Dem stimme ich gerne zu. „
) ~ das ist inzwischen ein weit verbreitetes Phänomen. Ich sehe diese Entwicklung positiv. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Arbeit von Abraham Maslow, ein brahnbrechender Forscher und Denker des 20. Jahrhunderts....
Maslow drehte in der Mitte des 20. Jahrhunderts die bis dahin übliche Fragestellung der Psychotherapie völlig um. Er fragte nicht mehr, »Was macht Menschen psychisch krank?« sondern, »Was zeichnet psychisch besonders gesunde Menschen aus?« Dadurch stieß er auf eine ganz überraschende und für ihn selber als Agnostiker kaum akzeptable Tatsache: Psychisch besonders gesunde Menschen tendieren zu »mystischen Erfahrungen.«
Wie die meisten seiner Kollegen, hatte Maslow solche Erlebnisse als »pathologisch« klassifiziert; jetzt wurde ihm bewusst, dass sie zum innersten Wesen gesunden Menschseins gehören. Damit löste sich die bisher streng gezogene Trennungslinie zwischen Wissenschaft und Religion in nichts auf: Religion würde von nun an anerkennen müssen, dass ihre Grunderfahrungen wissenschaftlich untersuchbar seien, und Wissenschaft war mit einem Bereich konfrontiert, der über das Materielle hinausreicht. Die Folgen dieser Entdeckung sind auch heute, ein halbes Jahrhundert später, noch kaum absehbar.
Weil Maslow ein ehrlicher und wagemutiger Wissenschaftler war, verschloss er sich seiner Entdeckung nicht, obwohl sie den Rahmen der vorhandenen Wissensstruktur sprengte. Er forschte kühn und nüchtern weiter. Dabei fand er nach und nach eine zweite überraschende Tatsache: Soweit man in der Psychologie verallgemeinern kann, darf man sagen: Überwältigend viele – vielleicht alle – Menschen machen solche mystischen Erfahrungen. Er nannte sie jetzt »Gipfelerlebnisse«, um die akademische Welt nicht durch einen religiös tönenden Begriff vor den Kopf zu stoßen, bestand aber darauf, dass es sich dabei um das handelt, was traditionell »Mystik« heisst, also um eine Ergriffenheit, die tiefere Einsicht schenkt als ein begriffliches Begreifen. Dies ist von entscheidender Bedeutung für ein Verständnis dessen, was es heisst Mensch zu sein. Es will ja sagen: Mystiker sind nicht einzigartige Menschen, sondern jeder Mensch ist ein einzigartiger Mystiker.
Je klarer wir dies einsehen und danach leben, desto psychisch gesünder – lebendiger, schöpferischer, selbstsicherer und gelassener – können wir werden. Freilich kann man Gipfelerlebnisse nicht willentlich erzeugen. Sie sind immer ein überraschendes Geschenk. Aber wir können uns durch innere Offenheit vorbereiten und das Bewusstsein der Allzugehörigkeit, das uns am Gipfel geschenkt wird, dankbar in unseren Alltag einfliessen lassen. Wer dies tut, wird im täglichen Leben anders – behutsamer, herzlicher – mit Menschen, Tieren, Pflanzen und Dingen umgehen und einfach glücklicher sein durch Ausrichtung auf echte, bleibende Werte.
Wohl die wichtigste Entdeckung Maslows entspringt nämlich einem weiteren Schritt seiner Forschung: Er deckte den Zusammenhang zwischen Gipfelerlebnis und der Erfahrung von Werten auf. Wertverlust ist, wie Maslow feststellte, unsere erschreckendste Zeiterkrankung, gefährlicher als je zuvor eine Verfallserscheinung in der Menschheitsgeschichte es war. In Gipfelerlebnissen aber werden uns »Seinswerte«, wie Maslow sie nennt, ganz spontan bewusst. Er schreibt: »Auf den Gipfeln wird die Natur des Seins oft nackt und bloß wahrgenommen; die ewigen Werte scheinen dann Eigenschaften der Wirklichkeit selbst zu sein.« Als seien wir plötzlich mit neuen Augen erwacht, sehen wir einen Augenblick lang alles, was es gibt, als ein einziges, wahres, schönes, gutes, unendlich wertvolles Geschenk, das uns mit der Freude überwältigender Dankbarkeit erfüllt. Und alle Kennzeichen des Seins, die uns da aufleuchten – Einheit, Wahrheit, Schönheit, Gutsein – leuchten uns zugleich als grundlegende, unleugbare, allgemeingültige Werte ein. In jenen Augenblicken, in denen wir ja eigentlich jede Bewertung fallen lassen, werden wir staunend gewahr: Die SeinsStruktur der Welt ist zugleich ihre innerste Wert-Struktur. »Oder« (so Maslow) »um es auf eine andere Weise zu sagen: Der Himmel ist überall um uns herum, steht im Prinzip immer zur Verfügung.«
[...]
