Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#851 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mo 25. Mär 2019, 14:21

Pluto hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 14:08
Da hast du Anton vermutlich falsch verstanden.
Ich habe verstanden, dass man Übereinstimmungen von Modellen und Beobachtungen vereinbarungsmäßig als "Wissen" bezeichnet.

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sven23
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#852 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von sven23 » Mo 25. Mär 2019, 15:58

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 14:21
Pluto hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 14:08
Da hast du Anton vermutlich falsch verstanden.
Ich habe verstanden, dass man Übereinstimmungen von Modellen und Beobachtungen vereinbarungsmäßig als "Wissen" bezeichnet.
Man kann sich auch Wissen über die Welt der Star-Trek Filme aneignen. Das heißt aber noch lange nicht, dass es den Warp-Antrieb auch in der Realität gibt. Diese verschiedenen Ebenen scheinst du nicht auseinander halten zu können.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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closs
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#853 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mo 25. Mär 2019, 16:45

sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 15:58
Man kann sich auch Wissen über die Welt der Star-Trek Filme aneignen.
Wenn Modell und Beobachtung übereinstimmen, kann das laut Definition so sein.

sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 15:58
Das heißt aber noch lange nicht, dass es den Warp-Antrieb auch in der Realität gibt.
Richtig - deshalb betone ich regelmäßig, dass methodisches Wissen ontisch falsch sein kann. - Exakt mein Punkt.

sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 15:58
Diese verschiedenen Ebenen scheinst du nicht auseinander halten zu können.
ICH? :lol: - Was predige ich denn die ganze Zeit? --- Manchmal ist Deine Total-auf-den-Kopf-Stellerei schon dreist. :lol:

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sven23
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#854 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von sven23 » Mo 25. Mär 2019, 17:11

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 16:45
sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 15:58
Man kann sich auch Wissen über die Welt der Star-Trek Filme aneignen.
Wenn Modell und Beobachtung übereinstimmen, kann das laut Definition so sein.
Was für eine Beobachtung in Literatur oder Film soll mit welchem Modell übereinstimmen? Du laberst dir manchmal ein Zeug zusammen. :lol:

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 16:45
sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 15:58
Das heißt aber noch lange nicht, dass es den Warp-Antrieb auch in der Realität gibt.
Richtig - deshalb betone ich regelmäßig, dass methodisches Wissen ontisch falsch sein kann. - Exakt mein Punkt.
Das Wissen über Science-Fiktion Filme ist kein "methodisches" Wissen. :roll:
Jetzt musst du nur noch den Transfer hinbekommen.
Also wir setzen, dass Star-Trek Filme irrtumsfrei sind und "gucken mal, was dann rauskommt", um es in closs-Sprech zu sagen.
Die folgerichtige Antwort wäre: Ergo muss es den Warp-Antrieb geben, denn innerhalb der Filme fliegen die Raumschiffe ja mit Warp-Antrieb.
Im Grunde ist das die Fehlleistung, die Kanoniker "hinbekommen", capice?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#855 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mo 25. Mär 2019, 18:29

sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 17:11
Was für eine Beobachtung in Literatur oder Film soll mit welchem Modell übereinstimmen? Du laberst dir manchmal ein Zeug zusammen. :lol:
Du bist einfach zu doof, um strukturelle Aussagen zu verstehen. Wer sich dazu was einfallen lässt, ist irrelevant. - Es geht um die prinzipielle Aussage, wie Wissen in der Wissenschaft definiert ist -und die lautet: "Wenn Modell und Beobachtung übereinstimmen".

sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 17:11
Das Wissen über Science-Fiktion Filme ist kein "methodisches" Wissen.
Wenn man solche Filme
* wissenschaftlich korrekt beobachtet
* und beschreibt und ein Modell hat zu einer Fragestellung
* und Beobachtungen
* und Modell übereinstimmen,
nennt man das "Wissen".
Ob sich jemand findet, der es tut, ist eine ganz andere Sache.

sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 17:11
Also wir setzen, dass Star-Trek Filme irrtumsfrei sind und "gucken mal, was dann rauskommt", um es in closs-Sprech zu sagen.
Die folgerichtige Antwort wäre: Ergo muss es den Warp-Antrieb geben, denn innerhalb der Filme fliegen die Raumschiffe ja mit Warp-Antrieb.
Aber diese Antwort muss sehr gut belegt werden - und da "Warp-Antrieb" eine naturwissenschaftliche Kiste ist, ist es ein Fall für die Naturwissenschaft - vielleicht findet sich ja einer, der Geld für einen Forschungs-Auftrag locker macht.

sven23 hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 17:11
Im Grunde ist das die Fehlleistung, die Kanoniker "hinbekommen", capice?
Auch die HKE-ler. - Beide wissen nicht ob jesus "nur Mensch" (Warp-Antrieb I) oder "auch göttlich" (Warp-Antrieb II) ist. - Da hier naturwissenschaftlich nichts zu machen ist, muss man sich auf logische Belege fokussieren:
1) "Es gab damals viele Prediger, also war Jesus auch so einer".
2) "Der Erlöser der Welt wurde jahrhundertelang angekündigt - da isser".

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#856 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Pluto » Mo 25. Mär 2019, 18:54

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 14:21
Pluto hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 14:08
Da hast du Anton vermutlich falsch verstanden.
Ich habe verstanden, dass man Übereinstimmungen von Modellen und Beobachtungen vereinbarungsmäßig als "Wissen" bezeichnet.
...und was hat das mit "inner-wissenschaftlicher Vereinbarung" zu tun?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Thaddäus
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#857 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Thaddäus » Mo 25. Mär 2019, 20:04

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 00:13
Es existiert keine anders arbeitende, theologische neutestamentlich oder alttestamentliche Forschung, weshalb wissenschaftlich arbeitende Theologen auch keine solche vertreten können.
Gut - man kann alles definieren, wie man es braucht.
Ich definiere nicht, sondern ich treffe eine Tatsachenfeststellung. Definieren kann man ausschließlich Begriffe. Ich habe oben keinen Begriff definiert.
Es ist dagegen eine Tatsache, dass man an einer staatlichen Universität ausschließlich historisch-kritische Methoden zur Erforschung alt- und neutestamentlicher Schriften erlernt. Es wird keine alternative Methode gelehrt. Und das aus dem Grund, weil es keine alternativen Methoden gibt, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen würden.
An privaten evangelikalen Hochschulen wird zumeist keine historisch-kritische Methodik gelehrt, weil dort die Angst vor den Ergebnissen umgeht. Aus diesem Grunde kann man als evangelischer Student zwar an solchen evangelikalen Hochschulen studieren, der dortige Abschluss wird aber von den Landeskirchen nicht anerkannt und man kann damit kein Pfarrer in einer Gemeinde einer Landeskirche werden. Will man das, muss man den offiziellen Abschluss erst nachholen und unter Beweis stellen, dass man das wissenschaftliche Rüstzeug textkritischer Arbeit anwenden kann.
Wie es bei den Katholiken ist, weiß ich nicht, aber die alt- und neutestamentlichen Kommentare offiziell katholischer Theologen sind wissenschaftlich nicht selten die besten. Zum Beispiel der von Rudolf Pesch zum Markus-Ev. Das bedeutet, anerkannte katholische Theologen kümmern sich nicht die Bohne um die kanonischen Irrlehren ihres Papstes.

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
Aber Dir ist hoffentlich klar, dass dies auf einen Abschied von der humboldtschen Universitäts-Tradition hinausläuft.
Das ist Unsinn, denn Humboldts universitäres Ideal bestand darin, dass jeder die in ihm angelegten Talente an der Universität entfalten können sollte.

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 00:13
Götter als Forschungsparameter anzunehmen, ist keine hermeneutische Option.
Auch hier: Wenn man es so definiert,
Auch hier definiere ich nicht, sondern mache eine Tatsachenfeststellung: Götter als Forschungsparameter anzunehmen ist in ALLEN Wissenschaften keine hermeneutische Option.

