Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
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sven23
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#2241 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » Sa 14. Nov 2015, 17:03

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Und genau DAS scheint Kurt augenscheinlich nicht zu kapieren oder erkennen zu wollen.
Doch - das ist doch die poppersche Setzung, dass dies als "real" zu verstehen ist. - Sonst könnte doch Wissenschaft gar nicht anfangen zu arbeiten.
Glaub mir, Wissenschaft kann auch arbeiten ohne die closschen Setzungen. :lol:
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closs
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#2242 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 17:07

Münek hat geschrieben:Sofern man Gott selbst als Geist ansieht, ist in dem Schöpfungsmythos von zwei Geistern die Rede.
Das ist ziemlich kindisch naiv.

Münek hat geschrieben:Im umgekehrten Fall könnte die Wissenschaft "nicht in die Vollen gehen"?
Wenn man Wissenschaft als philosophisch vollkommen unabgesichert verstehen will ("Wir machen halt mal"), könnte sie es auch im umgekehrten Fall. - Aber der Kritische Rationalismus hat ja abgesichert, indem er deutlich macht, wo Wissenschaft beginnt.

sven23 hat geschrieben:Oh je, du hättest doch Theologie studieren sollen.
Das würde keinem Diskutanten hier schaden.

Münek hat geschrieben:Was glaubst eigentlich, weshalb Gläubige die Realität Gottes "setzen" müssen?
Weil dessen Realität wensens-mäßig keine Daseins-Realität ist und somit nicht naturwissenschaftlich zugänglich ist - also muss man diese Realität setzen.

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sven23
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#2243 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von sven23 » Sa 14. Nov 2015, 17:08

closs hat geschrieben: "Der Kritische Rationalismus übernimmt die im Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung, dass es die Welt wirklich gibt, und dass sie vom menschlichen Erkenntnis­vermögen unabhängig ist. Das bedeutet beispielsweise, dass sie nicht zu existieren aufhört, wenn man die Augen schließt".
Gegenfrage: wer übernimmt denn die aus dem Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung nicht, daß es die Welt wirklich gibt?
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closs
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#2244 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 17:13

sven23 hat geschrieben:Gegenfrage: wer übernimmt denn die aus dem Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung nicht, daß es die Welt wirklich gibt?
Wir als Menschen im Dasein sollten es so übernehmen.

Wenn man aber über das Alltags-Praktische hinausdenken will und sich deshalb der Philosophie zuwendet, sollte es konsequent tun. - Dann sind methodische Abgrenzungen ("Ab da interessiert es mich") nicht ausreichend - dann muss man tiefer fragen.

Anton B.
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#2245 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Anton B. » Sa 14. Nov 2015, 17:18

closs hat geschrieben:Ist Dir bewusst, dass Popper damit den jahrhundertelangen Umgang mit den Begriffen "induktiv" und "deduktiv" um 180° gedreht hat?
Ist mir ganz und garnicht bewusst. Popper verwendet sie so, wie sie definiert sind.

closs hat geschrieben:Nun ist mein Verdacht, dass Popper diesen jahrhundertelangen Umgang gar nicht falsifiziert hat, sondern einfach ganz woanders ansetzt.
Popper hat den "jahrhundertelangen Umgang" im 1. Kapitel seiner "Logik der Forschung", die induktive Methode insbesondere in 1.1 sehr eingehend untersucht.

closs hat geschrieben:Einige echte Verständnisfragen:
a) Was bedeutet dann das, was Aristoteles sagt? - Warum wird er in wik beim Begriff "Induktion" nach wie vor als Kronzeuge genannt?
Aristoteles sagt, eine Theorie werde durch die (direkte) Betrachtung der Einzelphänomene herbeigeführt.

closs hat geschrieben:b) Was ist falsch an der Aussage
b1) "100.000 Einzelbeobachtungen unterschiedlicher Schwäne zeigen, dass jeder Schwan weiß ist"
b2) "Aus diesen 100.000 Einzelbeobachtungen induziere ich die allgemeine Aussage: Schwäne sind weiß"
b3) "Finde ich unter 100.000 Einzelbeobachtungen 2 schwarze Schwäne, korrigiere ich diese Aussage in: Schwäne sind zu 99,9... % weiß" - also immer noch eine allgemeine Aussage aufgrund von 100.000 Einzelbeobachtungen".
Bei b1 machst Du eine Aussage über eine diskrete Menge, deren vollständige Ausprägung über alle individuellen Instanzen Du definitiv kennst.

Bei b2 führst Du aus Deinen Beobachtungen eine allgemeine Theorie herbei. Begründung, weil induziert: Ich habe mir jetzt 100000 Schwäne angeschaut, habe deren Farbwerte ausgewertet, und logisch ist nur möglich: Alle Schwäne waren, sind und werden immer weiß sein, Deshalb können wir auch das Thema "Farbe der Schwäne" getrost zu den Akten legen. Weiter zu überprüfen ist da jedenfalls nichts mehr.

