Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
SilverBullet
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#1071 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von SilverBullet » Di 13. Okt 2015, 20:24

Savonlinna hat geschrieben:Diesen Ausgangspunkt habe ich Dir doch genannt
Nein, deine Aussage, dass jeder sein Höchstes als „Gott“ bezeichnet ist nicht sinnvoll.

Die Vorlieben von Menschen (Hobby, Beruf usw.) führen nicht dazu, dass sie diese Dinge als „Gott“ bezeichnen.

Ich vermute dein Ansatz stammt aus dem Mittelalter (Luther?)

Wie man dies dann mit den ganzen Aussagen der Religionen über Handlungsvermutungen, Extremattribute usw. (auch Tieropfer und Beschneidung) in Einklang bringen will ist mir schleierhaft und du hast offensichtlich so weit erst gar nicht gedacht.

Savonlinna hat geschrieben:Nee, ich wollte das wissen.
Darum stelle ich die Frage noch einmal: "Was eigentlich verstehst Du daran nicht?"
Ich will nur wissen, was „Gott“ sein soll, der die Welt erschaffen hat, der allmächtig ist usw.

Dein Versuch mit dem „Höchsten“ ist ganz nett, aber nicht sinnvoll (siehe oben)

Savonlinna hat geschrieben:Schlaue Antwort. Du scheinst auch zu der Kategorie der Ausweichler zu gehören?
Danke.
Nein, ich gehöre nur keiner Religion an.
Ich habe zuerst noch die ein oder andere Frage.
Das sind übrigens sehr sinnvolle Fragen, die auch so manchen Gläubigen zwicken.

Savonlinna hat geschrieben:Das ist semantisch nicht korrekt. Wenn man nicht weiß, was einen umtreibt - als Beispiel -, dann vermutet da niemand etwas.
Wenn ich es richtig verstehe, hast du Unwissen als Begründung angegeben, warum Gläubige ihre Aussagen nicht als Vermutung darstellen und stattdessen wie von Tatsachen sprechen.

Ich denke, das hat nichts mit Unwissen zu tun, sondern mit dem inneren Wunsch, dass es so sein soll. Es hat etwas mit dem Zweifel zu tun, der durch die Relativierung einer Vermutung auftritt und es hat etwas damit zu tun, dass sie vermuten durch den Glauben ein Ziel zu erreichen: ein Glaube der nicht wanken darf, sonst kann es „böse enden“…

Savonlinna hat geschrieben:Du kannst es ja auch nicht formulieren. Du weißt es möglicherweise auch nicht.
Was redest du da?
Ich kann nicht formulieren, was mir das „Höchste“ ist? – klar doch: die „Tiefe“ (was sonst? - ich bin Extrem-Fallschirmspringer)

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Savonlinna
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#1072 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Di 13. Okt 2015, 20:38

SilverBullet hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Diesen Ausgangspunkt habe ich Dir doch genannt
Nein, deine Aussage, dass jeder sein Höchstes als „Gott“ bezeichnet ist nicht sinnvoll.

Die Vorlieben von Menschen (Hobby, Beruf usw.) führen nicht dazu, dass sie diese Dinge als „Gott“ bezeichnen.
Du musst lernen, genauer zu lesen, SilverBullet; sonst wird das nix mit uns.

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Savonlinna
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#1073 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Di 13. Okt 2015, 20:51

Andreas hat geschrieben:Zur allgemeinen Belustigung:
Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Die Tiefe ist ein haltloser Abgrund.
Gott steht für Aufhebung.
Aus meiner Sicht.
Das könnte zu dem passen, was ich oft in diesem Thread geschrieben habe:
Wenn man "Gott" Existenz zuspricht, dann wäre das, was man Gott zuspricht, die Bedingung dafür, dass man sich selber als existierend empfindet.
Und das wäre der Schutz vor dem Abgrund.
So wie closs auch schon assoziiert hat: "Am Anfang war das Wort".
logos gleich Wort gleich Verstand.

Am Anfang war der Verstand. Alles, was der Verstand nicht erfasst, ist abgründige Tiefe. Wenn man sagt: "Gott ist" - dann hat man ihn in die Existenz und damit in die Sprache geholt. Und hat Schutz vor der Tiefe.
Das alles kann aber zusammenbrechen. Und wo ist "Gott" dann? Nicht in der Tiefe jenseits des Verstandes und der Sprache und der Existenz-Setzung?

