Zunächst @Janina: danke für das Beispiel, dass es sehrgut trifft. Man findet dieses Beispiel auf allen Ebenen. Das Geröt wird einfach als Black Box angesehen und was in der Black Box passiert, können die Anwender oft nicht erklären. Es ist beispielsweise unter Biologen oftmals ähnlich, wenn diese mulrivariate Analysen (z. B. Korrespondenzanalysen) ausführen sollen. Sie nehmen ihre Software, achten auf die richtige Syntax ihrer Datenmatrizen und drücken auf "Start". Die Algorithmen, die die Software verwendet, sind den Anwendern unbekannt. Ich habe deine Erfahrung auf dieser Ebene machen "dürfen", als ich hoffte, dass ich die Stärken und Schwächen dieser Software erklärt bekäme. Und mir wurde nur erklärt, wie man die Daten vorbereiten muss und wo der Startknopf ist.
Flavius hat geschrieben:Hier noch einige Zitate aus Fachzeitschriften (von FachLeuten) zu EVO-Thematik...
Danke für die Beispiele (ich habe sie jetzt nicht überprüft, ich nehme mal an, dass die Zitate stimmen und sie nicht zu sehr aus dem Zusammenhang gerissen sind - klingt teils sehr nach der Einleitung, in der man auf das eigentliche Thema hinführt, ist aber irrelevant.
Natürlich gibt es Schwierigkeiten, für manche - ich sage mal - Hürden, eine plausible Erklärung zu finden. Das ist ganz normal. Man kann aber beispielsweise die Grundmechanismen der Evolution auch experimentell nachvollziehen. Man kann sich ein Modell erarbeiten, wie man diese Grundmechanismen ausweitet, um das Entstehen komplexer Strukturen zu erklären. Der Vorteil: die Anwendung der evolutiven Mechanismen als Erklärungsgrundlage macht das ständige Aussterben komplexer Lebensformen verständlich. Bakterien sind die Gewinner der Evolution. Das, was sich zu sehr spezialisiert, wird wieder aussterben.
Wie genau wann was wo passierte, wird man vielleicht nie herausfinden. Und beweisen lässt sich schon mal gar nichts. Und wie genau das Leben entstand, wird man naturwissenschaftlich vielleicht auch nie aufklären.
Dein Logikproblem: Du findet Lücken in einer Theorie. Du folgerst daraus, dass eine andere Theorie richtig sein muss. Dieser Schluss ist unlogisch. Er wäre nur gültig, wüsstest du, dass es nur exakt zwei Möglichkeiten gäbe. Wäre falsifiziert, muss es die andere sein. So ist es aber nicht und Lücken falsifizieren auch nicht. Sie lassen nur manches noch offen.
Beispiel:
Zeig mir, dass ich irre, wenn ich aus wolfsartigen Hunden über mehrere Genrationen Chihuahuas und Doggen züchte. Zeig mir, dass die Zucht nicht Grund für die Änderung der Phänotypne ist, sondern dass die Chihuahuas spontan von einer göttlichen Entität geschaffen wurden. Gib mir Positivargumente und ich werde dir möglicherweise folgen, wenn du zudem aufzeigst, dass es die Zucht nicht war, die zu den Änderungen führte. Jetzt kommt es an, welcher Erklärungsansatz die besseren Positivargumente besitzt.
Wenn du jetzt aber dem Züchter entgegnetst, er solle erklären, warum sich auch die Verhaltensmuster sich ändern und er soll erkläreb, wie genau das passiert und wo das genetisch gespeichert wird und auch erklären soll, ob oder wie Epigenetik eine Rolle spielt und der Züchter hier passen muss. Dann ist der logisch konsequente Schritt nicht, die Züchtung als Erklärung abzulehnen und diese durch Spontanschöpfung zu ersetzen. Ich hoffe, du verstehst die Analogie.
• „Die Prozesse, die evolutionären Innovationen zugrunde liegen, sind bemerkenswert wenig verstanden. … [W]ir haben relativ wenig Fortschritt erzielt im Verständnis, wie neue Eigenschaften erstmals entstehen“ (Moczek 2008, BioEssays 30, 432).
bemerkenswert wenig im Vergleich zu? Wenig ist nicht gar nichts, aber ja, evolutionäre Innovationen sind schwer erklärbar. Und da wir auch keine Zeitmaschine haben, können wir nicht aus jedem Entwicklungsstatdium die DNA extrahieren, um wenigstens die Veränderungen auf der DNA mitzuverfolgen, geschweige denn zu verstehen, wie genau es dazu kam. Aber es gibt zumindest Erklärungsansätze, die zu bekannten Mechanismen passen. Ob das alles stimmt, weiß niemand.
Überführt man einen Mörder aufgrund von Indizien, kann man auch nie alles klären. Es bleiben Restzweifel und nicht jeder Schritt kann rekonstruiert werden (deshalb bin ich beispielsweise strikt gegen Todesstrafe). Aber wenn ein Teilschritt schwer erklärbar ist, folgt daraus nicht, dass es dann der Gärtner war (da ist kein Zusammenhang).
