Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
closs
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#2281 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 20:50

Pluto hat geschrieben:Wenn man in der Hermeneutik von "Alle" auf 99,9 zurückrudern kann, dann ist Hermeneutik eine sehr unzuverlässige Disziplin.
Nee - eine sich entwickelnde Disziplin, die Platz für neue Erkenntnisse lässt. - Ich weiss jetzt nicht, was Du daran falsch verstehst.

Pluto
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#2282 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Sa 14. Nov 2015, 21:10

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn man in der Hermeneutik von "Alle" auf 99,9 zurückrudern kann, dann ist Hermeneutik eine sehr unzuverlässige Disziplin.
Nee - eine sich entwickelnde Disziplin, die Platz für neue Erkenntnisse lässt. - Ich weiss jetzt nicht, was Du daran falsch verstehst.
Nun, die These, alle Schwäne seien weiß wird falsifiziert, und nun ändert man die Grundlage (alle) und ist auch noch stolz drauf. Das erweckt nicht unbedingt Vertrauen in die Methodik.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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sven23
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#2283 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » Sa 14. Nov 2015, 21:25

Thaddäus hat geschrieben: Wenn man einem ernsthaft gläubigen Menschen widerspricht, dann greift man sofort seine gesamte Lebensweise an. Deshalb reagieren gläubige Menschen auch so heftig auf Angriffe ihrer Ansichten. Man stellt damit nicht nur ihren (theoretischen) Glauben infrage. Man stellt damit ihr ganzes Leben infrage, ihren kompletten Lebensentwurf!
Ja, das kann ich absolut bestätigen, weshalb ich es auch in der Regel vermeide, mit Gläubigen über deren Glauben zu reden, es sei denn, sie zwingen mir ein Thema auf.
In einem Forum ist das anders. Man kann viel ungezwungener Meinungen austauschen und läuft nicht Gefahr, einen Menschen, der einem lieb und wichtig ist, durch Glaubensdiskussionen zu verlieren.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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closs
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#2284 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 22:44

Pluto hat geschrieben:Das erweckt nicht unbedingt Vertrauen in die Methodik.
Was ist denn anders in der Naturwissenschaft: Eine These wird falsifiziert, also ersetzt man sie mit einer neuen These, von der man hofft, dass sie nicht falsifiziert wird. - Das ist doch genau dasselbe.

SilverBullet
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#2285 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » Sa 14. Nov 2015, 22:59

Thaddäus hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben: Aus der Anwendung dieser „Fragetechnik“ habe ich den Eindruck gewonnen, dass die „Gläubigen“ keine Vorstellungen haben.
Vorstellung im Sinne von Inhalt, von „Verstehen“.
Das mag sein, aber ich bitte dich zu bedenken, dass du es mit Menschen zu tun hast. Wenn du einem gläubigen Menschen seine Lebensgrundlage nimmst - und es wird um so schlimmer, je besser du argumentierst - dann zerstörst du im buchstäblichen Sinne sein Leben, wenn er rationalen Argumenten noch zugänglich ist.
Das sehe ich in einem gewissen Umfang ähnlich.

Allerdings gilt auch der Grundsatz, dass wir Wahrnehmungssysteme sind. Neue Blickwinkel und die daraus entstehenden Möglichkeiten zur Optimierung/Verbesserung sind sozusagen unsere Aufgabe.

Ein Lebensentwurf, der enge Schranken (vielleicht sogar fiktive Schranken) für die Wahrnehmungsentfaltung festlegt, steht immer in der Gefahr, durch unerwartete Situationen in Bedrängnis zu geraten.
Religiöse Gesellschaften (aber gewiss auch ideologische Gruppen) zeichnen sich deshalb durch relativ starke Reglementierungsversuche aus.

In der Religion kommt aus meiner Sicht noch dazu, dass ein Zusammenhang für die „Zukunftsaussicht“ entworfen wird:
Belohnung des „guten“ Verhaltens
Bestrafung des „schlechten“ Verhaltens.

Ich denke, wir sind uns einig, dass das Ausleben dieser „Grundlagen“ zu übelsten Situationen führen kann. Man braucht dabei auch nicht viel Rätselraten anstellen, denn es war in der Geschichte bereits so und die aktuellen Beispiele stimmen nicht gerade sehr optimistisch, dass in diesen Kreisen ein generelles Umdenken erfolgt wäre.

