Theodizee

Rund um Bibel und Glaube
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Münek
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#761 Re: Theodizee

Beitrag von Münek » Sa 8. Okt 2016, 01:00

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn man überhaupt authenthisches von nicht-authentischem unterscheiden kann, dann gehört die Naherwartung eindeutig zum authentischen.
Aber doch nur bei entsprechender Interpretation aus heutiger Sicht.

Nö - die damalige Sicht der antiken Textverfasser ist entscheidend. Lies noch mal, was ich in meinem letzten Beitrag ausführlich geschrieben habe.

Ich lasse noch einmal - extra für Dich - den großen Theologen Karl Rahner zu Wort kommen:

"... dass wir ... unbefangen, ehrlich, nüchtern und deutlich zugeben müssen, dass es bei Jesus
wirklich eine zeitliche Naherwartung gegeben hat, die so ... sich nicht erfüllt hat."

Obwohl ihm diese Erkenntnis sicher nicht geschmeckt haben dürfte, besaß dieser tiefgläubige Theologe den Anstand und die Redlichkeit,
den Irrtum Jesu offen und ehrlich einzugestehen und auf verbale Eiertänze und ausweichendes Wortgeklingel jeglicher Art zu verzichten.

Tja - solche ehrbaren Menschen gibt es auch. :thumbup:

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Münek
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#762 Re: Theodizee

Beitrag von Münek » Sa 8. Okt 2016, 01:14

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Sie macht selbstverständlich viel mehr. Sie beurteilt und interpretiert die überlieferten Texte (Exegese = Auslegung = Interpretation).
Ja - aber wo ist hier der theologische, heilsgeschichtliche Aspekt? - Oder vielleicht deutlicher: Wo wird hier diskutiert, welche Rezeption zu welcher Zeit dem entspricht, was Jesus gemeint hat - unter dem christlichen Aspekt, dass Jesus göttlich ist?

Wir kriegen folgendes Problem nicht weg:
DEINE Darstellung ist wirklich glaubhaft, wenn Jesus nur ein Wanderprediger war - dann hat die HKM mit größter Wahrscheinlichkeit recht. - Sie ist NICHT hinreichend, wenn Jesus göttlich ist - dann nützen all die methodischen Rafinessen der HKM nichts.

"Wissenschaftliche Exegese" in "Deinem" Sinne funktionier nur dann, wenn Jesus NICHT göttlich ist.

Sorry - ich erkenne hier nur die naive rechthaberische Ansicht eines theologischen Laien. Sieh es mal so: Was für Dich persönlich ein Riesenproblem zu sein scheint, existiert für andere überhaupt nicht.

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#763 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 8. Okt 2016, 01:16

Münek hat geschrieben:Ich lasse noch einmal - extra für Dich - den großen Theologen Karl Rahner zu Wort kommen
Seine Aussage ist bekannt - er galt damals als modern. - Die Frage ist: Hat Rahner recht oder nicht?

Münek hat geschrieben: die damalige Sicht der antiken Textverfasser ist entscheidend.
Natürlich ist das richtig - aber für die theologische Verarbeitung nicht entscheidend.

Betrachten wir mal ganz nüchtern, was vor 2000 Jahren passiert ist:
1) Jesus hat etwas gesagt - meinetwegen "Das Himmelreich ist nah".
2) Leute haben es gehört und aufgeschrieben.
3) Dieses Aufgeschriebene wurde in der Folgezeit
* abgeschrieben,
* nach eigenem Verständnis interpetiert,
* oder auch absichtlich verändert.

All dies zu rekonstruieren, ist Sache der HKM - daran zweifelt keiner, auch nicht Ratzinger.

Aber wo steht hier, was Jesus, wenn er göttlich war, GEMEINT hat? - Wo er doch oft genug sagt, dass die Leute um ihm rum zwar hören, aber nicht verstehen?

Und da tritt der theologische Aspekt hinzu, der zur HKM sagt: "Schön, dass Ihr das so super aufbereitet habt - jetzt interpretieren wir all dies unter der offen gelegten Bedingung, dass Jesus nicht nur Wanderprediger, sondern auch göttlich war. - Also das, was Jesus sagt, göttlicher Natur ist.

So einfach ist das im Prinzip - wie schwer es auch im Einzelfall sein mag, die richtige Antwort zu finden. - Aber diese zu finden, ist eben NICHT Sache der HKM, weil sie es nicht kann - es ist nicht ihr Job.

Münek hat geschrieben:besaß dieser tiefgläubige Theologe den Anstand und die Redlichkeit, den Irrtum Jesu offen und ehrlich einzugestehen und auf verbale Eiertänze und ausweichendes Wortgeklingel jeglicher Art zu verzichten.
Du machst es Dir zu einfach. - Die Nummer "HKM = redlich" und "theologische Deutung = unredlich" ist unredlich.

