Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Philosophisches zum Nachdenken
Claymore
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#221 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von Claymore » So 17. Nov 2019, 19:57

closs hat geschrieben:
Fr 15. Nov 2019, 21:56
Uns trennen verschiedene Interessen. - Wie mir scheint, willst Du sprachlich durchdeklinierte Gebilde, während ich Inhalte will. --- An anderer Stelle habe an Dich etwas über Sprache geschrieben - lies das mal.
Nein, ich will keine “sprachlich durchdeklinierten Gebilde”.
closs hat geschrieben:
Fr 15. Nov 2019, 21:56
Was "Wirklichkeit" angeht, längst. ---- "Wirklichkeit" ("ontisch") ist das, was der Fall ist. - Das, was vor 2000 Jahren in Galiläa der Fall war - das, was gerade bei uns im Mittelpunkt der Fall ist. - Da geschieht etwas - und das nennt man "es ist der Fall" alias "Wirklichkeit" - egal ob wir mit Wahrnehmung/Wissenschaft rankommen. - Das ist längst sauber definiert und konsequent so angewendet - so sehr, dass Leute wie Du meinen, es würde ad nauseam geschehen. - Also was jetzt?
Ich hab dir mehrfach erklärt, dass die “Definition” von deiner “Wirklichkeit” als das, was der Fall ist, nur eine hohle Floskel durch eine andere hohle Floskel ersetzt. Füllst du die Leere etwas aus wie mit der Formulierung “Das was vor 2000 Jahren in Galiläa der Fall war” konzeptionalisiert du die Wirklichkeit aber bereits.

An einer Stelle ist deine Wirklichkeit so “normal” und “handfest”, dass es dort Länder gibt wie Galiläa, mit Menschen darin und einem speziellen Wesen namens Jesus, das sich irgendwo zwischen göttlich und menschlich befand.

An anderer Stelle ist deine Wirklichkeit unkonzeptionalisiert und unkonzeptionalisierbar – als Vorstellung nicht mehr als ein vages, chaotisches, formloses Etwas aller erdenklichen und unerdenklichen Möglichkeiten.

Nehmen wir noch mal die Naherwartung – im Sinne einer Theorie à la Erich von Däniken. Wenn Jesus “ontisch” ein Außerirdischer war, genauer Agent des Erleuchtungsordens des galaktischen Imperiums von Xe'umi um die Menschen zu inspirieren, wird die Sache … problematisch.

Wenn der Alien-Jesus dachte, dass er bald wiederkommen würde, weil seine Vorgesetzten einen zweiten Einsatz schon fest geplant hatten, und das auch seinen Jüngern so vermittelte, was gilt dann:
  1. Jesus hatte eine Naherwartung.
  2. Jesus hatte keine Naherwartung.
:?:

Tja, hier befindet man sich wohl auf einer Ebene – man entschuldige den Exkurs, ich kenne mich nicht mit Logik jenseits der klassischen Logik aus – die an das absonderliche Verhalten der arkanen ;-) Programmiersprache JavaScript erinnert:
selfhtml.org hat geschrieben: Was ist Wahrheit?

Um das Verhalten von JavaScript im Umgang mit Boole'schen Werten und logischen Operatoren zu verstehen, muss man wissen, dass Javascript nicht nur true und false als wahr und falsch interpretiert. Einige bestimmte Werte gelten als "falsch-artig", oder "falsy", nämlich
  • false
  • undefined
  • null
  • 0
  • ""
  • document.all (in neueren Browsern)
Alle Werte, die nicht falsy sind, gelten als "wahr-artig", oder "truthy". Sämtliche Objekte, also auch Funktionen oder Arrays sind truthy. JavaScript nimmt es dabei sehr genau. Objekte ohne Eigenschaften oder Arrays mit Länge 0 sind truthy. "" und null sind falsy, aber " " und "null" sind truthy.
Tatsächlich ist es noch viel, viel, viel, viel schlimmer, denn “falsch-artig” und “wahr-artig” sind wenigstens exakt definiert und schließen sich gegeneinander aus.

These 1 (Jesus hatte eine Naherwartung) erscheint dagegen angesichts des “ontischen” (Jesus = Alien-Agent, der an sein nahes Wiederkommen glaubte) wahr-artig wie falsch-artig und These 2 ebenso wahr-artig wie falsch-artig. Der Grund dafür ist einfach, dass unsere Konzepte von “Jesus” und von “Naherwartung” so Murks sind, dass die beiden Thesen, die wir aus diesen Konzepten zusammenbasteln sich irgendwo im schauerlichen Niemandsland zwischen “falsch-artig”, “wahr-artig” und “unsinnig” befinden.

