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von sven23 » Sa 6. Aug 2016, 09:14
Auch das meiste im AT ist unhistorisch, wie man inzwischen weiss. Es sind Erfindungen, die in viel späterer
Zeit aufgeschrieben wurden. Aber wie auch der Archäologe Israel Finkelstein betont, können diese Narrative
indentitätsbildend für ein Volk sein.
"Sprechen Theologen zwar ungern über die Wurzeln Jahwes, so doch viel angeregter über seine
Taten, von denen das Alte Testament erzählt. Der alttestamentliche Gott wird geradezu als ein Gott
der Geschichte verstanden, der sich sein Volk erwählt hat, einzelnen Vertretern Reichtum und
Nachkommenschaft verheißt, der sich als treu erweist, sein Volk aus Ägypten herausführt, bei der
Wüstenwanderung an dessen Seite steht und beim Einzug ins gelobte Land an seiner Seite kämpft. Das
Alte Testament liefert so etwas wie einen Gottesbeweis aus der Geschichte heraus. Die Theologen
sprechen von Heilsgeschichte. Weil das Alte und auch das Neue Testament voll sind von dieser
Geschichtsideologie, müssen sich auch immer wieder Theologen darauf beziehen.
Das angebliche Heilshandeln Gottes an seinem Volk ist aber keine Geschichte, sondern nur
Geschichtsideologie. Die zentralen Heilsereignisse, die den Ruf Jahwes als Lenker der Geschichte
und Beschützer seines Volkes aufzeigen sollen, sind allesamt Erfindungen späterer Zeiten. Der späte
vorexilische Staat Juda hat nach der Vernichtung des Nordreichs im Jahre 722 v. Chr. umlaufende
Sagen gesammelt, sie mit einer Theologie versehen und durch die Verschriftlichung zur
Glaubensgrundlage des nachexilischen Israel gemacht, aus dem wieder Jahrhunderte später das
Judentum erwachsen ist. Legenden wurden zur Historie geadelt. Doch auch eine erfundene Geschichte
kann einem Volk Identität geben, wie auch eine erfundene Religion eine Gruppenidentität schaffen
kann."
Kubitza, Der Dogmenwahn
Kubitza fragt mit Recht in Bezug auf intellektuelle Redlichkeit, wie manche Universitätsprofessoren immer
noch so tun können, als ob die Bibel nicht zum größten Teil aus Geschichtsfiktion besteht.
"Aber kann man – nachdem nun hinreichend belegt ist, dass die frühe Geschichte Israels eine Fiktion
ist – immer noch so tun, als wäre alles so geschehen wie in der Bibel erzählt? Dass einfache
Gläubige dies können, versteht sich von selbst. Sie lassen sich auch sonst kaum von Fakten
beeindrucken. Und frühere Theologengenerationen haben es ebenfalls einfach nicht besser wissen
können. Aber wie kann man heute als Professor einer Universität mit einem gewissen Anspruch an
intellektuelle Redlichkeit eine nun klar erwiesene Geschichtsideologie nach wie vor in Dogmatiken
propagieren? Wie kann man seine Glaubwürdigkeit nutzen, die man als Universitätslehrer zweifellos
hat, um Unglaubwürdiges und längst Widerlegtes in schön gedruckten Büchern guter Verlage noch in
die nächste Generation zu tragen? Weiter von einem geschichtlichen Gott sprechen, wo dies doch
schon in der Antike nicht stimmte und erst recht im 21. Jahrhundert in absurde
Wirklichkeitsverzerrungen und Aporien führen muss? Wird man nicht selbst zum Ideologen, wenn
man eine solche Geschichtsideologie vertritt?"
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell