Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
Pluto
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#2271 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Sa 14. Nov 2015, 19:56

Savonlinna hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Damit sind wir bei Glauben, Meinen, der Überzeugung sein usw.
Oder einfach bei einer anderen Form des Wissens.
Ist das dein Ernst?
Meinst du als Sprachwissenschaftlerin sagen zu können, Glaube sei eine Art Wissen?

Savonlinna hat geschrieben:Die Schauspieler "glauben" nicht, wenn sie intuitiv aufeinander reagieren, sondern haben diese Intuition auf den Schauspielschulen gelernt - weil sonst keine einzige Theateraufführung funktionieren würde.
Das glaube ich dir sofort. Aber jeder Schauspieler kehrt irgendwann zu sich selbst zurück und weiß dass es nur ein Spiel war.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

SilverBullet
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#2272 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » Sa 14. Nov 2015, 20:00

Thaddäus hat geschrieben:Wenn man einem ernsthaft gläubigen Menschen widerspricht, dann greift man sofort seine gesamte Lebensweise an. Deshalb reagieren gläubige Menschen auch so heftig auf Angriffe ihrer Ansichten. Man stellt damit nicht nur ihren (theoretischen) Glauben infrage. Man stellt damit ihr ganzes Leben infrage, ihren kompletten Lebensentwurf!
Widersprechen ist nicht notwendig.

Die Was-Soll-Das-Sein-Frage reicht vollständig aus, um die Basis dieser „Lebensentwürfe“ aufzudecken.

Aus der Anwendung dieser „Fragetechnik“ habe ich den Eindruck gewonnen, dass die „Gläubigen“ keine Vorstellungen haben.
Vorstellung im Sinne von Inhalt, von „Verstehen“.

Es handelt sich eher nur um „Wörter“, zu denen ein paar Rahmenzusammenhänge vorhanden sind – meist traditionell erzählt (dazu kann natürlich auch eine emotionale Haltung gehören – je nach Vergangenheit und Lebenssituation), aber „wahrnehmungstechnischen Inhalt“ der Qualität von „schau auf den Apfel und finde selbst heraus, was es ist“, gibt es bei „schau auf Gott und finde selbst heraus, was es ist“ (oder bei den anderen religiösen Zusammenhängen) nicht.
In der Folge sind auch die „religiösen Vorstellungen“ entsprechend „entwickelt“.

Um sich mit diesem Manko nicht allzu viel beschäftigen zu müssen, gibt es in den Religionen, aber auch in den Philosophien, viele „Unterhaltungs- und Ablenkungsmöglichkeiten“.

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Savonlinna
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#2273 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Sa 14. Nov 2015, 20:06

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Mittlerweile glaube ich, dass Ludwig Wittgestsein recht hat, wenn er über seine sprachphilosophischen Analysen zu der Einsicht gelangt ist, dass ein gläubiger Mensch und ein nicht-gläubiger Mensch sich grundsätzlich nicht verstehen können.
Wahrscheinlich ist das wirklich so.
Enspricht nicht meiner Erfahrung.
Es kommt darauf, wie fundamentalistisch ein Gläubiger ist.

Ist er fundamentalistisch, dann versteht er andere Anders-Fundamentalistische nicht nur nicht, sondern bekämpft sie.
Ist er nicht-fundamentalistisch, dann versteht er sich mit Nicht-Gläubigen sehr viel mehr als mit den Anders-Fundamentalistischen.

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Savonlinna
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#2274 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Sa 14. Nov 2015, 20:17

Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Damit sind wir bei Glauben, Meinen, der Überzeugung sein usw.
Oder einfach bei einer anderen Form des Wissens.
Ist das dein Ernst?
Meinst du als Sprachwissenschaftlerin sagen zu können, Glaube sei eine Art Wissen?
Nee. Ich habe das Gegenteil gesagt. :)
Ich sagte, dass es ein Wissen gibt, das durch die Wissenschaft nicht erfassbar ist und gerade kein Glaube ist, sondern praktiziertes Handwerk.

Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Die Schauspieler "glauben" nicht, wenn sie intuitiv aufeinander reagieren, sondern haben diese Intuition auf den Schauspielschulen gelernt - weil sonst keine einzige Theateraufführung funktionieren würde.
Das glaube ich dir sofort. Aber jeder Schauspieler kehrt irgendwann zu sich selbst zurück und weiß dass es nur ein Spiel war.
Die Intuition muss auf der Bühne selber funktionieren.

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#2275 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Thaddäus » Sa 14. Nov 2015, 20:18

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Wenn man einem ernsthaft gläubigen Menschen widerspricht, dann greift man sofort seine gesamte Lebensweise an. Deshalb reagieren gläubige Menschen auch so heftig auf Angriffe ihrer Ansichten.
Entspricht echt nicht meiner Erfahrung mit Christen. Nach meiner Erfahrung reagieren authentische Christen dann meistens sehr warmherzig und teilen Wittgensteins Feststellung, ohne ihn jemals gelesen zu haben - das heisst: Man wechselt das Thema, indem man ein Stück Kuchen anbietet. :lol: - Nicht aus Bedrohtheit, sondern aus dem Gefühl "Er/sie ist nicht so weit".
Ja, und das ist ehrlich gesagt noch viel viel schlimmer, als sich ernsthaft angegriffen zu fühlen.
Das ist nämlich eine vollständig immunisierte Haltung aus einer esoterischen Arroganz heraus, die Gewissheit zu haben, dass man gar nicht angegriffen werden kann, - weil man sich im Besitz unerschütterlicher Wahrheit fühlt. Diese Haltung ist die Haltung von IS-Terroristen, die keinerlei rationalen Argumenten mehr zugänglich sind. Je nach Grad dieses Gefühls immun gegen jede Form von Kritik zu sein, wird die Sache nur um so schlimmer. Da ist mir jeder Evangelikale lieber, der sich überhaupt noch aufregt, mich in der Hölle braten sieht und sich an dieser Vorstellung erfreut, - aber noch weit davon entfernt ist, sich mit einem Sprengstoffgürtel in die Luft zu sprengen.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 14. Nov 2015, 20:40, insgesamt 1-mal geändert.

