Savonlinna hat geschrieben:Aber das ganze Sein naturwissenschaftlich zu deuten - das ist ein anderer Snack.
Zustimmung - neue Formulierung: Der Mensch ist seiner Funktion als Naturwissenschaftler denkt und bewertet anders als derselbe Mensch in seiner Funktion als "Weltdeuter".
In der Funktion als Naturwissenschaftler muss er dem Gebot des methodischen Atheismus folgen - alles andere wäre (buchstäblich) un-diszipliniert. - Sobald er als "nach Feierabend" den Wissenschafts-Kittel auszieht, bildet er sich eine Meinung, die nicht dem Gebot des methodischen Atheismus unterliegt.
Kommt er zum Ergebnis, dass das naturwissenschaftliche Bild gleichzusetzen sei mit seinem Weltdeutungs-Bild, ist er Naturalist/Materialist/etc.. - Kommt er aus geistigen Weltdeutungs-Erkenntnissen zum Ergebnis, dass das naturwissenschaftliche Bild nur einen Ausschnitt des Seins/der Realität betrifft, ist er bspw. Christ. - Wärest Du damit einverstanden?
Savonlinna hat geschrieben:Auf jeden Fall würde ich sie nicht "Naturwissenschaft" nennen...
Bingo. - Ich würde es "Ontologie" nennen - die Lehre vom Sein an sich - ganz wertfrei: "Was kann Sein sein". - Jedenfalls wäre es eine philosophische Disziplin.
Savonlinna hat geschrieben:Auch so eine Metawissenschaft könnte nicht davon absehen, Prämissen zu formulieren
Genau so ist es.
Im Sinne von Augustinus und Descartes ist die einzige prämisse-freie Aussage das "Cogito ergo sum" (bzw. "Si enim fallor, sum"), weil dies die einzige Aussage ist, bei der Subjekt (= Ich= Wahrnehmung) und das Objekt (= das Beobachtete/die Realität/das Sein) identisch sind
(Descartes macht da zwar noch eine Einschränkung, die ich allerdings für irrig und somit überflüssig halte)
In diesem Forum wurde dies lange diskutiert - mit dem Ergebnis, dass Pluto es als Fortschritt sieht, diese Erkenntnis mit der Philosophie des 20./21. Jh. überwunden zu haben - eben dieses ist aus meiner Sicht ein Rückschritt.
Savonlinna hat geschrieben:Metawissenschaft ... Sie untersucht die Bedingungen alles dessen, was "erscheint" - vielleicht?
Sie untersucht, welche Aussage über "Realität" welcher Prämissen bedarf.
Im Grunde sind wir jetzt volle Kanne in der Romantik (die ja in ihrer Frühphase alles andere ist als das, was man heute unter "romantisch" versteht) - nämlich in der Auflösung jeglichen Fixpunkts. - Dies führt zum "Zauberlehrung" und zu Friedrich Schlegel - denn:
Es ist die Orientierungslosigkeit der erzwungenen Selbst-Vermaßstabung, die in Goethes „Zauberlehrling“ zur Katastrophe führt, wodurch sich der Zauberlehrling allerdings (insofern eine letzte Flucht zum fixen Maßstab) am Ende wieder an den Herrn und Meister wendet: „Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los". - Der Meister/der Maßstab/Gott endet schließlich den Spuk: “In die Ecke, Besen! Besen! Seids gewesen. Denn als Geister ruft euch nur, zu diesem Zwecke, erst hervor der alte Meister.â€
Die im „Zauberlehrling“ versinnbildlichte Selbst-Normierung der Aufklärung und deren Scheitern ist geistesgeschichtlich besonders treffend in die Wende zwischen „Klassik“ und „Romantik“, also etwa um die Jahre 1795 - 1805, zu datieren. Dies ist die Zeit, in der nicht nur der „Zauberlehrling“ entsteht, sondern auch der Philosoph Gottlieb Fichte feststellt, dass ihn nicht interessiert, ob seine Philosophie christlich sei, wie es einen Mathematiker ebenso nicht interessiert, ob ein Kreis grün sei. Das heißt für unsere Zwecke: Der Erkenntnis – in der Sprache Heideggers – der ontologischen Differenz zwischen Sein und Dasein folgt beim „Zauberlehrling“ die Demut („Herr, die Not ist groß!“), bei Fichte die Selbstbehauptung/Selbst-Vermaßstablichung.
Diese Selbstbehauptung menschlichen Denkens unausgerichtet an Gott führt konsequenterweise beim Philosophen Friedrich Schlegel ihn dieser Zeit zu folgender Aussage: „Ein freier Mensch müsste sich selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch, historisch oder rhetorisch, antik oder modern stimmen können, ganz willkürlich, wie man ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit und zu jedem Grade.“ (55. Lyceumsfragment). – Es bleibt einem ja nichts mehr anderes übrig.
Folgerichtig gibt es dann nach der Klassik verschiedenste Literatur-Ausrichtungen: Grabbe/Satire - Büchner/Politik - Eichendorff/christlich - etc. - Am Ende steht die Ver-Biedermeierung mit Mörike und C.D.Friedrich: Man ist zu müde geworden und zieht sich in sein (schein-)idyllisches Schneckenhaus zurück - die großen Fragen gibt es nicht mehr. - Ob es diese seitdem überhaupt nochmals gab (mal Th. Mann ausgenommen), wäre ein eigenes Thema.
Oje - jetzt war das aber arg weit ausgeholt.
