closs hat geschrieben:Pluto hat geschrieben:Bezeichnend ist, dass in der Bibel nichts von der Erschaffung der Zeit steht.
"Am Anfang" (Gen.1,1) - ist das kein Hinweis auf den ersten Moment der Zeit? - Wenn es aber der erste Moment der Zeit ist, ist es geschaffen, weil das "Am Anfang" sich nicht auf Gott, sondern auf die Schöpfung bezieht.
closs hat geschrieben:Pluto hat geschrieben:Wen Gott über der Zeit steht und stand, ist er nicht Teil dieser Welt.
So ist es.
Ich habe die größten Schwierigkeiten, zu verstehen, auf welche Weise hier mitunter über "Zeit" gesprochen wird.
Was bedeutet dieses Wort denn überhaupt?
Nehme ich meine fünf Sinne zusammen, sehe ich Veränderung. Was "Veränderung" ist, kann ich beschreiben. Der Baum vor meinem Fenster ist fast kahl, aber er hatte noch vor kurzem bunte Blätter. Ich nehme also Wandel wahr.
Damit wir in der Gesellschaft gut miteinander agieren können, versucht man diesen unaufhörlichen Wandel irgendwie zu gliedern. Man fängt an, künstliche Einheiten zu schaffen. Sonnenaufgang und Sonnenuntergang sind gut sichtbare Veränderungen, die jeder leicht beobachten kann. Also nennt man den Abschnitt zwischen Sonnenaufgang und -untergang "Tag", den zwischen Sonnenuntergang und -aufgang "Nacht".
Das sind also künstliche Einheiten, so wie man analog bezüglich Raummessung meinen Garten in seiner Länge und Breite gut messen kann, indem man sagt: so und so viele Schritte sind "ein Meter". Mein Garten ist x Meter lang und y Meter breit.
Was wir wahrnehmen, ist Ausdehnung, und die Gliederung fügen wir hinzu aus praktischen Gründen.
Bei dem "Wandel" wählen wir als einteilende Einheit außer Tag und Nacht noch die präzisere Einheit "Stunde", sodass wir definiert haben: ein ganzer Tag hat 24 Stunden.
"Zeit" entpuppt sich also für mich als ein praktischer Begriff, der letztlich nur die Tatsache meinen kann, dass für unsere Augen und Ohren sich ohne Unterlass alles verändert.
Mag sein, dass das einige auch so gemeint haben, aber ich habe nicht selten den Eindruck, als ob "Zeit" als eine existierende Größe angesehen wird, von der man fragen kann, wann sie begonnen hat, und wo man vergisst, dass wir die Uhr selber erfunden haben, um die Veränderungen zu gliedern.
Für mich also ist wahrnehmbar: Ausdehnung und Veränderung. Der Rest ist menschliche Messtechnik.
Und jetzt kommt Immanuel Kant (1724-1804) ins Spiel. Der hat die Erkenntnistheorie insofern revolutioniert, als er - analog zu Kopernikus - nicht mehr sagt: die Sonne dreht sich um die Erde, sondern die Erde dreht sich um die Sonne.
Die "Kopernikanische Wende" bei Kant meint: Ausdehnung und Wandel sind nicht objektiv da, sondern unser Verstand nimmt mittels der Brillen "Wandel" (und Ausdehnung) - er selber spricht allerdings auch von "Zeit" - wahr. Der Mensch kann nicht anders als alles mittels der Brille Veränderung wahrnehmen. Der Verstand funktioniere so.
"Zeitlosigkeit" und "Ewigkeit" sind darum für mich erst einfach nur Begriffe, die die Sprache notwendig bilden muss, weil alles einen Gegenbegriff hat, gemäß des Sprachsystems, das auf unserer begrifflichen Denkfunktion basiert.
Beide Begriffe sind darum für mich erst mal Synonyme. Sie drücken aus, dass wir von jedem Wort sprachlich auch deren Abwesenheit formulieren können: alles in der Welt ist "rot" oder "nicht-rot".
Bei Kant aber sind Wandel und Ausdehnung notwendige Formen, ohne die wir nicht erkennen können.
Darum können wir - sage jetzt ich -
nur verbal das Gegenteil von "Wandel" in einem Begriff formulieren, es uns aber nicht vorstellen.
Auch Kant verlangt einen "gedeckten Scheck" - Begriffe müssen in Erfahrung wurzeln, sonst sind sie leer.
Jetzt stricke ich an Kant aber einfach mal weiter. Auch er sagt zwar - oder Philosophen schon vor ihm - dass es eine "innere Zeit" gibt, die sich mit der äußeren nicht deckt.
Da ich aber "Zeit" als Begriff für einen ungedeckten Scheck halte, wie oben gezeigt, sondern lieber von Veränderung sprechen möchte, nimmt, nach meiner Beobachtung, der innere Sinn - oder ein Teil des inneren Sinnes - gar nicht in Form von Veränderung wahr, sondern in Form von Beziehung, Struktur.
Früher dachte ich auch, dass Beziehung und Struktur nur künstliche Hinzufügungen sind, die wie die Messeinheiten die Kommunikation erleichtern sollen.
Aber es gibt auch eine innere Wahrnehmung, die ganz auf Bezüge aufgebaut ist. Wieder mal als Beispiel die Musik. Eine musikalische Komposition besteht rein aus Bezügen, Relationen, da existiert kein zeitlicher Wandel, nur ein struktureller.
Das sind also
auch Erfahrungen, die nicht nur durch die Musik gemacht werden, sondern in vielen anderen Bereichen.
Ich könnte mir gut vorstellen, dass aus solchen Erfahrungen Begriffe entstehen, die "Gott" zugesprochen werden, aber keine ungedeckten Checks sind. Ich glaube, Meister Eckhart holt viele, wenn nicht alle seiner Aussagen aus Wahrnehmungen und Beobachten, wie der Mensch innerlich "funzt". Der Mensch lebt nicht nur im Raum des Wandels und der Veränderung.
@ closs
Beim Schreiben hier ist mir eingefallen, dass man Deine "Metatheorie" vielleicht als "Erkenntnistheorie" titulieren könnte. Deckt das alles ab, was Dir vorschwebt?