Pluto
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#2276 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Sa 14. Nov 2015, 20:25

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Du meinst so eine Art "dynamisch-induktive Methode", in die immer wieder neue Daten eingehen und die deshalb immer akkurater wird? Also keine strenge Induktion mehr (Daten -> Induktion -> richtiges Modell) sondern: Mehr Beobachtungen, wahrscheinlichkeitsmäßig ausgewertet, und schon wächst die Wahrscheinlichkeit des Zutreffens der Theorie?
Ja.

SChritt 1:
"Alle Schwäne sind weiss".

Schritt 2:
Falsifizierung, weil ein schwarzer Schwan gesichtet wurde.

Schritt 3:
Modifizierung von 1: "Fast alle/99,8965% Schwäne sind weiss"

Genau so funktioniert Hermeneutik, wie ich sie kenne.
Wenn man in der Hermeneutik von "Alle" auf 99,9 zurückrudern kann, dann ist Hermeneutik eine sehr unzuverlässige Disziplin.
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#2277 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Sa 14. Nov 2015, 20:30

Savonlinna hat geschrieben:Ich sagte, dass es ein Wissen gibt, das durch die Wissenschaft nicht erfassbar ist und gerade kein Glaube ist, sondern praktiziertes Handwerk.
Das ist sehr seltsam. Du meinst es gibt Wissen was nicht erfassbar ist? :o
Wie identifiziert man so was?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#2278 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Thaddäus » Sa 14. Nov 2015, 20:39

SilverBullet hat geschrieben: Aus der Anwendung dieser „Fragetechnik“ habe ich den Eindruck gewonnen, dass die „Gläubigen“ keine Vorstellungen haben.
Vorstellung im Sinne von Inhalt, von „Verstehen“.
Das mag sein, aber ich bitte dich zu bedenken, dass du es mit Menschen zu tun hast. Wenn du einem gläubigen Menschen seine Lebensgrundlage nimmst - und es wird um so schlimmer, je besser du argumentierst - dann zerstörst du im buchstäblichen Sinne sein Leben, wenn er rationalen Argumenten noch zugänglich ist. Viele gläubige Menschen haben sich deshalb einen immunisierenden Schutzpanzer zugelegt, an dem jede Kritik abprallt. Sie legen eine unglaubliche Arroganz an den Tag, die einem echt aufregen kann. Am Ende ist es aber nur ein Schutz. Ein Schutz davor, sich seinen ganzen Lebensentwurf zerstören zu lassen. Im Grunde trifft dies natürlich auch auf den wissenschaftlich denkenden Menschen zu. Auch der wird heftig reagieren, wenn sein Weltbild grundsätzlich infrage gestellt wird. Aber wenn er wirklich ein wissenschaftlich denkender Mensch ist, wird er gelassener reagieren können, weil er nicht sein ganzes Leben an seiner Weltanschauung festmacht.
Am Ende bin ich selbst der Ansicht, dass das bessere Argument gewinnen muss. Das ist meine wissenschaftliche Grundhaltung; und in einem Punkt widerlegt zu werden, und festzustellen das ich nicht die klügste bin, zerstört nicht mein ganzes Leben.

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Savonlinna
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#2279 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Sa 14. Nov 2015, 20:44

Pluto hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich sagte, dass es ein Wissen gibt, das durch die Wissenschaft nicht erfassbar ist und gerade kein Glaube ist, sondern praktiziertes Handwerk.
Das ist sehr seltsam. Du meinst es gibt Wissen was nicht erfassbar ist? :o
Wie identifiziert man so was?
Ich sagte, dass es Wissen gibt, das durch Wissenschaft nicht erfassbar ist.
Darum brachte ich das Beispiel mit den Schauspielern.

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#2280 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 20:49

Thaddäus hat geschrieben:Ja, und das ist ehrlich gesagt noch viel viel schlimmer, als sich ernsthaft angegriffen zu fühlen.
Ja - auch diese (Deine) Reaktion ist möglich. - Du machst hier verbal eher den Eindruck, dass Du Dich in DEINER rationalen Überlegenheit bedroht fühlst.

Die Praxis ist viel einfacher. - Die Leute, von denen ich sprach, sind in aller Regel gar nicht auf der Meta-Ebene philosophischer Kontempaltionen daheim. - Sie merken einfach, wie jemand drauf ist und nehmen es hin, wie's kommt. - Wenn er/sie Hilfe braucht, ist man da. - Wenn jemand agnostisch diskutieren will, eher nein - aber nicht aus Bedrohtheit der eigenen Gewissheit, sondern weil's einfach nichts bringt.

Ich kennen keine echten Christen, die man dadurch aus der Fassung bringen könnte, weil sich Texte historisch-kritisch "so" oder "so" darstellen. - Weil diese Christen die Bibel mitnichten wörtlich verstehen - sie haben ihren Glauben nicht aus der Bibel ab-gelesen oder ab-gelernt, sondern ge-funden (mit oder ohne Bibel). - Auch die Bibel ist ein Gleichnis.

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