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 00:13
Es is auch keine hermeneutische Option, die Ilias unter der Annahme zu lesen, dass die dort zahlreich auftretenden Götter tatsächlich in die geschilderten Ereignisse eingegriffen haben.
Hier scheint es ein Missverständnis zu geben: Für hermeneutische Optionen gilt aus der Sicht dessen, was wir als "Wissenschaft" gelernt haben, sozusagen die "Unschuldsvermutung" - wir können als mit der Option antreten "Thaddäus ist göttlich". - Aber: Diese vermutlich sehr unsinnige Option kegelt sich selber raus, kommt also erst gar nicht in die Dynamik des hermeneutischen Zirkels richtig rein, weil die wissenschaftliche (!) Untersuchung dieser Option erst gar nicht Fuß fassen kann - bei Jesus ist das anders.
Was ist das für ein Geschwafel? Es ist doch völlig klar, dass ich recht habe mit meiner Aussage.

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 00:13
Insofern man annimmt, dass Jesus eine historische Figur war, war er freilich in jedem Falle ein Mensch. Insofern ist das keine "hermeneutische"Vorannahme.
"NUR Mensch" ist die Annahme!!! - Man kann sich dabei nicht damit rausreden, dass man sich mit Transzendenz nicht beschäftige,
Da gibt es nichts, woraus man sich reden müsste. Wenn Jesus eine historische Person war, dann war er ein Mensch. Das ist elementare Logik.
Da es keine hermeneutische Option ist, literarische Figuren als göttlich anzusehen (weil man dann auch die olympischen Götter in der Ilias als real ins Geschehen eingreifende Götter annehmen müsste), war die historische Person Jesus selbstverständlich NUR menschlich.

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 00:13
Nein, darum geht es keineswegs, was dir von anderen und mir selbst auch schon mehrfach nachgewiesen wurde.
"Nachgewiesen" wurde es ontisch nie - was Du meinen könntest, ist, dass bei DEINER Hermeneutik ein methodisches Ergebnis dergleich sein könnte.
Nein, es wurde dir nachgewiesen. Ein Nachweis ist nämlich in allen Wissenschaften (Natur- wie Geistes- oder Sozialwissenschaften) die Rückführung auf die beste Erklärung.

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 00:13
Und falls dir das nicht eingängig ist und du auf deinem Irrtum beharren willst, wirst du sicher zustimmen, dass der folgende Bericht über den Philosophen und Wundertäter Apollonios von Tyana (1./2. Jahrh.) nahelegt, dass er Tote wieder zum Leben erwecken konnte, was dann dafür spricht, dass er vermutlich ebenso göttlich war wie der Nazarener (denn sonst hätte er ja keine Wunder wirken können)
Konkret: Nach UNSEREM Verständnis von Wissenschaft kann man selbstverständlich auch Apollonios von Tyana so untersuchen, als sei er göttlich.
Nein, nach DEINEM Verständnis von Wissenschaft kann man selbstverständlich auch Apollonios von Tyana so untersuchen, als sei er göttlich. Denn DU willst ja die Annahme, göttliche Wesen hätten in der Geschichte gewirkt, als zulässige hermeneutische Option einbürgern.
Es ist nur dumm für dich, dass das dann nicht nur für biblische Texte zugelassen werden muss.

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 00:13
Der Christenkritiker Celsus wiederum beschreibt sehr schön, wie Christen seiner Zeit auftraten und predigten (und bestätigt nebenbei ihre gepredigte Naherwartung )
Zwei Fehler:

1) Bei entsprechender hermeneutischer Option interpretiert man die Texte nicht danach, weil sonst noch wer in der Zeit gesagt hat, sondern wie Jesus zu interpretieren ist, falls er göttlich war - also genau die andere Vorannahme für den geschichtlichen Status Jesu. - Es geht also um den Paradigmenwechsel des NT, FALLS Jesus göttlich war.
Nein. Das Jesus göttlich war, ist ja nur deine Vorannahme und dein persönlicher Glaubenentscheid, also dein Offenbarungswissen. Celsus dagegen ist ein Zeitzeuge, der schildert, wie Christen in den Tempeln und auf den Marktplätzen aufgetreten sind.

