Thaddäus hat geschrieben:Ich liebe den deutschen Dichter Paul Celan (ich liebe auch den Franzosen Albert Camus und seinen Le Mythe de Sisyphe)
Da sammelst Du gleich Pluspunkte bei mir, denn Celan gehört zu meinen Lieblingsdichtern

er hat mein Sprachverständnis sehr revolutioniert. Eine Weile war ich regelrecht besessen von ihm und habe versucht ihn zu imitieren. Seine gesammelten Gedichte hatte ich eine lange Zeit ständig bei mir.
Der Gast
Lange vor Abend
kehrt bei dir ein, der den Gruß getauscht mit dem Dunkel.
Lange vor Tag
wacht er auf
und facht, eh er geht, einen Schlaf an,
einen Schlaf, durchklungen von Schritten:
du hörst ihn die Fernen durchmessen
und wirfst deine Seele dorthin.
Als ich dieses Gedicht zum ersten Mal mit 15 Jahren las, wurde ich sofort sehr traurig, war aber gleichtzeitig fasziniert. Seitdem beschäftigt mich dieses Gedicht im Herzen.
Für mich ist dieser Gast der Tod.
Der Argentinier tendiert nicht zur Schwermut. Vielleicht ist es auch nur das Erbe meiner deutschen Mutter.
Aber wenn ich einmal sterbe, dann werde ich an dieses Gedicht denken. Dessen bin ich mir sicher.
Seht auch ihr in diesem Gast den Tod?
Mit dem aller Erfahrungen und Erschütterungen seiner Sprache auf das schmerzlichste eingedenk bleibenden Gedicht schreiben wir uns einem notwendig, einem unabdingbar Wirklichen zu.
Paul Celan, Entwürfe zu Der Meridian
Catholic hat geschrieben:Der Gedanke erinnert mich an die Ars moriendi,die "Kunst zu sterben",wie sie im Hochmittelalter ein feststehender Begriff war,weil die Menschen überzeugt war,dass es nicht nur wichtig war zu leben,sondern auch richtig vorbereitet zu sterben
Die Kunst des Lebens ist die Kunst des Sterbens, beides ist eins. In gewisser Weise ist das ganze Leben eine unablässige Abfolge von Sterben und Wiedergeburt. Wir müssen jeden Augenblick loslassen, um den nächsten in Empfang nehmen zu können. Die Erinnerung an den Tod (memento mori) hilft uns dabei das Leben mit mehr Bewusstheit zu leben, denn jeder Tag könnte der letzte sein. Wir haben keinerlei Gewissheit, dass wir noch eine Zugabe bekommen werden.
Was also würden wir tun, wenn dies der einzige Tag ist, den es gibt?
Thaddäus hat geschrieben:Aber er kämpft, bis zum Ende kämpft er dann, weil er bemerkt, wie kostbar das Leben ist und wie traurig der Tod, - deshalb muss ich weinen.
Traurig, ja, aber eine Traurigkeit die uns nach Hause führt.
Wo gehn wir denn hin?
Immer nach Hause ~
Friedrich Freiherr von Hardenberg (Novalis)
Das ist der gemeinsame Glaube - die Lebenskunst - welche das Judentum, Christentum und der Islam miteinander verbindet, denn sie verstehen das ganze menschliche Leben als eine spirituelle Pilger-Reise der Seele, die schließlich zur Heimkehr führend wird:
„Wahrlich, zu Gott gehören wir und zu Ihm ist die Heimkehr“
Inna lillahi wa inna ilayhi raji'un (Ø¥Ùنَّا Ù„Ùلّه٠وَإÙنَّـا Ø¥ÙÙ„ÙŽÙŠÙ’Ù‡Ù Ø±ÙŽØ§Ø¬ÙØ¹ÙˆÙ†ÙŽ)
Quran 2:156