Also: Bei deiner “““ontischen””” Wirklichkeit (zumindest wie du sie verstehst, wenn du zum Angriff übergehst), ist das wesentlichste Problem nicht, dass wir keinen direkten Zugang zu ihr haben und gar keinen Vergleich unserer Denksystemen, Theorien, Überzeugungen etc. mit ihr vornehmen können. Dann könnte die Wirklichkeit zwar nicht Teststandard für unsere Überzeugungen werden, aber sie wäre wenigstens eine inspirierende Idee, die uns zumindest erlaubt, immer Fragen stellen zu können wie: “Entspricht das, was er sagt der Wirklichkeit. Oder nicht?”. Auch wenn wir wohl begreifen, dass wir es nicht feststellen können, so dürfen wir doch glauben, dass nur eines davon gelten kann. Das wäre auch schon etwas wert.

Nun ist es aber so, dass mit einer unkonzeptionalisierten/unkonzeptionalisierbaren Wirklichkeit die Relation selbst zwischen Wirklichkeit und Denken undefinierbar, unbegreiflich und vollkommen okkult ist. Auf der einen Seite unser Denken auf der anderen Seite das Meer des Chaos aller erdenklichen und unerdenklichen Möglichkeiten. Vom Alien-Jesus über den “Gnome/Salamander/Sylphen/Undinen-Planet” (Was bitte ist ein Planet, wenn “Materie” aus alchemistischen Elementarwesen besteht?) bis zum dem was nicht mal den kombinierten Fantasien von Remedios Varo und Salvador Dali entspringen könnte.

Ist die ontische Wirklichkeit nicht konzeptionalisierbar, dann wird das allermeiste, was wir glauben bestenfalls “irgendwas” wahr-artiges und falsch-artiges zugleich oder eher unsinnig sein. Die meisten Fragen, die wir stellen, werden schlicht unsinnig sein.

Zusammengefasst: Die “““ontische””” Wirklichkeit bleibt undefiniert. Dein Gebrauch dieses Begriffs schwankt zwischen “einigermaßen handfest konzeptionalisiert” und “Meer des Chaos”. Je nachdem was sich für dich anbietet um das Argument zu gewinnen.
closs hat geschrieben:
Fr 15. Nov 2019, 21:56
Bei meiner NICHT - NEIN. - Merkwürdig. --- Kann man sich heute nicht mehr vorstellen, dass etwas NICHT anthropozentrisch gemeint ist? --- Bei mir geht es in verschiedenen diesbezüglichen Threads immer um die Unabhängigkeit der Wirklichkeit von dem, was wir davon halten (egal, ob emotional, wissenschaftlich, sonstwie). - Und um die Erkenntnis, dass Untersuchen und vor allem Interpretieren IMMER eine Horizontverschmelzung von Subjekt und Objekt mit sich bringt.
du vergisst die Umkehrung: Was wir von der Wirklichkeit halten ist von ihr unabhängig. Und zwar wie oben ausgeführt je nach Definition von “Wirklichkeit” evtl. auf so harte Weise, dass wir uns keine Gedanken mehr über den Satz des ausgeschlossenen Dritten machen müssen. Weil es schon ein Glücksfall wäre, wenigstens eine klar falsche Thesen zu produzieren – die allermeisten unserer Thesen werden falsch-artig und wahr-artig zugleich oder völlig unsinnig sein.

Daraus sollte sich dann normalerweise Skeptizismus ergeben und damit wäre die Sache auf ehrliche Weise beendet.

Allerdings kommt dann das geballte Arsenal deines Ersatz-Kriterien Wirr-Warrs, wo dir mal dieses und mal jenes besser gefällt (je nachdem, wie es für die Situation günstig ist). Von “pragmatisch ontisch” über “technische Anwendbarkeit” und “direkte Wahrnehmung” bis zu “man kriegt die hermeneutische Spirale nach oben”.

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#222 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von closs » So 17. Nov 2019, 21:05

Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 19:57
An einer Stelle ist deine Wirklichkeit so “normal” und “handfest”, dass es dort Länder gibt wie Galiläa, mit Menschen darin und einem speziellen Wesen namens Jesus, das sich irgendwo zwischen göttlich und menschlich befand.
Nein - das behaupte ich gar nicht. - Das wäre ja eine Glaubens-Behauptung. --- Meine Aussage ist, dass man es nicht ausschließen kann, weil es nach heutiger Denke nicht konzeptionalisierbar ist.
Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 19:57
An anderer Stelle ist deine Wirklichkeit unkonzeptionalisiert und unkonzeptionalisierbar – als Vorstellung nicht mehr als ein vages, chaotisches, formloses Etwas aller erdenklichen und unerdenklichen Möglichkeiten.
Noch mehr: Es hängt nicht davon ab, ob und wie es von uns konzeptionalisierbar ist.
Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 19:57
Nehmen wir noch mal die Naherwartung – im Sinne einer Theorie à la Erich von Däniken. Wenn Jesus “ontisch” ein Außerirdischer war, genauer Agent des Erleuchtungsordens des galaktischen Imperiums von Xe'umi um die Menschen zu inspirieren, wird die Sache … problematisch.
Da sollte man halt diszipliniert Denken:

1) Wissenschaft ist, wenn man einen Forschungsgegenstand analytisch/methodisch/systematisch untersucht und diesbezügliche Begründungen intersubjektiv jederzeit nachvollziehbar macht. - Das ist ein VERFAHREN.

2) PRINZIPIELL kann der Gegenstand der Forschung ALLES sein - auch Pumuckl als Schöpfer der Welt. - Wie weit kommen wir mit diesem Verfahren?

3) Man kommt nicht mit jedem Forschungsgegenstand gleich weit (und hier kommt der hermeneutische Zirkel ins Spiel). - Wenn ein Wissenschaftler also den Däniken-Jesus untersuchen will, soll er es tun -  er wird nicht weit kommen.
Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 19:57
“Entspricht das, was er sagt der Wirklichkeit. Oder nicht?”. Auch wenn wir wohl begreifen, dass wir es nicht feststellen können, so dürfen wir doch glauben, dass nur eines davon gelten kann. Das wäre auch schon etwas wert.
Richtig. - Wobei man formulieren sollte: "Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, dass es richtig ist?".
 
Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 19:57
Zusammengefasst: Die “““ontische””” Wirklichkeit bleibt undefiniert. Dein Gebrauch dieses Begriffs schwankt zwischen “einigermaßen handfest konzeptionalisiert” und “Meer des Chaos”. Je nachdem was sich für dich anbietet um das Argument zu gewinnen.
Richtig - deshalb ist das Wort "Entscheidung" so wichtig: "An welche Voraussetzungen glaube ich oder welches Vorverständnis schalte ich vor, damit 'mein' Konzept ontisch wahr sein kann?". ---- Oder ganz, ganz anders rum: "Ist mir klar, dass wissenschaftliche Antworten in den Geisteswissenschaften oft unter Vorbehalt stehen, selbst wenn sie gut konzeptionalisiert sind?
Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 19:57
du vergisst die Umkehrung: Was wir von der Wirklichkeit halten ist von ihr unabhängig.
Das steckt automatisch drin - richtig.
Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 19:57


Daraus sollte sich dann normalerweise Skeptizismus ergeben und damit wäre die Sache auf ehrliche Weise beendet.

Allerdings kommt dann das geballte Arsenal deines Ersatz-Kriterien Wirr-Warrs, wo dir mal dieses und mal jenes besser gefällt (je nachdem, wie es für die Situation günstig ist). Von “pragmatisch ontisch” über “technische Anwendbarkeit” und “direkte Wahrnehmung” bis zu “man kriegt die hermeneutische Spirale nach oben”.
Ja - dazu habe ich Dir bereits Heines Satz zu Kants Reiner und Praktischer Vernunft zitiert. --- Denn es stellt sich irgendwann die Frage: "Was machen wir jetzt?" - Und da lautet die Antwort pragmatisch: "Was sich bewährt".

In der Naturwissenschaft geht das relativ problemlos, aber eben nicht in den Geisteswissenschaften.







 

Anton B.
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#223 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von Anton B. » So 17. Nov 2019, 22:26

closs hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 18:58
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 17:55
Die Verbindung zur menschlichen Erkenntnis kannst Du aber nicht darlegen. Dein, was der Fall ist, bleibt unverbunden im "off" stehen.
Moment, das ist etwas komplizierter: "Erkennen", wie ich hier gelernt habe, ist heute ausschließlich wissenschaftlich gemeint - sonst gibt es kein Erkennen. - Das war zu Kants Zeiten sicherlich anders.
Sicher? Was sagt denn Kant zu Verstand und Erkenntnis?

closs hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 18:58
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 17:55
Der Anspruch, etwas über die Wirklichkeit sensu closs sagen zu wollen, ist aufgegeben. Zumindest, solange der Erkenntniszugriff darauf nicht vernünftig begründet werden kann.
Das ist aus meiner Sicht ein Irrtum. Wenn meine Frau sagt, dass sie mich kennt, muss das nicht vernünftig sensu 21. Jh. begründet sein und kann trotzdem stimmen.
Lasse mich raten: "... kann stimmen ..." sicherlich gemessen an dem, was WIRKLICH der Fall ist, mit oder ohne Wildschweine. Richtig?

