Alles Teufelszeug? II

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Savonlinna
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#581 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Savonlinna » So 27. Mär 2016, 19:03

sven23 hat geschrieben: Deswegen zitiere ich Theissen ja auch so gerne:
„Als Jesus den gegenwärtigen Beginn der Gottesherrschaft verkündigte, rechnete er mit deren Kommen während seines Lebens.“
Gerd Theißen
Vor allen lässt Du gern den Kontext weg.
Also indiskutabel.

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sven23
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#582 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » So 27. Mär 2016, 19:10

Savonlinna hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben: Deswegen zitiere ich Theissen ja auch so gerne:
„Als Jesus den gegenwärtigen Beginn der Gottesherrschaft verkündigte, rechnete er mit deren Kommen während seines Lebens.“
Gerd Theißen
Vor allen lässt Du gern den Kontext weg.
Also indiskutabel.
Hier hast du noch ein bißchen Kontext zum Johannesevangelium.

"In der neutestamentlichen Forschung wird unterschieden zwischen kurzen und bekenntnisartigen
Formeln, die die Auferstehung bezeugen (Röm 10,9; 1. Thess 1,10; 1. Kor 6,14) und den
ausführlichen Auferstehungslegenden, die erzählen, wie der auferstandene Jesus seinen Jüngern
erschienen ist. Die Auferstehungslegenden gelten in der Forschung fast allgemein als unhistorisch, als
nachträgliche Erfindungen der Gemeinde oder der Evangelisten.
Jeder Evangelist bringt auch andere
Geschichten, und keine zwei stimmen überein. Dies hängt vielleicht damit zusammen, dass das
Markusevangelium in seiner ältesten Form keine Auferstehungsgeschichten enthalten hat. Es endete
ursprünglich mit der Geschichte vom leeren Grab, Mk 16,8. Erst im zweiten oder dritten Jahrhundert
wurden an das Markusevangelium Erscheinungsgeschichten angefügt, die aus den späteren Evangelien
übernommen wurden, also von ihnen literarisch abhängig sind. Offenbar spielte die Auferstehung Jesu
in der Frühzeit noch keine so große Rolle."

Kubitza, Der Dogmenwahn

Theißen/Merz schreiben in ihrem Jesusbuch:
"Strauss hat auch als erster erkannt, dass das Johannesevangelium von theologischen Prämissen aus gestaltet und historisch weniger vertrauenswürdig als die Synopitker ist."

Auch die "Bibelwissenschaft" bestätigt dies noch einmal:

"Als Quellen für eine Darstellung von Leben und Verkündigung Jesu von Nazaret stehen an erster Stelle die im Neuen Testament überlieferten vier Evangelien zu Verfügung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass alle Evangelisten kein eigentlich biographisches, sondern ein theologisches Interesse an Jesus haben. Das Desinteresse an einer Biographie im modernen Sinne charakterisiert im übrigen auch alle anderen biographischen Quellen der Antike. Bei der Auswertung der Evangelien muss dann noch einmal zwischen dem Joh und den Synoptikern unterschieden werden, da Johannes nach allgemeiner Überzeugung der Forscher kaum authentische Jesusworte überliefert."

Der Theologe und Dogmatiker! Trillhaas bringt auf den Punkt:

„Der sog. historische Jesus und der Christus, an den die Gemeinde glaubt, sind nicht
identisch. Ob Jesus sich selbst verkündigt hat, ist zum mindesten sehr fraglich. Die
christologischen Würdenamen sind ihm von der Gemeinde beigelegt worden. Jesus ist im
Wesentlichen eschatologischer Prophet gewesen. Jesu Wirken ist mit seinem Tode zu Ende.
Hat Jesus die nahe Parusie verkündigt und sie zur Basis seiner Forderung nach Umkehr und
seiner rigorosen Ethik gemacht, so gilt, dass diese Voraussetzung nicht eingetreten ist, dass
er also gescheitert ist. In der Geschichte dieses historischen Jesus kommt Ostern nicht
vor.”
"
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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Savonlinna
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#583 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Savonlinna » So 27. Mär 2016, 19:12

Münek hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: Auch Ratzinger teilt in seinem Jesusbuch kräftig gegen Vertreter der historisch-kritischen Methode aus (S. 64):

"Aus scheinbaren Ergebnissen der wissenschaftlichen Exegese sind die schlimmsten Bücher der ZERSTÖRUNG der
Gestalt Jesu, der DEMONTAGE des Glaubens
geflochten worden." :shock:
Liest Du, Münkek, grundsätzlich sämtliche Aufsätze, die unter "historisch-kritisch laufen, unkritisch? :shock:

Liebe Savonlinka!

