Die (und überhaupt alle) Zahlen als solche sind aber weiterhin abstrakt und nicht real in der Natur vorkommend.
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#272 Re: Über Eigenschaften, Relationen und Physikalismus
Da ich diese Fahrrad-Analogie ja von Markus Gabriel übernommen habe, ich sie oben aus dem Gedächtnis zitierte (so, wie sie mir eben in Erinnerung war) und sie mir mittlerweile selbst etwas merkwürdig vorkommt, habe ich mich auf die Suche nach ihr gemacht. Ich habe sie nach dem gewissenhaften Durchblättern seiner 3 populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen auch gefunden (natürlich im letzten Buch): und siehe da, bei Gabriel liest sich das ursprünglich in der Tat ein wenig anders:
Gabriel nimmt nicht das Fahrrad als Ausgangspunkt seiner Analogie, sondern die Beine. Ich denke, das ist auch in deinem Sinne schon einmal passender, denn man kann das Treten-Können (auf einem Fahrrad) durchaus als eine Eigenschaft der Beine auffassen (und nicht als eine Relation).Homer, Sophokles, Shakespeare oder Elfriede Jelinek können uns mehr über uns selbst lehren als die Neurowissenschaften. Letztere behandeln unser Gehirn beziehungsweise unser Zentrales Nervensystem und seine Funktionsweise. Ohne dieses gäbe es keinen Geist. Es ist eine notwendige Bedingung dafür, dass wir ein bewusstes Leben führen. Aber es ist nicht mit unserem bewussten Leben identisch. Eine notwendige Bedingung ist noch lange keine hinreichende Bedingung. Beine zu haben, ist eine notwendige Bedingung dafür, auf meinem Fahrrad zu fahren. Aber es ist noch nicht hinreichend, da man etwa die Kunst, Fahrrad zu fahren, beherrschen und sich am selben Ort wie mein Fahrrad befinden muss und so weiter. Zu meinen, man verstehe unseren Geist vollständig, sobald man einmal das Gehirn versteht, wäre so, als glaubte man, man verstehe Fahrradfahren vollständig, wenn man unsere Beine versteht.
Eine Hauptschwäche der Annahme, wir könnten unser Ich mit dem Gehirn identifizieren, liegt darin, dass es dadurch schnell so aussieht, als ob uns das Gehirn ein Ich und eine Außenwelt nur vorgaukelt, da wir eigentlich nicht die Wirklichkeit selber, sondern nur die mentalen Bilder erkennen können, die sich das Gehirn von ihr macht. Dementsprechend wäre unser gesamtes geistiges Leben eine Art Illusion oder Halluzination. Diese These habe ich schon in Warum es die Welt nicht gibt unter dem Stichwort des Neurokonstruktivismus angegriffen.
(Markus Gabriel, Ich ist nicht Gehirn, Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert, Berlin: 2015, S.23; blaue Hervorherbung von Thaddäus, kursive Hervorhebungen durch Gabriel)
#273 Re: KI >> Homo Deus
Ähem, du greifst eine dieser Begründungen gerade auf. Offensichtlich liefere ich also ...
Ja, genau darum geht es doch.Str0mberg hat geschrieben: ↑Di 13. Aug 2019, 13:43 Zu deiner "Mary-Begründung":
https://www.philoclopedia.de/was-kann-i ... es/qualia/Gegen dieses Argument sind verschiedene materialistische Erwiderungen vorgebracht worden. David Lewis argumentiert, dass Mary keine neuen Fakten kennenlernt, wenn sie erstmals Farben sieht. Vielmehr würde sie allein eine neue Fähigkeit erwerben – die Fähigkeit, Farben visuell zu unterscheiden. Michael Tye argumentiert ebenfalls, dass Mary vor ihrer Befreiung alle Fakten über das Sehen von Farben kennen würde. Mary würde lediglich einen schon bekannten Fakt auf eine neue Weise kennenlernen. Daniel Dennett erklärt schließlich sogar, dass es für Mary gar nichts Neues gäbe, wenn sie Farben zum ersten Mal visuell wahrnimmt. Ein so umfassendes physiologisches Wissen über das Sehen von Farben – sie weiß alles – würde sie mit allen Informationen ausstatten.
Diese Gedankenexperimente werden dazu erfunden, um diskutiert zu werden. Das ist der Sinn von Wissenschaft. Argumente hin und her zu wälzen und zu prüfen. Sei also herzlich eingeladen, die Gedankenexperimente zu kritisieren.
Dabei sollte man seine eigene Überzeugung möglichst klug verteidigen. Man sollte aber bedenken, dass auch dann, wenn man widerlegt werden sollte, dies einen wichtigen Erkenntnisfortschritt bringt und der Wahrheit dient.
