Alles Teufelszeug?

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Thaddäus
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#391 Theologie als Wissenschaft I

Beitrag von Thaddäus » Sa 13. Feb 2016, 19:33

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Er behauptet nämlich nicht weniger (im übertragenen Sinne) als Physik treiben zu können, ohne dabei die Methoden der Physik anwenden zu müssen, sondern andere anwenden zu dürfen.
Exakt das tue ich nicht - und habe es begründet. - Wie kommst Du darauf?
Exakt das tust du und schreibst es hier sogar noch einmal.

closs hat geschrieben: Meine Aussage war sinngemäß: Es gibt neben der Physik keine andere Physik - es gibt neben der HKM keine andere HKM. - Aber "Physik als Wissenschaft" und "HKM als Wissenschaft" sind selber Einzel-Disziplinen, zu denen es andere Wahrnehmungs-Systeme in Bezug auf das Objekt gibt -
Nein, hierzu gibt es keine anderen "Wahrnehmungssysteme". Es gibt nur eine Art Physik oder Theologie wissenschaftlich zu betreiben. Physik betreibt man nur dann wissenschaftlich, wenn man ihre wissenschaftlichen Methoden anwendet. Theologie und wissenschaftliche Exegese betreibt man ausschließlich dann und nur dann, wenn man ihre wissenschaftlichen Methoden anwendet. Wendet man die nicht an, ist das keine wissenschaftliche Exegese - oder Physik.
Der Begriff "Wahrnehmungssystem" ist ohnehin falsch, denn alle Menschen verfügen über dasselbe Wahrnehmungssystem, egal ob sie gerade wissenschaftlich arbeiten oder im Supermarkt Käse einkaufen.

Und noch einmal: du verkennst fundamental, was die Aufgabe von Wissenschaft ist und welchen Sinn wissenschaftlich methodisches Arbeiten hat. Der besteht genau darin, zu intersubjektiv vermittelbaren, wahren oder möglichst wahrscheinlich wahren Aussagen zu gelangen. Und arbeitet man nicht wissenschaftlich, also mit wissenschaftlichen Methoden, dann gelangt man nicht zu intersubjektiv vermittelbaren, wahren oder möglichst wahrscheinlich wahren Aussagen.

closs hat geschrieben: konkret: Man kann Jesus historisch-kritisch und geistig/kanonisch approachen -
Nein, das kann man nicht. Will man sich dem historischen Jesus nähern, dann geht das ausschließlich über die Methoden, die die Theologie zu einer Wissenschaft machen, z.B. die HKM. Bezieht man sich auf irgendeine andere Erkenntnisquelle, dann betreibt man keine Wissenschaft.

Noch einmal: du kannst nicht vorgeben, zu wissenschaftlichen Einsichten zu gelangen, ohne dafür die wissenschaftlichen Methoden anzuwenden.
Genau das versuchst du. Und genau das ist dein fundamentaler Irrtum.

Die kanonische Exegese ist nicht wissenschaftlich und kann es gar nicht sein, denn sie greift auf Erkenntnsiquellen zurück, die wissenschaftlich nicht legitimiert sind, wie z.B. das wahrheitsgarantierende Wirken des hl. Geistes in der katholischen Tradition oder ein angeblich wahrheitsgarantierendes geistliches Gesamtverständnis des Kanons in seiner historischen Gewachsenheit, dessen Legitimation jedoch dogmatisch nur als gegeben gesetzt wird, welches aber nicht aus den alttestamentlichen und neutestamentlichen Einzelschriften vernünftig abgeleitet oder geschlussfolgert werden kann.

closs hat geschrieben: es sind zwei getrennte Wahrnehmungs-Systeme, die sich nicht ins Gehege kommen, wenn sie sich beide diszipliniert verhalten.
Es gibt keine zwei getrennten Wahrnemungssysteme, sondern es gibt einerseits die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die intersubjektiv als wahr oder mit Wahrscheinlichkeit als vernünftig und wahr vermittelt werden können; und es gibt andererseits behauptete Erkenntnisse und Einsichten, die nicht wissenschaftlich sind und die nicht intersubjektiv als wahr oder mit Wahrscheinlichkeit als vernünftig und wahr vermittelt werden können.
Und mehr gibt es nicht. Entweder man betreibt Wissenschaft - oder eben nicht.

