Parusieverzögerung

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Halman
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#1381 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Halman » Do 14. Mai 2015, 02:05

Savonlinna hat geschrieben:Wikipedia:
Die Historisch-kritische Methode ist ein im 18. und 19. Jahrhundert entwickelter Methodenapparat zur Untersuchung von historischen Texten. Bekannt ist sie vor allem aus der biblischen Exegese. Sie hat zum Ziel, einen (biblischen) Text in seinem damaligen historischen Kontext zu verstehen und schließlich auszulegen, wobei die Rekonstruktion der vermuteten Vor- und Entstehungsgeschichte des Textes und seine situative Einbindung in das historische Geschehen eine besondere Rolle spielt. Wichtige methodische Teildisziplinen der historisch-kritischen Methode sind die Textkritik, die Textanalyse, Redaktionskritik, Literarkritik, Formkritik und die Traditionskritik.
http://de.wikipedia.org/wiki/Historisch ... he_Methode
Die von mir rotgefärbten Begriffe stammen mit Ausnahme der "Traditionskritik" alle aus der Literaturwissenschaft.
Das Inhaltsverzeichnis in dem Artikel zeigt noch einmal recht übersichtlich auf, was diese Methode alles untersucht und wie streng textbasiert das ist.
Darf ich Dich bitten, so kurz wie möglich zu umreißen, was mit den Teildisziplinen gemeint ist? Vielleicht auch am Beispiel vom Theologieexamen (Zenger, 1. Link).

Ich werde mal versuchen kurz zu erläutern, was ich unter den sechs Teildisziplinen verstehe:

Textkritik
Da geht es darum, die Überlieferung des biblischen Textes kritisch anhand des Handschriftenbefundes zu hinterfragen.
Ein Beispiel wäre der Vergleich von 1QJesA und den masoretischen Jesaja-Text, der eine hervorragende Überlieferungsqualität des jesajanischen Texte in Hebräisch belegt.
Ein anderes Bespiel wäre die Buchrolle Samuel, dessen hebräische Form im masoretischen Text in der Golath-Geschichte umfangreicher ist, als
4QSam^a-c. Der altnebräische Qumrantext von Samuel weist größere Übereinstimmung mit LXX auf.
LXX ist für die Textkritik sehr bedeutsam. Es geht m.W. um die Frage: Was ist eigentlich der Grundtext?

Textanalyse
Ich könnte mir vorstellen, dass es hier u.a. um innertextliche Widersprüche geht. - Laut Zenger ist dies allerdings Teil der Literaturkritik. Hm ...

Angenommen man untersucht Lyrik, dann geht es wohl darum zu bestimmen, ob bspw. ein Sonett oder eine Hymne vorliegt, richtig? Geht es hier um die Textgattungen, auf die Berger so großen Wert legt?

Redaktionskritik
Allgemein geht man wohl davon aus, dass die biblischen Texte in der Zeit der Fortschreibung re­di­gie­rt wurden. Mit der Kanonisierung endete die Redaktion (spätere Redaktion wird nicht kathegorisch ausgeschlossen) und die Texte wurden von Schriftgelehrten abgeschrieben.
Zitat von E. Zenger:
• Die Kanonisierung schreibt nicht den Buchstaben fest, sondern die Sinnrichtung und Offenbarung.

Dabei geht es darum herauszuarbeiten welche Textpassagen spätere Einfügungen sind, bspw. ob der Text zum paulinischen Urtext gehört, oder von einem späteren Redakteur eingeschoben wurde. (Es geht hierbei nicht um den Vergleich von Handschriften.)

Literarkritik
Mein Freund nannte die literaturkritische Exegese. Falls damit die Literaturkritik gemeint ist, wäre sie eine Teildisziplinen der historisch-kritischen Methode.
Zitat von Prof. Erich Zenger:
Methode der Literarkritik (Einheitlichkeit eines Textes, sachliche undterminologische Spannungen und Widersprüche, Wiederholungen, syntaktische Brüche, konkurierende Vorstellungen - Schluß auf die Herkunft der Textteile).

Formkritik
Darunter kann ich mir nicht so recht was vorstellen.

