem {normativen?} Urteil des Verstandes entspricht).
Closs verwendete hier jedoch “wahr” = “existiert wirklich”, was nun gar nicht dem normalen Sprachgebrauch von “wahr” entspricht.