Novas
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#1074 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Di 13. Okt 2015, 20:55

Pluto hat geschrieben:Was ist diese "gemeinsame Weisheitslehre"?

Schaue Dir die ethischen Grundsätze an. Etwa die fünf ethischen Grundsätze des Buddha:
http://www.buddhanetz.org/texte/silas.htm

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#1075 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Di 13. Okt 2015, 21:38

SilverBullet hat geschrieben:Wie das Bewusstsein zustande kommt, muss man den „christlichen Kontext“ offensichtlich nicht fragen.
Wie das, was man heute als "Bewusstsein" bezeichnet, neurowissenschaftlich zu erklären ist, hat in der Tat nichts mit "christlichem Kontext" zu tun. - Wir reden aneinander vorbei.

SilverBullet hat geschrieben:Die Behauptung, wer nicht über das Naturalistische hinaus kommt, hat kein Bewusstsein, ist falsch.
Ist unter der Prämisse dessen, was man heute als "Bewusstsein" bezeichnet, falsch - keine Widerrede meinerseits. - Auch hier: Wir reden aneinander vorbei.

SilverBullet hat geschrieben:Wieso hältst du solche Aussagen (ich vermute sie stammen aus dem Mittelalter oder noch früher) für „weiter“, als heutige Forschungsergebnisse?
Weil darin nicht nur naturalistische Fragen gestellt werden, sondern nach dem Wesen und der Substanz des Bewusstseins gefragt wird.

SilverBullet hat geschrieben:Gilt die christliche Kontext-Behauptung der Bewusstseins-Losigkeit auch für Menschen, die fragen, was „Gott“ sein soll?
Nein - da das Fragen-Können nach dem, was Gott ist, bereits eine spirituelle Transferleistung ist (das tun Kanguruhs NICHT). - Allerdings darf man sehr wohl konstatieren, dass das materialistische Welt die Vertierung des menschlichen Bewusstseins anzustreben scheint.

SilverBullet hat geschrieben:bei „Inzucht“ habe ich sogar den Kopf geschüttelt
Das glaube ich Dir aufs Wort. - Der heutige Materialismus gehört einem ganz anderen geistigen "Kulturkreis" an als das Christliche - selbst wenn die Leute alle dieselben Jeans anhaben und man sie auf der Straße nicht unterscheiden kann.

Aus parteiischer Sicht vermute ich, dass die Ent-Geistigung des menschlichen Wesens durch den Materialismus nach einigen Generationen dazu führt, dass die Gegenwarts-Generationen überhaupt keinen Zugang mehr haben, um was es im Christlichen geht. - Ironischerweise nennt man dies "Fortschritt" - was den zum Lachen bringt, für den Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

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#1076 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von JackSparrow » Di 13. Okt 2015, 21:50

Novalis hat geschrieben:Wenn ich deshalb die Ansicht vertrete, dass die Seele des Menschen eine geistige Wirklichkeit ist und auch nach dem körperlichen Tod bestehen bleibt,
Was genau meinst du mit Seele des Menschen? Gehört da auch seine Kleidung dazu, seine Gene, sein kleiner Finger, sein linker Hoden, sein Langzeitgedächtnis, sein Kurzzeitgedächtnis, seine erlernten Charaktereigenschaften, seine angeborenen Charaktereigenschaften, sein Blutzuckerspiegel, sein Schluckreflex?

(eigentlich stelle ich damit nur das materialistische Weltbild in Frage)
Nein, eigentlich nicht. Materie ist unzerstörbar und bleibt demzufolge auch nach dem Tod bestehen. Vergänglich ist lediglich ihre Anordnung und Form. Aber das macht nichts. Wer keinen Körper hat, benötigt weder eine Persönlichkeit noch ein Gedächtnis. Was sollte er damit denn anfangen können?

dem selbstständigen Wahrheitsstreben überlassen.
Schon vorher zu wissen, wie das Ergebnis aussehen soll, und sich dann Leute zu suchen, die das gewünschte Ergebnis liefern, würd ich nicht unbedingt als Wahrheitsstreben bezeichnen.

