sven23 hat geschrieben:Das ist irreführend. Selbstverständlich geht es der historischen Jesusforschung auch um das Verstehen der Texte
Da gibt es in der Tat Verwischungen der Grenzen, die der Lösung des Problems nicht zuträglich sind. - Oder anders gesagt: Nach meinem Empfinden versteht sich die historisch-kritische Exegese so, als bedürfte es keiner anschließenden Hermeneutik - das macht es die Sache so gut wie unlösbar.
Zu meinen Studienzeiten hat man folgendermaßen klar unterschieden:
1) Exegese = Verstehen der Einzelbestandteile eines Textes im semantischen, etymologischen, etc. Sinne sowie die historischen, soziologischen Umstände wie auch biografische Kenntnisse des Schreibers (und noch vieles mehr) - also Grundlagen und "Rumedum".
2) Hermeneutik = was das Halbzeug der Exegese angemessen interpretiert ("Was soll das alles bedeuten?/"WIe ist es zu verstehen?")
Konkret:
1) Exegese
"Faust" geht zurück auf eine historische Person, die keine wirkliche Rolle in Goethes "Faust" spielt. - Goethe schrieb dieses Stück in einer Zeit, welche kulturell soundso geprägt war, historisch zwischen Absolutismus und Vormärz steht, literatur-geschichtlich zwischen Sturm-und-Drang und Romantik steht, etc.
2) Hermeneutik
In "Faust" spiegelt sich das Urmotiv des suchenden Menschen, der bei Goethe folgende ... Phasen durchläuft und folgendermaßen geistig dargestellt wird.
"Exegese" liefert also (neutrale) Grundlagen zur eigentlichen substantiellen Werk-Interpretation der (wertenden) "Hermeneutik" - so wie Schotter Grundlage für den Bau einer Straße ist.
HEUTE scheint diese klare Trennung nicht mehr zu gelten, wiewohl hinwiederum die Theologie eigentlich genauso verfährt: Sie versteht die historisch-kritische Exegese als Grundlage der eigentlichen substantiellen Interpretion - ohne Schotter keine Straße.
sven23 hat geschrieben:Die Diskrepanz zwischen historischem und "geglaubtem" Jesus ist in der Theologie allgemein bekannt und keine neue Erkenntnis.
Das ist in anderen Worten sogar der Theologie längst bekannt - ansonsten gäbe es den Begriff "kerygmatischer Jesus" nicht. - Aber es wird ganz anders verstanden, als Du es verstehst (Du verstehst kerygmatisch als weniger als epistemologisch-historisch)