Anton B. hat geschrieben:Wer ist "man"?
Die Weltanschauler, die sich um die Wissenschaft rum gebildet haben und mit Verweis auf Wissenschaft dominierenden Einfluss auf die Gesellschafts-Bildung haben.
Anton B. hat geschrieben:Es reicht, wenn die Aussagen im wissenschaftlichen Kontext stehen, und ausgehend davon ("Wissensbegriff") die Methoden und Ergebnisse begründet werden.
Meinetwegen - aber wie soll dies sprachlich aussehen? Wie würdest Du die Glaubensaussage "Jesus hatte eine Naherwartung", die gleichzeitig bei entsprechender Methodik gut begründbar ist, so formulieren, dass sie einerseits nicht als Faktum und andererseits wissenschaftlich klingt?
Anton B. hat geschrieben:Vieles von dem, was Du monierst, findet ja außerhalb der wissenschaftlichen Praxis statt.
Das wäre die beste aller möglichen ERklärungen - allerdings entstehen die zu monierenden Dinge aufgrund von wissenschaftlichen Zitaten. - Der Durchschnittsleser hat NICHT Deine Möglichkeiten, Wissenschaften so differenziert und relativierend zu sehen.
Anton B. hat geschrieben:kannst sie aber vermutlich nicht so vernünftig begründen, dass sie in einer überragenden Breite unter dem "vernünftigen" Gesichtspunkt zum intersubjektiven Allgemeingut wird.
Nein - ganz einfach deshalb, weil es Irrtum ist, vernünftige Begründungen seien intersubjektiv allgemeingut-fähig.
Die philosophischen und theologischen Begründungen sind extrem vernüftig, aber auch halt ein bißchen umfassend (ich habe selber Jahrzehnte - allerdings nicht im Fulltime-Job

- dafür gebraucht). - Die Philosophie selber hat sich über Generationen hermeneutisch zu einem solchen ERgebnis aufgebaut - mit großartigstens Ausführungen dazu. Bis der Materialismus Tabula Rasa gemacht hat und den Menschen zum Maßstab des Seins gemacht hat.
Anton B. hat geschrieben:Zum wiederholten Male
Ebenfalls zum wiederholten Male: Deine differenzierte und relativierende Beschreibung von "Wissen (schaft)" trifft auf meine Zustimmung. - Mein Problem: Würde ich ab sofort "Wissen (schaft)" in Deinem Sinne verwenden, würden mich 99,9% der Mensch komplett falsch verstehen, weil sie "Wissen (schaft)" als ontologische Größe verstehen (ohne dass sie diesen Ausdruck verwenden würden).
Mit anderen Worten: Der Deutsche Michel zwischen Bierkrug und Mobilephone sagt/denkt/meint:
"Wenn etwas wissenschaftlich nachgewiesen ist, dann heisst das, dass es wahr/real/wirklich ist und alles andere Quatsch ist". - Nur so ist zu erklären, dass auch hier im Forum vereinzelt der Eindruck erweckt wird, eine "wissenschaftliche" Exegese sei wirklichkeits-näher orientiert als eine systematische Exegese (die natürlich ebenfalls wissenschaftlich ist, aber als solches nicht anerkannt wird).
Anton B. hat geschrieben:Du kritisierst auf jedem Fall den Wissenschaftsbetrieb an sich.
Nee - eigentlich wirklich nicht. "Wissenschaftsbetrieb an sich" würde ich definieren als "hier ist eine Fragestellung - hier ist unsere Methodik - schaun wir mal, was wir damit rauskriegen - legen wir los".
Das kritisiere ich nicht - das ist ganz normale und anspruchsvolle Arbeit - vollkommen frei von Weltanschauung. - Wobei hier wieder hinzuzufügen ist: Bei Naturwissenschaft ist die Gemengelage hier immer ganz anders als in philologischen Wissenschaften (zu denen auch die historischen Wissenschaften gehören).
