Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
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Andreas
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#1081 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Andreas » Di 13. Okt 2015, 22:48

Savonlinna hat geschrieben:Ich habe mir ein falsches Menschenbild und ein falsches Weltbild gemacht. Es hat nicht gehalten, es war nicht die Wahrheit.
Demnach wäre die Gewalt der Folterer die mächtigste Instanz, oder? Welche Weltanschuung zerbräche nicht unter ihren Händen?
Jesus verkündete die frohe Botschaft: "Fürchte dich nicht", und er wusste um die Folterer.

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Savonlinna
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#1082 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Di 13. Okt 2015, 22:51

Andreas hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Wenn man "Gott" Existenz zuspricht ...
Ich glaube es wirklich andersrum. Gott hat die Welt und den Menschen in die Existenz gesprochen.
Ich sprach jetzt von closs. Der hat Gott die Existenz zugesprochen.

Andreas hat geschrieben:Wenn das wahr ist, was ich nicht weiß aber glaube, ist deine Frage aus meiner Sicht obsolet ...
Mir geht es hier überhaupt nicht um Glaubenssätze.
Sondern um reale menschliche Erfahrungen, in denen "Existenz" zusammenbricht.
Wenn das Christentum nicht in der Lage ist, dergleichen zu reflektieren, dann ist es, wie ich gerade bei Tillich als Begriff gefunden habe, "flach". Es verdrängt diese Sache, thematisiert sie nicht. Es wäre dann eine Schön-Wetter-Religion.

Andreas hat geschrieben:Ich glaube das voller Urvertrauen.
Ich habe dieses Urvertrauen ja eben auch. Es ist zu mir gekommen mit den Jahren, und ich weiß nicht, wie. Je mehr Menschen mir starben, desto mehr wuchs dieses Urvertrauen.
Darum können mir Christen nichts erzählen. Manche dreschen ihre Phrasen, und ich horche sie ab, ob dahinter blabla ist oder ob sie wissen, wovon sie reden.

Novas
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#1083 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Di 13. Okt 2015, 22:59

Andreas hat geschrieben:Demnach wäre die Gewalt der Folterer die mächtigste Instanz, oder? Welche Weltanschuung zerbräche nicht unter ihren Händen.
Jesus verkündete die frohe Botschaft: "Fürchte dich nicht", und er wusste um die Folterer.

Es gibt eine höhere Natur (Seele) und niedere Natur im Menschen. Solche Geschehnisse zeigen uns, was passieren kann, wenn das Niedere die Oberhand gewinnt. Menschen können echte Teufel, aber zum Glück auch wahre Engel sein.

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Andreas
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#1084 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Andreas » Di 13. Okt 2015, 23:18

Savonlinna hat geschrieben:Es gibt Christen, die diese ganze Opfer-Erzählung aus dem Christentum herausnehmen.
Sie lehnen Blut, Leiche, qualvolles Sterben als "Symbol" für die heutige Christenheit ab.

Abendmahl ist für sie kein Gedenken an Folter, sondern ein Ausdruck von Gemeinschaft.
Da werden keine Symbole für Blut und Menchenfleisch angeboten, sondern Früchte und Ähnliches.

Diese Christen entscheiden sich für Auferstehung und Erneuerung als das Wesen des Christentums.
Savonlinna hat geschrieben:Mir geht es hier überhaupt nicht um Glaubenssätze.
Sondern um reale menschliche Erfahrungen, in denen "Existenz" zusammenbricht.
Wenn das Christentum nicht in der Lage ist, dergleichen zu reflektieren, dann ist es, wie ich gerade bei Tillich als Begriff gefunden habe, "flach". Es verdrängt diese Sache, thematisiert sie nicht. Es wäre dann eine Schön-Wetter-Religion.
Wie mans macht, macht mans falsch, nich?

