Aus der Werkstatt des Theologen

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lovetrail
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#341 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von lovetrail » Mi 23. Okt 2019, 22:57

Ja, ich meinte eigentlich auch das "woher" im ontologischen Sinne. Also Heidegger nach der Kehre ;-) Woher schickt sich diese Transzendenz dem Menschen zu?

LG
Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, so wird Christus dich erleuchten!

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Thaddaeus
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#342 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Thaddaeus » Do 24. Okt 2019, 11:52

closs hat geschrieben:
Mi 23. Okt 2019, 22:17
Thaddaeus hat geschrieben:
Mi 23. Okt 2019, 22:01
Da der Tod ein Faktum des Lebens ist, aber gleichzeitig für denkende Wesen mit Selbstbewusstsein (die sich nicht anders als denkend erleben können) nicht denkbar ist, bleibt ihm praktisch nichts anderes übrig als sich und den Tod zu transzendieren. Die Transzendierung erschafft Sinn, um mit der Möglichkeit der eigenen, schlechthinnigen Daseinsunmöglichkeit fertig werden zu können.
Schon klar. - Das Entscheidende ist, ob die Transzendierung eine reine Selbstbespiegelung ist oder auf eine Entität außerhalb des eigenen Seins trifft.
Darauf geben dir die unzähligen religiösen Vorstellung und unzähligen unterschiedlichen Götterbilder, die in der Geschichte der Menschheit entwickelt worden sind, eine ziemlich klare Antwort.

Transzendierung kann ohnehin niemals lediglich "Selbstbespiegelung" sein, sonst wäre es gerade keine Transzendierung. In der christlichen Tradition hat Meister Eckhart die Sache noch am besten durchschaut. Vorstellungen freilich, die Gott über die widersprüchliche Annahme einer Art geistiger Leiblichkeit oder leiblicher Geistigkeit faktisch in ein himmlisches Jerusalem als Teil dieses Universums verorten, trifft der ganze Spott von Joseph Campbells zutreffender Diagnose (Gabriel würde es "Verwechslung der Sinnfelder" nennen! Da kommt dann so etwas Lustiges dabei heraus.) :
Wir müssen jetzt allerdings die Frage stellen, was dies alles für die Mythologie bedeutet? Offensichtlich müssen einige Korrekturen angebracht werden.
Zum Beispiel: man glaubt, daß Jesus nach der Auferstehung von den Toten leiblich gen Himmel auffuhr (Lukas 24, 51), und daß ihm kurz darauf seine Mutter aus dem Schlaf heraus folgte (frühchristlicher Glaube, der am 1. November 1950 als römisch-katholisches Dogma bestätigt wurde). Außerdem lesen wir, daß neun Jahrhunderte früher Elia auf einem feurigen Wagen in einem Wirbelsturm zum Himmel emporgetragen wurde (2. Könige 2,11).
Selbst wenn die drei himmlischen Reisenden mit Lichtgeschwindigkeit aufsteigen, was für jeden Köφer unmöglich ist, hätten sie die Galaxie noch nicht verlassen.


Joseph Campbell, Die Mitte ist überall, Die Sprache von Mythos, Religion und Kunst, München, Kösel: 1992, S.35f.)

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Thaddaeus
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#343 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von Thaddaeus » Do 24. Okt 2019, 11:57

lovetrail hat geschrieben:
Mi 23. Okt 2019, 22:57
Ja, ich meinte eigentlich auch das "woher" im ontologischen Sinne. Also Heidegger nach der Kehre ;-) Woher schickt sich diese Transzendenz dem Menschen zu?
Dein Fehler im Gedanken ist, dass du glaubst, dem Menschen müsse Transzendenz von irgendwoher zugeschickt werden. :smilielight:

closs
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#344 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von closs » Do 24. Okt 2019, 13:52