Anton B. hat geschrieben:Hört sich an, wie: Der Wissenschaftsbetrieb ok, und nur "außen" funzt es nicht!
Korrekt: Wissenschaft wird in die Gesellschaft hinein GANZ anders kommuniziert als Du sie definierst. Sie wird weltanschaulich kommuniziert mit dem Anspruch, dass Wissenschaft der einzige Vertreter dessen sei, "was der Fall/wirklich/faktisch ist".
Anton B. hat geschrieben:Aber nein, das kann auch nicht sein, denn eben hattest Du noch die zeitgenössische Philosophie als "Magd des Materialismus" kritisiert.
Stimmt - das ist genau das Pferd, auf das das Gros heutiger Philosophie aufspringt. - Aber warum ist das ein "Aber nein", wenn es doch gerade gut dazu passt?
Anton B. hat geschrieben:ob der Vorwurf überhaupt zutrifft, also die Philosophen Mägde des Materialismus sind, ist für mich auch noch nicht überzeugend ausgearbeitet.
Das haben ganz sicher andere viel tiefgreifender gemacht als ich - trotzdem eine kurze, unvollständige Begründung:
* Der Kritische Rationalismus sagt, dass ihn aus METHODISCHEN (!!!!!!!!!!!!!!!!!!) Gründen nicht interessiert, was nicht intersubjektiv darstellbar/falsifizierbar ist. - Mit anderen Worten: Er beschränkt sich auf das, was falsifizierbar ist.
Bewertung:
Dies kann man ihm nicht zum Vorwurf machen, weil dies nicht als Aussage über Sein und Nicht-Sein ist, sondern eben eine Aussage im Sinne von: "Hier wird nur über das gesprochen, was falsifizierbar ist" (NB: Popper hat sich als METHODIKER verstanden)
* Der Materialismus sagt: "Passt mir gut in meine Weltanschauung. Denn aus meiner Sicht ist auch Geist nichts anderes als Materie - und Materie ist bekannterweise intersubjektiv nachweisbar (lassen wir mal die QM weg)". - Weiterhin entwickeln sich daraus Philosophien, die den Kritischen Rationalismus in eine philosophische Größe transponieren, also:
"Wir BESCHRÄNKEN uns nicht auf das, was falsifizierbar ist, sondern es GIBT nicht anderes als Falsifizierbares". - Daraus entwickeln sich dann Philosophien wie etwa die Analytische Philosophie.
Bewertung:
Durch die Transponierung einer methodischen Aussage des KR in eine philosophische Aussage, wird die Methodik zur ontologischen Größe - genau das, was in DEINER Definition von Wissenschaft (zu Recht) vehement abgelehnt wird. - Und schon haben wir den Salat.
* Wer ist nun Magd von wem? - Wahrscheinlich habe ich mich falsch ausgedrückt und es müsste heißen: Materialistische Philosophie macht die unschuldige Wissenschaft zu ihrer Prostituierten. - Und da die materialistische Philosophie heute derart dominant ist, dass auch Menschen, die wissenschaftlich arbeiten, davon erfasst sind, verschwimmen die Grenzen zwischen Jungfrau und Prostituierte vollkommen - zumal der Markt des Zeitgeistes eine hohe Nachfrage nach dieser Art der Liaison hat.
* DIE Wissenschaft ist wirklich unschuldig - aber alles danach (incl dessen, was im Namen der Wissenschaft gesagt wird) ist von dieser anthropozentristischen Liaison geprägt. - Folge davon ist unter anderem, dass man in der (schein-!!) intellektuellen öffentlichen Wahrnehmung nur noch objektivierbare WAHRNEHMUNG zum Maßstab macht für "das, was der Fall ist".
Frage:
Wenn Du etwas persönlich wahrnimmst: Willst Du diese Wahrnehmung primär objektivieren oder hoffst Du, damit etwas, was der Fall ist, entdeckt zu haben?