closs hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 08:17
2) "Naherwartung": [...] Die Frage ist, ob es Jesus so meint, wie es die HKE interpretiert.
Es gibt überhaupt keine andere Methode, wie man herausfinden könnte, was Jesus etwas gemeint hat, was er predigte. Das muss man nämlich erst einmal vom Ballast seiner gläubigen Anhänger befreien, die erwiesenermaßen munter ihre eigenen Überzeugungen Jesus untergeschoben haben. Paulus hat sogar theologische Ansichten vertreten, die Petrus dezidiert abgelehnt hat. Und Petrus kannte Jesus noch persönlich, Paulus nicht.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Mo 25. Mär 2019, 20:10, insgesamt 2-mal geändert.

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#858 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mo 25. Mär 2019, 20:07

Pluto hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 18:54
...und was hat das mit "inner-wissenschaftlicher Vereinbarung" zu tun?
Weil "Wissen" in der Allgemeinsprache anders verstanden wird. - Es gibt sehr viel Fachsprache/"Jägerlatein", die/das in der Wissenschaft oder in erkenntnis-theoretischen Bereichen kreiert, aber in der Allgemeinsprache so nicht bekannt ist.

Beispiele: Geist, Bewusstsein, Erkenntnis, Wissen, etc.

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#859 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mo 25. Mär 2019, 20:48

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Ich definiere nicht, sondern ich treffe eine Tatsachenfeststellung.
Das ist der übliche Trick: Man definiert vorab (hier: Was ist Wissenschaft?) und trifft danach Feststellungen so, als seien es Tatsachenfeststellungen.

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Es ist dagegen eine Tatsache, dass man an einer staatlichen Universität ausschließlich historisch-kritische Methoden zur Erforschung alt- und neutestamentlicher Schriften erlernt.
Das heißt doch nicht, dass man nicht auch andere Exegese-Arten wissenschaftlich durchführen könnte - bei entsprechender Definition von Wissenschaft.

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
An privaten evangelikalen Hochschulen wird zumeist keine historisch-kritische Methodik gelehrt, weil dort die Angst vor den Ergebnissen umgeht.
Jetzt wirst Du wieder leicht ideologisch - woher willst Du wissen, dass Deine glatte Unterstellung zutreffend ist?

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Will man das, muss man den offiziellen Abschluss erst nachholen und unter Beweis stellen, dass man das wissenschaftliche Rüstzeug textkritischer Arbeit anwenden kann.
Das hat aber primär nichts mit "Wissenschaftlichkeit ja/nein" zu tun, sondern mit Vereinbarungen. - Und natürlich ist der von Dir vertretene Wissenschafts-Begriff seit einigen Generationen sehr stark besetzt, so dass er als Leitbild für solche Vereinbarungen genommen wird. - Aber das sagt alles nichts darüber aus, ob Dein Wissenschaftsbegriff exklusiv dafür zuständig sein kann, was Jesus vor 2000 Jahren tatsächlich gedacht und gemeint hat.

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Wie es bei den Katholiken ist, weiß ich nicht, aber die alt- und neutestamentlichen Kommentare offiziell katholischer Theologen sind wissenschaftlich nicht selten die besten. Zum Beispiel der von Rudolf Pesch zum Markus-Ev. Das bedeutet, anerkannte katholische Theologen kümmern sich nicht die Bohne um die kanonischen Irrlehren ihres Papstes.
"Irrlehre" gemessen woran? - Doch an Deinem Wissenschafts-Begriff, nicht wahr? - Davon abgesehen: Ich bin kein Fan der kanonischen Exegese, weil sie ein Hybrid ist. - Mir ist immer noch das am liebsten, was damals bei uns die Regel war: Exegese = das "technische" Rumedum von Quellen-Kritik bis zum Biografistischen - Hermeneutik = der Umgang mit der geistigen Aussage des Textes selbst. - Das mag heute veraltet sein, aber es hat gut funktioniert, weil Rumedum und Kern sauber getrennt waren.

