closs hat geschrieben:sven23 hat geschrieben:Wo "schmiert" Jung konkret ab?
Am Ende, als er NICHT sagt, dass nicht jede geistige Wirklichkeit historisch-kritisch fassbar ist, sondern so tut, als sei der kerymatische Jesus eine gleichsam psychologische Größe, die Gläubigen halt irgendwie hilfreich sind. - So ähnlich, wie Erwachsene irgendwie doch noch ihren Teddybär brauchen. - Komplett spirituell "laienhaft".
Psychologie ist weder das Gegenteil von geistig noch von geistlich, sondern beschreibt das eine wie das andere, gar nicht mal so schlecht und ganz gewiss nicht immer spirituell laienhaft, denn das kommt auf den Psychologen an. Da gibt es solche und solche.
Boah! Die von mir produzierten Textwüsten sind zum Grausen.
Weiterscrollen! Closs wird meine Sichtweise eh in Stücke reißen.
Ich behaupte mal, dass dein Modell dein Teddybär ist. Du weißt doch selbst, dass du nicht weißt, was der Fall ist und du selbst nicht feststellen kannst, ob dein Modell authentisch ist, zu dem, was ist. Du klammerst dich aber sehr an dein Modell, und wenn es jemand wagt, dieses in Frage zu stellen, fängst du das Rumheulen an. So wie der Teddybär dem Kind ein Modell für Liebe, Freundschaft, Geborgenheit, Zärtlichkeit, Nähe und Trost ist, ist dein Modell, das, was dich tröstet, dir die Sicherheit schafft, die du brauchst.
Die Mutter, ist die Mutter des Trostes, und auch jeder Erwachsene, verliert einen Teil dieses Trostes, wenn die Mutter stirbt. Der geistige Sinn aller Teddybären ist, die Eigenschaften der Mutter zu repräsentieren und zu vergegenwärtigen, wenn Mutter nicht zur Hand ist. Sie ist im Modell des Teddybären ansprechbar, wenn sie gerade nicht, der Fall ist. Sie ist im Modell des Teddybären fühlbar, wenn sie nicht, der Fall ist. Das Material, die Farbe usw. des Teddy ist austauschbar, aber nicht die Eigenschaften der Mutter, mit denen er geistig aufgeladen ist. Das alles ist geistig gut und sinnvoll für das Kind (im Manne, als Photographie der Familie im Portemonnaie oder auf dem Kaminsims oder als bloße Erinnerung). So ist auch dein Modell hilfreich und gut für dich und dein Sicherheitsempfinden. Das Entscheidende ist der Glaube an den Teddy, an dein Modell, an Christus, an die Wissenschaft, an das Geld, an die Kirche, an die Philosophie - um mit dem, was tatsächlich der Fall ist - mit dem Alltag zurechtzukommen.
Mit der Bibel ist es nicht anders. In ihr wechseln sich die Gottesbilder ab. Familiengott, Stammesgott, Kriegsgott, Rachegott, König, Vaterfigur bis hin zum Freund - je nachdem was grade im Alltag gebraucht wurde und wird. All diese unterschiedlichen theologischen Modelle sind in der Bibel verfügbar, wählbar. Und jeder bedient sich, wie er es gerade braucht. Du auch, wenn du sagst, dass im AT viel Finsternis ist, aber hie und da ein Licht aufleuchtet. Du wählst für dich diese Lichtinseln, weil du da das vorfindest, was du brauchst, ein anderer sieht die Lichtinseln an anderen Stellen als du. Der Mensch sieht, was er sehen will. Das ist auch hier im Forum überdeutlich an den Bibelzitateschlachten zu erkennen, weil halt jeder in seiner Filterblase hockt und keiner erkennen will, dass die Bibel nicht den einen einzigen universalen Gott beschreibt, sondern vielfältige und gegensätzliche Gottesbilder bedient.
Das ist doch alles nichts Schlechtes sondern gut für den Menschen. Natürliche wurde und wird damit Missbrauch getrieben und auch Gewalt gerechtfertigt. Dazu braucht es aber die Bibel und Religionen nicht. Wer das glaubt, ist naiv. Es wird locker ersetzt durch geistige Konstrukte von Wohlstand, unbegrenztem Wirtschaftswachstum, Konkurrenzfähigkeit, Patriotismus und völkischem Denken, von dem auch in der Bibel leider ein großes Maß vorhanden ist.