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Münek
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#764 Re: Theodizee

Beitrag von Münek » Sa 8. Okt 2016, 02:30

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ich lasse noch einmal - extra für Dich - den großen Theologen Karl Rahner zu Wort kommen
Seine Aussage ist bekannt - er galt damals als modern.
Nee sach. :o - Als ob das eine Rolle spielen würde. :)

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: die damalige Sicht der antiken Textverfasser ist entscheidend.
Natürlich ist das richtig - aber für die theologische Verarbeitung nicht entscheidend.
Es ist für die historisch-kritische Exegese entscheidend. Wenn der eine oder andere es anders sehen sollte, wäre das deren Bier. Völlig uninteressant.

closs hat geschrieben:So einfach ist das im Prinzip - wie schwer es auch im Einzelfall sein mag, die richtige Antwort zu finden. - Aber diese zu finden, ist eben NICHT Sache der HKM, weil sie es nicht kann - es ist nicht ihr Job.
Eine historische Person unter der Pämisse zu beurteilen, sie sei Gott, wäre für einen seriösen Historiker keine auch nur im Ansatz denkbare Option.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:besaß dieser tiefgläubige Theologe den Anstand und die Redlichkeit, den Irrtum Jesu offen und ehrlich einzugestehen und auf verbale Eiertänze und ausweichendes Wortgeklingel jeglicher Art zu verzichten.
Du machst es Dir zu einfach. - Die Nummer "HKM = redlich" und "theologische Deutung = unredlich" ist unredlich.
Ich kenne nur EINE Stimme aus dem dogmatischen Lager - nämlich die Ratzingers in seinem Jesusbuch. Seine persönliche Auffassung, dass von Jesus angekündigte Gottesreich wurde durch seine Person verkörpert, halte ich insofern für unredlich, als sie in klarem Widerspruch zu zahlreichen Aussagen Jesu selbst steht, die Ratzinger einfach ignoriert.

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sven23
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#765 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 8. Okt 2016, 06:22

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Vieles ist nun mal als sinn-entstellend identifiziert worden.
Im Bezug worauf? Auf die älteren Quellen oder auf Jesus?
Auf die älteren Quellen, die sich auf einen noch nicht so hochmythologisierten und entstellten Jesus beziehen. Das ist doch der Clou an der historischen Jesusforschung.

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Wenn man überhaupt authenthisches von nicht-authentischem unterscheiden kann, dann gehört die Naherwartung eindeutig zum authentischen.
Aber doch nur bei entsprechender Interpretation aus heutiger Sicht.
Ja, aus heutiger Sicht, wenn man mal die verklärende Glaubensbrille beiseite legt und die Sache nüchtern und sachlich untersucht.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#766 Re: Theodizee

Beitrag von 2Lena » Sa 8. Okt 2016, 09:10

Münek hat geschrieben:Ich lasse noch einmal - extra für Dich - den großen Theologen Karl Rahner zu Wort kommen:
"... dass wir ... unbefangen, ehrlich, nüchtern und deutlich zugeben müssen, dass es bei Jesus
wirklich eine zeitliche Naherwartung gegeben hat, die so ... sich nicht erfüllt hat."
Was weiß Rahner?

Münek hat geschrieben:Ich kenne nur EINE Stimme aus dem dogmatischen Lager - nämlich die Ratzingers in seinem Jesusbuch. Seine persönliche Auffassung, dass von Jesus angekündigte Gottesreich wurde durch seine Person verkörpert, halte ich insofern für unredlich, als sie in klarem Widerspruch zu zahlreichen Aussagen Jesu selbst steht, die Ratzinger einfach ignoriert.
Nenn die mal, um zu sehen wo der Schuh drückt.
Es bleibt offen zu beurteilen was "nah" ist - besonders angesicht von Jahrmillionenen, in denen sich die "Heilsgeschichte" der Erde abgewickelt hat, eine Entwicklung, die überhaupt nie bedacht und berücksichtigt worden ist, da nicht mal die Entstehung der Erde bekannt ist.

@Sven23
Bitte mach das etwas differenzierter mit dem "Mythos".
Die Worte können stimmen - das Wissen aus den Lücken ist nicht da.
D.h. das gibt das ungereimte Bildnis ab.

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#767 Re: Theodizee

Beitrag von closs » Sa 8. Okt 2016, 09:57

Münek hat geschrieben: Als ob das eine Rolle spielen würde.
Inhaltlich ändert das nichts - es zeigt aber, wie Zeiten und Perspektiven zusammengehören. - Davon abgesehen bräuchte es mal einen Spezialisten, der sagen kann, ob Rahner das zeitweise oder endgültig gemeint hat. - Das nur nebenbei - denn es geht hier um die Frage an sich und nicht um Rahner.

Münek hat geschrieben:Es ist für die historisch-kritische Exegese entscheidend.
Richtig - aber das ist in Deiner Darstellung eine außer-theologische Entscheidung, da in ihr theologische Fragestellungen nicht berücksichtigt sind.

Münek hat geschrieben:Eine historische Person unter der Pämisse zu beurteilen, sie sei Gott, wäre für einen seriösen Historiker keine auch nur im Ansatz denkbare Option.
In diesem Fall würde es zur ERgebnisoffenheit als EINE historische Möglichkeit dazugehören - trotzdem hast Du recht: Im HKM-Rahmen ist so etwas nicht vorgesehen.