#274 Re: KI >> Homo Deus
Naja... du lieferst etwas, das nicht stand hält...

Oder, um es etwas diplomatischer auszudrücken: Du lieferst keine endgültigen Fakten sondern Thesen und Ideen, die nicht besser sind als gegenteilige und auch nicht darüber stehen. Deinen - um auch hier in deiner Ausdrucksweise zu bleiben - religiösen Glauben dahingehend zu verteidigen, die gegenteilige Auffassung zu dir, nämlich die des Materialismus, als Dummheit zu bezeichnen, hat da schon wieder so einen niedlich lächerlichen aber halt doch auch sehr faden Beigeschmack.
Schmeckt so, wie mit deinem vorausgegangenen Fettnäpfchen der Quantencomputer...
#275 Re: KI >> Homo Deus
Tatsächlich war mein Beitrag, der bei dir diese gehässige Aufregung ausgelöst hat, ursprünglich deutlich länger und ich hatte noch etwas zu “simulieren” gesagt, aber es nachher leider, leider gekürzt.
Mir ist nach wie vor nicht klar, wie du “simulieren” verstehst. Ein Quantencomputer kann Operationen durchführen, zu denen ein klassischer Computer nicht fähig ist. Siehe hier ab Kapitel 3, also was mit “An equivalent program is shown explicitly at the end of §4. Bell’s (1964) theorem tells us that no classical system can reproduce the statistical results of consecutive measurements made on the output slots at times (3.5) and (3.6).” endet.
Und bezogen auf das eigentliche Thema: Wenn man einmal um des Arguments willen annimmt, dass der Materialismus wahr ist, warum sollte man denken, ein klassischer oder ein Quantencomputer könnte Bewusstsein erzeugen, wenn er das Gehirn simuliert? Selbst wenn er es 1:1 simulieren könnte? Etwas platt formuliert: Auch die perfekteste Simulation von Regen macht niemanden nass. Es steckt also die Annahme dahinter, irgendeine Form von Informationsverarbeitung wäre identisch mit subjektivem (phänomenalen) Bewusstsein. Aber welche? Und warum?
Von dir habe ich allerdings auch keine endgültigen Fakten gehört. Was ist deine Einstellung also außer auch bloß ein persönlicher Glaube?
#276 Re: KI >> Homo Deus
Also 1. stimme ich durchaus mit dir darin überein, dass Pi oder e in der Tat zur Wirklichkeit gehören. In der Natur (definiert als die Gesamtheit aller physischen Dinge) kommen sie aber nicht vor. So gibt es keine physikalisch-experimentellen Methoden, mit denen man Pi oder e ermitteln könnte. Es gibt aber mathematische Methoden, sie zu ermitteln. Ein Problem ergibt sich nur dann, wenn man Zahlen und Mathematik nicht zur wirklichen Welt zählt. Mathematik ist nicht vorfindbar in der Natur, aber in der Wirklichkeit. Pi findet sich in kreisförmigen Strukturen in der Natur, wenn man diese mathematisch, nicht aber, wenn man sie physikalisch analysiert.Pluto hat geschrieben: ↑Di 13. Aug 2019, 13:45 Also 3 oder 5 von diesem oder jenem findet man überall in der Natur. Pi und e sind Erweiterungen, also menschliche Konstrukte. Doch selbst e scheint in der Natur vorzukommen, z.B. im Wachstum von Lebewesen. Pi findet sich ganz natürlich in Kreisförmigen Strukturen; die Natur ist voll davon.
Beispiel: Eine Löwin weiß genau wieviele Jungtiere sie hat.
2. Wenn eine Löwin weiß, wie viele Jungtiere sie hat, dann deshalb, weil sie offenbar einen Begriff von Zahl und Addition bilden kann. Wir gehen davon aus, dass die meisten Tiere ein Bewusstsein haben, wenn auch in vielen Fällen sicherlich nur ein rudimentäres. Die erstaunlich intelligenten Leistungen von Bonobos, Schimpansen, Delphinen, Krähen, Elefanten und manchen Kopffüßlern etc. sind ja nur dann erklärlich, wenn man ihnen ein bestimmtes Maß an Bewusstsein zubilligt, insbesondere dann, wenn sie sich in einem Spiegel selbst erkennen können. In diesem Falle kommt man kaum umhin, ihnen auch eine Art Selbstbewusstsein zuzubilligen. Wir gehen auch davon aus, dass alle Tiere, die über ein hinreichend komplexes Nervensystem verfügen, höchstwahrscheinlich Empfindungen haben (Schnecken aber deshalb vermutlich nicht). Ginge man nicht davon aus, wären Tierschutzgesetze überflüssig. Es ist also gar nicht so verwunderlich, dass Löwinnen möglicherweise einen einfachen Begriff von Zählen und Addieren bilden können.