Die Kritikbrille habe ich meistens nicht auf; d.h. aber nicht, dass ich "echte Bolzen" nicht registriere.

Kommt aber äußerst selten vor, dass ich auf wirklich grobe Schnitzer der Autoren stoße.
Würdest Du - ohne oder mit Kritikerbrille - erkennen, wann ein HKMler den wissenschaftlichen Rahmen verlässt, aber im Namen der Wissenschaft spricht?

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#584 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von JackSparrow » So 27. Mär 2016, 19:16

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Dass es neben der REALITÄT noch eine weitere, "jenseitige" Realität geben soll, ist doch nur eine unbewiesene Annahme.
Es ist sogar eine unbewiesene Annahme, dass Deine "Realität" eine solche ist.
Da wir für gewöhnlich Dinge sehen und "res" das lateinische Wort für "Ding" ist, scheint mir die Bezeichnung "Realität" eigentlich die naheliegendste Variante zu sein.

Deswegen heisst der Naturalismus so.
Der heißt so, weil "natus" das lateinische Wort für "geboren" ist und die Natur aus Dingen besteht, die irgendwann mal geboren wurden. Der Gegensatz dazu sind Fantasien (griechisch φαντάζω fantazo = ich lasse erscheinen), von denen sich jeder Mensch täglich hunderte ausdenken kann, wenns ihm Spaß macht. Falls er genug Dumme findet, die ihm abkaufen, dass es sich nicht um Fantasien handelt, könnte er sogar eine Religion draus machen.

Wie willst Du Geistes-Wissenschaften naturalistisch verstehen, wenn Du dort über die Funktion eines Türstehers hinaus willst?
Man muss die Äußerungen des Erfinders der jeweiligen Geisteswissenschaft möglichst exakt wiedergeben, dabei einen möglichst ernsten Gesichtsausdruck wahren und hin und wieder einige theatralische Gesten einfließen lassen, so als hinge das weitere Überleben der Menschheit vom "Verständnis" dieser Geisteswissenschaft ab. Wenn man dieses Verhalten lange genug durchhält, werden irgendwann Leute kommen sagen, man habe die Geisteswissenschaft "verstanden". Ziel erreicht.


sven23 hat geschrieben:In der Geschichte dieses historischen Jesus kommt Ostern nicht vor.
Da "ostarun" das althochdeutsche Wort für "Morgenröte" ist, die Jesus-Geschichte aber im mittleren Osten spielt, wäre das auch etwas merkwürdig.

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Münek
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#585 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » So 27. Mär 2016, 19:23

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Die Wissenschaft - besser der Naturalismus lässt keinerlei Raum für übernatürliche Wesenheiten
Deswegen heisst der Naturalismus so. - Aber "Wissenschaft" mit "Naturalismus" gleichzusetzen, ist ein Stockfehler erster Güte. - Wie willst Du Geistes-Wissenschaften naturalistisch verstehen, wenn Du dort über die Funktion eines Türstehers hinaus willst? - "Türsteher" ist der Preis, den Wissenschaft in "Deiner" Definition zahlen muss.

Ich weiß nicht, was Du hier mit "Türsteher" meinst.

Wichtig ist zu erkennen, dass der Naturalismus für die Wissenschaften keine beliebige Setzung ist,
sondern dass er gleichsam von deren methodologischen Prinzipien erzwungen wird. Wissenschaftli-
che Hypothesen und Theorien sollen u.a. überprüfbar sein. Überprüfbar ist aber nur etwas, mit dem
wir wenigstens indirekt interagieren können und das sich gesetzmäßig verhält.

Übernatürliche Wesenheiten entziehen sich hingegen per definitionem unserem Zugriff und sind auch
nicht an (zumindest weltliche) Gesetzmäßigkeiten gebunden. Hinzu kommt, dass die bloße logische Mög-
lichkeit bzw. Denkbarkeit
, dass auch etwas anderes sein könnte (z.B. himmlische Mächte), kein Grund
ist, diese "jenseitigen Vorstellungen" ernst zu nehmen.

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#586 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Savonlinna » So 27. Mär 2016, 19:29

closs hat geschrieben:Mein Gefühl ist: Es ist viel Ideologie im Schafspelz der Wissenschaft unterwegs.
Wirklich dramatisch ist es im Bereich der Neurologie.
Letztlich schäme ich mich fast, dass ich mich soviel mit den kleinen Ideologien diesseits und jenseits der Bibelgrenze abgebe, da beides ja zur Zeit nicht wirklich gefährlich werden kann.
Was Metzinger hingegen treibt - oder getrieben hat, vielleicht hat er sich geändert - ist brandgefährlich, da er den Menschen einreden will, dass die Gehirnforschung ideologische Ergebnisse zur Folge haben kann und er sich diese auch wünscht.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Mich fesselt dabei der Prozess des "Bedeutungsschaffens", vornehmlich in der Semiologie sprich Semiotik untersucht.
Auch verstanden. - Allerdings habe ich hier ein gewichtiges Problem: Wie unterscheidet man hermeneutischen Fortschritt von Schrott?
Die Frage gilt ja auch für die Kanonforschung. Wie identifiziert sie Schrott?