Traditionskritik
Dies ist wohl die historische Kritik, also die Frage, welche Traditionen herrschten vor und flossen in den Text ein. Oder?
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Zeus
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#1382 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Zeus » Do 14. Mai 2015, 03:04

Savonlinna hat geschrieben:Bei der historisch-kritischen Forschung [...] geht es primär um Text, und also um Sprache.
Ich halte diese Behauptung für "realitätsfremd". :(
Es geht PRIMÄR darum, so gut wie es das zur Verfügung stehende Material erlaubt, herauszufinden, was damals passiert ist*, also um- wie der Name sagt - die Historie.
Komisch, nicht wahr? :lol:
Das "WERKZEUG" der historisch-kritischen FORSCHUNG ist die historisch-kritische METHODE.
Letztere beruht (im Wesentlichen) auf der Untersuchung der Texte**... - mehr steht den Forschern meistens nicht zur Verfügung - ... unter einer ganzen Reihe von verschieden Aspekten, wie in deinem Wiki-Zitat erklärt wird.
Du verwechselt sozusagen "Weg" und "Ziel". :(

*Dazu gehört die Einschätzung der Verlässlichkeit der Zeitzeugen, deren Charakter, Bildung, möglicher Vorurteile, die Vorgeschichte eines Ereignisses, die Berücksichtigung der politischen Umstände und Vieles mehr.
** Manchmal sind auch archeologische Funde hilfreich.
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Gott ist das einzige Wesen, das, um zu herrschen, noch nicht einmal existieren muss.
(Charles Baudelaire, frz. Schriftsteller, 1821-1867)

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#1383 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Münek » Do 14. Mai 2015, 08:38

Hemul hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: Nein, Geschichtswissenschaft verfolgt primär das Ziel, darzustellen, was sich in der Vergangenheit mit
hoher Wahrscheinlichkeit ereignet hat.
Aber die Parusie Jesu konnte gem. Offenbarung 1:3 u. 22:10 im Jahre 100 n.Chr. doch "VORHER" noch gar nicht stattgefunden haben-gelle? 8-)

Richtig, als Johannes die Offenbarung schrieb, hatte die sehnlichst erwartete Parusie immer noch nicht stattgefunden.
Mit dieser Enttäuschung (Parusieverzögerung) mussten die Urchristen irgendwie fertigwerden.

Samantha

#1384 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Samantha » Do 14. Mai 2015, 08:46

Münek hat geschrieben:Du übersiehst, dass die Existenz Gottes nichts mit Jesu Irrtum zu tun hat.
Doch. Wenn Jesus sich irrte, war er nicht Gottes Sohn, und dann haben wir auch keine Hoffnung. Ergo weist auch die Bibel nicht auf Gott hin - der Bibelgott wird unglaubwürdig.


Münek hat geschrieben:
Samantha hat geschrieben:Es reicht der :devil: im Forum. :mrgreen:
Also das hat unser Hemulchen :devil: nun wirklich nicht verdient. Schäme Dich, Kratzbürste!
Wieso? Willst Du von Dir ablenken?

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#1385 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Münek » Do 14. Mai 2015, 09:11

Samantha hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Du übersiehst, dass die Existenz Gottes nichts mit Jesu Irrtum zu tun hat.
Doch. Wenn Jesus sich irrte, war er nicht Gottes Sohn, und dann haben wir auch keine Hoffnung. Ergo weist auch die Bibel nicht auf Gott hin - der Bibelgott wird unglaubwürdig.

Nein, der Glaube der Juden an die Auferstehung von den Toten am "Jüngsten Tag" beruhte auf einer
Aussage im Buch Daniel 12,2. Dieser Glaube hatte mit Jesus nichts zu tun. Lies mal Joh. 11,24.

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sven23
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#1386 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von sven23 » Do 14. Mai 2015, 09:27

Samantha hat geschrieben: Doch. Wenn Jesus sich irrte, war er nicht Gottes Sohn,
Bingo, und genau aus diesem Grund wird die Naherwartung durch Jesus so beharrlich geleugnet.

Samantha hat geschrieben: und dann haben wir auch keine Hoffnung.
Hoffnung worauf?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#1387 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von Zeus » Do 14. Mai 2015, 09:59

Münek hat geschrieben:
Samantha hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Du übersiehst, dass die Existenz Gottes nichts mit Jesu Irrtum zu tun hat.
Doch. Wenn Jesus sich irrte, war er nicht Gottes Sohn, und dann haben wir auch keine Hoffnung. Ergo weist auch die Bibel nicht auf Gott hin - der Bibelgott wird unglaubwürdig.