Ich denke, die Möglichkeit zum Stellen der Frage, was „Gott“ sein soll, ergibt sich aus der Schwäche der Gruppen, die etwas dagegen haben könnten.

Dass sich Leute, die in einer Machtposition anders handeln würden, aktuell nicht regen können, bereitet mir keine schlaflosen Nächte.

Worüber ich aber immer mal wieder nachdenke, ist eine Situation, in der sich meine Vermutung als zutreffend herausstellen würde:
„das Mentale, das Bewusstsein, existiert nicht vergleichbar zum Körper, sondern es spielt quasi nur für sich selbst in einer virtuellen Bedeutungsumgebung eine Rolle.“

Wie wirkt das auf Menschen, die 70, 80 Jahre lang darauf ausgerichtet waren, dass sie mehr sind, als der Körper, im Sinne einer Art Unabhängigkeit von der physikalischen Welt (vielleicht sogar über den Tod hinaus)?
Genauso kann man die Frage für Menschen stellen, die durch Genetik, Krankheit oder Unfall keine Chance auf maximale körperliche Fähigkeiten haben.

Auf der einen Seite gibt es also die „sympathischen Schwachen“, auf der anderen Seite die „unsympathischen Starken“.

Schade, dass wir kulturell keine neutrale Entwicklung durchlaufen haben, so dass sich positive Umgangsformen und positive Einstellungen bezüglich des Körpers und seiner Stärken und Schwächen, aus Sicht einer reinen „körperlichen Welt“ bilden konnten.
Stattdessen kommen wir aus einer Vergangenheit, in der intellektuelle Eliten, ihre „Ideen“ über unsichtbare Welten à la „Geist ist mehr als der Körper“, ohne jegliche Grundlage etablieren konnten.

Der Paragraph 2 des Grundgesetzes (körperliche Unversehrtheit) ist aus meiner Sicht eine gigantische Errungenschaft.
Aber selbst hier bewirken Religionen wieder ihre Ausnahmen, und die Verantwortlichen scheinen sich selbst überholen zu wollen, damit nur ja nicht offiziell die Frage beantwortet werden muss, was „Gott“ sein soll, für dessen Wohlwollen die „berufenen Kreise“ von kleinen Kindern etwas abschneiden „müssen“.

Wer weiss, wie wir uns kulturell entwickelt hätten, wenn sich die Wahrnehmung bezüglich ihres Zustandekommens in der gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungszeit, mehr auf den Körper konzentriert hätte.

Aus der Sicht der „starken Gläubigen“, wäre das natürlich katastrophal verlaufen, aber ich denke, diese Einstellung kommt daher, weil die „Anhänger des Geistes“ viel zu verlieren haben.
Hier wird eine körperliche Ausrichtung vorschnell mit Triebhaftigkeit gleichgesetzt.
Dazu gibt es aber keinen Anlass, denn am Wahrnehmungsanteil innerhalb des Lebewesens ändert sich rein gar nichts. Es wird also nicht auf „Teufel komm raus“ ( :-) ) jedem Laster gefrönt, sondern im Gegenteil, die Wahrnehmung versucht das körperliche Umfeld zu optimieren, im Sinne von „auf den Körper“ aufpassen. Genauso würde sie auf andere Körper acht geben und jede Gelegenheit nutzen, um das Verstehen, also die Wahrnehmung zu optimieren, denn genau hierin liegt der Zweck von Wahrnehmung.

Wenn die Evolutionstheorie korrekt ist, dann waren wir für eine gigantische Zeit rein körperlich ausgerichtet und da wir überlebt und all unser Bewusstseins, d.h. „Verstehen“, entwickelt haben, ist es sehr positiv verlaufen.

Man muss sich klar machen, dass wir das Verständnis für Liebe, Ästhetik, Gut und schlecht, usw. nicht in uns tragen, weil wir die letzten 3000-4000Jahre besonders religiös eingestellt waren, sondern weil wir uns 100.000e von Jahren in einem natürlichen Umfeld, als Gruppe entwickelt haben (davor liegen natürlich noch gigantische Jahrmillionen der Gehirnentwicklung).