• „Eines der bedeutendsten ungelösten Probleme der Biologie ist das Verständnis, wie neue, komplexe Phänotypen entstehen, sowohl in der individuellen Entwicklung als auch in der Stammesgeschichte“ (Ledon-Rettig et al. 2008, Evol. Dev. 10, 316).
Welches Problem ist denn wirklich gelöst? Und erneut: ohne Zeitmaschine ist es schwierig. Das macht es aber auch so spannend. Und "ungelöst" heißt nicht, dass daraus folgt, dass eine Gottheit mit den Fingern geschnippst hat. Aus "nicht A" folgt nicht "B", also folgt noch weniger aus "A wäre möglich, aber es gibt Lücken in der Erklärung", dass "B" stimmt (selbst dann nicht, wenn es nur A und B geben würde).
• „Die Skelettarchitektur von Wirbeltieren ist sehr unterschiedlich, doch die Basis für Veränderungen im groben Skelettbau bleibt fast völlig unbekannt“- (Rudel & Sommer 2003, Dev. Biol. 264, 21).
Dem würde ich widersprechen. Die Basis für Veränderungen ist bekannt - man kann das auch durch Züchtung zeigen. Da würde mich der Originalwortlaut interessieren (zumal das ja eine Übersetzung ist und der Zusammenhang fehlt).
• „[D]ie Kernfrage – der genetische Ursprung neuer und komplexer Merkmale – ist wahrscheinlich eine der hartnäckigsten und fundamentalen unbeantworteten Fragen in der Evolutionsforschung heute“ - (Monteiro & Podlaha 2009, PLoS Biology 7:2, 215).
Wie lange wird denn genetisch geforscht? Wie lange weiß man überhaupt, dass es DNA gibt? Natürlich ist hier sehr viel unbeantwortet. Aber auch daraus folgt nicht "B".
• „[D]ie genetischen Änderungen, die erklären, wie komplexe Formen entstehen, sind immer noch unklar“ (Martin et al. 2012, Proc. Natl. Acad. Sci. 109, 12632).
Der Satz ist sinnfrei. Da fehlt der Zusammenhang.
• „Der Ursprung und die Diversifizierung neuer Eigenschaften ist eine der spannendsten ungelösten Probleme in der evolutionären Entwicklungsbiologie“ (Saenko et al. EvoDevo 2011, 1).
Da werden zwei Kategorien zusammengeschmissen. Ursprung ist nicht gleich Diversifizierung. Letztere ist ziemlich gut untersucht und eben auch im Labor erzeugbar. Also auch hier: Zusammenhang fehlt. So ist es ein Schlagwort...
Ich gehe recht davon aus, dass du keine einzige dieser Publikationen gelesen hast? Gehe ich ferner richtig davon aus, dass du diese aus einer deiner pro-ID-Schriften abgeschrieben hast? Falls ja, dann bedenke, dass man Aussagen immer aus dem Zusammenhang reißen und als Propaganda missbrauchen kann. Die Aussagen sind sehr kurz und das sollte dir zu denken geben.
Ach, zwei hatte ich vergessen:
•„Wie Körperbaupläne in der Natur evolvieren, bleibt weitgehend unbekannt“ (Cleves et al. 2014, Proc. Natl. Acad. Sci. 111, 13912).
siehe oben.
• „Wir sind uns noch nicht sicher, welches die Erklärung für Neuheiten ist. … Ich vermute, dass der Ursprung von Neuheiten auch natürliche Selektion benötigt, ebenso wie zusätzliche Mechanismen, aber worin diese bestehen, muss erst noch durch weitere empirische Forschung herausgefunden werden“ - (Wagner 2014, Princeton University Press. 125).
"Ich vermute, dass..." Dieser Passus ist nicht wissenschaftlich. Er drückt eine Meinung aus. Mir klingt das nach einem abschließenden Satz einer möglicherweise komplexen Arbeit, in der der Autor es sich niczht verkneift, seine Privatmeinung zu äußern. Das Auslassen "..." lässt zudem eine gezielte Auswahl der beiden Sätze vermuten, die vielleicht nicht einmal im Zusammenhang gemeint sind.
Zusätzliche Mechanismen zur natürlichen Selektion - das wäre spannend, was er damit meint. Vielleicht meint er sogar etwas Metaphysisches. Auch Naturwissenschaftlicher können an Gott glauben. Und die Aussage, dass man nicht ausschließen kann, dass Gott mitwirkt, ist selbstredend. Daher geht so ein Abschlusssatz aich mal durch das review-System durch, auch wenn der Autor hier die Wissenschaftlichkeit verlässt (er stellt eine These in den Raum, ohne sie zu begründen). Oder das Zitat ist verfälscht.