closs hat geschrieben: Du unterstellst mir exakt das Gegenteil dessen, was ich gesagt habe. -
Nein, du verstehst dich nur selber nicht. Du verstehst nicht, dass du keine Wissenschaftlichkeit für dich beanspruchen kannst, wenn du keine wissenschaftlichen Methoden anwendest.
Wissenschaftlichkeit bestimmt sich per Defintion durch die Anwendung wissenschaftlicher Methoden. Da kann man nicht einfach hingehen und behaupten, man betreibe ebenfalls Wissenschaft, aber nicht mit wissenschaftlichen Methoden, sondern mit anderen.
Du willst einfach umdefinieren, was Wissenschaft wesentlich ist und was sie in ihrem Wesen gerade ausmacht. Und das geht nicht, weil es wissenschaftstheoretischer Unsinn ist. Da hilft es auch nicht, wenn du glaubst, du würdest es eben ontologisch anders sehen, denn Ontologie hat damit überhaupt nichts zu tun. Es ist keine Frage der Ontologie, wie Wissenschaft definiert ist und worin ihre Aufgabe besteht. Das ist einzig und allein eine Frage der Wissenschaftstheorie.

closs hat geschrieben: Vermutlich liegt der tiefere Grund des Missverständnisses darin, dass Du - zeitgemäß - derart von Deinem Verständis wissenschaftlichen Denkens auch in geistigen Bereichen formatiert bist, dass andere Wahrnehmungs-Systeme gar nicht mehr vorstellbar zu sein scheinen.
Nein, und das habe ich jetzt auch hinreichend erläutert. Was du als anderes Wahrnehmungssystem bezeichnest ist nichts anderes als der Glaube daran, sich auf Erkenntnisquellen berufen zu können, die nicht intersubjektiv verbindlich sein können, weil sie nur als wahrheitsgarantierend gesetzt werden und damit wissenschaftlich nicht legitimiert sind.
Der Grund dafür, warum ich dir vehement widerspreche ist der, dass du einem fundamentalen Missverständnis über Sinn und Zweck von Wissenschaft aufsitzt und du den Wissenschaftsbegriff so umzudefinieren versuchst, dass deine (und Ratzingers) unwissenschaftliche Auffassung noch unter Wissenschaft fällt.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wissenschaft tritt dezidiert mit dem Anspruch an, verbindliche, weil intersubjektiv als wahr einsehbare Aussagen über die Welt zu machen
So - und dieser Anspruch ist in geistigen Dingen nicht umsetzbar. - Du hast "Hiob" nicht verstanden.
Natürlich ist dieser wissenschaftliche Anspruch auch in geistigen Dingen umsetzbar, sonst gäbe es ja keine Geisteswissenschaften, sondern nur Naturwissenschaften. Es sind deine hier vorgetragenen Ansichten darüber, was der Sinn und Zweck von Wissenschaft ist, die den Ansprüchen nicht genügen.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 13. Feb 2016, 20:56, insgesamt 5-mal geändert.

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Thaddäus
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#392 Re: Theologie als Wissenschaft II

Beitrag von Thaddäus » Sa 13. Feb 2016, 19:33

closs hat geschrieben: Geistige Erkenntnis ist immer persönliche Erkenntnis - sie lässt sich nicht wissenschaftlich ersetzen.
Du verwechselst wissenschaftlich gewonne Erkenntnis mit dem, was diese Erkenntnisse für jemanden bedeuten (können).
Es gibt Menschen, die machen eine bestimmte persönliche Erfahrung und sie glauben danach an Gott. Dadurch sind sie gläubig geworden, aber dadurch betreiben sie keine Theologie.
Und es gibt Theologen, die verlieren ihren Glauben, wenn sie über ihr wissenschaftliches Arbeiten herausfinden, dass Jesus sich selbst nie als Gott verstanden hat, vermutlich nicht einmal als der vorausgesagte Messias. Andere verlieren ihren Glauben nicht, sondern sie integrieren diese Einsicht in ihren Glauben. So hat die bemerkenswerte Theologin Dorothee Sölle ein Buch mit dem Titel geschrieben: "Atheistisch an Gott glauben".

