Anton B. hat geschrieben: ↑Mo 26. Nov 2018, 21:15Die Annahme, es gebe Gott, ist doch längst nicht hinreichend für eine Auslegung.
Richtig - die Annahme, dass es keine Wunder gibt, ist ebenfalls nicht hinreichend für eine Auslegung. - Das ist auch nicht so gemeint.
Annahmen sind (zumindestens bei der Bibel) meist nicht-falsifizierbare Grundlagen, auf denen ein methodisches System aufgebaut wird. - Der eine tut so, als sei Jesus nicht göttlich (= nicht falsifizierbar - denn wie sollte er nachweisen, dass Jesus nur menschlich wäre?) - der andere tut so, als sei Jesus göttlich (= nicht falsifizierbar - denn wie sollte er nachweisen, dass Jesus göttlich wäre?).
Für die rein sachliche Untersuchung ("Diese Textrolle stammt aus dem 1. Jh") sind diese Vorannahmen irrelevant - aber sie sind es nicht für Interpretationen dessen, was in der Bibel steht. - Der Eine interpretiert aus seiner Vorannahme ("Ich tue mal so, als sei Jesus nicht göttlich") Text-Aussagen anders als der Andere mit seiner Vorannahme ("Ich tue mal so, als sei Jesus göttlich") - bei gleicher Quellenlage.
Warum ist das so? - Weil Texte je nach Vorannahme etwas anderes bedeuten (können). - Bereits mehrfach bemühtes Beispiel: Die Aussage Jesu "Ich bin die Wahrheit" ist bei Vorannahme 1 ein Fall für die Klappsmühle, bei 2 ist sie wahr - bei identischem Text.
Anton B. hat geschrieben: ↑Mo 26. Nov 2018, 21:15Und historisch-wissenschaftliche Theorien zu entwickeln, warum und weshalb die Kirche dann und wann zu bestimmten Auslegungen gelangt ist, ist doch auch wieder unabhängig von einer angenommenen Existenz Gottes.
Richtig - das steht außer Frage. - Eine historisch-wissenschaftliche Theorie ist ein Selbstläufer, der - wie es Ratzinger selber sagt - (religiös) apriorifrei und auf dieser Basis "unverzichtbar für das Textverständnis". - Aber er ist nicht das Textverständnis selbst - zumindestens nicht das verbindliche für jemanden, der davon ausgeht, dass es Gott als Entität gibt und Jesus in diesem Sinne göttlich ist.
Anton B. hat geschrieben: ↑Mo 26. Nov 2018, 21:15Deshalb meine Frage, in welchem Kurs oder Fach des Curriculums des theologischen Studiums denn diese "sprituelle" Auslegung konkret betrieben wird?
Christliche Hermeneutik. - Bei wik steht dazu:
"Die Biblische Hermeneutik ist die Wissenschaft vom Verstehen biblischer Texte, eine angewandte Form der Hermeneutik. - Fragen nach dem richtigen Verständnis der Bibel, und somit die ersten hermeneutischen Überlegungen, finden sich bereits in der Bibel selbst. „Verstehst du auch, was du liest?“ – diese Frage des Philippus an den beamteten Eunuchen vom äthiopischen Königshof provoziert die Antwort „Wie kann ich (denn), wenn mich niemand anleitet.“ (Apg. 8, 30 ff.)."
Mit anderen Worten: Eine historisch-kritische Exegese beinhaltet NICHT diese Anleitung, weil diese Frage in Apg. 8,30 spirituell gemeint ist und die die historisch-kritische Exegese überhaupt nicht spirituell sein möchte.
Weiter steht in wik:
"Biblische Hermeneutik ist aus praktischen Gründen in die Hermeneutik des Alten und des Neuen Testaments aufgegliedert. Dabei sollte die Einheit der Schrift nicht aus dem Blick geraten, worum sich innerhalb der Systematischen Theologie die dogmatische Schriftlehre bemüht".
Das heißt AUCH: Ich kann Deine Frage nicht genau beantworten - denn diese Hermeneutik findet ÜBERALL in der Theologie statt, wo sie gebraucht wird - ob beim systematischen Theologen oder beim Kerygmatiker oder beim Eschatologen.
Warum? Weil ALLE Einzeldisziplinen der Theologie auf der Bibel und somit deren Texte fußen. Will man etwas "Technisches" wissen, fragt man bei den Historisch-Kritischen nach - will man "verstehen, was man da liest", wird man NICHT bei den Historisch-Kritischen nachfragen. - Seit spätestens 1993 gilt in der RKK, dass der Blick in historisch-kritische Exegese-Ergebnisse obligatorisch ist - das macht mit Blick auf die Exegese-Geschichte des 19. Jh. und vorher vielo Sinn. - Aber man fragt dort nicht wegen "Verstehen im spirituellen Sinne" nach.