Münek hat geschrieben:Ich kenne nur EINE Stimme aus dem dogmatischen Lager - nämlich die Ratzingers in seinem Jesusbuch.
Ich kenne mehrere seit Troeltsch (19. Jh.), von denen einige hier auch schon zitiert wurden - trotzdem hast Du insofern recht, dass der Hype in Deine Richtung geht. - Zudem: Theologie und HKM scheinen sich in der Praxis bereits heute so sehr getrennt zu haben, dass HKM als eine Disziplin im Theologie-Studium ernstgenommen wird, aber keinen nennenswerten Einfluss auf die theologische Gesamt-Meinungs-Bildung hat - weil da halt ganz andere Aspekte dazukommen.

sven23 hat geschrieben: Das ist doch der Clou an der historischen Jesusforschung.
NAtürlich - die HKM muss so tun, als sei Jesus nur ein Wanderprediger - das ist sie ihrer Methodik geschuldet.

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#768 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 8. Okt 2016, 10:22

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Das ist doch der Clou an der historischen Jesusforschung.
NAtürlich - die HKM muss so tun, als sei Jesus nur ein Wanderprediger - das ist sie ihrer Methodik geschuldet.
Sie muss überhaupt nichts. Sie untersucht Quellen. Und nach diesen hatte der Protagonist eine Naherwartung, völlig egal,ob er ein historischer Wanderprediger oder eine literarische Fiktion war.
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sven23
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#769 Re: Theodizee

Beitrag von sven23 » Sa 8. Okt 2016, 10:28

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: die damalige Sicht der antiken Textverfasser ist entscheidend.
Natürlich ist das richtig - aber für die theologische Verarbeitung nicht entscheidend.

Betrachten wir mal ganz nüchtern, was vor 2000 Jahren passiert ist:
1) Jesus hat etwas gesagt - meinetwegen "Das Himmelreich ist nah".
2) Leute haben es gehört und aufgeschrieben.
3) Dieses Aufgeschriebene wurde in der Folgezeit
* abgeschrieben,
* nach eigenem Verständnis interpetiert,
* oder auch absichtlich verändert.

All dies zu rekonstruieren, ist Sache der HKM - daran zweifelt keiner, auch nicht Ratzinger.

Aber wo steht hier, was Jesus, wenn er göttlich war, GEMEINT hat? - Wo er doch oft genug sagt, dass die Leute um ihm rum zwar hören, aber nicht verstehen?
Das ist wohl die letzte Hoffnung der Gläubigen, dass der "wahre" Jesus ausgerechnet an dieser Stelle etwas völlig anderes "gemeint" hat, als die Quellen aussagen. Dann muss man auch damit leben, dass dies auf den Rest zutrifft. Jesus wollte keine Missionierung der ganzen Welt, wie spätere Schreiber behaupteten, er sah sich nicht als Gott, wie man später behauptete, er wollte keinen Opfertod für die Menschheit erbringen, wie die Schreiber suggerieren usw. Wer A sagt, muss auch B sagen. Doch auch damit haben Kanoniker ihre Schwierigkeiten, weshalb sie sich aufs Cherrypicking spezialisiert haben.
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#770 Re: Theodizee

Beitrag von Münek » Sa 8. Okt 2016, 11:34

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: Als ob das eine Rolle spielen würde.
Inhaltlich ändert das nichts - es zeigt aber, wie Zeiten und Perspektiven zusammengehören. - Davon abgesehen bräuchte es mal einen Spezialisten, der sagen kann, ob Rahner das zeitweise oder endgültig gemeint hat. - Das nur nebenbei - denn es geht hier um die Frage an sich und nicht um Rahner.
Warum sollte Rahner seine Auffassung geändert haben? Es gäbe keinen Grund. Zumal er sich in guter Gesellschaft mit zahlreichen anderen renommierten großen Theologen befand.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Es ist für die historisch-kritische Exegese entscheidend.
Richtig - aber das ist in Deiner Darstellung eine außer-theologische Entscheidung, da in ihr theologische Fragestellungen nicht berücksichtigt sind.
Selbstverständlich werden ausschließlich biblische Quellen berücksichtigt, nicht "theologische Fragestellungen".

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Eine historische Person unter der Pämisse zu beurteilen, sie sei Gott, wäre für einen seriösen Historiker keine auch nur im Ansatz denkbare Option.
In diesem Fall würde es zur ERgebnisoffenheit als EINE historische Möglichkeit dazugehören.
In der Geschichtswissenschaft völlig ausgeschlossen - so etwas Abwegiges kann nur einem Laien einfallen.

closs hat geschrieben:Theologie und HKM scheinen sich in der Praxis bereits heute so sehr getrennt zu haben, dass HKM als eine Disziplin im Theologie-Studium ernstgenommen wird, aber keinen nennenswerten Einfluss auf die theologische Gesamt-Meinungs-Bildung hat - weil da halt ganz andere Aspekte dazukommen.
In der Tat spielten und spielen die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung in der theologischen Praxis vor Ort nie eine große Rolle. Die Kirche hat sich nie danach gedrängt, ihren Schafen die Augen zu öffnen. Was solls? Die exegetische Karawane zieht davon unberührt weiter.

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