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Andreas
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#1077 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Andreas » Di 13. Okt 2015, 21:55

Savonlinna hat geschrieben:Wenn man "Gott" Existenz zuspricht ...
Ich glaube es wirklich andersrum. Gott hat die Welt und den Menschen in die Existenz gesprochen.

Wenn das wahr ist, was ich nicht weiß aber glaube, ist deine Frage aus meiner Sicht obsolet ...
Savonlinna hat geschrieben:Das alles kann aber zusammenbrechen. Und wo ist "Gott" dann?
... denn Gott war immer da, ist immer da, wird immer da sein.

Gen 1,1 hat geschrieben:Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Röm 1,19-20a hat geschrieben:Denn was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar; Gott hat es ihnen offenbart.
Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen, seine ewige Macht und Gottheit.
Ich glaube das voller Urvertrauen.
Wenn es wahr ist, wird niemand tiefer fallen als in Gottes liebende Hände.
Der tiefsinnigste Verstand kann diese Tiefe nicht ergründen, das Herz kann es.

Das ist meine intime "Weltanschauung".

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#1078 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Di 13. Okt 2015, 22:30

closs hat geschrieben:Nein - da das Fragen-Können nach dem, was Gott ist, bereits eine spirituelle Transferleistung ist (das tun Kanguruhs NICHT).

Wer weiß - vielleicht tun sie nur so, solange niemand hin schaut. ;)

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Savonlinna
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#1079 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Di 13. Okt 2015, 22:41

Halman hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Dies mag sein, doch mit einer Einschränkung: Die Menschen müssen den philosophisch-intellektuellen Zugang aufweisen, der erforderlich ist, um Tillichs Texte zu erfassen und zu begreifen. Oder bin ich hier der Einzige, der mit Tillich intellektuell überfordert ist? Wenn dem so sein sollte, beantrage ich "Artenschutz".
Der von mir verlinkte Aufsatz "Von der Tiefe" ist nicht schwer.
Das ist relativ, liebe Savonlinna. :)
Ich meinte: er ist nicht schwer vom Satzbau und der Terminologie her. Da ist keine Fachterminologie bei - keine fachphilosophische.

Halman hat geschrieben:Eben habe ich seine Gedanken "Von der Tiefe" in Bezug auf Pslam 139 gelesen, aber ich bleibe weitgehend an der Obefläche, doch meine ich unscharf zu erahnen, worauf Tillich hinaus will, so als erblickte ich "die Tiefe" in einem antiken Metallspiegel.
Wie bist Du auf Psalm 139 gekommen? Denn Tillich zitiert Psalm 130,1.
Aber vielleicht hast Du einen Grund.

Halman hat geschrieben:Liege ich Deiner Meinung nach richtig, wenn ich behaupte, dass zu Tillichs Ausführugnen der salomische Gedanke aus Pred. 3:11 passt?
11 Alles hat er schön² gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, nur dass der Mensch das Werk nicht ergründet³, das Gott getan hat, vom Anfang bis zum Ende.
²o. gut
³o. nicht herausfindet; o. nicht begreift; w. nicht findet
Ich bin der Meinung, dass Tillich nicht primär Bibeltexte auslegt, sondern zu verstehen sucht, was "Gott" in einer Zeit bedeuten kann, wo es höhnische Folterer gab, die jegliches positive Menschenbild, das es vorher gab, in seine Atome zerlegten.
Ich habe mir oft überlegt, wie ich reagieren würde, wenn ich diesen Folterern, die mit Lust und Grinsen andere foltern, bei ihrem "Job" begegnet wäre.
Meine Antwort war: entweder ich verdränge - versuche die Erinnerung aus meinem Leben zu jagen - oder ich verliere den Verstand, was auch eine Verdrängung wäre.

Die "Tiefe", von der Tillich spricht, ist dieser Zustand, der eintritt, wenn man zum Beispiel zig dieser Folterer begegnet ist und jegliches Urvertrauen in den Menschen in besagte Atome zerlegt worden ist.
Dann ist nämlich nichts mehr da, an das man sich klammern kann.