Nein, der Glaube der Juden an die Auferstehung von den Toten am "Jüngsten Tag" beruhte auf einer
Aussage im Buch Daniel 12,2. Dieser Glaube hatte mit Jesus nichts zu tun. Lies mal Joh. 11,24.
Das stimmt. Aber laut christlicher (eigentlich paulinischer) Lehre muste doch der Sohn Gottes zur Rettung der sündigen Menschheit als Sühneopfer sterben.Gell?
Die Sühnopfertheologie ist eine in der christlichen Theologie grundlegende Sinndeutung des gewaltsamen Todes Jesu Christi. Sie spielt eine zentrale Rolle in der christlichen Lehre von der Erlösung des Menschen (Soteriologie). Der Kreuzestod Jesu wird vor dem Hintergrund alttestamentlicher Aussagen von Sünde und Sühne als Opfertod zur Versöhnung von Gott und Mensch und zur Beseitigung der Sündenfolgen gedeutet. (Wiki)
Es geht doch schließlich nicht nur um die Auferstehung. Kein JC, Gott sauer, die Leute bleiben auf ihren Sünden sitzen mit ungeahnten fiesen Konsequenzen und, last but not least, christliche Lehre im Eimer. :devil:
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#1388 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von sven23 » Do 14. Mai 2015, 10:27

Daß Jesus das Gegenteil von dem meinte, was er gepredigt hat, müßte erst einmal nachvollziehbar belegt werden.

"Die neutestamentliche Forschung ist sich einig, dass der Hauptinhalt der Predigt Jesu in der Ankündigung des nahen Gottesreichs bestand, wie es z.B. in Mk 1,15 ausgedrückt wird: „Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen.“ Der Reich-Gottes-Begriff begegnet in den synoptischen Evangelien relativ häufig im Munde Jesu, man findet ihn als Zusammenfassung seines Wirkens in einzelnen Logien ebenso wie in größeren Gleichnisreden, die das Kommen
des Reiches Gottes zum Inhalt haben."

Quelle: Dr. Kubitza (Der Jesuswahn)
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closs
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#1389 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von closs » Do 14. Mai 2015, 10:27

Münek hat geschrieben:Mach mal das Fenster auf. Siehst Du da irgendwo draußen das "Reich Gottes"?
Eben NICHT - es wird da auch nie sein. - Das ist doch gerade das Missverständnis.

Zeus hat geschrieben:Es geht PRIMÄR darum, so gut wie es das zur Verfügung stehende Material erlaubt, herauszufinden, was damals passiert ist
Und was untersucht man, um das herauszufinden? - Meistens Texte, nicht wahr?

Zeus hat geschrieben:Das "WERKZEUG" der historisch-kritischen FORSCHUNG ist die historisch-kritische METHODE.
Bingo. - Und diese Methode hat das zu tun, was ich x-mal gesagt habe, was Savonlinna vertieft gesagt hat und was Halman jetzt nochmals eigens strukturiert gesagt hat.

closs
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#1390 Re: Parusieverzögerung

Beitrag von closs » Do 14. Mai 2015, 10:36

sven23 hat geschrieben:Daß Jesus das Gegenteil von dem meinte, was er gepredigt hat, müßte erst einmal nachvollziehbar belegt werden.
Wurde schon x-mal gemacht - also nochmals (weil das Wetter so schön ist).

Es muss geprüft werden
* welche Textstellen sich auf Jesu Wiederkunft nach seinem Tod beziehen und welche sich auf die Auferstehung bzw. die Verklärung beziehen.
* wann das Wort "nah" mit zeitlich nah und wann es mit innerlich nah zu verstehen ist.
* ob das sogenannte "Himmlische Reich" ein historisches Reich auf Erden sein soll oder ein verinnerlichtes Reich.
Diese Fragen kann man nicht über reine Wort-Analyse klären, sondern nur im Kontext.

Weiterhin muss man prüfen (falls es geht), was die diversen Textverfasser selbst verstanden (falls es Zeitzeugen waren) oder überliefert bekamen:
* Haben die Textverfasser im Naherwartungs-Hype der Zeit Jesus als Follower dieses Hypes verstanden?
* Haben sie übersehen, dass Jesus es gerade entgegen diesem Hype gemeint hat?
* Ist das Verständnis der Textverfasser authentisch zum Verständnis Jesu selbst?

Das sind nach meinem Verständnis knallharte text-kritische Fragen und haben mit Glaubens-Fragen nichts zu tun. - Dies nur als Erinnerung daran, dass historisch-kritische Methode mehr ist als "Da steht abba".

Gesperrt