closs hat geschrieben: Genauso lässt sich Jesus wissenschaftlich nur so verstehen, als wäre es ein Thaddäus oder ein Closs - wissenschaftlich ist es aber eben NICHT möglich, den Fall miteinzubeziehen, dass Jesus inkarnierter Gott ist. - Hier kann die HKM machen, was sie will -
Richtig, das ist auch gar nicht die Aufgabe von Wissenschaft und HKM. Das ist ein Glaube, der selbst nicht wissenschaftlich bestätigt werden kann und der auch nicht als Voraussetzung wissenschaftlich-theologischen Arbeitens gesetzt werden darf!
Die HKM kann aber begründete Aussagen darüber machen, ob Jesus sich selbst als Gott verstanden hat oder nicht und wie die Autoren des NT dies sahen.

closs hat geschrieben: Aber sie kann nicht herausfinden, ob Jesus der ist, für den ihn das Christentum hält
Doch, genau das kann die HKM herausfinden, sogar sehr gut. Und sie kommt zu dem Ergebnis, dass der historische Jesus fast nichts zu tun hat mit dem heute kirchlich verehrten.

closs hat geschrieben: Mit anderen Worten: Die HKM kann nichts Geistiges über Jesus sagen, sondern nur Peripheres,
Das ist - und ich schreibe das in aller Deutlichkeit wieder und wieder, wenn es sein muss - epochaler Unsinn. Ich habe weiter oben arg verkürzt dargelegt, was die HKM darüber herausfinden kann, was Jesus am Kreuz historisch wahrscheinlich gesagt hat und auf welcher geistigen Grundlage (Psalmzitat) er es sagte. Du willst doch nicht etwa behaupten, dies sei nichts Geistiges.
Übrigens verwechselst du auch die beiden Begriffe geistig und geistlich.

closs hat geschrieben:Das ist wirklich falsch.
Ich habe exakt erklärt, warum das so ist (wissenschaftlich unlegitimierte Erkenntisquellen und keine Anwendung wissenschaftlicher Methoden, sowohl bei Ratzinger als auch bei dir).

closs hat geschrieben: Ratzi will die HKM als Hilfsmittel nutzen, um auf dieser Basis in die geistige Diskussion einzutreten, die nach Deinem Wissenschafts-Begriff nicht wissenschaftlich sein kann. - Streng genommen sind nach Deinem Wissenschafts-Modell "Philosphie als Wissenschaft" und "Theologie als Wissenschaft" keine Philosophie und keine Theologie, sondern externe Disziplinen, die vom substantiellen Kern von Philosophie und Theologie distanziert beschreibend tätig werden.
Was Ratzinger will ist klar: sich auf die HKM stützen, soweit er ihre Ergebnisse gebrauchen kann und sie dort ignorieren, wo ihre Ergebnisse ihm widersprechen. Ratzinger will wie du, den Wissenschaftsbegriff so umdefinieren, wie er ihn für seinen GLAUBEN braucht. Und das geht nicht und ist intellektuell auch zutiefst unredlich.
Theologie, Philosophie und überhaupt alle Geisteswissenschaften sind wissenschaftlich nur dann, wenn sie ihre wissenschaftlichen Methoden anwenden.

closs hat geschrieben: Duschen und nicht naß werden geht nicht -
Aber genau das versuchst du, wie auch Ratzinger. HKM als Hilfswissenschaft (hahaha) und wenn sie nachweist, dass Jesus eine Naherwartung hatte, dann schnell ignorieren und sich auf die höhere Weisheit der kanonischen Exegese oder anderes Erleuchtungswissen berufen. Das hat mit Wissenschaft nichts zu tun und hat auch nichts mit Geist zu tun.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 13. Feb 2016, 21:01, insgesamt 4-mal geändert.

Novas
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#393 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Novas » Sa 13. Feb 2016, 19:43

Die Reaktion der Intellektuellen auf die christliche Offenbarung hat eigentlich Goethe wunderbar auf den Punkt gebracht: „Mir willst du zum Gotte machen / Solch ein Jammerbild am Holze!“ - das Kreuz war damals ein Ärgernis und ist es auch heute. Denn der menschliche Stolz wird solch ein Jammerbild niemals anbetungswürdig finden.