Fassen wir kurz die umwälzenden und herausfordernden Einsichten zusammen, die Abraham Maslow durch die Erforschung von Gipfelerlebnissen uns schenkte. Schrittweise wurde es klar: Zum vollen gesunden Menschsein gehören Erlebnisse, die sich von mystischen Erfahrungen, wie die Religionen sie kennen, nicht unterscheiden lassen. Diese Gipfelerlebnisse lassen sich wissenschaftlich untersuchen. Das verlangt nun aber von der Wissenschaft eine große Erweiterung ihrer Methodik, um dem erweiterten Umfang ihres Forschungsbereiches gerecht zu werden. Es verlangt zunächst engste Zusammenarbeit von Geistesund Naturwissenschaften, aber auch gegenseitige Anerkennung und Verständigung zwischen Wissenschaft und Religion. Zugleich fordert es von der Religion eine Rückbesinnung auf ihre mystischen Wurzeln.
Jede Religion entspringt ja einem Gipfelerlebnis. Dies gilt für ihr innerstes Wesen, aber auch für ihre Entstehung und Entfaltung in der Geschichte. Lehre, Ethik und Ritual, drei Säulen jeder religiösen Tradition, lassen sich auf das mystishe Erlebnis zurückführen. Die Lehre ist letztlich der Versuch, seinen Inhalt verstandesmässig zu deuten; die Ethik gibt Anweisungen, wie die beglückende Allzugehörigkeit, die wir auf dem Gipfel erleben, auch im Tal des Alltags willig verwirklicht werden kann; im Ritual feiert die Religion den Gefühlsgehalt mystischer Erfahrung und erreicht ihn sogar in ihren geglücktesten Formen. In Gemüt, Willen und Verstand, entfaltet sich also die Mystik geistig und leiblich in jeder Religion – will sich zumindest so verwirklichen.
In der Praxis stellen sich leider häufig Fehlentwicklungen ein: Im kalten Klima von Institutionalisierung, Abstumpfung durch Gewöhnung und Vergessen des Wesentlichen gefriert das lebendige Wasser mystischer Erfahrung und wird zu Eis; Lehre verhärtet sich dann zu Dogmatismus, Ethik zu Moralismus, der Kult zu Ritualismus. Nur der Tauwind persönlich mystischer Herzenswärme kann diese Ismen wieder zum Schmelzen bringen und lebenspendendes Wasser zum Sprudeln. Verstand,
Wille und Gemüt – der ganze Mensch, versinnbildlicht durch das Herz – ist also angefordert. Das Herz jeder Religion ist ja die Religion des Herzens. Nur Rückkehr in die mystischen Tiefen des Herzens kann eine Religion wieder religiös machen[...]Aber nicht nur in den Bereichen von Religion und Wissenschaft erschließen Maslows Entdeckungen ein unüberschaubar weites Forschungsgebiet und fordern zu ihrer Auswertung heraus. Ihre große Bedeutung für Noetik, Psychotherapie und Bewusstseinsforschung ist noch nicht erkannt worden. Die Glücksforschung hat die zentrale Stellung des Gipfelerlebnisses – durch das wir ja überhaupt erst wissen was Glück ist – noch nicht ausgewertet. Und wie müsste unser Erziehungssystem sich wandeln, um der Einsicht gerecht zu werden, dass mystische Erfahrung zum vollen Menschsein gehört? Es ist ja kein Zufall, dass Gipfelerlebnisse, wie Maslow aufzeigte, in Kindheit und Jugend häufiger vorkommen, als später im Leben[...]
David Steindl-Rast, aus: Jeder Mensch ist ein Mystiker: Impulse für die seelische Ganzwerdung (Gestalttherapie)
Darin deutet er das christliche Glaubensbekenntnis und macht seine universale Botschaft in heutigen Worten sehr gut verständlich. Darin schreibt er: "