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Savonlinna
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#1085 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Di 13. Okt 2015, 23:21

Andreas hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Es gibt Christen, die diese ganze Opfer-Erzählung aus dem Christentum herausnehmen.
Sie lehnen Blut, Leiche, qualvolles Sterben als "Symbol" für die heutige Christenheit ab.

Abendmahl ist für sie kein Gedenken an Folter, sondern ein Ausdruck von Gemeinschaft.
Da werden keine Symbole für Blut und Menchenfleisch angeboten, sondern Früchte und Ähnliches.

Diese Christen entscheiden sich für Auferstehung und Erneuerung als das Wesen des Christentums.
Savonlinna hat geschrieben:Mir geht es hier überhaupt nicht um Glaubenssätze.
Sondern um reale menschliche Erfahrungen, in denen "Existenz" zusammenbricht.
Wenn das Christentum nicht in der Lage ist, dergleichen zu reflektieren, dann ist es, wie ich gerade bei Tillich als Begriff gefunden habe, "flach". Es verdrängt diese Sache, thematisiert sie nicht. Es wäre dann eine Schön-Wetter-Religion.
Wie mans macht, macht mans falsch, nich?
Keine Ahnung, was Du meinst.
Im letzten Beitrag habe ich Tillich versucht zu verstehen.

Irgendwie fühlst Du Dich andauernd angegriffen.
Am besten, ich hau mal für eine Weile ab.
Tschau.

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Andreas
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#1086 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Andreas » Di 13. Okt 2015, 23:43

Savonlinna hat geschrieben:Irgendwie fühlst Du Dich andauernd angegriffen.
Nein.
Savonlinna hat geschrieben:Darum können mir Christen nichts erzählen. Manche dreschen ihre Phrasen, und ich horche sie ab, ob dahinter blabla ist oder ob sie wissen, wovon sie reden.
Was hat das mit Tillich zu tun?

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Halman
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#1087 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Halman » Di 13. Okt 2015, 23:52

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Der von mir verlinkte Aufsatz "Von der Tiefe" ist nicht schwer.
Das ist relativ, liebe Savonlinna. :)
Ich meinte: er ist nicht schwer vom Satzbau und der Terminologie her. Da ist keine Fachterminologie bei - keine fachphilosophische.
Damit hast Du natürlich recht, doch können auch Texte, die keine Fachterminologie enthalten, schwer verständlich sein und zwar dann, wenn Worte wie "Tiefe" eine teifere Bedeutung erhalten.
Dies kenne ich von Bibeltexten, die auch keine fachphilosophischen Ausdrücke enthalten und dennoch sehr schwer verständlich sein können.

Savonlinna hat geschrieben:Wie bist Du auf Psalm 139 gekommen? Denn Tillich zitiert Psalm 130,1.
Aber vielleicht hast Du einen Grund.
Nun, ich habe in Tillichs Buch bis auf Setie 40 zurückgecrollt. Da nimmt er auf Psalm 139 bezug. Mag sein, dass ich auch darauf kam, weil mir dieser Psalm von einem Bibelgespräch vertraut ist. Hängt denn das Kapitel "Flucht vor Gott" nicht mit dem folgenden Aufsatz "Von der Tiefe" zusammen?
Okay, ich habe mir das Kapitel "Von der Tiefe" noch mal durchlesen. Bemerkenswert finde ich die Aussage, dass ein Arbeiter, welcher die Frage nach dem Sinn seiner Arbeit und seines Lebens stellt, dieser Tiefe näher kommt als ein Gebildeter, der alle Weishet kennt und doch an der Oberfläche bleibt, weil er - so meine Interpretation - nicht die "Tiefe des Lebens" ergründet hat. Selbst der Tiefenpsychologie spricht Tillich ab, dies zu vermögen (man sollte also nicht denken, "Gott" wäre für ihn lediglich ein tiefenpsychologisches Phänomen).
Die Seiten 56 - 57 werden leider nicht angezeigt. Vermutlich könnte ich seine Gedanken besser verstehen, wenn ich sie lesen könnte. Ich behalte das Buch mal im "Hinterkopf", vielleicht entschließe ich mich, es zu erwerben - es scheint eine lohnende Literatur zu sein.
Nun, beim nochmahligen Lesen, beginne ich zu begreifen, wovon Tillich eigentlich spricht. Da denke ich an einen Satz, den ich für eine Kernaussage halte, den Du schon zitiert hattest und in dem er auf die "Tiefe" (vgl. Ps. 130:1) bezug nimmt:
Und wenn das Wort für euch nicht viel Bedeutung besitzt, so übersetzt es und sprecht von der Tiefe in eurem Leben, vom Ursprung eures Seins, von dem, was euch unbedingt angeht, von dem, was ihr ohne irgendeinen Vorbehalt ernst nehmt.
Zitatquelle