Die kanonische Exegese trennt hier NICHT sauber - und die HKE definiert sich als dezidiert un-spirituell, will aber spirituell mitreden. - Beides ist nicht befriedigend.

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Das ist Unsinn, denn Humboldts universitäres Ideal bestand darin, dass jeder die in ihm angelegten Talente an der Universität entfalten können sollte.
Das ist zu einfach. - Damals war der Bildungs-Begriff viel breiter angelegt - also auch Werte-Fragen jenseits wissenschaftlicher Falsifizierungs-Fähigkeit waren universitär satisfaktionsfähig (das sind sie auch heute noch, würden es aber nicht sein, wenn man streng nach Deinem Verständnis ginge - oder nicht?).

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Auch hier definiere ich nicht, sondern mache eine Tatsachenfeststellung: Götter als Forschungsparameter anzunehmen ist in ALLEN Wissenschaften keine hermeneutische Option.
Das Problem: Das, was Du als "Tatsache" definierst, steht leicht gegen das, "was der Fall sein kann". - Im übrigen hast Du sicherlich für die naturwissenschaften recht - aber wie soll das in Geisteswissenschaften gehen. - Erneut unser Fall:

Jesus kann historisch nur menschlich oder auch göttlich sein - wenn Du postulierst, dass man wissenschaftlich nur "nur menschlich" annehmen darf (weil "menschlich" falsifizierbar ist - das "nur" ist es übrigens NICHT!!), interpretiert man automatisch so, als sei Jesus nichts als ein Mensch - logisch. - Aber entspricht das der historischen Wahrheit? - Nicht unbedingt - ABER (und das ist der Vorwurf): Das scheint Dich (stellvertretend für Deine Fraktion) nicht zu jucken. - Es gilt vielmehr: "Das, was ontisch damals der Fall war, darf nur in den Definitions-Grenzen unseres Wissenschafts-Begriffes stattgefunden haben". - Unter philosophischen Gesichtspunkten kann man so etwas mitnichten durchgehen lassen.

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Was ist das für ein Geschwafel? Es ist doch völlig klar, dass ich recht habe mit meiner Aussage.
Ach so. Das hatte ich vergessen. :lol:

Wir stellen also fest, dass Du es nicht so hast mit dem Ablauf
1) Hermeneutische Vorannahme
2) Forschung auf Basis derselben (und NICHT Erforschung derselben)

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Da es keine hermeneutische Option ist, literarische Figuren als göttlich anzusehen (weil man dann auch die olympischen Götter in der Ilias als real ins Geschehen eingreifende Götter annehmen müsste), war die historische Person Jesus selbstverständlich NUR menschlich.
Du übertriffst jetzt meine schlimmsten Befürchtungen. - Das hieße doch, dass Jesus gar nicht historisch auferstanden sein KANN, nicht wahr?

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Ein Nachweis ist nämlich in allen Wissenschaften (Natur- wie Geistes- oder Sozialwissenschaften) die Rückführung auf die beste Erklärung.
Also wieder ein inner-systemisches Argument. - Ist Dir klar, dass Du pursten orwellschen Neusprech vertrittst? - Was nützt ein "Nachweis", wenn er ontisch schlicht und ergreifend falsch sein kann?

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Denn DU willst ja die Annahme, göttliche Wesen hätten in der Geschichte gewirkt, als zulässige hermeneutische Option einbürgern.Es ist nur dumm für dich, dass das dann nicht nur für biblische Texte zugelassen werden muss.
Diese Sorge kann ich Dir nehmen - denn:

1) Die "Einbürgerung" solcher Optionen heißt ja nicht, dass es deshalb der Fall ist. Das entscheidet der Hermeneutische Zirkel, und der kann ganz schön piksen. - Optionen erfinden nicht Wirklichkeit, sondern ermöglichen die Untersuchung derselben. - Wenn eine Option blödsinnig ist, wird sie im Normalfall schnell als blödsinnig entlarvt.

