Hemul hat geschrieben: Ich hatte Dir mit Hinweis auf Matthäus 16:13-16 doch schon aufgezeigt, dass Deine obige Behauptung ins Tönnchen gehört:
13 Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi1 kam, fragte er seine Jünger: "Für wen halten die Leute den Menschensohn?" 14 "Einige halten dich für Johannes den Täufer", antworteten sie, "andere für Elija und wieder andere für Jeremia oder einen der alten Propheten." 15 "Und ihr", fragte er weiter, "für wen haltet ihr mich?" 16 "Du bist der Messias", erwiderte Petrus, "der Sohn des lebendigen Gottes." 17 Darauf sagte Jesus zu ihm: "Wie glücklich bist du, Simon Bar-Jona; denn das hat dir mein Vater im Himmel offenbart. Von einem Menschen konntest du das nicht haben.
Aber mitnichten, mein lieber Hemul. Du liest nur einfach nicht GENAU, was da im Text steht. Das solltest gerade du, der du dich ja als Schriftgelehrter verstehst, tunlichst tun.
Zunächst halten wir einmal fest: du bist jetzt nicht mehr bei Mk., sondern bei Mt. Das Mt.-Ev.ist zeitlich nach dem Mk.-Ev. entstanden und Mk. lag Mt. als Quelle für sein eigenes Ev. vor.
Und immer noch spricht Jesus vom Menschensohn in der 3. Person: Mt.16,13: "Für wen halten die Leute den Menschensohn?"
Die Identifikation Jesu mit dem Menschensohn erfolgt, wie schon bei Mk. durch die JÜNGER, nicht aber durch Jesus selbst:
14 "Einige halten dich für Johannes den Täufer", antworteten sie, "andere für ..."
Und wieder einen Vers weiter fragt Jesus:
Mt.16,15: "Und ihr", fragte er weiter, "für wen haltet ihr mich?
Du ziehst - wie schon bei Mk.9,31 - den voreiligen Schluss, Jesus spräche hier
selbstverständlich über sich selbst als den Menschensohn, weil er vorher über den Menschensohn spricht, die Jünger über Jesus sprechen und ihm sagen, für wen die Leute ihn halten und Jesus zuletzt fragt, für wen seine Jünger
ihn selbst halten.
Mt. hat genau diesen Eindruck auch erzeugen wollen: dass in Mt.16,13 bis 15 von Jesus als dem Menschensohn die Rede ist.
Doch wie bei Mk. bleibt zur der gewünschten Intention von Mt.16,13-15 die Spannung, dass Jesus sich nicht direkt selbst als Menschensohn bezeichnet, sondern die Jünger diese Identifikation vornehmen.
Und noch einmal, damit es ganz deutlich wird: Jesus fragt:
"Für wen halten die Leute DEN MENSCHENSOHN"?
Da steht nicht schon gleich in Mt. 16,13: "FÜR WEN HALTEN DIE LEUTE MICH?" oder noch deutlicher "FÜR WEN HALTEN DIE LEUTE MICH, DEN MENSCHENSOHN?"
Wie kommt es zu diesem Erzähl-Aufbau, der merkwürdig ist, wenn man ihn sich GENAU ansieht?
Mt. liegt der markinische Text als Quelle vor. Er liest dort, dass Jesus vom Menschensohn stets und ausschließlich in der 3.Person spricht. Das übernimmt Mt. auch, weil das eben genau so in MK., seiner Vorlage, steht. Mt. liest bei Mk. aber auch, dass schon dort die Jünger Jesus mit dem Menschensohn identifizieren. Allerdings noch schwach ausgeprägt. Da die Identifikation Jesu mit dem Menschensohn (dem jüdischen Messias) zur Zeit von Mt. bereits viel selbstverständlicher ist, als etwas früher zur Zeit der Abfassung des Mk.-Evangeliums, möchte er genau diese Identifikation verstärken. Und Mt. formuliert in 16,13-15 genau so, dass stärker als bei Mk. der Eindruck entsteht, Jesus sei mit dem Menschensohn identisch. Auch das ist keine direkte Lüge oder bösartige Verfälschung des Textes, sondern eine literarische Verstärkung dessen, was er bei Mk. vorfindet. Er bringt einfach deutlicher zum Ausdruck, woran er, Matthäus (bzw. der Verfasser des Mt.-Ev.) zutiefst glaubt: dass nämlich Jesus mit dem Menschensohn identisch ist und Jesus der erwartete jüdische Messias ist. Ein anderer ist ja auch nicht erschienen.
Wir haben also folgendes Muster in der Überlieferung:
1. Jesus sprach ursprünglich vom Menschensohn in der 3.Person, weil er nicht sich selbst als Menschensohn (bzw. Messias) ansah, sondern ihn selbst erwartete.
2. Die Jünger identifizieren Jesus nach dem Osterereignis mit dem von Jesus angekündigten Menschensohn.
3. Mk. greift beides in seinem Ev. auf, was eine Spannung im Text ergibt. Nämlich eine Spannung zwischen der Rede Jesu über den Menschensohn in der 3. Person und der Identifizierung Jesu mit diesem Menschensohn durch die Jünger.
4. Mt. findet diese (merkwürdige) Spannung bei Mk. vor und verstärkt die Identifikation Jesu mit dem Menschensohn mit literarischen Mitteln. Mt. will die Sache klarer machen, verfälscht damit letztlich aber Jesu eigene Auffassung, dass nämlich der Menschensohn gar nicht er, sondern ein anderer ist.
Nur diese Interpertation erklärt, warum Jesus fortgesetzt vom Menschensohn in der 3. Person spricht und er gleichzeitig in der Überlieferung immer stärker mit diesem identifiziert wird.
To be continued.