Aber egal wie man es dreht und wendet: Zahlen und Addieren findet man nicht als physische Objekte in der physischen Welt.
Das ist eine ziemlich mächtige Theorie, die man nicht so einfach zwischen Tür und Angel diskutieren kann. Um dieses Post nicht explodieren zu lassen, stelle ich meine Anmerkungen dazu erstmal zurück. Aber sie ist es selbstverständlich Wert sogar ausgiebig diskutiert zu werden. Nur sollte man sich dann vielleicht genau auf sie fokussieren und nicht gleichzeitig noch anderes diskutieren.
Zuletzt geändert von Thaddaeus am Di 13. Aug 2019, 19:56, insgesamt 4-mal geändert.
#277 Re: KI >> Homo Deus
Wirkliche Beweise gibt es eher selten in der Philosophie, oder generell, was Weltanschauungen betrifft. Der Einwand von Lewis scheint mir jedoch falsch, da sich das Argument leicht abwandeln lässt, so dass er nicht mehr zutrifft, siehe hier, Seite 13.Str0mberg hat geschrieben: ↑Di 13. Aug 2019, 13:43Behauptung; kannst du auch liefern oder bist du - um es in deinen Worten auszudrücken - widerlegt?
Zu deiner "Mary-Begründung":
https://www.philoclopedia.de/was-kann-i ... es/qualia/Gegen dieses Argument sind verschiedene materialistische Erwiderungen vorgebracht worden. David Lewis argumentiert, dass Mary keine neuen Fakten kennenlernt, wenn sie erstmals Farben sieht. Vielmehr würde sie allein eine neue Fähigkeit erwerben – die Fähigkeit, Farben visuell zu unterscheiden. Michael Tye argumentiert ebenfalls, dass Mary vor ihrer Befreiung alle Fakten über das Sehen von Farben kennen würde. Mary würde lediglich einen schon bekannten Fakt auf eine neue Weise kennenlernen. Daniel Dennett erklärt schließlich sogar, dass es für Mary gar nichts Neues gäbe, wenn sie Farben zum ersten Mal visuell wahrnimmt. Ein so umfassendes physiologisches Wissen über das Sehen von Farben – sie weiß alles – würde sie mit allen Informationen ausstatten.
#278 Re: KI >> Homo Deus
Das ist schön formuliert! Ich erlaube mir, dich zukünftig bei Gelegenheit zu zitieren!


Ui ...Claymore hat geschrieben: ↑Di 13. Aug 2019, 19:37 Antwort Claymore an Str0mberg
Mir ist nach wie vor nicht klar, wie du “simulieren” verstehst. Ein Quantencomputer kann Operationen durchführen, zu denen ein klassischer Computer nicht fähig ist. Siehe hier ab Kapitel 3, also was mit “An equivalent program is shown explicitly at the end of §4. Bell’s (1964) theorem tells us that no classical system can reproduce the statistical results of consecutive measurements made on the output slots at times (3.5) and (3.6).” endet.
... jeder der weiß, dass nicht Stephen Hawking, sondern in Wahrheit Roger Penrose das Genie ist ahnt, was ihn in einem Script, dass Roger Penrose autorisiert hat, erwartet. Das ist (fast) ein bisschen fies ...(Communicated by R. Penrose, F.R.S. — Received 13 July 1984)

Zuletzt geändert von Thaddaeus am Di 13. Aug 2019, 20:24, insgesamt 1-mal geändert.
#279 Re: KI >> Homo Deus
Das was als "Simulation" eben definiert ist; deine Frage ist also insofern falsch, als dass ich mir ja nun keine eigenen Definitionen erdenke und Begriffen wie Humpty Dumpty (oder closs...

Ohne mir jetzt mehrere Seiten des britischen Papers durchzusehen: Welche Operation ganz konkret kann ein klassischer Computer nicht simulieren?
Weil eine Simulation, so sie das, was es zu simulieren gilt korrekt simuliert, zum gleichen Resultat führt?
Auch die perfekte Simulation von Luftbewegungen weht niemanden weg; doch kann sie so sie gut genug ist und relevante Parameter korrekt berücksichtigt werden einen Windkanal obsolet machen.
Ganz genau.
Wüssten wir das jetzt und heute, gäbe es die Diskussion nicht.
#280 Re: KI >> Homo Deus
Ja, das ist korrekt und ein gute Antwort.
Aber es bleibt stets eine kategoriale Lücke zwischen der Simulation und dem originalen Ereignis. Das schmälert nicht etwa die Leistung der Simulation. Aber es macht einen - in der Tat ontischen - Unterschied aus (man traut sich nach clossens inflationärer Verwendung dieses Wörtchens, es kaum mehr zu benutzen, aber in diesem Falle passt es).