Thaddaeus hat geschrieben:
Do 24. Okt 2019, 11:52
Transzendierung kann ohnehin niemals lediglich "Selbstbespiegelung" sein, sonst wäre es gerade keine Transzendierung.
Sehe ich genauso - aber oft wird es so dargestellt - z.B.: Die transzendente Reflexion sei ein Kollateralschaden der Evolution, zu deren Entwicklung über den Status Quo hinausgedacht werden müsse - und dann komme es halt zu solchen Fehlleistungen. - Es ist schön, dass Du es anders zu sehen scheinst.
Thaddaeus hat geschrieben:
Do 24. Okt 2019, 11:52
Vorstellungen freilich, die Gott über die widersprüchliche Annahme einer Art geistiger Leiblichkeit oder leiblicher Geistigkeit faktisch in ein himmlisches Jerusalem als Teil dieses Universums verorten, trifft der ganze Spott von Joseph Campbells zutreffender Diagnose (Gabriel würde es "Verwechslung der Sinnfelder" nennen!
Richtig - aber das sollte einem Christen eh nicht passieren: Das "himmlische Jerusalem" ist sicherlich nicht "Teil dieses Universums". Das wäre in der Tat eine "Verwechslung der Sinnfelder".
Thaddaeus hat geschrieben:
Do 24. Okt 2019, 11:52
Da kommt dann so etwas Lustiges dabei heraus.
Stimmt - aber Campbell geht von falschen Voraussetzungen aus (das ist eh immer das Problem, wenn etwas logisch ist, aber falsch). - Die leibliche Auferstehung ist NICHT eine Sache im Universum.


 

JackSparrow
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#345 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von JackSparrow » Do 24. Okt 2019, 14:10

Thaddaeus hat geschrieben:
Mi 23. Okt 2019, 16:27
1. Richter legen nicht fest, was Menchenwürde bedeutet. Sie urteilen lediglich darüber, ob etwas gegen die Menschenwürde verstößt.
Der Gesetzgeber hat nicht bestimmt, was unter Menschenwürde zu verstehen ist. Um urteilen zu können, ob etwas gegen die Menschwürde verstößt, muss ich mir also zuerst ein Urteil darüber bilden, was Menschenwürde bedeutet. Wobei mein Urteil von heute nicht unbedingt mit meinem Urteil von morgen übereinstimmen muss, sondern je nach Tagesstimmung und Täterprofil mal in die eine und mal in die andere Richtung tendieren kann.

2. Der parlamentarische Rat hat die Menschenwürde nicht apriori SO festgelegt. Er hat sich stattdessen auf Kant und Hegel besonnen. Gottseidank waren die Väter und Mütter des GG nicht philosophisch ungebildet.
Ich denke nicht dass dem parlamentarischen Rat intuitiv einleuchtete, wieso der Mensch aufgrund eines willkürlich ausgewählten Teils seiner Vorstellungen über "alle anderen Wesen unendlich erhoben" sein sollte. Vermutlich saßen da mehrheitlich christlich geprägte Bürger drin, die einfach eine hübsche moderne Formulierung für ihre "bedingungslose Nächstenliebe" im Gesetz unterbringen wollten.

JackSparrow hat geschrieben:Wird der definitionsgemäß freie Wille meiner Mitmenschen plötzlich weniger frei, wenn ich sie unterdrücke?
Nein, ihr Wille nicht. Aber ihre Möglichkeiten, diesem Willen Ausdruck zu verleihen. Das ist doch zemlich einfach zu verstehen.
Verstehe. Der definitionsgemäß "freie Wille" existiert nur hypothetisch und philosophisch, während der real existierende "Wille" lediglich eine Umschreibung für eine endliche Anzahl von Ausdrucksmöglichkeiten darstellt. Als Philosoph kann man solche Sachen natürlich nicht schreiben, sonst wäre man bald arbeitslos.


closs hat geschrieben:
Mi 23. Okt 2019, 22:17
Das Entscheidende ist, ob die Transzendierung eine reine Selbstbespiegelung ist oder auf eine Entität außerhalb des eigenen Seins trifft.
Das Entscheidende ist, was genau du als "eigenes Sein" wahrnimmst und wo du die Grenze zwischen innerhalb und außerhalb ansetzen möchtest. Mit ausreichend Fantasie mag sich vielleicht gar der nächstbeste Gullideckel in eine außerhalb befindliche transzendierende Entität verwandeln.