Darüber werde ich mal reflektieren.

Savonlinna hat geschrieben:Ich bin der Meinung, dass Tillich nicht primär Bibeltexte auslegt, sondern zu verstehen sucht, was "Gott" in einer Zeit bedeuten kann, wo es höhnische Folterer gab, die jegliches positive Menschenbild, das es vorher gab, in seine Atome zerlegten.
Ich habe mir oft überlegt, wie ich reagieren würde, wenn ich diesen Folterern, die mit Lust und Grinsen andere foltern, bei ihrem "Job" begegnet wäre.
Meine Antwort war: entweder ich verdränge - versuche die Erinnerung aus meinem Leben zu jagen - oder ich verliere den Verstand, was auch eine Verdrängung wäre.

Die "Tiefe", von der Tillich spricht, ist dieser Zustand, der eintritt, wenn man zum Beispiel zig dieser Folterer begegnet ist und jegliches Urvertrauen in den Menschen in besagte Atome zerlegt worden ist.
Dann ist nämlich nichts mehr da, an das man sich klammern kann.
Derartig tiefgreifende Erfahrungen musste ich zum Glück nicht machen. Das Schlimmste, was ich erleben musste, war der Tod von sehr nahen Angehörigen. Diese Erfahrungen hinterließen Spuren in meiner Seele. Da kann man durchaus vom "Erdbeben" sprechen, welches imstande ist den Glauben zu zuerschüttern und - sofern er nicht "erdbebensicher gebaut" ist - zum Einsturz zu bringen.
Mein Glaube wuchst zunächst gestärkt aus dieser Erfahrung, wurde dann aber doch nachhaltig erschüttert und zerfiel zu einer Ruine. Seitdem restauriere ich diese, wie ein verliebter Archäologe, der sich an dem Einzigen klammmert, was er hat.

Als ich den Film Schindlers Liste sah, dachte ich mir: 'Dies würde ich nicht einen Tag aushalten'. Ich sah mich als potentielles Opfer, denn mit meiner Überzeugung müsste ich mich eigentlich zu den Juden, zu Maximilian M. Kolbe, Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller und Pfarrer Willhelm Busch gesellen, nur fehlt mir der Mut dazu (ähnlich wie den Jüngern, als Jesus abgeführt, verurteilt und gekreuzigt wurde).
Ironischerweise wurde ich beim Heimweg vom Kino von jungen Nachbarn wegen meiner religiösen Orientierung auf gehässe Art und Weise verhöhnt. (Ich wundere mich, dass sie davon überhaupt wussten und sich dafür - wenn auch in infantiler Form - interessierten.)

Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Ist es etwas Tiefenpsychologisches, eine bloße Imagination, die anthropologisch erklärbar ist, oder verweist diese Tiefe auf ein Sein, welches über den Menschen hinaus geht, auf einen realen Gott, der völlig unabhängig vom Menschen besteht und der Grund aller Dinge ist?
Er spricht nicht von Imaginationen. Er spricht von einem (seelischen) Leid, das unerträglich ist. Dem man sich aber stellen kann, indem man zugibt:
Ich habe mir ein falsches Menschenbild und ein falsches Weltbild gemacht. Es hat nicht gehalten, es war nicht die Wahrheit.
Was mich zu der Pilatus-Frage führt: Was ist Wahrheit?
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Novas
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#1088 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Mi 14. Okt 2015, 01:03

Savonlinna hat geschrieben:
Andreas hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Es gibt Christen, die diese ganze Opfer-Erzählung aus dem Christentum herausnehmen.
Sie lehnen Blut, Leiche, qualvolles Sterben als "Symbol" für die heutige Christenheit ab.