(irgendwo habe ich gelesen, dass wir uns automatisch entspannen, wenn wir in einer grünen Umgebung sind – warum das wohl so ist…)

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Münek
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#2286 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » So 15. Nov 2015, 06:38

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Sofern man Gott selbst als Geist ansieht, ist in dem Schöpfungsmythos von zwei Geistern die Rede.
Das ist ziemlich kindisch naiv.

Der biblische Schöpfungsbericht ist zwar ein Mythos; aber als kindisch-naiv würde ich ihn nicht bezeichnen.

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#2287 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Münek » So 15. Nov 2015, 07:16

sven23 hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Wenn man einem ernsthaft gläubigen Menschen widerspricht, dann greift man sofort seine gesamte Lebensweise an. Deshalb reagieren gläubige Menschen auch so heftig auf Angriffe ihrer Ansichten. Man stellt damit nicht nur ihren (theoretischen) Glauben infrage. Man stellt damit ihr ganzes Leben infrage, ihren kompletten Lebensentwurf!
Ja, das kann ich absolut bestätigen, weshalb ich es auch in der Regel vermeide, mit Gläubigen über deren Glauben zu reden, es sei denn, sie zwingen mir ein Thema auf.
In einem Forum ist das anders.
Man kann viel ungezwungener Meinungen austauschen und läuft nicht Gefahr, einen Menschen, der einem lieb und wichtig ist, durch Glaubensdiskussionen zu verlieren.

So praktiziere ich es auch. :thumbup:

Ich habe nicht das mindeste Bedürfnis, Gläubige außerhalb des Forums mit der Nase darauf zu stoßen, dass ihr Glaubensfundament in Wirklichkeit ziemlich bröselig ist. Festgestellt habe ich, dass sie diesbezüglich größten-
teils erschreckend unwissend sind.

Der Göttinger Neutestamentler Professor Hans Conzelmann hatte vollkommen recht, als er 1959 in einem Fach-
blatt konstatierte:

"Die Kirche lebt faktisch davon, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind."

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#2288 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » So 15. Nov 2015, 09:55

Münek hat geschrieben: aber als kindisch-naiv würde ich ihn nicht bezeichnen.
Richtig - der Mythos selbst verdient das Attribut "genial". - Und zwar so genial, dass er nach bald 3000 Jahren noch entschlüsselt werden kann.

Münek hat geschrieben:"Die Kirche lebt faktisch davon, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind."
Das sind diese ideologischen Schlagworte, die man in einer hitzigen Situation mal sagen kann. - Für die Realität sind solche Sätze komplett irrelevant - sie dienen der eigenen Inzucht.

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#2289 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » So 15. Nov 2015, 10:27

closs hat geschrieben:Richtig - der Mythos selbst verdient das Attribut "genial". - Und zwar so genial, dass er nach bald 3000 Jahren noch entschlüsselt werden kann.
Was soll daran so genial sein? :roll:

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:"Die Kirche lebt faktisch davon, dass die Ergebnisse der wissenschaftlichen Leben-Jesu-Forschung in ihr nicht publik sind."
Das sind diese ideologischen Schlagworte, die man in einer hitzigen Situation mal sagen kann. - Für die Realität sind solche Sätze komplett irrelevant - sie dienen der eigenen Inzucht.
Damit kein Mißverständnis aufkommt. Natürlich sind die Ergebnisse der Leben-Jesu-Forschung innerhalb der Kirche bekannt. Sie werden aber gegenüber den Kunden nicht kommuniziert, nach dem Motto: bloß keine schlafenden Hunde wecken. Insofern ist Conzelmanns Aussage heute genau so gültig wie damals.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#2290 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » So 15. Nov 2015, 12:16

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das erweckt nicht unbedingt Vertrauen in die Methodik.
Was ist denn anders in der Naturwissenschaft: Eine These wird falsifiziert, also ersetzt man sie mit einer neuen These, von der man hofft, dass sie nicht falsifiziert wird. - Das ist doch genau dasselbe.
Unsinn. Wird eine Hypothese derart grundlegend widerlegt, wie das bei den Schwänen der Fall ist, so kommt sie in die Tonne.

Beispiel: Lamarckismus ist die Theorie, dass Organismen Eigenschaften an ihre Nachkommen vererben können, die sie während ihres Lebens erworben haben. - (Wikipedia)

Diese Hypothese wurde widerlegt und zu Gunsten des Darwinismus fallen gelassen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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