Novalis hat geschrieben:Ewige Verdammnis kann es nicht geben, denn das würde bedeuten, dass Gott einen Teil von sich auf ewig verdammt, was ich für einen vollkommen ungenießbaren und absurden Gedanken halte.
Die christliche Lehre von der Allaussöhnung finde ich heilsam und in die richtige Richtung führend. Vor allem weil sie es ermöglicht, den Absolutheitsanspruch und damit auch die "Evangeilheit" zu überwinden.
In dem Wunsch nach ewigem seeligem Erleben sehe ich jedoch Selbstsucht. Buddhistisch verstanden offenbart sich die Egozentriertheit auf zwei Arten: In der Ewigkeitsansicht und in der Vernichtungsansicht (die Verdammungsansicht könnte man da auch noch anfügen). Beide Ansichten gehen stillschweigend von einem Selbst aus, das durch den Tod vernichtet (oder verdammt) werden oder ewige Existenz erlangen könnte.
Jesus fordert für seine Nachfolge die Selbstverleugnung. Wie weit geht die? Altruismus ist eine heilsame Herzenshaltung, ohne Zweifel, aber bedeutet Selbstverleugnung nicht noch mehr als das?
Wenn wir auf dem spirituellen Weg alles Begehren nach der Welt und ihren Schätzen weitgehend überwunden haben, so wird uns ein anderes Begehren immer mächtiger und offensichtlicher: Das Verlangen nach geistigem Dasein, wie auch immer wir uns dieses vorstellen. Das kann ein Verlangen sein nach himmlischen Sphären, nach engelgleichem Dasein. Es kann ein Verlangen sein nach einem himmlischen Paradies, nach dem Reich Gottes, nach dem Ewigen Leben, nach Erlöschung von allem Leben und Sterben, nach Nirvana, usw.usf. Die menschlichen Vorstellungen über das wahre Leben, sei es ein Leben hier und jetzt oder ein Leben nach dem Tod, und über die höchste Wahrheit sind unendlich vielgestaltig. Selbst die Bilder und Gleichnisse der Weltreligionen machen nur einen kleinen Teil davon aus.
Die anstehende Aufgabe bedeutet das Loslassen dieses Begehrens nach jedwelcher spiritueller Dimension. Durch das bewusst und absichtlich erzeugte Begehren nach der höchsten Wahrheit (ob personal in Gott oder Christus, oder nicht-personal in Dhamma und Nirvana gekleidet) wurde die Möglichkeit geschaffen, die groben Begierden und Leidenschaften zu transformieren und zu überwinden. Nun sehen wir uns vor die Aufgabe gestellt, desgleichen das Werkzeug, das uns diese Transformation erst möglich machte, loszulassen. Wenn wir also die definitive Befreiung tatsächlich verwirklichen wollen, so müssen wir uns nun darin üben, das Verlangen nach ihr aufzugeben und zu überwinden:
Selig sind die geistlich Armen;
denn ihrer ist das Himmelreich!
(Christus; Mt 5,3)
Denn ich sage euch bei der ewigen Wahrheit,
solange ihr den Willen habt, den Willen Gottes zu erfüllen,
und solange ihr noch Begehren habt nach der Ewigkeit und nach Gott,
solange seid ihr noch gar nicht geistlich arm.
(Meister Eckhart; aus der Predigt über Mt 5,3)
Wurzeln tut auch dieses Begehren, wie alle Begehren, in unserer Selbstsucht. Deshalb stellt die Selbstsucht im Buddhismus die höchste Form der Verblendung und Unwissenheit dar. Sie ist die Grundwurzel allen Übels, allen Leidens und Elends in der Welt. Nirgendwo finde ich die (auch von Jesus geforderte) Selbstverleugnung klarer aufgezeigt als in der buddhistischen Lehre.