closs hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 18:58
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 17:55
Der aufgeklärte Mensch hat das eingesehen. Er "weiß" um die Einschränkungen seines Erkenntnisvermögens.
Das ist ein erster Schritt. - Der nächstes Schritt wäre: Reicht es, ein mutmaßliches Erkennen "vernünftig" zu begründen, dass dieses Erkannte wahr ist? Da wirst Du sicherlich nicht vorschnell JA sagen.
Bin mal so frei und sage "JA"! Weil ich das "wahr" auf Modelle und deren Äquivalenz mit Beobachtungen beziehe. Und das lässt sich prüfen. Wobei allerdings morgen wiederum eine weitere Beobachtung die Aussage unwahr machen kann. Du sprichst von "wahr", beziehst dieses "wahr" aber auf die Identität eines Modells mit dem, was WIRKLICH, der Fall ist. Mit oder ohne Wildschweine natürlich. Weil Du so total unter dem Pantoffel Deiner Wirklichkeitsvorstellung stehst, es so selbstverständlich ist, formulierst Du Aussagen schon gar nicht mehr vollständig aus.

closs hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 18:58
Siehe unser Muster-Beispiel "Jesus irrte sich". - "Vernünftig" kann man begründen, dass Jesus nur Mensch war und deshalb die Aussagen der HKM zu diesem Thema richtig sind: Jesus irrte sich also. ---- Aber Jesus muss nur historisch göttlich gewesen sein, was nun wirklich kein Problem ist, und schon ist die "vernünftige" Aussage "Jesus irrte sich" schlicht falsch.
"Falsch" wieder auf Dein Verständnis bezogen. Auf Deine Gedankenakrobatik "... muss nur so oder so gewesen sein, dann ist jede andere Aussage -- vernünftig oder nicht -- falsch." Für Dich alles ganz einfach.

"Jesus war nur Mensch" als Aussage ist aber tatsächlich nicht wohlbegründet. Im wissenschaftlichen Kontext kann Jesus eben nur als natürlicher Mensch gesehen werden. Eine Begründung dafür ist ebensowenig möglich, wie eine Widerlegung. Dasselbe gilt für Gott ja genauso. Es tut mir leid für Dich, aber vernünftig ist derzeit nicht erkennbar, wie Jesus als wirklicher Christus im Sinne unseres Glaubens durch vernünftige Begründungen vertreten werden kann.

Entweder, Du zeigst die Erkenntnismöglichkeit im Rahmen von vernünftigen Begründungen auf, oder Du lehnst unser Projekt "Wissen" ab. Letzteres steht Dir frei. Und m.E. hast Du diesen Weg schon eingeschlagen.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

closs
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#224 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von closs » So 17. Nov 2019, 23:20

Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 22:26
Was sagt denn Kant zu Verstand und Erkenntnis?
Bei ihm gibt es Erfahrungserkenntnis a posteriori, die die metaphysische Erkenntnis von der Erfahrung
abhängig macht.

Außerdem gibt es die Erkenntnis a priori, welche den Versuch unternimmt, die Wirklichkeit einer Sache durch bloßes Nachdenken zu erkennen.

 
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 22:26
Lasse mich raten: "... kann stimmen ..."
Richtig - es kann mehr stimmen als die Ergebnisse einer diesbezüglichen wissenschaftlichen Studie.
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 22:26
Bin mal so frei und sage "JA"! Weil ich das "wahr" auf Modelle und deren Äquivalenz mit Beobachtungen beziehe.
OK - dann ist also "wahr" keine Seins-Größe, sondern eine Wahrnehmungs-Größe. - So was Ähnliches sagt auch Thaddäus: "Es gibt keine Wahrheit, sondern nur wahre oder falsche Aussagen". --- Dann wird "wahr" halt komplett unterschiedliche semantisch besetzt - das ist eh meistens das Problem, das wir hier haben.

Duden bietet als Synonym "tatsächlich/wirklich" an. - Dann wären also auch "tatsächlich/wirklich" keine Seins-Größe, sondern eine Wahrnehmungs-Größe. - Dann wird es schwierig.