PeB
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#346 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von PeB » Do 24. Okt 2019, 15:46

lovetrail hat geschrieben:
Mi 23. Okt 2019, 12:50
An dieser Argumentation sieht man, dass der Humanismus eigentlich auch ohne einer regulativen Idee "Gott" auskommt.
Spricht nicht eher Vieles dafür, dass der Humanismus ohne die sogenannte "christlich-abendländische" Kulturtradition - also einem klar definierten Gottesbild - gar nicht entstanden wäre? Jedenfalls entstammt er diesem Millieu.

Und nun betrachtet er sich als darüber hinausgewachsen?
:-)

PeB
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#347 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von PeB » Do 24. Okt 2019, 15:56

abc hat geschrieben:
Mi 23. Okt 2019, 13:02
Für mich ist es eine Frage der 'religio', zu die der Mensch, wie soll ich sagen, fast zwingend/zwangsläufig, kommen muß. Wir finden uns in einer Welt wieder, ohne sie hinreichend erklären zu können.

Das ist die eine Erklärungsrichtung, die uns die moderne Weltbetrachtung seit Beginn des Ratinalismus vorgibt. Ausgehend vom Menschen als per se individuell isoliertem Wesen mit der Suche nach Antworten innerhalb seines eigenen Kopfkosmos.
Die alte Vorstellung - ich will es nur erwähnen - war die des von Gott erschaffenen und in Generationen verfielfältigten Menschen, der aufgrund seiner Berührung mit Gott in der Schöpfung von diesem weiß.

closs
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#348 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von closs » Do 24. Okt 2019, 16:19

JackSparrow hat geschrieben:
Do 24. Okt 2019, 14:10
Der Gesetzgeber hat nicht bestimmt, was unter Menschenwürde zu verstehen ist.
Doch - und zwar auf staatsrechtlicher Ebene. - Das muss im schlimmsten Fall nicht damit zu tun haben, was Du oder ich als Menschenwürde verstehen - ist aber bei uns vermutlich ziemlich kongruent.
JackSparrow hat geschrieben:
Do 24. Okt 2019, 14:10
Ich denke nicht dass dem parlamentarischen Rat intuitiv einleuchtete, wieso der Mensch aufgrund eines willkürlich ausgewählten Teils seiner Vorstellungen über "alle anderen Wesen unendlich erhoben" sein sollte.
Das ist auch nicht seine Aufgabe. - Ihm geht es darum, "Menschenwürde" im Rahmen des Rechtsstaats als Größe zu installieren - sozusagen den Rechtsstaat ethisch aufzuladen.
JackSparrow hat geschrieben:
Do 24. Okt 2019, 14:10
Das Entscheidende ist, was genau du als "eigenes Sein" wahrnimmst und wo du die Grenze zwischen innerhalb und außerhalb ansetzen möchtest.
Das kann man nur per Entscheid - wissen kann man es nicht.


 

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abc
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#349 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von abc » Do 24. Okt 2019, 17:56

PeB hat geschrieben:
Do 24. Okt 2019, 15:56
abc hat geschrieben:
Mi 23. Okt 2019, 13:02
Für mich ist es eine Frage der 'religio', zu die der Mensch, wie soll ich sagen, fast zwingend/zwangsläufig, kommen muß. Wir finden uns in einer Welt wieder, ohne sie hinreichend erklären zu können.