Bei b3 machst Du dasselbe wie bei b2.

closs hat geschrieben:Das wäre nach jahrhundertelangem Verständnis eine induktiv gewonnene Erkenntnis - man hat von Einzelbeobachtungen auf allgemeine Aussagen geschlossen.
Genau!

closs hat geschrieben:Was macht man im Kritische Realismus (Popper) vom Ergebnis her anders? - Guckt man da nicht auch auf möglichst viele Einzelfälle, um daraus eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit für eine allgemeine Aussage zu gewinnen? - Würdest Du das "deduktiv" nennen?
Der Unterschied ist doch der: Die induktive Methode führt direkt die richtige Theorie herbei. In Deinem Fall b1 war das der Fall und ist begründet: Du hast alle Individuen inspiziert und genau für die machst Du eine allgemeine Aussage, die für alle Spezialfälle (die Individuen) zutrifft. Wenn Du keinen Beobachtungsfehler gemacht, wird niemals jemand Deine induktives Modell für diese Menge an Schänen widerlegen können. Sollte man zumindest meinen. Aber wenn Du Deine Schwäne im spätherbstlichen Schlichtkleid kontrolliert hast, die männlichen Schwäne sich aber (einfach mal so ausgedacht) im Frühjahr ein blau-orange-kariertes Prachtkleid zulegen, war es auch schon nichts mit Deiner Aussage. Es waren also doch Allgemeinheiten drinne (Zeitpunkt der Beobachtung abstrahiert), die Deine 100%ige Erkenntnis zu Schmuh werden ließen.

Wie gut ist es da, dass die Naturwissenschaftler, trainiert durch den Umgang mit in den meisten Fällen unzähligen "Individuen", die Hypothese, wie auch immer gewonnen, selbst Induktion ist da erlaubt (aber Hallo!!!) es nicht bei der Modellgenerierung bewenden lassen, sondern dann noch die Falsifikationsversuche hintendran setzen. Und die Falsifikationsversuche nehmen auch kein Ende.

Das ist der entscheidende Unterschied: Induktion liefert Theorien, die durch dien Induktionsvorgang ausreichend begründet sind. Kontrolle nicht nötig. Die hypothethisch-deduktive Methode liefert Modelle (wie auch immer!), die nie aus der Mühle der deduktiven Ableitung von Beobactungsvorhersagen und deren Falsifikationprüfung anhand echter Beobachtungen entlassen werden.

closs hat geschrieben:Nun will ich Dich nicht zwingen, nochmal zu erklären, wie es Popper aufbaut, und dass er quasi die Sache methodisch dreht. - Aber hebelt das das, was ich eben gesagt habe, INHALTLICH aus?
Wenn wir bei der Induktion bleiben, sehen wir die dadurch herbeigeführte Theorie nie wieder kritisch.

closs hat geschrieben:Umgekehrt: Theologie:
Üblicherweise geht ein christlicher Theologe davon aus, dass es (fundamental-theologische/dialektischen/logischen Gründen) Gott gibt (dem muss man ja als Außenstehender nicht zustimmen). - In Folge davon fragt er - salopp formuliert: "Wie [...]
Keine Ahnung, ob er wann, wie und in welchem Kontext davon ausgeht. Ich kann da nix zu sagen.

closs hat geschrieben:Eine mögliche Lösung (und mein Verdacht):
Kann es sein, dass die philosophische und die methodische Versionen diametral unterschiedlich sind, weil beide auf komplett unterschiedlichen Ebenen "daheim" sind. - Anders formuliert: Kann es nicht sein, dass Popper deshalb zu seinen Ergebnissen kommt, weil dies der methodische Preis dafür ist, dass er mit seiner Methodik das Problem des unendlichen Regresses gelöst hat? - Was ja an sich ein Geniestreich ist.
Selbstverständlich! Es ist bisher nicht gelungen, den "infiniten Regress" für Erkenntnis allgemein, und noch weniger für das durch Naturwissenschaft generierte Wissen aufzulösen. Nicht durch logische Begründungen vom grünen Teppich aus und auch nicht mit philosophisch akzebtablen Setzungen. Es ist ein Geniestreich, aber der Preis ist eben die Ablösung von vielem, was uns gut und sicher erscheint. Als erstes natürlich von jeder fundamentalen Begründung. Als zweites von der Gewissheit der Annäherung an "was der Fall ist".

closs hat geschrieben:Ist das der Grund, warum sich Popper sträubt, "Philosoph" genannt zu werden? - Weil er weiß, dass sein methodisches Modell Begriffe ("induktiv"/"dedujtiv") ganz anders einsetzen muss als die Philosophie? - Das erschiene mir zumindest sehr plausibel.
Er ist/war Philosoph und hat sich auch so gesehen. Wenn Du etwas anderes, auch aus seiner Hand gelesen hast, dann "kokettiert" er bestenfalls mit dem Begriff Methodiker. Und nein, er benutzt induktiv/deduktiv in alt hergebrachter Art und Weise.
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#2246 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Sa 14. Nov 2015, 17:20