Was machen wir dann mit Sätzen wie "Gott ist die Wahrheit"---??? --- Als Wahrnehmungs-Größe macht dieser Satz keinen Sinn, und für Seins Größe ist das Wort "wahr" schon besetzt. - Oder meint "wahr" doch beides: Seins-Größe und Wahrnehmungs-Größe? - Wäre das glücklich, dasselbe Wort für etwas so Unterschiedliches zu nehmen?
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 22:26
Weil Du so total unter dem Pantoffel Deiner Wirklichkeitsvorstellung stehst
In der Tat: Ich kann "Wirklichkeit" nicht anders definieren als das, was objekt-bezogen der Fall ist.
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 22:26
Es tut mir leid für Dich, aber vernünftig ist derzeit nicht erkennbar, wie Jesus als wirklicher Christus im Sinne unseres Glaubens durch vernünftige Begründungen vertreten werden kann.
Im Sinne der heutigen Wort-Definitionen ist das sogar richtig (das ist mir längst klar - im anthropogen-vernünftigen Sinn). - Aber gleichzeitig kann Jesus ontisch vor 2000 Jahren göttlich gewesen sein. - Das heißt doch, dass "Jesus irrte sich" vernünftig "wahr" ist, "Jesus irrte sich NICHT" aber gleichzeitig ontisch wahr sein kann. - Im Ernstfall stehen sich also zwei Parteien gegenüber:

1) Wissenschaftler: "Meine Aussage ist vernünftig wahr, dass Du Jesus Dich geirrt hast".
2) Jesus: "Das mag bei Euch so sein - aber von der Sache her ist wahr, dass ich mich NICHT geirrt habe"

Macht das Sinn?
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 22:26
Entweder, Du zeigst die Erkenntnismöglichkeit im Rahmen von vernünftigen Begründungen auf, oder Du lehnst unser Projekt "Wissen" ab. Letzteres steht Dir frei. Und m.E. hast Du diesen Weg schon eingeschlagen.
Nicht unbedingt. - Ich habe hier im Forum (zu meiner Überraschung) gelernt, dass Begriffe wie "nachweisen"/"widerlegen"/"wissen" semantisch anders besetzt sind, als ich dachte (und auch der Nicht-Wissenschaftler denkt - also auch anders, als die Medien denken) und erkenne somit, dass diese Begriffe anthropogen-vernünftige/systemische Begriffe sind und nicht ontische Begriffe.

Da - und jetzt kommt der pragmatische Teil - die Erfahrung (gerade in den Naturwissenschaften) zeigt, dass anthropogen-vernünftig ermittelte Ergebnisse sich in der Wirklichkeit bewähren, ist dieses Projekt "Wissen" in den Naturwissenschaften das beste, was wir haben. - In den Geisteswissenschaften gilt das sicherlich teilweise ebenfalls, aber in viel geringerem Maß als in den Naturwissenschaften.

Conclusio: Aus meiner Sicht bedeutet heute "Aufklärung", dass man die prinzipielle Relativität anthropogen-vernünftiger/systemischer Ergebnisse erkennen muss und sie mit Vorbehalt akzeptieren sollte. - Akzeptieren ja, aber sich nicht wundern, wenn es doch anders ist. - Meines Erachtens löst man damit folgenden Satz Kants ein:
" Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.".


  

 

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#225 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von Scrypton » So 17. Nov 2019, 23:42

closs hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 23:20
Aber gleichzeitig kann Jesus ontisch vor 2000 Jahren göttlich gewesen sein.
Gleichzeitig kann jede in der Vergangenheit lebende Person göttlich gewesen sein - und deshalb NICHT relevant.

Es könnte ontisch auch mal fliegende Pferde gegeben haben. Und ontisch könnten vor 4.000 Jahren Außerirdische beim Bau der Pyramiden geholfen haben. Bla-Bla-Blubb, dein albernes von "Wenns..." zu "Danns..."-Gehüpfe ist völlig nichtssagend.
Ein Luftschluss eben, an welches du dich klammerst.

Wenn du es wenigstens begründen könntest. :rolleyes:

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#226 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von Claymore » So 17. Nov 2019, 23:58

Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 22:26
Bin mal so frei und sage "JA"! Weil ich das "wahr" auf Modelle und deren Äquivalenz mit Beobachtungen beziehe. Und das lässt sich prüfen. Wobei allerdings morgen wiederum eine weitere Beobachtung die Aussage unwahr machen kann. Du sprichst von "wahr", beziehst dieses "wahr" aber auf die Identität eines Modells mit dem, was WIRKLICH, der Fall ist. Mit oder ohne Wildschweine natürlich. Weil Du so total unter dem Pantoffel Deiner Wirklichkeitsvorstellung stehst, es so selbstverständlich ist, formulierst Du Aussagen schon gar nicht mehr vollständig aus.
Es ist halt die Frage, was man unter dem Wort “wahr” versteht. IMHO ist deine Verwendung doch sehr unüblich.