Als kleines hermeneutischen Experiment habe ich mal im AT gedanklich den Begriff Israel gegen Deutschland und alle israelische Namen durch irgendwelche deutsche ausgetauscht und die der anderen Nationen mit denen unserer heutigen Nachbarländer und mir selbst das dann in dieser Weise Teile des AT laut vorgelesen. Ein sehr heilsamer Augenöffner! Kann jeder selbst ausprobieren, aber die wenigsten werden es natürlich auch tatsächlich mal wagen, dieses Gedankenexperiment, welches geistige Horizonte für den Moment verschmelzen lässt.
Politische Ideale, wie Demokratie, Kommunismus, Sozialismus, Monarchie, Rechtsstaat sind als Legitimation für jeden brutalen Schwachsinn ebenso gut geeignet. Geld ist mittlerweile nichts als Glaube und damit eine geistige Größe geworden, aber es hat dennoch eine große Wirkungsgeschichte, ist tröstlich, ein gutes Ruhekissen, ein Teddy für den, der diesen Teddy besitzt und dieser Teddy wird mit Zähnen und Klauen verteidigt, so wie du hier dein Modell verteidigst, oder jeder andere "seine" Interpretation der Bibel. Es ist immer auch eine Frage der eigenen Resonanz.
Manches lässt sich tatsächlich falsifizieren und manches lässt sich tatsächlich bestätigen. Manches ist verhandelbar, anderes nicht, weil es unüberschreitbare Grenzen gibt. Wir leben in einem Meer von geistigen Fiktionen und Märchen. Der Mensch sieht, was er sehen will. Das ist aber kein ausschließlich religiöses Problem. Wer meint, ohne Religion wäre die Welt besser, ist wirklich naiv. Wir brauchen positive Illusionen und Visionen um in der Gleichgültigkeit der Natur, die tatsächlich der Fall ist, unseren Alltag besser zu gestalten. Die Theodizeefrage ist die Folge von dem Glaubensvorbehalt, dass Gott der Schöpfer der Natur sei. Glaubensvorbehalte sind austauschbar - davon kann man selbst in der Bibel einiges lesen. Apg. 8.30 ist dafür ja ein gutes Beispiel, weil ja da das durch Jesaja bereits erneuerte Gottesbild, durch den Bezug auf Christus wiederum erneuert und modifiziert wird. Das Modell von Gott vor Jesaja ist ein anderes als das des Jesaja und das des Lukas wieder ein anderes als das, des "historischen Jesus", wieder ein anderes als des tatsächlichen Jesus, der über die galiläischen Hügel wanderte und das er glaubte. Das Gottesbild der Kirchen ist wieder ein anderes, sich wandelndes.
Viel spannender als die Theodizeefrage finde ich die Frage, was wir heute für ein Gottesbild bräuchten um zu dem Menschen zu werden, der wir gerne sein würden, um das Bestmögliche aus dem Leben für alle zu machen. Insofern umzudenken, dass Gott nicht der Schöpfer von allem sei, ist nicht ganz einfach für mich gewesen, aber ist dieser Schritt der Falsifizierung an den Tatsachen erst einmal vollzogen, lebt es sich mit dem so erneuerten Glauben viel besser, weil ich jetzt einen Verbündeten zu haben glaube, gegen diese Gleichgültigkeit meiner Umwelt.
Der Glaubensanspruch göttlicher Universalität ist vielleicht eine Sackgasse, die uns daran hindert, uns auf das Begrenzte aber Leistbare liebevoll zu fokussieren. Das "Fürchte dich nicht!" wird ohne diesen Glaubensvorbehalt für mich viel glaubwürdiger, weil derjenige, der das spricht mir nicht mehr apokalyptisch in den Rücken fällt. Dieses Bewusstsein stärkt mein Vertrauen ungemein. Auch der apokalyptische Glaubensvorbehalt ist nur das - ein modischer Glaubensvorbehalt eben, den ich mir zu eigen mache - oder auch nicht. Das ist doch nur eine von vielen theologischen Ideen in der Bibel, aber jene die Ängste schürt und nicht von ihnen befreit. "Mein Jesus" ist durch seine überraschenden Zusagen, der Erlöser von meinen jetzigen Ängsten. Das empfinde ich durchaus als vertrauensbildend.
Ich glaube, das Glauben kann der Mensch nicht los werden. Entscheidend ist nur die Frage, an was er glaubt, denn das wird sich auf unser Leben auswirken - so oder so - in der Erkenntnis des Guten, wie des Schlechten.