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Savonlinna
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#394 Re: Theologie als Wissenschaft I

Beitrag von Savonlinna » Sa 13. Feb 2016, 20:09

Thaddäus hat geschrieben:
closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Er behauptet nämlich nicht weniger (im übertragenen Sinne) als Physik treiben zu können, ohne dabei die Methoden der Physik anwenden zu müssen, sondern andere anwenden zu dürfen.
Exakt das tue ich nicht - und habe es begründet. - Wie kommst Du darauf?
Exakt das tust du und schreibst es hier sogar noch einmal.

closs hat geschrieben: Meine Aussage war sinngemäß: Es gibt neben der Physik keine andere Physik - es gibt neben der HKM keine andere HKM. - Aber "Physik als Wissenschaft" und "HKM als Wissenschaft" sind selber Einzel-Disziplinen, zu denen es andere Wahrnehmungs-Systeme in Bezug auf das Objekt gibt -
Nein, hierzu gibt es keine anderen "Wahrnehmungssysteme". Es gibt nur eine Art Physik oder Theologie wissenschaftlich zu betreiben. Physik betreibt man nur dann wissenschaftlich, wenn man ihre wissneschaftlichen Methoden anwendet. Theologie und wissenschaftliche Exegese betreibt man ausschließlich dann und nur dann, wenn man ihre wissenschadftlichen Methoden anwendet. Wendet man die nicht an, ist das keine wissenschaftliche Exegese oder Physik.

Du verstehst closs an dieser Stelle noch immer falsch, in meinen Augen.
Dabei ist closs doch hier sehr deutlich.
Es gibt ein Objekt Z, das unter anderem von der Physik untersucht wird.
Dieses Objekt Z kann auch von der Geschichtswissenschaft untersucht werden.

Das ist der Alltag interdiszplinärer Forschung. Jede Disziplin hat ihr eigenes "Wahrnehmungssystem".
Du hast möglicherweise das überlesen, was ich oben blau gefärbt habe.

Deine Kritik an clossens Begriff "Wahrnehmungssystem" allerdings teile ich.
Hier aber meint er wohl nur den Aspekt, unter dem ein Objekt wissenschatlich untersucht wird.

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Thaddäus
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#395 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Thaddäus » Sa 13. Feb 2016, 20:11

Novalis hat geschrieben:Die Reaktion der Intellektuellen auf die christliche Offenbarung hat eigentlich Goethe wunderbar auf den Punkt gebracht: „Mir willst du zum Gotte machen / Solch ein Jammerbild am Holze!“ - das Kreuz war damals ein Ärgernis und ist es auch heute. Denn der menschliche Stolz wird solch ein Jammerbild niemals anbetungswürdig finden.
Welcher Jesus am Kreuz ist der richtige Jesus?

Bild
Bild
Beide sind natürlich richtig, denn beide sind Interpretationen des Gekreuzigten. Das erste Bild zeigt den leidenden Christus, den Christus des: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!". Das zweite den erhöhten, der spricht: "Es ist vollbracht!" und der den Heilsplan Gottes erfüllt hat. Es sind zwei Sichtweisen auf den Gekreuzigten, die zwei unterschiedliche Aspekte hervorheben. Bild 2 zeigt kein Ärgernis mehr. Es zeigt den erhöhten Gottessohn, als den Jesus sich selbst vermutlich nie verstand.
Historisch gesehen, ist Bild 1 vermutlich näher an der historischen Wahrheit dran. Deshalb wird Bild 2 nicht falsch. Es zeigt einfach ein anderes gläubiges Verständnis.
Aber die HKM kann belegen, was Jesus am Kreuz vermutlich tatsächlich gesagt hat und was nicht, - ob es einem nun passt oder nicht.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 13. Feb 2016, 20:35, insgesamt 1-mal geändert.