Nach meiner Erfahrung gehört es zum alltäglichen Gebrauch, dass eine Aussage nicht mit Verstreichen der Zeit ihren Status von “wahr” auf “falsch” (und umgekehrt) ändert. Dies drückt sich durch Formulierungen wie “Die Aussage hat sich als wahr [/falsch] herausgestellt” aus. Man sagt doch eher nicht: “Die Aussage wurde wahr [/falsch].” Da wo “wahr werden” tatsächlich verwendet wird, ist es eher metaphorischer / poetischer Natur oder in feststehenden Redewendungen wie “Träume werden wahr”. Ganz im Gegensatz zu dem Status einer Aussage als gerechtfertigt, wo die Vorstellung der Nicht-Konstanz vollkommen gängig ist. Man sagt: “Die Aussage wurde widerlegt”, “Die Aussage wurde gerechtfertigt”.

Im professionellen Kontext, d. h. u. a. in der Philosophie, ist es wohl nicht so viel anders. Wobei es Ausnahmen gibt, wie im Pragmatismus. William James: “Truth happens to an idea. It becomes true, is made true by events. Its verity is in fact an event, a process: the process namely of its verifying itself, its veri-fication. Its validity is the process of its valid-ation.” (er fühlte sich bemüßigt made und becomes typographisch hervorzuheben, d. h. er war sich bewusst, dass auch im Englischen “made true”, “becomes true” eher unüblich und primär in Metaphern verwendet wird)

Ich würde aufgrund dieses so gängigen Verständnisses dann (im Gegensatz zu dir und William James) von dem Wort “wahr” Abstand nehmen, wenn das Konzept dahinter diese Eigenschaft der zeitlichen Konstanz verloren hat. Im Sinne gewisser pragmatischen Wahrheitstheorien gäbe es dann gar kein “wahr”.

Diese zeitliche Konstanz von “wahr” steht und fällt i. Ü. nicht mit der Korrespondenztheorie der Wahrheit. Denn auch bei einer Aussage wie “Es gibt keine natürlichen Zahlen a, b, c, n mit aⁿ + bⁿ = cⁿ und n > 2” nehmen wir diese zeitliche Konstanz an (sie ist wahr oder falsch und dabei bleibt es. Stellt sich Andrew Wiles Beweis als fehlerhaft heraus, und würde man anschließend ein Gegenbeispiel finden, dann war die Aussage halt immer falsch, auch wenn wir sie irrtümlicherweise als wahr annahmen). Und doch werden sehr viele Leute im Alltag wie auch Philosophen nicht denken, dass es ein platonisches “Reich der Zahlen” gibt, welches a la clossens “““ontisch””” den unzugänglichen, unbenutzbaren Standard für mathematische Theoreme liefert. Sie werden nicht mal denken, dass Zahlen wenigstens Eigenschaften der Sinnenwelt sein müssen (denn man kann ja auch genauso abstrakte “Dinge” wiederum zählen: Es gibt 24 gültige aristotelische Syllogismen).
closs hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 23:20
OK - dann ist also "wahr" keine Seins-Größe, sondern eine Wahrnehmungs-Größe. - So was Ähnliches sagt auch Thaddäus: "Es gibt keine Wahrheit, sondern nur wahre oder falsche Aussagen". --- Dann wird "wahr" halt komplett unterschiedliche semantisch besetzt - das ist eh meistens das Problem, das wir hier haben.
Ich habe jetzt einen ganz anderen Eindruck von Thaddäus’ Äußerungen bekommen. Es handelt sich hier wohl um eine bewusste Falschinterpretation, damit das ganze in dein Banal-Schema passt.

Warum soll mit “Es gibt keine Wahrheit, sondern nur wahre oder falsche Aussagen” nicht gemeint sein:

Eine Aussage ist wahr, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Wahrheit völlig unqualifiziert, als alleinstehender Begriff, ist außerhalb sehr spezieller Kontexte (poetisch, metaphorisch) unsinnig. Fängt ein Satz mit “Die Wahrheit ist…” an, folgt doch normalerweise eine Aussage. Selbst in Sätzen wie “Der Detektiv wollte die Wahrheit herausfinden” meint man nicht “die einzige, allumfassende, für sich alleinstehende Wahrheit an sich”, sondern immer etwas, das sich auf einen Ausschnitt der Realität bezieht und sich völlig problemlos in Aussagen (oder wenigstens Teilaussagen) ausformulieren lässt, z. B. “Der Mörder ist der Butler” – wahr oder falsch?