Das ist die eine Erklärungsrichtung, die uns die moderne Weltbetrachtung seit Beginn des Rationalismus vorgibt. Ausgehend vom Menschen als per se individuell isoliertem Wesen mit der Suche nach Antworten innerhalb seines eigenen Kopfkosmos.

Hallo PeB (und möglicherweise auch Thaddaeus),
um hier gleich Mißverständnissen vorzubeugen. So, habe ich es gerade nicht gemeint! Ich habe meinen Beitrag darum nochmal überflogen - und ja, man könnte es so herauslesen.

Was ich aber mit 'religio' zum Ausdruck bringen wollte, ist gerade nicht jene Haltung, die beispielsweise in der Naturwissenschaft (Technik) ihren vollkommenen Ausdruck sucht, in Wahrheit aber Perfektion anstrebt - getragen von einer Intelligenz, die sich dadurch auszeichnet, daß sie in kürzester Zeit diese oder jene Aufgaben löst: gemäß Markus Gabriel übrigens ein entscheidendes Kriterium für Intelligenz (KI)!

Sondern eine natürliche Veranlagung im Menschen, dessen Urgrund nicht der Rationalismus ist, sondern eine tiefe unausgesprochene Urverbindung, die sich im Auftrennen der Nabelschnur wiederholt spiegelt. Das neugeborene Kind hängt nicht nur an der Mutter, sondern am Ursprung des Menschen. Die Hinwendung zur Mutter, der Blick zurück, um sich zu vergewissern, ob Vater und Mutter zugegen sind ... spiegelt sich später in der Frage (inwendig/äußerlich), woher ich/wir kommen, den Sternenhimmel und Kosmos betrachtend.

Bild

Es gibt meiner Ansicht nach, eine tiefe & natürliche Zuneigung, nicht nur zu unseren Eltern (Heilige Familie), Großeltern ... - sondern zu unserem Ursprung (Gott), eine tiefe Dankbarkeit der Quelle gegenüber, aus der wir alle hervorgegangen sind. Insofern ist jeder Mensch religiös, meinem Empfinden nach! Allerdings scheint diese Urverbindung auf seltsame Weise unterbrochen ...

Hier ist der Mensch sehr angreifbar, verwundbar!

Ideologien/Religionen überschatten diese Wunde seit Tag und Jahr - liegen wie ein Pflaster auf/an! Der Menschheit wird eingeredet, sie könne diese Lücke durch Wissenschaft schließen: in meinen Augen ist das der helle Wahnsinn!

Besagte Urverbindung ist (sehr) geschwächt und wird vom Rationalismus mehr und mehr zugekittet! Die Digitalisierung und die aufkommende KI ziehen den Menschen mehr und mehr in eine - wie soll ich sagen - entrückte Welt, in der der zukünftige Mensch diese (unausgesprochene) Anbindung überhaupt nicht mehr kennt, sie im Leben noch nie gespürt oder empfunden hat - und darüber nicht nur spotten, sondern Meldung machen wird ...

Spoiler
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Künstliche Befruchtung, Leihmütter und Robotik (samt Begründungen!?) zeigen, wohin die Reise geht!

Die Heilige Familie ist ein/das Gegenbild dazu: in seiner Mitte birgt sie den wahren Menschensohn!

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lovetrail
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#350 Re: Aus der Werkstatt des Theologen

Beitrag von lovetrail » Do 24. Okt 2019, 18:27

PeB hat geschrieben:
Do 24. Okt 2019, 15:46

Spricht nicht eher Vieles dafür, dass der Humanismus ohne die sogenannte "christlich-abendländische" Kulturtradition - also einem klar definierten Gottesbild - gar nicht entstanden wäre? Jedenfalls entstammt er diesem Millieu.

Und nun betrachtet er sich als darüber hinausgewachsen?
:-)

Klar, die Kinderkrankheiten überwunden, sozusagen - und nun geht es mit vollem Schwunge nach vorne .... in die neue Weltordnung
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