2) Deshalb ist es keine Bedrohung, dass das dann nicht nur für biblische Texte zugelassen werden muss. Was soll denn passieren? - Wenn ich den Anfangsverdacht habe, dass Thaddäus die Reinkarnation von Maria MAgdalena ist, dann präsentiere ich es als hermeneutische Option - jetzt muss ich es aber begründen und zwar im Großen und Ganzen widerspruchsfrei. - Wo soll ich das Futter hernehmen, mit dem ich überhaupt argumentieren kann? - Also: Erledigt - Option mausetot. - Das geht auch bei Zeus - da dauert es ETWAs länger, ist aber auch zügig erledigt. - Woher die Angst?

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Das Jesus göttlich war, ist ja nur deine Vorannahme und dein persönliches Offenabrungswissen.
Ersteres reicht - auch ein Atheist kann Jesus unter dieser Vorannahme historisch untersuchen.

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Es gibt überhaupt keine andere, wie man herausfinden könnte, was Jesus etwas gemeint hat, was er predigte. Das muss man nämlich erst einmal vom Ballast seiner gläubigen Anhänger befreien, die erwiesenermaßen munter ihre eigenen Überzeugungen Jesus untergeschoben haben.
Richtig - das sind die individuellen heilsgeschichtlichen Prozesse, die jeder mit trial and error durchmacht. - Die Basis davon ist das, was Jesus con variatione zu erkennen gibt: "Ihr erkennt mich nicht". - Es gibt dazu EIN Zitat, das sinngemäß lautet: "Wenn ich Euch heute Eure Fragen beantworte, versteht ihr die Antworten nicht - wenn Ihr im Himmelreich seid, stellt Ihr diese Fragen nicht mehr, weil Ihr wisst".

Daraus zu schließen, dass die HKE, die nicht umhin kann, Jesus nur als Mensch zu interpretieren, die einzige Instanz sei, die herausfinden könnte, was Jesus gemeint hat, ist der absolute Hammer - das muss Dir doch selber auffallen, dass das nicht geht.

Ich behaupte übrigens NICHT, dass es eine spezielle Disziplin innerhalb der forschenden Theologie gibt, die das exklusiv könnte - es ist eine ständige Suche aus verschiedenen Richtungen. - Das einzige, was man sagen kann: Nach MEINER hermeneutischen Option hat Jesus spirituell (was sonst?) folgendes ... gemeint. - Mehr kann die HKE auch nicht.

Thaddäus hat geschrieben:
Mo 25. Mär 2019, 20:04
Paulus hat sogar theologische Ansichten vertreten, die Petrus dezidiert abgelehnt hat. Und Petrus kannte Jesus noch persönlich, Paulus nicht.
Das schließt aber nicht aus, dass Paulus Jesus besser verstanden hat als Petrus. - Das Prinzip "ältere Quelle stimmt mehr als jüngere" funktioniert hier nicht.

SilverBullet
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#860 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von SilverBullet » Mi 27. Mär 2019, 10:15

“closs“ hat geschrieben:Das schließt aber nicht aus, dass Paulus Jesus besser verstanden hat als Petrus. - Das Prinzip "ältere Quelle stimmt mehr als jüngere" funktioniert hier nicht.
Im Christentum wird es explizit und definitiv ausgeschlossen, denn die Figur „Jesus“ deklariert eindeutig „Petrus“ zum „Fels auf dem die Kirche gebaut werden soll“.

Dass sich nun letztlich „Paulus“ zum eigentlichen „Fels auf dem…“ gemausert hat, riecht stark nach einem Irrtum der „Jesus“-Figur?
(keine Sorge, aus meiner Sicht geht es hier ja nur um unbekannte Schreiber)

Für die Figur „Jesus“ war völlig unbekannt, dass ein „Paulus“ die Bühne betreten würde. Es werden ja durchaus Zukunftsaussagen (sehr nahe Zukunft) gemacht, die das kommen eines Reiches ankündigen und es werden Verbreitungsaufträge erteilt, aber dass „Paulus“ als eine Art „wichtigster Erfüller“ sogar noch besser Bescheid weiss, als „Petrus“, geht völlig an der „Jesus“-Figur vorbei.

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