Auch kann eine Aussage wahr sein, wenn es für sie nicht die geringste Rechtfertigung gibt. “Gerechtfertigt” und “wahr” sind zwei völlig verschiedene Kategorien. Ersteres ist Menschen-abhängig, letzteres nicht. “Die Anzahl der C-Atome im Cullinan-Diamant ist (zum Zeitpunkt x) eine ungerade Zahl”. Sehr möglich, dass das wahr ist, aber es ist jenseits unserer Möglichkeiten hier irgendeine Form von Rechtfertigung anzugeben. Wenn der Cullinan-Diamant tatsächlich aus einer geraden Anzahl C-Atome besteht, dann ist die Aussage wahr wenn auch nicht gerechtfertigt.


Der Unterschied zwischen dir und Thaddäus besteht darin, dass du meinst, dass es keinerlei Möglichkeiten gibt, herauszufinden, ob eine Aussage wahr oder falsch ist – und sie nicht.
 

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#227 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von Claymore » Mo 18. Nov 2019, 00:15

Verbesserung:
Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 23:58
Wenn der Cullinan-Diamant tatsächlich aus einer ungeraden Anzahl C-Atome besteht, dann ist die Aussage wahr wenn auch nicht gerechtfertigt.

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#228 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von closs » Mo 18. Nov 2019, 00:27

Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 23:58
Ich habe jetzt einen ganz anderen Eindruck von Thaddäus’ Äußerungen bekommen. Es handelt sich hier wohl um eine bewusste Falschinterpretation, damit das ganze in dein Banal-Schema passt.
Höre einfach mit so blödem Scheiß auf.
Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 23:58
Der Unterschied zwischen dir und Thaddäus besteht darin, dass du meinst, dass es keinerlei Möglichkeiten gibt, herauszufinden, ob eine Aussage wahr oder falsch ist – und sie nicht.

Das ist teilweise richtig. - Der entscheidende Punkt ist hier jedoch "Wahr oder falsch in Bezug worauf?". - Thaddäus bezieht es auf die Logik, verkennt aber aus meiner Sicht, dass "Logik" lediglich ein Instrument ist und kein Inhalt - Bsp: Wenn man annimmt, dass der Mensch 5 Ohren hat, haben 6 Menschen 30 Ohren. - Das ist logisch, also eine "wahre" Aussage. - Man kann also per logischem Nachweis herausfinden, dass diese Aussage wahr ist. - Mit anderen Worten: Der Bezug, wozu etwas wahr oder falschist, ist entscheidend.

Wie auch immer: Wir stellen fest, dass es unterschiedliche Definitionen gibt von "wahr".

 

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#229 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von Andreas » Mo 18. Nov 2019, 00:28

closs hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 18:58
Das, was ich (seitenweise) von Merz & Theißen gelesen habe, gibt Deiner Aussage recht (vor allem das Vorwort). - Kleines Geheimnis: Wenn ich Glück habe, kann ich Frau Merz zum Jahreswechsel mal treffen - auf dieses Forum habe ich sie bereits hingewiesen, aber sie sagt, sie habe einfach zur Zeit keine Zeit.
Vor diesem Treffen solltest du sicherstellen, dass du wenigstens den Titel des Buches verstanden hast, welches sie mit Gerd Theißen zusammen geschrieben hat. Sonst wird's so peinlich, wie hier im Forum.

Bevor du deine hermeneutischen Anstrengungen auf diese drei Worte fokusierst, bitte den folgenden Text bitte drei mal langsam und aufmerksam lesen, um theologisch up to date zu sein:

Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige christliche Kirche, Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung der Toten und das ewige Leben.
Amen.

Anton B.
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#230 Re: Aus der Werkstatt des Philosophen - Widerlegung des closs'schen Skeptizismus

Beitrag von Anton B. » Mo 18. Nov 2019, 01:41

Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 23:58
Anton B. hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 22:26
Bin mal so frei und sage "JA"! Weil ich das "wahr" auf Modelle und deren Äquivalenz mit Beobachtungen beziehe. Und das lässt sich prüfen. Wobei allerdings morgen wiederum eine weitere Beobachtung die Aussage unwahr machen kann. Du sprichst von "wahr", beziehst dieses "wahr" aber auf die Identität eines Modells mit dem, was WIRKLICH, der Fall ist. Mit oder ohne Wildschweine natürlich. Weil Du so total unter dem Pantoffel Deiner Wirklichkeitsvorstellung stehst, es so selbstverständlich ist, formulierst Du Aussagen schon gar nicht mehr vollständig aus.
Es ist halt die Frage, was man unter dem Wort “wahr” versteht. IMHO ist deine Verwendung doch sehr unüblich.