Anton B. hat geschrieben:Und genau das meinte ich. Eine "spirituelle Aussage", zu der sich Naturwissenschaft überhaupt sich äußert.
Siehst du Anton, das ist das Problem, wer stellt denn diese Aussagen noch in Frage?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#2247 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Sa 14. Nov 2015, 17:24

closs hat geschrieben:Wenn man aber über das Alltags-Praktische hinausdenken will und sich deshalb der Philosophie zuwendet, sollte es konsequent tun. - Dann sind methodische Abgrenzungen ("Ab da interessiert es mich") nicht ausreichend - dann muss man tiefer fragen.
Da die Existenz der Welt logisch beweisbar ist, hat die cartesiche Skepsis ein riesiges Problem.

In vier Schritten gegen die cartesische Skepsis

Diesen Artikel habe ich dir an anderer Stelle verlinkt — besonderes lesenswert.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Anton B.
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#2248 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Anton B. » Sa 14. Nov 2015, 17:27

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben: Wo macht Popper denn diese Setzung zur Fundamentierung, Begründung und Rechtfertigung seiner philosophischen Aussagen?
Habe ich mal in einem Vorwort zu einem seiner Werke gelesen. - Auch wik geht darauf ein:

"Der Kritische Rationalismus übernimmt die im Alltagsverstand selbstverständliche Überzeugung, dass es die Welt wirklich gibt, und dass sie vom menschlichen Erkenntnis­vermögen unabhängig ist. Das bedeutet beispielsweise, dass sie nicht zu existieren aufhört, wenn man die Augen schließt".
Das ist ja alles schön und gut. Dass es Poppers persönliche Überzeugung ist, möchte ich auch gar nicht bezweifeln. Dass er diese Überzeugung als Setzung für seine Philosophie und Methode benötigt oder auch nur gebraucht hätte, aber schon.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#2249 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Anton B. » Sa 14. Nov 2015, 17:33

Pluto hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Und genau das meinte ich. Eine "spirituelle Aussage", zu der sich Naturwissenschaft überhaupt sich äußert.
Siehst du Anton, das ist das Problem, wer stellt denn diese Aussagen noch in Frage?
Muss die denn unbedingt in Frage gestellt werden? Die Wissenschaft macht "Mmmph", die Philosophie begründet das "Mmmph" und kann es wahrscheinlich auch nicht sonstwo hin adressieren, wo es unter den Ansprüchen von "Wissen" begründet werden kann.

Damit sind wir bei Glauben, Meinen, der Überzeugung sein usw.
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#2250 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Sa 14. Nov 2015, 17:34

Anton B. hat geschrieben:Aristoteles sagt, eine Theorie werde durch die (direkte) Betrachtung der Einzelphänomene herbeigeführt.
Das ist "induktiv" - und Du sagst, dass dies methodisch seit Popper nicht mehr üblich sei - richtig? - Aber trotzdem sind doch in der Wissenschaft allgemeine Aussagen Folge vieler Einzel-Beobachtungen - oder nicht?

Anton B. hat geschrieben:Bei b3 machst Du dasselbe wie bei b2.
Warum? - Hier ist doch berücksichtigt, dass ab und zu ein schwarzer Schwan dabei sein könnte?!?!

Anton B. hat geschrieben:Wenn Du keinen Beobachtungsfehler gemacht, wird niemals jemand Deine induktives Modell für diese Menge an Schänen widerlegen können.
Moment: Wenn ich derjenige wäre, der diese 100.000 Schwäne beobachtet hätte, die alle weiss waren, und daraus die allgemeine Aussage induziert hätte: "Alle Schwäne sind weiss", UND dann Anton käme und sagen würde "Ich habe einen Teich mit schwarzen Schwänen gefunden", die ich mir dann angucken würde, würde ich doch meine allgemeine Aussage "Alle Schwäne sind weiss" revidieren in "Fast alle/97,3456% Schwäne sind weiss". ---???--- Diese Korrektur wäre induktiv erwirkt ("Anton hat einen Teich mit schwarzen Schwänen gefunden").

Anton B. hat geschrieben:Und nein, er benutzt induktiv/deduktiv in alt hergebrachter Art und Weise.
Das kann ich inner-methodisch nachvollziehen, aber nicht philosophisch.

Anton B. hat geschrieben:. Wenn Du etwas anderes, auch aus seiner Hand gelesen hast, dann "kokettiert" er bestenfalls mit dem Begriff Methodiker.
Nee - in einem Buch gelesen. - Und Pluto hat mich freundlicherweise daran erinnert. - Nein, ich glaube nicht, dass er kokettiert hat - ich glaube eher, dass er sehr genau wusste, warum er es so sieht.

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