Halman hat geschrieben:Auch denke ich an den biblischen Gedanken, dass der Mensch im Abbild (o. Schattenbild) Gottes gemacht ist. Dennoch frage ich: Was ist die Tiefe des Lebens, die selbst Atheisten schwerlich leugnen können?
Ich denke: genau diese Erfahrung, von der ich eben gesprochen habe. Wenn der Boden unter den Füßen weggebrochen ist. Wenn ein Kind z.B. erleben muss, dass seine Mutter es im Stich lässt und es in der Wohnung verhungern muss. Wenn ein Junge nach einem Bombenangriff lauter Leichen oder brennende Menschen auf der Straße sieht.
Das, sagt Tillich, ist eine Erfahrung, die jedem Menschen zustoßen kann. Und solche Erlebnisse durchstoßen Wirklichkeiten, an die man geglaubt hat und wo man nun umlernen muss. Die eine Wirklichkeit ist zerfetzt, und man sucht die, die dadrunter liegt, die, die "wahr" ist.

Im Einzelnen weiß ich nicht, was Tillich während oder nach der Nazizeit aus der Bahn geworfen hat. Aber sein Buch "In der Tiefe ist Wahrheit" hat er auf Englisch geschrieben unter dem Titel: The Shaking of the Foundations, wörtlich übersetzt vielleicht: Das Beben der Fundamente, oder auch: Das Reißen der Fundamente. Er scheint in diesen Abgrund gefallen zu sein, wo alles Urvertrauen flöten ging.

Halman hat geschrieben:Ist es etwas Tiefenpsychologisches, eine bloße Imagination, die anthropologisch erklärbar ist, oder verweist diese Tiefe auf ein Sein, welches über den Menschen hinaus geht, auf einen realen Gott, der völlig unabhängig vom Menschen besteht und der Grund aller Dinge ist?
Er spricht nicht von Imaginationen. Er spricht von einem (seelischen) Leid, das unerträglich ist. Dem man sich aber stellen kann, indem man zugibt:
Ich habe mir ein falsches Menschenbild und ein falsches Weltbild gemacht. Es hat nicht gehalten, es war nicht die Wahrheit.

Novas
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#1080 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Novas » Di 13. Okt 2015, 22:47

Savonlinna hat geschrieben:Ich habe mir oft überlegt, wie ich reagieren würde, wenn ich diesen Folterern, die mit Lust und Grinsen andere foltern, bei ihrem "Job" begegnet wäre.
Meine Antwort war: entweder ich verdränge - versuche die Erinnerung aus meinem Leben zu jagen - oder ich verliere den Verstand, was auch eine Verdrängung wäre.

Wie ging Viktor Frankl damit um? Er schrieb ein Buch mit dem Titel "Trotzdem ja zum Leben sagen".

In dem Erlebnisbericht, den Frankl zunächst anonym veröffentlichen wollte, beschreibt er aus der Sicht eines jüdischen Psychologen seine Erlebnisse im Konzentrationslager. Dabei geht es zunächst um die Auswirkung der Einlieferung in ein Konzentrationslager auf die Häftlinge, aber auch um die Beziehungen zwischen Häftlingen wie beispielsweise darum, dass einige Häftlinge, die Aufseher wurden, brutaler handeln als die eigentlichen SS-Aufseher.

Das zentrale Erlebnis im Konzentrationslager war für Frankl die Erfahrung, dass es möglich ist, auch noch unter inhumansten Bedingungen einen Sinn im Leben zu sehen. So beschreibt er, dass diejenigen Häftlinge eine bessere Chance hatten, zu überleben, die jemanden hatten, der auf sie wartet. Für Frankl selbst war es die Vorstellung, dass er in der Zukunft Vorlesungen über die Auswirkungen des Lagers auf die Psyche halten wird.

Die letzten 50 Seiten bestehen aus einem Theaterstück der besonderen Art. Sokrates, Kant und Spinoza kommen vom Himmel ins "KZ Birkenwald" und wollen den ahnungslosen Menschen helfen. Doch das können sie nicht, die Menschen müssen selbst auf den Sinn ihres Lebens kommen.
https://de.wikipedia.org/wiki/%E2%80%A6 ... eben_sagen
Zuletzt geändert von Novas am Di 13. Okt 2015, 22:48, insgesamt 1-mal geändert.

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