closs hat geschrieben: ↑Mi 28. Aug 2019, 00:02Ist es nicht Ausdruck menschlicher Vernunft, vorauszusetzen, dass es so ist? Obwohl es anders sein könnte.
Das Problem ist deine extrem tendenziöse Beschreibung hier. D. h. dass wenn man annimmt, dass die Sinne einen nicht vollständig täuschen, dass das gleiche ist wie zu glauben, dass die Welt nach der menschlichen Vernunft funzt.
Auch das cogito von Descartes beruht nur darauf, aus Erfahrung Begriffe (Konzepte) zu bilden und dann über die Erfahrung ein Urteil zu bilden. Descartes stellt “ich denke, also bin ich” wie einen sich selbst beweisenden Satz dar. Aber die Erfahrung des Bewusstseins allein enthält
nicht “Ich denke”. Ohne dieses Manöver schafft es Descartes nicht, sein Fundament zu legen. Er braucht aber unbedingt seine eine “unbezweifelbare” Wahrheit wenn er doch darauf bestehen will, dass gefälligst die epistemologische Brücke zur Außenwelt hier, beim “absolut sicheren”, ihren Ausgangspunkt nehmen soll.
Dies allein widerlegt natürlich den cartesischen Skeptiker nicht; der befindet sich in einer absolut sicheren dialektischen Position, von der ihn niemand durch eine direkte Widerlegung heraus lösen kann. Der Gewinn ist also “nur”, dass die
totale Beliebigkeit des cartesischen Skeptizismus gezeigt wurde. Descartes’ Ausgangspunkt ist nicht absolut sicher, er ist nicht einzig herausgehoben im Vergleich zu irgendwelchen anderen Ausgangspunkten.
Von daher unterscheidet sich der cartesische Skeptiker nicht von einem Skeptiker, der die Existenz die Außenwelt zwar akzeptiert, aber keinen Schluss zulässt, der von Beobachtungen in der Gegenwart Aussagen über die Vergangenheit macht. Daher sollte man beide gleich behandeln.
Der einzige Unterschied ist, dass einmal ein großer Philosoph einen verführerisch überzeugenden Fehlschluss fabriziert hat. Du läufst hier ja auch nicht herum und spielst den Kämpfer gegen den Zeitgeist des 21. Jahrhunderts auf der Basis der
Last-Thursday-Hypothese. Dabei besteht bei genauer Betrachtung kein Unterschied zum cartesischen Skeptizismus.
"Rational" ist definiert als "von der Vernunft gesteuert". - Dementsprechend ist nach MEINEM Vernunft-Verständnis das rationale Argument,
Wie viele Vernunftbegriffe willst du denn noch einführen?
dass es widersinnig wäre, wenn uns Sinne gegeben werden würden, zu denen es keine Res-extensae-Objekte, sondern nur Vorstellungen gäbe - damit sind wir wieder bei Descartes' Setzung des "wohlwollenden Gottes".
Es handelt sich hier für Descartes nicht um eine Setzung.
- Genauso rational wäre die Schlussfolgerung, dass philosophischen Systemen bewusst sein muss, dass die Behauptung "Wahrnehmungen von Sinnen/Wissenschaft beweisen die Existenz der Res extensae" falsch ist, weil die Frage nach dem Verhältnis von Wahnehmung/Wissenschaft und Objekt nicht falsifizierbar ist.
Es ist so “falsch” wie zu sagen, dass die historischen Aufzeichnungen beweisen, dass Napoleon Kaiser von Frankreich war. Aber natürlich befindet man sich mit deinem hier endlos dargelegten Skeptizismus in einer sicheren dialektischen Position.
Das war eigentlich der einzige Grund, überhaupt diese Sache zu thematisieren, um klarzustellen, dass kein menschliches Denksystem NICHT letztlich auf Glaube beruht, selbst wenn es in sich selbst nur Falsifizierbares präsentiert.
Mit dem “falsifizierbar” hast du ein neues Unfug-Fass aufgemacht. Wo präsentiert die Mathematik denn etwas falsifizierbares in Poppers Sinn?
Und auch wenn du bereit bist hier die tollsten Differenzierungen beim Wort “Vernunft” vorzunehmen, so ist das Gegenteil der Fall beim Wort “Glaube”. Zu glauben, dass Tenzin Gyatso die Wiedergeburt des XIII. Dalai Lamas ist, ist genauso Glaube wie dass Napoleon Kaiser von Frankreich war. Klar.
1) Was methodisch wahr ist, kann auch ontisch wahr sein. - Aber es MUSS nicht ontisch wahr sein.
2) Das ist natürlich KEIN Selbstwiderspruch, weil methodisch und ontisch nicht dasselbe ist.
Es ging darum, ob es methodisch oder ontisch wahr ist, dass der Mensch nur zu methodischen Wahrheiten gelangen kann.
Claymore hat geschrieben: ↑Di 27. Aug 2019, 21:13
Und wofür ist das Kriterium dann gut?
Wenn eine Fragestellung sich in einer "hermeneutischen Spirale" auf intersubjektiv nachvollziehbare Weise verargumentieren lässt, sollte das ein Kriterium sein, in Bezug auf eine ontisch befriedigende Antwort auf dem richtigen Weg zu sein. - Mit anderen Worten: Man sollte aus meiner Sicht nicht mit methodischem Forschen aufhören, weil man weiß, dass man nie eine garantiert ontisch wahre Antwort finden kann.
Und auf einmal wird wieder “Hermeneutik” auf die Realität an sich bezogen!