Nach meiner Erfahrung gehört es zum alltäglichen Gebrauch, dass eine Aussage nicht mit Verstreichen der Zeit ihren Status von “wahr” auf “falsch” (und umgekehrt) ändert. Dies drückt sich durch Formulierungen wie “Die Aussage hat sich als wahr [/falsch] herausgestellt” aus. Man sagt doch eher nicht: “Die Aussage wurde wahr [/falsch].” Da wo “wahr werden” tatsächlich verwendet wird, ist es eher metaphorischer / poetischer Natur oder in feststehenden Redewendungen wie “Träume werden wahr”. Ganz im Gegensatz zu dem Status einer Aussage als gerechtfertigt, wo die Vorstellung der Nicht-Konstanz vollkommen gängig ist. Man sagt: “Die Aussage wurde widerlegt”, “Die Aussage wurde gerechtfertigt”.

Im professionellen Kontext, d. h. u. a. in der Philosophie, ist es wohl nicht so viel anders. Wobei es Ausnahmen gibt, wie im Pragmatismus. William James: “Truth happens to an idea. It becomes true, is made true by events. Its verity is in fact an event, a process: the process namely of its verifying itself, its veri-fication. Its validity is the process of its valid-ation.” (er fühlte sich bemüßigt made und becomes typographisch hervorzuheben, d. h. er war sich bewusst, dass auch im Englischen “made true”, “becomes true” eher unüblich und primär in Metaphern verwendet wird)

Ich würde aufgrund dieses so gängigen Verständnisses dann (im Gegensatz zu dir und William James) von dem Wort “wahr” Abstand nehmen, wenn das Konzept dahinter diese Eigenschaft der zeitlichen Konstanz verloren hat. Im Sinne gewisser pragmatischen Wahrheitstheorien gäbe es dann gar kein “wahr”.
Da legst Du Deine Finger in eine Wunde. Es ist ein sehr unintuitiver Sprachgebrauch von "wahr" und "falsch". Aber ich konnte der Verlockung nicht widerstehen, clossens "wahr" (und "falsch") aufzugreifen und -- mit leichter Gewaltanwendung -- in den wissenschaftlichen Erkenntniskontext rein zu zwingen.

Alle Deine aufgebrachten Einwände werden (und das ist m.E. ein Zeichen Deiner Exzellenz) von Popper in dem Kapitel 84 seiner "Logik der Forschung" problematisiert. Berufend auf dem Wahrheitsbegriff Tarskis nudelt er verschiedene Probleme durch. Dabei geht er auch (Anmerkung 36) auf den "Wahrheitsbegriff der meisten Menschen" ein, der da laute: "Wahrheit ist Übereinstimmung mit den Tatsachen (mit der Wirklichkeit)." Für uns, die wir darüber nachdenken, äußert er: "... werden wir vielleicht gegen den Begriff der Wahrheit missstrauisch und entschließen uns, ihn lieber nicht zu verwenden." Aber dann kommt Tarski, und nun verwendet auch Popper "... die Ausdrücke Wahrheit und Falschheit nunmehr ohne zögern." :bleh:

Im Haupttext selber stellt er einleitend erstmal klar, in seiner Erkenntnislogik könne man auf "wahr" und "falsch" auch verzichten. "Damit", so Popper, "ist natürlich nicht gesagt, dass wir die Begriffe wahr und falsch aber nicht verwenden dürfen [...]".

Claymore hat geschrieben:
So 17. Nov 2019, 23:58
Diese zeitliche Konstanz von “wahr” steht und fällt i. Ü. nicht mit der Korrespondenztheorie der Wahrheit. Denn auch bei einer Aussage wie “Es gibt keine natürlichen Zahlen a, b, c, n mit aⁿ + bⁿ = cⁿ und n > 2” nehmen wir diese zeitliche Konstanz an (sie ist wahr oder falsch und dabei bleibt es. Stellt sich Andrew Wiles Beweis als fehlerhaft heraus, und würde man anschließend ein Gegenbeispiel finden, dann war die Aussage halt immer falsch, auch wenn wir sie irrtümlicherweise als wahr annahmen).

Volltreffer, würde ich mal sagen:

Diese "Zeitlosigkeit" werden wir auch mit dem Gebrauch der Begriffe "wahr" und "falsch" verbinden, und das in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch: Wir pflegen von einem Satz nicht zu sagen, er sei wohl gestern noch wahr gewesen, aber heute falsch; sondern wenn wir gestern einen Satz für wahr erklärten, den wir heute als falsch bezeichnen, so behaupten wir damit (heute) implizite, dass wir uns gestern geirrt haben, dass der Satz wohl auch schon gestern falsch gewesen sei (ja überhaupt zeitlos falsch sei), dass wir ihn aber irrtümlich "für wahr gehalten" haben. -- Popper, Logik der Vernunft, Kap. 84, S. 263 der 11. Aufl. Mohr-Siebeck
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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