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sven23
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#396 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Sa 13. Feb 2016, 20:29

closs hat geschrieben: Man kann Jesus historisch-kritisch und geistig/kanonisch approachen - es sind zwei getrennte Wahrnehmungs-Systeme, die sich nicht ins Gehege kommen, wenn sie sich beide diszipliniert verhalten.
Wenn man sich - wie die Leben-Jesu Forschung - dem historischen Jesus "approachen" will, dann geht das nur mit historisch-kritischer Methode. Mit kanonischer Exegese kann man nur das finden, was schon in den Schriften vordefiniert ist: Jesus ist der Sohn Gottes und fertig ist die Laube. Ein Zirkelschluss.


closs hat geschrieben: Du unterstellst mir exakt das Gegenteil dessen, was ich gesagt habe. -
Nee, hier muß ich Thaddäus zustimmen. Du sprichst immer von Ergebnissen "innerhalb einer Methode oder Wahrnehmungssystems", ähnlich wie damals bei der HP Debatte, so als gäbe es eine andere irgendwie geartete gleichrangige Methode.


closs hat geschrieben: Ratzi will die HKM als Hilfsmittel nutzen, um auf dieser Basis in die geistige Diskussion einzutreten, die nach Deinem Wissenschafts-Begriff nicht wissenschaftlich sein kann.
Ratzinger bittet in seinem Jesusbuch um einen Vertrauensvorschuss. Aber kann er sich den auch im Laufe seiner Ausführungen verdienen?
Zweifel sind angebracht. Lüdemann spricht von einer "peinlichen Entgleisung".
Kubitza rügt die unwissenschaftliche Vorgehensweise Ratzingers.

"Dabei wurden nicht nur die späten und spärlichen Messias-Weissagungen
auf Jesus hin gedeutet, sondern auch bisher gar nicht als messianisch verstandene Stellen des AT
messianisch vereinnahmt. Am bekanntesten erfolgte dies bei den Gottesknechtsliedern bei Jesaja, vor
allem Jes 53. Ein Knecht Jahwes leidet stellvertretend bis zum Tode, und wird doch ewig leben.
Diese Stelle wurde im Judentum eindeutig nicht messianisch gedeutet. Und auch für die ersten
Christen spielte sie offenbar keine Rolle. Dann aber wurde sie quasi „entdeckt“ und auf Jesus
bezogen. Angesichts der Menge der alttestamentlichen Texte lassen sich, wie schon gesagt, immer
irgendwelche Anklänge zu allem Möglichen finden. Doch Joseph Ratzinger spricht raunend hier von
wartenden Worten oder herrenlosen Bibelworten, deren tieferer Sinn sich erst Späteren voll
erschließe.

...
Natürlich ist eine solche Vorgehensweise völlig unwissenschaftlich. Sie besteht aus einem
Zirkelschluss, sie setzt die Bedeutung dessen, was sie erweisen will, schon voraus."

...
Der Wunderglaube ist heute aber selbst unter Theologen anrüchig, und niemand würde heute
ernstlich damit argumentieren. Eine populäre Ausnahme ist Benedikt XVI., der sogar die Details der
Weihnachtsgeschichte (übrigens sowohl bei Lukas wie bei Matthäus) für historisch hält, incl.
Jungfrauengeburt, diversen Engelsverkündigungen, Stern über Bethlehem, Weisen aus dem
Morgenland, Gold, Weihrauch und Myrrhe und den Kindermord des Herodes.
176 Es ist dabei
überhaupt keine Frage, dass Ratzinger ähnliche Geschichten z. B. im Koran sofort als Legenden und
Mythen identifizieren würde. Ratzinger ist in erster Linie Dogmatiker. Und man kann eben nicht erst
in zweiter Linie Wissenschaftler sein."
Zuletzt geändert von sven23 am Sa 13. Feb 2016, 20:34, insgesamt 1-mal geändert.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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Thaddäus
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#397 Re: Theologie als Wissenschaft I

Beitrag von Thaddäus » Sa 13. Feb 2016, 20:33

Savonlinna hat geschrieben: Du verstehst closs an dieser Stelle noch immer falsch, in meinen Augen.
Dabei ist closs doch hier sehr deutlich.
Es gibt ein Objekt Z, das unter anderem von der Physik untersucht wird.
Dieses Objekt Z kann auch von der Geschichtswissenschaft untersucht werden.