Abendmahl ist für sie kein Gedenken an Folter, sondern ein Ausdruck von Gemeinschaft.
Da werden keine Symbole für Blut und Menchenfleisch angeboten, sondern Früchte und Ähnliches.

Diese Christen entscheiden sich für Auferstehung und Erneuerung als das Wesen des Christentums.
Savonlinna hat geschrieben:Mir geht es hier überhaupt nicht um Glaubenssätze.
Sondern um reale menschliche Erfahrungen, in denen "Existenz" zusammenbricht.
Wenn das Christentum nicht in der Lage ist, dergleichen zu reflektieren, dann ist es, wie ich gerade bei Tillich als Begriff gefunden habe, "flach". Es verdrängt diese Sache, thematisiert sie nicht. Es wäre dann eine Schön-Wetter-Religion.
Wie mans macht, macht mans falsch, nich?
Keine Ahnung, was Du meinst.
Im letzten Beitrag habe ich Tillich versucht zu verstehen.

Irgendwie fühlst Du Dich andauernd angegriffen.
Am besten, ich hau mal für eine Weile ab.
Tschau.
Du machst das schon sehr gut, meinem Gefühl nach. Ich bedanke mich recht herzlich für die Versuche des Verstehens.

;-)

Samantha

#1089 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Samantha » Mi 14. Okt 2015, 07:43

Halman hat geschrieben:Das Schlimmste, was ich erleben musste, war der Tod von sehr nahen Angehörigen. Diese Erfahrungen hinterließen Spuren in meiner Seele. Da kann man durchaus vom "Erdbeben" sprechen, welches imstande ist den Glauben zu zuerschüttern und - sofern er nicht "erdbebensicher gebaut" ist - zum Einsturz zu bringen.
Mein Glaube wuchst zunächst gestärkt aus dieser Erfahrung, wurde dann aber doch nachhaltig erschüttert und zerfiel zu einer Ruine. Seitdem restauriere ich diese, wie ein verliebter Archäologe, der sich an dem Einzigen klammmert, was er hat.
Obwohl Du wusstest, dass Menschen sterben, glaubtest Du an Gott - und als die Wirklichkeit das Verdrängen (des Todes) unmöglich machte, wurde Dein Glaube geprüft. Vorher war es nur ein Kartenhaus, und jetzt hat dieses unfertige Haus Substanz trotz der Zweifel, die eigentlich nur aus der Angst entspringen.

Was ist Wahrheit?
Wahrheit ist das, was wir suchen, falls wir suchen. Wir müssen Puzzleteile zusammenfügen, während wir mit Zweifeln - auch an uns selbst - kämpfen.

JackSparrow
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#1090 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Mi 14. Okt 2015, 09:35

Andreas hat geschrieben:Demnach wäre die Gewalt der Folterer die mächtigste Instanz, oder?
Eine gewaltfreie und dafür langfristige Konditionierung dürfte deutlich effektiver sein. Da sind mehr Hirnregionen beteiligt. Unter Stress besteht der Lerneffekt eher in einem Fluchtreflex gegenüber der Ursache des Stresses.

Jesus verkündete die frohe Botschaft: "Fürchte dich nicht", und er wusste um die Folterer.
Er sagte auch, man solle dem Kaiser Steuern zahlen und sich friedlich und unterwürfig verhalten, um nicht am Ende des Äons durch die Boten des Menschensohnes in den Hochofen des Feuers geworfen zu werden.

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