Und funktioniert die Welt nun nach der anthropozentrischen Vernunft? Anscheinend doch wieder, sonst wäre “[lässt sich ] auf intersubjektiv nachvollziehbare Weise verargumentieren” kein Kriterium auf dem richtigen Weg zu sein.
Oder ist “Verargumentatierung” was anderes als Vernunft? Trallala.
Es mag sein, dass ich mich für die heutige Zeit unverständlich ausdrücke - insofern teilweise "Mea culpa". - Vor allem lasse ich mich nicht auf innerbetrieblich schlüssige philosophische Systeme ein, bei denen die Grundlagen, um die es MIR geht, nicht geklärt sind - wäre ich fleißiger, würde man Stück für Stück auseinander nehmen und befände sich plötzlich auf der Agora. - Aber vielleicht will ich das gar nicht, weil es das falsche Signal aussendet, nämlich: Lass uns unter Vernachlässigung von Grundsatzfragen elegant das Florett führen.
Aber Du darfst wirklich davon ausgehen, dass meiner Grundhaltung viele Studien und Gespräche über nunmehr 40 Jahre mit vielen Profs aus Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaft zugrundeliegen - bis in die letzten Jahre. - Also lass uns nicht gegenseitig runtermachen, sonderneinfach zur Kenntnis nehmen, dass hier zwei unterschiedliche Denkkulturen aufeinander prallen.
Und was ist nun mit dem verlinkten Brockhaus-Artikel zur Hermeneutik:
“Hermeneutik (grch.), die Wissenschaft von den Grundsätzen und Hilfsmitteln, durch die man den Sinn einer Rede oder Schrift, den der Redner oder Verfasser ursprünglich mit seinen Worten verbunden hat, aufzufinden und festzustellen vermag.” Andere Denkformatierung? Oder kann man das übergehen, da es sich nur um ein Lexikon handelt?
MEINE formativen Grundlagen kommen noch aus dem 19. Jh. (mein wichtigster Prof war im 19. Jh. geboren), Eure ganz sicher NICHT. - Das heißt aber nicht notwendigerweise, dass Ihr "weiter" seid, sondern dass Ihr ganz einfach anders formatiert seid. --- Übrigens: MEINE Formatierung kommt bestens in theologischen, künstlerischen, eurasischen (außer Westen) Kulturen an ("Dass es bei Euch im Westen noch Menschen gibt, die das nicht vergessen haben" höre ich dann oft). - EURE Formatierung ist in der westlichen Hemisphäre en vogue. - Wer ist besser? Sparen wir uns eine Antwort.
Was genau soll denn bitte an meiner “Denkformatierung” in der westlichen Hemisphäre en vogue sein? Lass doch mal die Unterstellungen und werde konkret, wo ich “typisch modern” bin!
Wenn es der Widerspruch zu deinem Verständnis des Wortes Hermeneutik ist: Wann hat man Hermeneutik
jemals so verstanden wie du, also dass sie sich auch auf die Realität außerhalb der Sphäre menschlicher Kultur bezieht?
Das ist alles andere als "leichtfertig". - Was soll der Satz "Wo wir gelernt haben, dass sich ein Glaubensentscheid nicht von einem Irrtum unterscheidet" ----???
Da wo es um Kolumbus ging. Descartes Gottesbeweis ist für dich doch ein Irrtum, oder meinst du, der Beweis wäre schlüssig?
-Wir haben gelernt, dass Glaubensentscheide da angebracht sind, wo wir nicht verifizieren können, was wahr ist - das klingt doch ganz anders, oder nicht?
Es geht hier um die extreme Leichtfertigkeit mit der dieser angebliche Glaubensentscheid getroffen wird. Da wird ja die Frage, ob man einen Regenschirm mitnehmen soll, weniger leichtfertig behandelt.
Ich bin nicht skeptisch gegenüber "kohärent", sondern sehe Kohärenz als notwendige, aber nicht ausreichende Größe. - Kohärenz im Basketball-Spiel sagt etwas über das Basketball-Spiel aus und sonst nichts. ---- "Hermeneutisches Untersuchen" ist kein Königsweg (den gibt es nicht), sondern ein ehrlicher, gangbarer Weg, weil er die Konditionen benennt: "Bei Vorannahmen a,b und c ist folgendes .... kohärent".
Es ist bezeichnend, dass du als Analogie hier Spiele nimmst.
Claymore hat geschrieben: ↑Di 27. Aug 2019, 21:13
wäre es an der Zeit zu erklären, warum wir meinen, dass Zahlentheorie einen höheren Stellenwert haben sollte als die Reptiloiden-Kunde von David Icke.
Einfache Antwort: Weil MAthematik auf Beobachtbares anwendbar ist, also bei minimalen Vorannahmen funktioniert. - Sobald wir in den Pragmatismus der "haptischen Welt gehen, erledigen sich viele Fragen.
Ja, eine einfache Antwort. Aber das Argument, dass die gesamte Mathematik auf Beobachtbares anwendbar ist, das ist dann doch nicht mehr ganz so einfach. Eine Anwendung der Zahlentheorie gab es bis ins 20. Jh. nicht – heute hat man sie mit der Kryptographie. Wobei die Frage wäre, inwieweit das was Beobachtbares ist. Jedenfalls hatte nach deinen Maßstäben die Zahlentheorie des 19. Jh. den Status der Reptiloiden-Theorie von David Icke. Ok. Da sind wir aber froh, dass sich die Disziplin doch noch mal rehabilitieren konnte.