Das ist der Alltag interdiszplinärer Forschung. Jede Disziplin hat ihr eigenes "Wahrnehmungssystem".
Ich verstehe dich sehr gut, nur hat das nichts mit dem zu tun, was hier verhandelt wird.
Man kann ein Bild Rembrandts kunstgeschichtlich analysieren und man kann z.B. die Farben des Bildes chemisch analysieren. Eine physikalisch-chemische Analyse eines Bildes mag aus irgendwelchen Gründen interessant sein, es hilft einem aber nicht dabei, das Bild zu verstehen. Dabei kann nur die Kunstwissenschaft und Kunstgeschichte helfen. So hat jede wissenschaftliche Disziplin ihren Gegenstand. Man versteht Thomas Manns Buddenbrocks auch nicht, wenn man die Buchstaben darin zählt. Aber eine linguistische Analyse kann dabei helfen, das Werk zu verstehen. Usw.

Die kunstwissenschaftliche Analyse eines Bildes bringt Verständniseinsichten zu diesem Bild, die anders als wissenschaftlich nicht erreicht werden können. Eine wissenschaftlich arbeitende Theologie kommt zu Einsichten, die anders nicht erlangt werden können. Die kunstwissenschaftliche Analyse eines Bildes kann z.B. herausfinden, dass ein Bild gar nicht von einem bestimmten Meister stammt, sondern von einem Schüler des Meisters, - oder sogar, dass es eine Fälschung ist. Hierbei kann sogar eine chemische Analyse der Farben beitragen. Das wäre dann interdisziplinär.
Die HKM kann herausfinden, dass ein vermeintliches Jesuswort gar nicht von Jesus stammt, sondern ihm später in den Mund gelegt worden sein muss. Mit solchen Ergebnissen muss man wissenschaftlich leben können!
Und wenn man noch so sehr möchte, dass ein bestimmtes Bild echt ist; wenn es nicht echt ist, ist es nicht echt.
Und wenn man noch so sehr möchte, dass ein bestimmtes Jesuswort oder ein Paulusbrief echt ist; wenn sie nicht echt sind, sind sie nicht echt.

Ratzinger und closs wollen Wissenschaft letztlich ihrem Glauben unterordnen. Und das geht nicht, gerade deshalb nicht, weil sie sich auf "höhere" Einsichten oder "alternative Wahrnehmungssysteme" berufen (die es nicht gibt).
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 13. Feb 2016, 22:02, insgesamt 3-mal geändert.

Novas
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#398 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Novas » Sa 13. Feb 2016, 20:37

Thaddäus hat geschrieben:Welcher Jesus am Kreuz ist der richtige Jesus?

Der, der einem das Herz zerreißt, wenn man sich in seine Betrachtung vertieft.

Ratzinger und closs wollen Wissenschaft letztlich ihrem Glauben unterordnen. Und das geht nicht, auch wenn sie sich auf "höhere" Einsichten oder "alternative Wahrnehmungssysteme" berufen (die es nicht gibt).

Was sind denn Religion, Musik und Kunst, wenn nicht "alternative Wahrnehmungssysteme"?
Zuletzt geändert von Novas am Sa 13. Feb 2016, 20:44, insgesamt 1-mal geändert.

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#399 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von sven23 » Sa 13. Feb 2016, 20:43

Ratzinger glaubt einen Grund für die Kirchenkrise gefunden zu haben.

"Und während auch hier viele bekennende Katholiken in den Gemeinden weit
fortschrittlicher und freiheitlicher denken als ihre kirchliche Hierarchie, zeigt sich Papst
Ratzinger davon „überzeugt, dass die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf
dem Zerfall der Liturgie beruht.“ (Joseph Ratzinger, Aus meinem Leben, S. 174) Schöner
lässt sich Weltfremdheit kaum formulieren."

Kubitza, Der Jesuswahn
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Savonlinna
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#400 Re: Alles Teufelszeug?