In der literaturtheoretischen Rezeptionsforschumg ist die Antwort: Schrott sortiert sich mit den Jahrhunderten von alleine aus.
Wenn ein Buch auf den Markt kommt, das schon von der nächsten Generation als überholt beiseite gelegt wird, hat es offenbar keine wesentliche Tiefenschicht. Wenn es auch nie in den folgenden 90 Jahren bei irgendeinem zündet, dann scheint da kein Zündstoff drinnen zu sein.
Mag sein, dass irgendein wertvolles Buch verloren geht, aber das Prinzip, dass ein vielschichtiges Werk viele Generationen neu entzünden kann, scheint mir nachweisbar.

closs hat geschrieben:Wie gesagt: Ich verstehe Deinen Ansatz, habe aber Probleme mit dessen Auswüchsen in der Praxis.
Davor habe ich keine Angst, weil unsere Kulturgeschichte dümmliche Zwischenergebnisse nicht weiter tradiert.
Theologisch gesprochen: der heilige Geist ist immer zwischenmenschlich anwesend: alles hat seinen Platz und dient der gegenseitigen Korrektur.

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#587 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Pluto » So 27. Mär 2016, 19:40

Savonlinna hat geschrieben:Was Metzinger hingegen treibt - oder getrieben hat, vielleicht hat er sich geändert - ist brandgefährlich, da er den Menschen einreden will, dass die Gehirnforschung ideologische Ergebnisse zur Folge haben kann und er sich diese auch wünscht.
Ähm... Thomas Metzinger ist Philosoph und kein Neurologe.
Versuchs mal mit einem echten Hirnforscher: http://www.amazon.de/Ich-f%C3%BChle-als ... 3471773495
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#588 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Münek » So 27. Mär 2016, 19:41

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Das sehen die "Spitzenwissenschaftler" und Theologen Klaus Berger und Joseph Ratzinger aber VÖLLIG anders.
Sie sehen, dass dies in manchen Wissenschafts-Schulen so ist. - Aber damit wird doch nicht Jesus tatsächlich demontiert, sondern eben nur in diesen Wissenschafts-Schulen.

Was demontiert werden kann und was wirklich bedenklich ist, dass dieses untheologische Bild wie ein trojanisches Pferd in der Theologie Platz greift - aber auch das ist nur eine Zeiterscheinung. - Insofern sehe ich hier sehr viel Irrniss, aber wenig Bedrohung.

Naja - Berger spricht in diesem Zusammenhang immerhin von Kirchenbänken, die immer leerer werden.

Ein nicht zu unterschätzendes Bedrohungspotenzial für Glaube und Kirche sehe ich allerdings
in der Möglichkeit, sich im Internet-Zeitalter wie nie zuvor über die Ergebnisse der historisch-
kritischen Bibelforschung umfassend informieren können.

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#589 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von Savonlinna » So 27. Mär 2016, 19:47

Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Was Metzinger hingegen treibt - oder getrieben hat, vielleicht hat er sich geändert - ist brandgefährlich, da er den Menschen einreden will, dass die Gehirnforschung ideologische Ergebnisse zur Folge haben kann und er sich diese auch wünscht.
Ähm... Thomas Metzinger ist Philosoph und kein Neurologe.
Das ist mir bekannt.

Pluto hat geschrieben:Versuchs mal mit einem echten Hirnforscher: http://www.amazon.de/Ich-f%C3%BChle-als ... 3471773495
Willst Du verhindern, dass man Metzinger analysiert?

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sven23
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#590 Re: Alles Teufelszeug? II

Beitrag von sven23 » So 27. Mär 2016, 19:56

Savonlinna hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Was Metzinger hingegen treibt - oder getrieben hat, vielleicht hat er sich geändert - ist brandgefährlich, da er den Menschen einreden will, dass die Gehirnforschung ideologische Ergebnisse zur Folge haben kann und er sich diese auch wünscht.
Ähm... Thomas Metzinger ist Philosoph und kein Neurologe.
Das ist mir bekannt.

Pluto hat geschrieben:Versuchs mal mit einem echten Hirnforscher: http://www.amazon.de/Ich-f%C3%BChle-als ... 3471773495
Willst Du verhindern, dass man Metzinger analysiert?

Nö, nur verhindern, dass man einen Philosophen zum Hirnforscher befördert. :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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