Pluto hat geschrieben:Dann hast du die HKM nicht verstanden. Denn die HKM geht wissenschaftlich vor, d.h. sie setzt NICHTS.
WENN es so ist, darf sie nicht interpretieren. - Dann muss sie sich auf reine Sachaussagen beschränken.
Nehmen wir unser eingeführtes Beispiel:
Die Aussage "Jesus hatte eine Naherwartung" ist nur dann wissenschaftlich, wenn man dazu sagt: "Weil wir methodisch bedingt davon ausgehen müssen, dass Jesus nichts als ein Mensch war" - also mit dieser Einschränkung.
Davon abgesehen ist eine Methodik immer bereits eine Setzung oder - wenn man so will - hermeneutische Ausgangsbasis. - Denn Wissenschaft, so wie Du sie verstehst, ist immer kritisch-rational - das heisst: Sie kann nur das, was der Fall ist/sein könnte, erreichen, das intersubjektiv nachweisbar ist. - Genau das aber geht bei Gott NICHT - auch dann, wenn es ihn nicht gibt.
Es gibt also verschiedene Modelle, die möglich sind:
(1) Wissenschaft ist kritisch-rational und beschränkt sich im geisteswissenschaftlichen Bereich auf reine Sachaussagen ("Diese Quelle entstand zwischen 80 und 120 n.Chr."/"Goethe war um 1775 im Elsaß unterwegs"/etc)
(2) Wissenschaft ist kritisch-rational und kennzeichnet inhaltliche Interpretationen von Texten ausdrücklich mit "Das gilt nur im Rahmen unserer Methodik".
(3)Wissenschaft ist im geistes-wissenschaftlichen Bereich lediglich in seiner Argumentation kritisch-rational nachprüfbar, hat aber a priori einen hermeneutischen Ansatz ("Jesus ist nur Mensch"/"Jesus ist göttlich")
Version (3) ist in den Geisteswissenschaften gängig, weil sie ja interpretieren WILL - aber dann eben bitte mit offenem Visier ("Meine Hermeneutik ist folgende: ...") - genau das tut Ratzinger, genau das tun viele HKM-Vertreter NICHT.
In Version (1) wird die HKM zunehmend von der Theologie gesehen: Wertvoller Informations-Erbringer - aber: "Deren Hermeneutik interessiert uns nicht, weil wir unsere eigene haben".
Version (2) ist allein ein Problem der HKM: Sie muss erkennen, auf welcher Ebene sie Interpretationen erbringt.
Pluto hat geschrieben:Versuche das mal einem Juden klar zu machen, der das NT nicht anerkennt.
Er hat eine andere Hermeneutik - es gibt viele Hermeneutiken:
(a) "Jesus ist nicht göttlich UND Gott ist solange eine Wunschvorstellung des Menschen, solange er nicht kritisch-rational nachgewiesen ist" = HKM
(b) "Jesus ist nicht göttlich, aber ein Prophet - Gott selbst gibt es" = Judentum, Islam
(c) "Jesus ist göttlich" = Christtentum
Alle drei Positionen können ihre hermeneutischen Grundlagen, die selber NICHT falsifizierbar sind, kohärent begründen - ALLE drei betreiben dabei Wissenschaft - ALLE drei sind davon abhängig, wer Jesus WIRKLICH ist und ob es Gott gibt oder nicht - was aber eben nicht falsifizierbar ist.
Pluto hat geschrieben:Ich verstehe deinen Standpunkt überhaupt nicht, zumal der Text der Evangelien eindeutig ist.
Aus anderer Sicht sind dieselben Texte im Gesamt-Kontext andersrum eindeutig - es kommt auf die Parameter an, mit denen man sie untersucht. - Und die Parameter haben wieder etwas mit der Hermeneutik zu tun.
Pluto hat geschrieben:Wo ist das Problem, wenn das dabei raus kommt?
Das Problem dabei ist, dass dieses Ergebnis zirkelreferent ist zur Methodik der HKM.
Pluto hat geschrieben:Man sollte die Frage nach Jesus' Götttlichkeit nicht a priori setzen, sondern offen lassen. Wenn das heraus kommt, habe ich nichts dagegen.
Man KANN es nicht offen lassen und es KANN nicht herauskommen, weil es nicht falsifizierbar ist - wie gesagt: WÄRE Jesus historisch göttlich, könnte es die HKM NICHT herausfinden, weil dieser Fall kritisch-rational nicht möglich ist.
Pluto hat geschrieben:Eine Exegese-Art die von vorn herein etwas setzt ist aus Sicht der intellektuellen Redlichkeit suspekt. Wenn sie dies trotzdem tut, sehe ich nicht, wie man sie wissenschaftlich nennen kann.
Dann ist auch die HKM KEINE WIssenschaft - siehe oben die Fälle (a) - (c).
Pluto hat geschrieben:Wer tut denn so was?
Der kritische Rationalismus, der der HKM zugrunde liegt, tut es.
Pluto hat geschrieben:Also, einfach ganz frei von Setzungen die Bibel lesen und interpretieren.
Geht nicht, weil der Mensch aus seinen Grundlagen heraus interpretiert - je nach Grundlage ist die Interpretation zum selben (oft) ganz anders.
Pluto hat geschrieben:Wieso geht das nicht? Die HKM tut dies übrigens mit großem Erfolg!
Sie tut es NICHT - sie redet sich und anderen nur ein, dass sie es tut. - Bzw: Die erkenntnis-theoretisch fitten HKM-ler wissen natürlich, dass es NICHT so ist, wie Du sagst.
Pluto hat geschrieben:Wenn das tatsächlich so ist, dann bestätigen sich meine schlimmsten Befürchtungen, dass die kanonische Theologie unwissenschaftlich ist.
Genauso wie die HKM. - Nach Deinem Wissenschafts-Verständnis GIBT es keine Geistes-Wissenschaft.
Pluto hat geschrieben:Das wäre aber unwissenschaftlich.
Das ist den Leuten egal. - Wenn 10 Mütter mit ihren Kindern zum Kinderarzt rennen und die Kinder nach dem 3.Anlauf immer noch Pseudokrupp haben, dann zum HP-Arzt laufen und die Sache in 3 Tagen erledigt ist (das ist nur EIN Beispiel), überlegen sie sich nicht, ob das wissenschaftlich ist.