Beitrag von Savonlinna » Sa 13. Feb 2016, 20:48

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Du willst ihn festlegen, darum weise ich das zurück.
Zu Recht - WENN ich das sagen würde. - Ich will den Menschen gerade NICHT durch Wahrnehmungs-Systeme festlegen.
Das tust Du aber. Du tust es praktisch andauernd, indem Du "Wahrnehmung", "Kategorie Mensch" etc. in ihrer Bedeutung festlegst.
Darum weise ich Deine Festlegungen zurück.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Du fragst mich oft, welche Weltanschauung ich habe, und ich sage Dir regelmäßig: ich habe keine.
Hier irrst Du Dich - denn da Du Wahrnehmung hast, hast Du auch eine Anschauung, die aus Deiner Wahrnehmung entsteht (ich nehme Begriffe - hier: Weltanschauung - oft sehr wörtlich).
Du spielst hier mit Worten. Diese Spielerei interessiert mich nicht.
Mir gehst es um Wahrhaftigkeit, und das, was Du - Du schreibst ja immerhin genügend Beiträge hier - unter Weltanschauung verstehst, ist mir klar.
Und wenn Du mich danach fragst, fragst Du auch immer danach in Deinem Sinn.
Und ich antworte Dir regelmäßig: Ich habe "nach Deiner Machart" keine Weltanschauung.
Bitte nimm es so hin.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:ich schaue mir nie die ganze Welt an
Das kann niemand.
Doch, Du. Du bist der, der das kann. Du weißt, dass es "Gott entweder gibt oder nicht gibt" - falls es ihn überhaupt gebe.
Du weißt sogar, dass Gott, falls es ihn gebe, von unserem Wahrnehmungssystem nicht erreichbar sei.

Es überschreitet zwar ständig Deine Kompetenz, aber das vergisst Du immer wieder.

closs hat geschrieben:Du vermittelst aber den Eindruck, dass das "Bild davon" die Welt selber sei.
Das vermittele ich Dir wodurch? Dadurch, dass ich jegliche feste Überzeugungen ablehne?
Vielleicht lässt Dein Kategoriensystem nur zwei Möglichkeiten zu: entweder man hat feste Überzeugungen, oder man erweckt den Eindruck, den Du eben geschildert hast?

Du irrst Dich darin fundamental.

closs hat geschrieben:- Und das geht bei meinem ontologischen Verständnis nicht (auch hier: "ontologisch" nicht im Sinne irgendeiner Schule, sondern wörtlich gemeint).
Wenn Du den Begriff "ontologisch" benutzt, schalte ich grundsätzlich ab. So, wie Du ihn anwendest, ist er für mich synonym mit "closs will nicht in die Tiefe gehen und sagt statdessen ein Wort, das keiner versteht."

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich mache mir aus diesem und jenem einen Reim, aber er ist vorläufig.
Ja - Dein "alles ist im Fluss" ist doch auf Wahrnehmgs-Ebene richtig.
Wie ich sagte: Ich mache mir aus diesem und jenem einen Reim, aber alles ist vorläufig.
Du hast meine Aussage als Weltanschauung missverstanden, und tiefer kommst Du nicht. Da kann man sich abrackern, wie man will.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Diese rhetorische Frage drückt am ehesten aus, warum ich Dein "tertium non datur" so absurd und dogmatisch empfinde.
Das "tertium non datur" bezieht sich doch nicht auf unterschiedliche Wahrnehmungen von Menschen, sondern auf die Trennung von "Wahrnehmendem" und "Wahrgenommenem".
Ich bezog mich auf Deinen Satz: 'Gott gibt es entweder oder es gibt ihn nicht, tertium non datur'.
Und das habe ich angewendet auf Deine Aussage von Jesus, dass es nur eine einzige Möglichkeit gibt, wie er "ist".
Da gilt dann ja auch das tertium non datur: Entweder man hat den Volltreffer gemacht und weiß, wie er ist, oder man hat den Volltreffer nicht gemacht. Tertium non datur.

closs hat geschrieben:Natürlich hast Du mit Deinem Beispiel Mozart/Beethoven recht - daran würde ich nie zweifeln. - Der Mensch selber ist nie objektiv - aber man darf sein eigenes Panta Rhei doch nicht als Maßstab für ein Welt-Panta-Rhei verstehen: "Wenn Ich schon subjektiv ist, ist das, was ich wahrnehme, ebenso subjektiv". - Dagegen wende ich mich.
Welches "eigene Panta Rhei" denn?

Ich habe Dir schon sehr früh gesagt, dass ich Sein und Werden als nur zwei Aspekte der gleichen Sache verstehe.
Das hast Du weit von Dir gewiesen, weil das ja dem Satz der Logik widerspreche.
Und doch lehrt mich das die Musik - wenn auch nicht nur sie.

Du bist an die Logik gebunden, an die Regeln des Verstandes, und andere lehnst Du ab.

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